SWR4 Abendgedanken RP

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Da lag sie in meinen Armen. Dieser kleine Mensch. Sie machte manchmal die Augen auf, quietschte leise vor sich hin, die ersten Minuten auf dieser Welt. Ich konnte einfach nur staunen, konnte mich nicht satt sehen. Wie froh war ich, dass sie nicht schrie und keinen Hunger hatte, sondern einfach nur da lag; ganz friedlich, ganz ruhig. Unsere Tochter ist jetzt acht Wochen alt - und mir geht es jeden Tag so: ich könnte sie stundenlang anschauen und bestaunen. Die kleinen Hände mit den winzigen Fingern, das süße Gesicht, die kleinen Strampelbeine... . Sie hat sich einfach in mein Herz geschlichen . Und wenn sie in meinen Armen einschläft, empfinde ich ein Riesenglück. Vaterglück, denke ich, und kann gar nicht anders, als sie von Herzen zu lieben. Ich weiß, das viele Väter so fühlen , und Großväter kennen das Gefühl doppelt: Bei den eigenen Kindern und bei den Enkeln. Ich finde es erstaunlich, dass wir auch von Gott oft als Vater sprechen. Zumindest ruft Jesus ihn so: Abba, lieber Vater - übersetzt heißt das eigentlich „Väterchen". Und seinen Jüngern lehrt er als Gebet das Vaterunser. Gott wie ein liebender Vater oder eine liebende Mutter? Leider machen nicht alle Kinder mit ihren Eltern gute Erfahrungen. Das macht die Vorstellung von einem Gott, der so sein soll wie Vater oder Mutter, nicht unproblematisch. Aber wenn ich von meinem Vaterglück ausgehe, von diesem Moment, in dem meine Tochter ganz zart und schutzlos in meinen Armen liegt, dann frage ich mich: Was, wenn es Gott genauso geht - mit uns, seinen Kindern? Mit dir, mit mir? Was, wenn er tatsächlich das fühlt, was ich für meine Tochter fühle? Was, wenn er gar nicht anders kann, als zu lieben? Gott kann nur lieben - weil wir seine Kinder sind! Wenn ich das wirklich glaube, dann tut sich eine Welt auf: Dann kann ich mich in seine Arme fallen lassen. Dann muss ich mich nicht ständig beweisen, muss nicht zeigen, was ich kann und vertuschen, was ich nicht kann. Dann darf ich einfach sein, einfach so. Ich muss nicht um Liebe kämpfen, nein, ich bekomme sie ja geschenkt. Gott kann nicht anders. Gott kann nur lieben. Viel überschwänglicher und reicher als ich es mir vorstellen kann. Und mein Vaterglück? Das ist eine schöne Ahnung davon.

 

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