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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ein unachtsamer Augenblick und meine Lieblingstasse fällt auf den Boden und zerbricht. Traurig hebe ich die Scherben auf. Es sind nicht viele und es sieht so aus, als könnte ich sie wieder reparieren.
In Japan gibt es eine alte Reparaturmethode: Kintsugi. Die Japaner werfen eine zerbrochene Tasse nicht einfach weg, denn für sie steckt Geschichte darin. Also wird sie aufwendig zusammengefügt und ihre Risse werden mit Gold verziert. Kintsugi bedeutet nämlich Goldverbindung.
Ich klebe meine Tasse und überlege, ob ich ihre Risse nicht auch golden verziere… Manchmal geht’s mir nämlich genau so wie meiner Tasse: Irgendwas Blödes passiert und ein Teil von mir zerbricht oder ist beschädigt. Wie wenn beispielsweise eine Freundschaft einen Bruch erlebt. Es gibt Scherben, weil etwas kaputt gegangen ist. Und das tut weh. Da sind vielleicht Worte und Taten gewesen, die mich oder den anderen verletzt haben. Oder sogar Dinge, die jemand gerade nicht getan hat. Dass ich für eine Freundin in einer schwierigen Lebensphase nicht so dagewesen bin, wie sie es gebraucht hätte. Weil ich nicht gemerkt habe, wie wichtig es gewesen wäre, dass ich sie begleite. Aber alles gleich wegwerfen?
Oder doch kitten? Ich kann versuchen mit der Person zu reden oder mich aufrichtig zu entschuldigen. Aber das ist anstrengend und nicht leicht. Auch braucht es Zeit. Und selbst wenn wir wieder zueinander finden, macht es das, was geschehen ist, nicht rückgängig. Risse bleiben sichtbar und erinnern mich auch später noch daran. Aber sie erinnern mich eben auch an das Gemeinsame und Schöne. Nicht umsonst tut der Riss auch weh. Er macht mir klar, dass mir die Person wirklich wichtig ist.
Und genau da taucht Gott für mich immer wieder auf. Er sieht, was zerbrochen ist. Und er ermutigt mich dazu, es nicht wegzuschmeißen. („Gott heilt, die zerbrochenen Herzens sind und verbindet ihre Wunden“ heißt es im Psalm 147.) Er gibt mir den nötigen Anstoß, dass ich es schaffe, auf jemanden wieder zuzugehen. Damit wir wieder zueinander finden können. Das braucht Zeit und wir müssen viel miteinander reden.
Wenn es uns jedoch gelingt, kann es unsere Freundschaft stärken, sie vielleicht sogar vergolden. Weil wir dazugewonnen haben. Weil die Risse ein wertvoller Teil unserer Freundschaft und unseres Miteinanders geworden sind. Meine Tasse ist mir jetzt nicht so wichtig, wie meine Freundin, aber ja, ich werde ihre Risse mit Gold verzieren. Denn Risse gehören zu meinem Leben dazu. Sie sind keineswegs perfekt, aber ich kann mich mit ihnen versöhnen.
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In den letzten Monaten habe ich fast jeden Tag ein Pflaster in der Hand gehabt. Warum? Wegen meiner dreijährigen Tochter. Sie ist hingefallen, hat sich eine kleine Schramme geholt oder einfach nur angestoßen und zack, ein Pflaster musste her. Allerdings: Notwendig war das Pflaster nie. Denn es sind wirklich nur kleine Kratzer gewesen. Meiner Tochter ist das egal gewesen, sie wollte unbedingt ein Pflaster und hat nicht mit sich reden lassen.
Mich hat das richtig genervt, aber mir ist auch etwas aufgefallen: Sobald das Pflaster auf dem Kratzer klebt, ist der Schmerz schon wieder vergessen.
Es ist für mich nicht logisch gewesen. Deshalb habe ich versucht mich in meine Dreijährige hineinzuversetzen, um zu verstehen was da los ist. Denn Kinder handeln nicht grundlos. Meine Tochter verlangt ja nicht ein Pflaster, nur um mich damit zu ärgern. Dahinter steckt was Anderes. Etwa: Mama, sieh mal, was ich jetzt schon alles allein kann. Mama? Ich glaube, das geht mir doch alles zu schnell und ich brauche noch Trost und Halt.
Natürlich sagt sie das nicht, aber ich habe den Eindruck, das sind dann die Momente, in denen sie auf mich zu gerannt kommt, mir freudig etwas erzählen will und im letzten Moment stolpert sie. Und mir ist klar: Jetzt braucht sie Trost. Aber nur in den Arm nehmen, das reicht ihr nicht mehr aus. Schließlich will sie selbstständig unterwegs sein und sich nicht verkriechen. Sie weiß noch nicht, wie sie mit ihren Wehwehchen allein umgehen soll.
Ein Pflaster gibt ihr da nicht nur Zuspruch, dass sie wieder heile wird. Sondern es erinnert sie auch immer wieder daran, dass da wirklich jemand da gewesen ist, der ihr geholfen hat. Kinder müssen immer wieder sichtbar daran erinnert werden, habe ich den Eindruck, damit sie ihre Wehwehchen besser verarbeiten können. Wenn sie den Kratzer nicht sehen, denken sie auch nicht daran, wie es passiert ist und wie weh es tut. Viel wichtiger ist ihnen dann, wie das Pflaster aussieht und von wem es kommt.
Durch das Pflaster weiß meine Tochter: Mama ist dagewesen. Sie hat sich um mich gekümmert und mich versorgt.
Inzwischen ist es zum Glück besser geworden. Wir benutzen Pflaster nur noch, wenn meine Tochter wirklich blutet. Geholfen hat einfach, dass ich ihre Schrammen und Kratzer nicht klein geredet habe, sondern sie ernst genommen habe.
Als Erwachsenen finde ich es ja auch gut, wenn jemand für mich da ist. Wenn ich krank bin und mich dann jemand besucht oder mir ne Kleinigkeit vorbeischickt. Zu spüren und zu sehen, da ist jemand für mich da, wenn es mir schlecht geht, ist ein wunderbares Geschenk, das ich deshalb auch gerne weiterverschenke.
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„Ja, es sind Zwillinge. Zweieiig. Junge und Mädchen sind immer zweieiig.“ Seit ich meine Zwillinge im Kinderwagen durch die Gegend schiebe, werde ich oft auf sie angesprochen. Meist folgt dann noch ein kurzer Smalltalk in Richtung „Ist bestimmt viel Arbeit“. „Ja“, sage ich dann, „das ist es“.
Ich liebe meine drei Kinder, aber ich gebe ganz ehrlich zu: So ein erstes Jahr mit Zwillingen ist hart. Es passiert vieles gleichzeitig, die Kinder können noch nicht sagen, was sie brauchen und man hat sowieso immer eine Hand zu wenig. Schlafmangel, anhaltendes Kindergeschrei und dünne Nervenstränge – keine gute Kombination. Deshalb waren wir sehr dankbar, dass Freunde und Familie uns mit Essen versorgt haben und mit den Kindern spazieren gegangen sind. Es waren kleine Hilfen und kurze Ruhe-Pausen für uns.
Ich habe lange geglaubt, dass keiner nachvollziehen kann, was wir als Familie, als Eltern, was ich als Zwillings-Mutter durchmache und erlebe. Aber das stimmt gar nicht!
Ich bin irgendwann auf den Trichter gekommen nach anderen Zwillingseltern in meiner Nähe zu suchen. Ich bin schließlich nicht die erste, die Zwillinge hat.
Und tatsächlich: Hat man einmal Zwillingseltern gefunden, finden sich mehr und mehr und man trifft auf Gleich-Gefühlte. Zwillingseltern wissen einfach Bescheid. Sie wissen genau, was andere durchmachen und geben gerne Tipps und Tricks weiter. Alles, was für den Alltag nützlich ist und was zum Überleben hilft.
Im Austausch fällt dann oft der Satz „Ich fühle dich!“. Und dieser Satz ist für mich in den letzten Monaten echtes Seelen-Gold gewesen. Gesagt zu bekommen, ich nehme dich wahr, du musst mir nicht viel erzählen, ich weiß genau, was du durchmachst. Das hat sich angefühlt, als ob mich jemand auffängt und mir hilft meine Situation auszuhalten und mich dadurch stärkt.
Das, was ich durchmache, kann also sehr wohl jemand nachvollziehen. Und das gilt nicht nur für mich. Es gibt so viele schwierige und herausfordernde Lebenssituationen – ich glaube, es gibt immer jemanden, der das so oder ähnlich schon erlebt hat; und das tut gut zu wissen.
Vielleicht fühlt so auch Gott mit uns, weil er Mensch in Jesus geworden ist und dadurch um die Schwere weiß, die ich manchmal durchmachen muss. Er weiß, was Menschen fühlen können, weil er es als Mensch selbst erlebt hat. Und auch ihm muss ich eigentlich nicht viel erzählen, er nimmt mich wahr. Er fühlt mich! Und das trägt mich.
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In meinem Freundeskreis sind gerade wieder viele schwanger. Und immer, wenn ich die Nachricht von bevorstehendem Nachwuchs höre, freue ich mich sehr für die Eltern. Allerdings gibt’s nicht immer nur freudige Nachrichten. Manchmal habe ich auch schon von Sternenkindern erfahren. So werden Kinder bezeichnet, die es nicht auf die Welt schaffen. Die während der Schwangerschaft, manchmal sogar während der Geburt oder kurz danach sterben. Und das ist dann schon sehr traurig. Ein Leben ist zu Ende, noch bevor es angefangen hat.
Mama und Papa haben gerade erst richtig begreifen können Mama und Papa zu werden und dann wird aus dem erwarteten Kind nichts. Da fehlen auch mir dann irgendwie die Worte.
Es ist kein Trost, aber so etwas kommt sehr häufig in den ersten Wochen und Monaten einer Schwangerschaft vor und ist einfach auch eine natürliche Reaktion des menschlichen Körpers. Der entscheidet einfach, ob das Kind lebensfähig ist oder nicht. Niemand, weder Arzt noch Mutter können das beeinflussen.
Es führt deshalb auch zu nichts, die Schuld bei sich selbst zu suchen, wenn das Kind es nicht geschafft hat. Es passiert einfach. Ich habe das selbst erlebt und mir ist es dadurch nochmals sehr bewusst geworden:
Leben ist echt nicht selbstverständlich. Es ist verrückt. So vieles im Leben habe ich selbst in der Hand, aber das eine eben nicht.
Mama und Papa können während der Schwangerschaft nur hoffen. Hoffen und beten. Dass es funktioniert und gut ausgeht. Mehr können sie nicht tun.
Es geht dann darum lernen zu akzeptieren, dass etwas nicht mehr ist, was doch gerade noch lebendig war. Das ist und bleibt schwer. Und da hilft leider auch keine unbedachte Bemerkung wie „aber du hast doch schon ein Kind, konzentrier dich jetzt darauf“. Solche Aussagen tun weh und werden dem Sternenkind und dem, was sich die werdenden Eltern gewünscht oder vorgestellt haben, nicht gerecht.
Viel mehr hilft es, einen Weg zu finden, das kurze Leben des Sternenkindes zu würdigen und dann später zu schauen, wie das Leben mit diesem Verlust gelebt werden kann.
Heute ist ein weltweiter Gedenktag für Sternenkinder und es gibt eine besondere Tradition. Um 19 Uhr Ortszeit darf für jedes Sternenkind eine Kerze angezündet werden. Die Uhrzeit ist wichtig, denn das Licht geht so einmal um die Welt: Während es in der einen Zeitzone erlischt, beginnt es in der nächsten zu leuchten.
Damit sollen sich die Menschen verbunden fühlen, wenn sie sich an ihre Sternenkinder erinnern. Auch ich werde heute Abend ein Licht anzünden.
Weitere Informationen zu diesem Thema gibt es unter anderem beim Ettlinger Frauen- und Familienzentrum e.V. - Link: www.effeff-ettlingen.de:
Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ich bin zurück. Meine Elternzeit ist vorbei und ich arbeite wieder. Es war eine gute Zeit mit den Kindern. Und ich liebe meine Kinder auch. Trotzdem war die Zeit sehr intensiv und anstrengend, weshalb ich mich jetzt auf eine Pause vom Windeln wechseln und den vielen Kinderthemen freue. Endlich mal wieder intensiv mit anderen Inhalten beschäftigen und wieder lange Gespräche am Stück mit Erwachsenen führen.
Zu meinem Glück darf ich meine Arbeit mit einem großen Netzwerktreffen beginnen. Ich kann also gleich zu Beginn ganz viele Leute auf einmal treffen. Kollegen und Kooperationspartner, die ich jetzt lange nicht mehr gesehen habe. Das hat mir sehr gefehlt.
Auf der Fahrt zum Arbeitstreffen frage ich mich dann aber doch: Ist das nicht zu viel auf einmal? Bin ich schon wieder sozial verträglich beziehungsweise vertrage ich schon wieder so viel Kontakte? Was, wenn ich eine Pause brauche? Die kann ich mir doch nicht zugestehen, wenn ganz viele Menschen um mich herum sind, mit denen ich unbedingt reden möchte. Schließlich will ich die Zeit gut nutzen. Wie kann ich also gut nach mir selbst schauen, damit meine soziale Batterie nicht leerläuft?
Als ich mir das Programm des Treffens genau anschaue, entdecke ich, dass es dort einen Ruheraum gibt. Die Veranstalter haben extra einen Raum reserviert, in den man sich zurückziehen kann. Als hätten sie meine Gedanken gelesen. Das finde ich richtig gut!
Wenn mir im Alltag alles zu viel wird, dann ziehe ich mich gerne für eine halbe Stunde in eine Kirche oder Kapelle zurück. Da kann ich dann von dem Geschehen, das draußen vor den Türen stattfindet, richtig Abstand nehmen. Nicht umsonst sind die Kirchentüren groß und schwer, damit wirklich eine Schwelle spürbar ist. Dahinter stört nichts und niemand mehr. Ich kann da als ganzer Mensch eine Pause machen, mich im Kopf, aber auch emotional sortieren. Nicht damit ich nachher wieder funktioniere, sondern damit einfach mal sacken kann, was mich grad so beschäftigt. Kirchen sind da wunderbare Ruheorte.
Bei meinem Arbeitstreffen gibt es keine Kirche. Umso dankbarer bin ich, dass es einen Ruheraum gibt. Damit setzten die Veranstalter ein wichtiges Zeichen. Sie signalisieren, dass es okay ist, vielleicht sogar auch, dass es wichtig ist, wenn man sich für ein paar Minuten zurückziehen möchte. Pausen bei der Arbeit sind wichtig. Und eine gute Pause ist auch für mein Innerstes da. Einfach um kurz reinzuhören, was da los ist.
Für mich ist dieser Ruheraum ein guter Impuls. Und ich denke, es würde sich lohnen, darüber nachzudenken an Arbeitsplätzen kleine symbolische Ruhe-Kapellen einzurichten.
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„Also Vorname ist wie Nachname. Deswegen wahrscheinlich wohne ich auch in Baden Baden.“
Khalil Khalil ist 35 Jahre alt. Ich habe ihn während seiner Ausbildung zum Mediengestalter kennengelernt. Seitdem begegnen wir uns immer wieder bei der Arbeit. Und jedes Mal, wenn ich ihn treffe, muss ich schmunzeln, wie redegewandt er sich ausdrücken kann und mit welchem Humor.
Seine Muttersprachen sind nämlich Kurdisch und Arabisch. Als er nach Deutschland gekommen ist, hat er in 6 Monaten Deutsch gelernt und weil es ihm liegt, hat er auch „Schwäbisch schwätza“ und „Badisch babble“ angefangen.
„A Muggaseggle – sagt man also. I hab koi Zeit [Schwäbisch gesprochen]. Mir warn am Wochenende einkaufen. Dann sind wir spazieren gegangen [Badisch gesprochen]. Mir gebet nix – sind drei Wörter, aber sagen so viel aus. [Schwäbisch gesprochen].“
Khalil hat sich von Anfang an in Deutschland in unsere Sprache reingefuchst. Er dreht sogar Videos fürs Internet mit dem Titel „Schwäbisch oder Badisch für Anfänger“. Aber Sprache ist für ihn nicht alles, was es zum Ankommen braucht. Es gibt noch weitere Dinge, die ihm wichtig sind: die Menschen und die Kultur kennenlernen und
„dass man höflich und offen aufgeschlossen sein für Neues quasi, dass wenn du etwas Neues hast, nicht so dagegen, sondern einfach offen und aufgeschlossen sein.“
Ich merke, Khalil ist wichtig, dass sich Menschen gegenseitig verstehen. Er hält Vorträge zu Sprache und Dialekten, aber auch zu Kulturschocks, Integration und Demokratie.
Und er hilft auch als Dolmetscher in Flüchtlingsunterkünften aus, versucht zu vermitteln, wo seine Sprachkenntnisse hilfreich sind. 2019 wird er für sein Engagement sogar mit der Heimatmedaille des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet. Er weiß, wie schwer man es hat, wenn man neuanfängt.
„Und dann kommt einer aus irgendeiner Ecke, der begeht eine Straftat. Und dann werden all diese Menschen über einen Kamm geschert. Das ärgert mich und demotiviert auch bisweilen, gell? Also wenn du merkst, okay, egal was du machst, du bleibst immer der Typ, der einfach so in diese Schublade gesteckt wird. Du versuchst wirklich anzukommen, arbeiten. Die andere sollen dich auch nicht in diese Schublade stecken.“
Khalil und ich sind uns einig: Menschen dürfen anderen Menschen keine Gewalt antun. Das ist inakzeptabel und das gilt auch für Geflüchtete. Vorfälle wie die Messerattacken in Solingen und Mannheim sind schlimme Verbrechen.
Gleichzeitig gilt: Ich darf deswegen nicht alle geflüchtete Menschen vorverurteilen. Menschen wie Khalil sind selbst vor Gewalt geflohen. Genau wie ich, wünschen sie sich ein sicheres Leben. Wer vor Krieg und Gewalt flieht hat ein Recht auf Asyl.
2015 ist Khalil vor dem Krieg geflohen und nach Deutschland gekommen:
„Wir standen vor dem Mittelmeer. Wir waren 45 Leute vor einem Schlauchboot, die nur für 30 Leute geeignet waren – Wenn ich sage wir, meine ich ein paar Freunde von mir und ich, wir waren zusammen auf der Uni – Und dann standen wir in diesem Schlauchboot. Entweder klappt das oder nicht und dann sind wir hingesessen. Weil wir ein Leben in Sicherheit wollten. Weil wir wollten einfach eine Zukunft finden, eine Gesellschaft finden, in der wir auch Teil davon sind und auch die mitprägen oder mitgestalten.“
Und das setzt Khalil auch um. Er ist Mitglied in einem kommunalen Gremium der Stadt Baden-Baden, dass Menschen mit internationalem Hintergrund vertritt. Dieses Gremium setzt sich zum Beispiel dafür ein, dass in Baden-Baden weder Kinder im Kindergarten oder der Schule, noch Erwachsene auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden, nur weil sie von woanders herstammen.
„Wenn du manchmal die Dankbarkeit oder die Freude oder Das Glück im Gesicht von den anderen verspürst, in dem du auch manchmal auch banale Sachen tust. Dann motiviert das einen, dich zu engagieren. Es gibt kein schöneres Gefühl einfach als zu erfahren, wie du einfach dazu beigetragen ha[s]t, [dass] dieser Mensch ein Stückchen glücklicher oder zufriedener oder verständnisvoller geworden ist dadurch.“
Als Christin kann ich da gut mitgehen – solidarisch und hilfsbereit sein. Wir diskutieren über Religionen und die Werte, die sie vertreten. Für mich sollte Religion die Menschen verbinden und nicht voneinander trennen. Findet auch Khalil:
„Es würde so viel Liebe, Toleranz, Verständnis, Respekt auf dieser Welt herrschen. Wenn wir uns auf das konzentrieren, was uns verbindet. Denn das ist viel mehr wert.“
Genau und ich muss es eben auch leben. Und das fängt ja in unserer Gesellschaft schon von klein auf an, wie wir mit Kindern umgehen.
„Wir sind in der Verantwortung, Kindern nicht nur diese Werte beizutragen, sondern versuchen so viel wie möglich diese Werte auch rüberzubringen [beizubringen]. Also wenn du vor ein Kind zum Beispiel ein Buch liest, das Kind wird ein Buch lesen, aber wenn du ein Kind von hinten vor einem Kind mit deinem Handy spielst, das Kind wird auch so machen. Das Kind musste auch mit dem Gefühl erziehen, dass sie [es] irgendwann, wenn sie [es] groß ist, auf dich stolz sein sollte. Und wenn du das schaffst, dann hast du wirklich, ich glaube alles Mögliche getan.“
Ich finde das ne wirkliche Aufgabe und wahrscheinlich gelingt das wohl niemandem perfekt. Aber es ist es auf jeden Fall wert zu versuchen. Eine Lebensaufgabe. Immer wieder neu.
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SWR1 Begegnungen

Rottenburg am Neckar ist nicht nur Bischofsstadt, sondern in diesen Tagen auch Fasnets-Hochburg. Dort treffe ich Clemens Fuchs. Er ist Mitglied und der Archivar der Rottenburger Narrenzunft. An der Fasnet ist er aktiv als „Ahland“ unterwegs, das heißt als „weißer Teufel“. Der Schwabe schlüpft dann in sein Narrenkostüm, auch Häs genannt, und das schon seit knapp 50 Jahren:
Das war schon immer ein Kindheitswunsch Ahland zu sein. Aber meine Eltern haben mir das nie gekauft oder ermöglicht. Auf jeden Fall habe ich mir diesen Herzenswunsch von meinem ersten Lehrlingsgehalt erfüllt.
Der Name Ahland ist vom Charakter her eigentlich ein Teufel. Der Name Ahland kommt von Fahland, „der zu Fall Bringende“ und ja der Ahland verkörpert dann einfach auch diese Funktion. Wobei er von seinem Häs her eigentlich ein untypischer Teufel ist, weil er hat ein weißes Leinengewand, das bemalt ist.
Der Teufel verkleidet im weißen Gewand, also sozusagen mit weißer Weste, so kommt es mir vor. Der Teufel steht für mich als Figur für das Böse. Dass es ihn als Wesen mit zwei Hörnern gibt, glaub ich nicht. Aber dass es Böses auf der Welt und auch teuflische Gedanken gibt, dass glaub ich sehr wohl. Und vielleicht steht ja auch die Teufelsfigur dafür, dass das Böse sich versteckt und nach außen hin sich verkleidet.
Der Ahland scheint mir jedenfalls ein eher freundlicher Teufel zu sein, der gerne neckt. Und da stimmt mir Fuchs zu. Denn in seiner Rolle als Ahland treibt er gerne sein Späßchen mit den Zuschauern während den Umzügen. Aber immer zur Freud, niemals zum Leid.
Wenn Sie jetzt irgendwo am Tisch sitzen im Lokal und jetzt kommt da einfach eine Hexe rein oder paar Hexen und die setzen sich zu Ihnen. Die sagen erst mal vielleicht gar nix und dann beginnt von alleine eine närrische Konversation. Und da haben alle Freud, der, der im Häs steckt und die, die am Tisch sitzen, weil das ist was Spannendes. Was ist das für einer? Wo kommt der her? Und kennt der uns? Und dann verstellt er seine Stimme und sagt dann: „Ja, ich kenne dich, du bist heute Morgen ganz spät heimgekommen!“ Oder ja, einfach irgendwas Lustiges und dann lachen alle am Tisch. Und das ist das Eigentliche, was Fasnet ausmacht.
Fasnet ist Begegnung pur. Dabei verhalten sich die Menschen anders als unter dem Jahr. Sie sind freundlicher, aufgeschlossener und ausgelassener. Man hat Freude, redet miteinander kommt ins Gespräch. Es spielt einfach keine Rolle, wer ich bin, welchen Vorstandsposten ich innehabe, wie viel Geld auf meinem Konto ist oder welches Auto ich fahre. Man begegnet sich auf Augenhöhe und ist zusammen unterwegs.
Gleich erfahren Sie was darüber hinaus die Fasnet mit der Kirche verbindet.
(TEIL 2)
Das Zunfthaus, in dem ich den Narrenzünftler Clemens Fuchs antreffe, liegt fußläufig zum Bischofssitz. Sicher man kennt sich, aber wie eng sind Fasnet und Kirche wirklich miteinander verwoben?
Wir feiern mittlerweile am Fasnet-Samstag eine Zunftmesse in der Sankt Moritz Kirche. Einfach zu Beginn unserer Straßen-Fasnet, die dann im Anschluss an den Gottesdienst stattfindet. Und das ist natürlich ein Zeichen der Verbundenheit zur Kirche.
Es geht um ein allgemeines Besinnen untereinander darauf, dass Spaß an der Fasnet erlaubt ist, aber um der Freude Willen. Dass an den Nächsten gedacht wird, und dass niemand zu Schaden kommt. Darauf besinnen sich die Narren und holen sich Zuspruch und den Segen, dass es gut geht.
In diesen Narrengottesdiensten zeigt sich aber auch, dass die Kirche selbst närrisch kann:
Der jeweilige Pfarrer oder Prediger hält die Predigt dann in Reimform. Und da gab es also schon manchmal eher die Situation, dass der Pfarrer quasi die Rolle des Hofnarren übernommen hat und auch gegenüber der Verwaltung oder dem Bischof das eine oder andere deutliche Wort gesprochen hat.
Vielleicht erscheint es befremdlich, wenn Kirche sich so närrisch zeigt. Dabei ist die Verbindung von Fasnet und Kirche durchaus eine enge. Die Brauchtums-Forscher sind sich mittlerweile einig, dass die Fasnet vor allem als Schwellenfest, als bewusstes Fest vor der Fastenzeit entstanden ist:
Die katholische Kirche hat ja die Fastenzeit sehr streng gehandhabt. Und deswegen hat man in der Nacht vor dem Fasten, also vorm Aschermittwoch noch kräftig gegessen, getrunken, gefeiert, getanzt, geheiratet.
Fasnet ist also ein katholisches Fest durch und durch. Und die Kirche ist sogar an der Entstehung der ersten Narrenfigur beteiligt gewesen.
Die Kirche hat versucht, durch Bilder die Heilsgeschichte quasi zu erläutern. Und in der Heilsgeschichte ist natürlich sowohl ein Engel vorgekommen, aber auch ein Teufel. Es gibt Nachweise, dass Teufelslarven über die Fasnacht beim Mesner ausgeliehen werden konnten. Und so sind die ersten Larven und Masken eigentlich in die Fasnet gewandert und der Teufel war die erste Fastnachtsfigur.
Um es besser zu verstehen: Die Larve ist die Vorstufe zur Maske. Erst wenn man sie trägt, wird sie zur Maske. Von der Larve stammt auch der Begriff des Entlarvens, also wenn jemand demaskiert wird. Und darum soll’s ja auch in der anschließenden Fastenzeit wieder gehen: Gott zeigen, wie ich wirklich bin.
Fastnacht oder Fasnet – es ist ein großes Fest im Kalender, dass vielerorts kräftig gefeiert wird. So wie Clemens Fuchs diese fünfte Jahreszeit allerdings beschreibt, zeigt es mir doch, dass in diesem Fest viel mehr als Party und Krawall zu sehen ist. Es ist ein christliches Fest, dass das Leben feiert.
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Es ist mir unangenehm. Ich habe vor kurzem versucht eine Person zu beschreiben und gar nicht mitbekommen, dass ich diese Person beleidige. Ich habe „taubstumm“ gesagt und nicht gewusst, dass dieses Wort Gehörlose beleidigt. Denn sie sind nicht stumm, im Gegenteil sie können sich sehr wohl verständigen. Das funktioniert nur eben anders, wie ich es gewohnt bin. Und so tut es mir leid, dass ich diesen Personen scheinbar etwas abgesprochen habe, was gar nicht meine Absicht gewesen ist. Ich bin von meinem Verständnis ausgegangen. Denn ich rede mit dem Mund und wenn jemand nicht wie ich redet, dann ist er halt stumm. Simple Logik von mir, nur leider nicht richtig und auch nicht zu Ende gedacht. Und so habe ich erlebt, wie schnell Worte verletzen können.
Unabhängig von dieser Situation erlebe ich immer wieder, wie schwer es in manchen Situationen ist, die richtigen Worte zu benutzen. Insbesondere, wenn es darum geht mit oder über Personengruppen zu sprechen, die eher eine kleine Gruppe in unserer Gesellschaft darstellen und vielleicht deshalb gar nicht so präsent im Kopf sind.
Zum Beispiel, wenn ich statt Hörerinnen und Hörer, Hörer:innen sage. Also mit einer kurzen Pause zwischen der männlichen und weiblichen Form, weil ich damit auch diejenigen ansprechen möchte, die sich vielleicht nicht als Mann oder Frau verstehen.
Auch die Beschreibung „behinderte Menschen“ finde ich schwierig. Denn da sollte auch niemand als defizitär dargestellt werden. Vielmehr lohnt es sich, wenn ich mal darüber nachdenke, wer eigentlich wen behindert?
In der Bibel stehen viele Geschichten, in denen Jesus versucht hat möglichst viele Menschen zu erreichen. Auch diejenigen, mit denen wir im Alltag vielleicht nicht so viel zu tun haben. Er hat eben auch an die kleinen Personengruppen in unserer Mitte gedacht. Und dabei hat er sie nicht beleidigt, sondern ist ihnen auf Augenhöhe begegnet. Und das ist doch ein Maßstab für Christen: Sich darüber Gedanken zu machen, wie ich über und vielmehr mit Menschen rede. Das hat nichts mit „ich werde ja wohl noch sagen dürfen“ zu tun, sondern damit, dass ich dafür verantwortlich bin, was bei meinem Gegenüber ankommt.
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Ich komme mir vor wie eine Komplizin! Ich sitze in der Bahn und werde Zeugin eines Plans. Um genauer zu sein, eines Lebensplanes. Ein paar Sitze weiter sitzen zwei junge Mädels und unterhalten sich über ihre Zukunft. Der Anlass sind wohl die vergangenen Halbjahreszeugnisse. Ich schätze sie so auf kurz vor ihrem Abschluss. Die Mädels sind jedenfalls guter Dinge und erzählen sich von ihren geradlinigen Plänen.
Also nach der Schule müsse ja ein Freiwilligendienst gemacht werden und danach braucht es dann noch zwei Praktika. Und wenn sie das nicht machen, haben sie ja eh keine Chance in der Job-Welt. Außer eine von ihnen hat noch ein bisschen Vitamin B übrig. Aber Hauptsache ist, dass ein roter Faden im Lebenslauf erkennbar ist, ohne Lücken oder Abweichungen. Weil sonst wären sie Verlierer.
Ich bin perplex, als ich die beiden so reden höre. Für mich klingt das nach jeder Menge Stress und Druck. Sie hören sich so an, als würden sie ständig lernen und ihren Plan optimieren und wahrscheinlich sind gute Noten für sie der Schlüssel für alles.
Am liebsten hätte ich mich zu den beiden hingesetzt, leider steigen sie aus der Bahn aus. Schade. Aus eigener Erfahrung hätte ich ihnen nämlich dann gesagt, dass mein Berufsleben nicht zielstrebig verlaufen ist, sondern dass ich ein paar Irrwege betreten habe. Und gerade das ist für mich sehr wertvoll gewesen. Und Noten haben mir bei allem am wenigsten geholfen.
Ich hab zum Beispiel verschiedene Jobs ausprobiert, so, wie sie sich gerade ergeben haben. Manche Jobs habe ich erst gar nicht bekommen und manche haben nur sehr wenig Geld gebracht, aber dafür habe ich sehr viel gelernt. Und manche habe ich nach zwei Monaten auch wieder sein lassen, weil es einfach nicht für mich gepasst hat. Aber keinen dieser Jobs habe ich bereut. Jede Erfahrung war wertvoll. Ich habe mich ausprobiert und festgestellt, was mir liegt und was nicht.
Was mir aber bei allem am meisten geholfen hat, ist glauben und vertrauen. Und zwar in erster Linie an mich selbst, dass ich mehr wert bin als jedes Zeugnis. Und ich habe immer darauf vertraut, dass es irgendwie weitergeht, auch wenn ich noch nicht gesehen habe, wie. Und so war es dann auch.
Das Schöne ist, wenn ich zurückblicke, dann ist da trotz all meiner Irrwege ein roter Faden erkennbar. Es ergibt alles Sinn und nichts ist falsch gewesen. Deshalb hätte ich den Mädels gerne gesagt: Plant nicht so viel und auch Noten sind nicht alles. Es gibt viel mehr und vor allem seid ihr viel mehr wert! Ihr dürft Fehler machen und euch ausprobieren.
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Kann ich als Christ auch Pate bei einem muslimischen Kind sein? Im Zug hat ein Mann erzählt: Er – Christ - ist von einer muslimischen Familie gefragt worden, ob er das Patenamt für das Kind der Familie übernehmen möchte. Und der Mann hat „ja“ gesagt. Dann hat er erzählt, dass er es total schön findet, dass ihm die Familie da so vertraut. Er darf das Kind seiner Freunde auf dem Weg zum Glauben begleiten, obwohl er selbst kein Muslim ist.
Jetzt sagen vielleicht die einen: Im Islam, da gibt es doch keine Paten! Ich weiß leider nichts Näheres von dem Mann, wie das bei ihm und der Familie angedacht ist. Aber ich finde die Idee sehr spannend und hätte gerne mehr dazu gehört. Vor allem, wie der Mann damit umgeht, dass da zwei Religionen aufeinandertreffen.
Für mich als Christin heißt nämlich Pate sein, eine Begleiterin zu sein. Dass ich für jemanden da bin, bei Lebensfragen und auch wenn es um Gott geht. Also etwa, wenn ich Pate für ein Kind bin, dass getauft wird oder für einen Jugendlichen, wenn er zur Firmung geht. Dann will ich als Patin nicht nur bezeugen, dass diese jungen Menschen getauft oder gefirmt wurden, sondern ich will ihnen auch eine Stütze in ihrem Leben sein. Und wenn sie mich dann mal nach Gott fragen sollten oder woran ich glaube, dann erzähle ich ihnen davon gern. Das gleiche gilt natürlich auch für andere Lebensfragen. Ich bin dann einfach jemand zusätzliches, neben den Eltern, an den sich die jungen Menschen wenden können.
Ich kann mir vorstellen, dass so eine Patenschaft, wie die von dem Mann im Zug, bereichernd sein kann. Vorausgesetzt, das Kind weiß schon einiges über seinen eigenen Glauben und ist da auch etwas gefestigt. Das ist dann vielleicht erst im Teenie-Alter der Fall, aber dann ergeben sich bestimmt spannende Gespräche. Denn ein anderer Glaube heißt auch neue Fragen und Gedanken. Und wenn ich mich damit auseinandersetze, dann werden womöglich meine bisherigen Werte auf den Prüfstand gestellt. Und ich kann meine eigenen Sichtweisen überdenken und weiten. Der Blick von außen kann mir so Neues bieten.
Ich sehe jedenfalls in einer Patenschaft zwischen zwei Religionen einen Mehrwert. Und es geht für mich dabei nicht drum, dass der Pate oder das Kind die Religionen vermischen oder jemand überzeugt werden soll, dass die andere Religion besser ist. Ich finde, das Mehr einer solchen Patenschaft besteht darin, dass es mich im eigenen Glauben weiterbringen kann. Es geht also um das Miteinander trotz aller Verschiedenheit.
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