SWR1 Begegnungen

SWR1 Begegnungen

23OKT2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in
Adolf Bayer Foto: privat.

Es ist ein altes Fachwerkhaus in der Altstadt von Esslingen, in dem der Winzer Adolf Bayer seinen Besen hat. Und mit Besen meine ich jetzt nicht einen Stiel mit Bürste, sondern seine Wirtschaft, die nur für eine ein paar Wochen im Jahr geöffnet ist, damit er seinen eigenen Wein darin verkaufen kann. Im Badischen und Pfälzischen würde man dazu Strauße sagen.

Dieser Besen von Adolf Bayer ist klein, urig und etwas Besonderes. Und das liegt vor allem an Adolf Bayer selbst und wie er mit seinen Gästen umgeht:

Im Prinzip bin ich im Besen ein Seelsorger. Ich habe so viele Sachen erlebt… Die können reinkommen, die hat geheult, der hat mich umarmt, hat gesagt meine Tochter ist verunglückt. Oder ich bin jetzt irgendwie entlassen worden... Und die brauchen irgendjemand, wo zuhört und das ist ganz, ganz wichtig, denn es gibt, verdammt viele Menschen, wo alleine sind.

Allein sein soll niemand in seinem Besen. Deshalb bringt Bayer seine Gäste auf wenigen Quadratmetern zusammen, und zwar bunt gemischt. Egal, ob jung oder alt, ob mit oder ohne Anhang.

Zumindest bis zur Pandemie. Die auch in seiner Besenwirtschaft vieles durcheinandergebracht. Die Leute dicht aneinandersetzen in einem urigen Fachwerkhaus? In den letzten zwei Jahren nicht denkbar!

Das hält ihn aber davon nicht ab, weiterhin Gastgeber zu sein: Unter freiem Himmel schenkt er auf seinem Hof weiter seinen Wein aus. Tische und Stühle stehen bereit. Und man kann trotzdem, wenn auch mit Abstand zusammenkommen. Ich habe es selbst erlebt. Er begrüßt jede und jeden herzlich und fragt „Wie viele seid ihr?“ und dann weist er einen Tisch zu.

Das ist wie bei einem Blind Date: Man weiß nie, wen man in der nächsten Stunde kennenlernt und welche Gesprächsthemen einen erwarten. Unterhaltsam wird es aber allemal werden. Bayer hat nämlich ein gutes Händchen dafür, wen er zu wem setzten muss. Und manchmal verändert eine Begegnung sogar das eigene Leben.

Eine Frau ist mal reinkommen und hat gesagt „Sie Herr Bayer, mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Darf ich überhaupt bei Ihnen reinkommen?“ Da sag ich: Ist doch kein Problem setzen sie sich einfach hierhin. Sie kriegen auch ne Traubensaftschorle, aber natürlich auch ein guter Wein. Und wenn sie Glück haben, setzt sich denn irgendjemand zu Ihnen, da wird der Abend ganz toll. Und dann ist ein Mann reinkommen, da ist genau das Gleiche. Die Frau ist auch erst verstorben. Dann sag ich: „Guck a mol, da sitzt eine ganz nette Frau, die ist eigentlich immer so traurig, weil ihr Mann gestorben ist. Jetzt sitz doch einfach daneben hin und gucket mal, dass ihr miteinander redet!“ Und die haben sich dann immer wieder bei uns getroffen und nach sechs Jahren haben die geheiratet, mit 75. Und das ist doch gigantisch.

Mit seiner Familie führt Adolf Bayer einen kleinen Betrieb. Vom Weinanbau über die Verarbeitung der Trauben, bis hin zur Vermarktung und dem persönlichen Ausschank – alles wird selbst gemacht.

Das liegt ihm im Blut. Er ist ein alteingesessener Esslinger. Sein Vater hat Gemüseanbau betrieben, entsprechend kennt er die Landwirtschaft von klein auf. Aber gelbe Rüben sind dann doch nur gelbe Rüben für ihn und nicht mehr. Er interessiert sich für den Weinanbau und die Produktion, lernt und studiert sie.

(TEIL 2)

Adolf Bayer ist Winzer in Esslingen, hat seine eigene Kellerei und führt eine Besenwirtschaft. Moment mal, der Mann heißt Adolf? Ein Gedanke, den viele seiner Gäste haben, wenn sie seinen Vornamen hören.

Mein Vater hat geheißen Adolf, mein Opa Adolf geheißen, der Ur-Opa hat Adolf geheißen… Meine Kinder heißen jetzt nicht mehr Adolf, aber  warum soll ich mich ändern? Ich bin doch kein Rechtsradikaler.

Ich hab mir gesagt, ich will des verkörpern, dass ich zu die Leute freundlich bin und das positiv denke, auch wenn ich Adolf heiße.

Und so, wie ich ihn wahrnehme, ist er das auch. Er ist ein toller Gastgeber, der die Gäste bunt zusammengewürfelt an den Tisch zu setzen weiß. Und der statt Wein auch Traubensaft parat hält. 

Die Menschen wieder zusammenzuführen. Und dass sie nicht getrennt sind. Und das ist ganz, ganz wichtig für mich.

Was ihm wichtig ist und was er macht, hat biblischen Charakter. Denn schon da heißt es, dass der Mensch nicht allein sein soll (Gen 2,18).

Und seine Gäste kommen immer wieder, weil sie sich bei ihm wohl fühlen. Das hört er vor allem auch dann, wenn unterschiedliche Generationen aufeinandertreffen:

Und dann kam dann auch wieder einer auf mich zu. Ein junger Mann und sagt, Sie Herr Bayer, es war so wahnsinnig, solche Leute lernt man nur bei Ihne kennen. Der alte Mann ist jetzt 85 oder 90, hat mir Geschichten erzählt vom Krieg und ich bin als Junger dagesessen und hab mit großen Ohren dem zugehört, was er erlebt hat, und Hochachtung vor den älteren Leuten, das lernt man eigentlich nur hier kennen.

Bayer hat einen Ort, in dem sich Menschen begegnen können und wo eine Gemeinschaft entsteht, wenn auch nur einen Abend lang. Was er da macht, ist für mich christlich. Hat das auch was mit seinem Glauben zu tun?

Also, ich glaube an Gott. Das ist mir damals in die Wiege gelegt worden. Und ja, ich glaube, dass sich vielleicht die Welt zum Besseren verändern wird. Ich bin jetzt nicht einer, wo jeden Tag in die Kirche geht. Für mich ist Christlich Sein Nächstenliebe. Das ist mal das erste und die Mitmenschen genauso lieben, wie einer wo jetzt gegen mich ist denn Liebich genauso wie einen, der wo für mich ist. Und Zusammenhalt. Das ist genauso christlich. Das ist für mich die Kirche eigentlich.

Dass er die Leute zusammenbringen will, klingt dann fast wie seine persönliche Mission fürs Leben. Die Leute sollen zusammenfinden und dadurch wird die Welt ein Stückchen besser. Er selbst liefert nur den Rahmen: Eine warme Stube, guten Wein oder Traubensaft und was zu essen.

Ich will einfach eine Harmonie haben, und ich kann das nicht ertragen, wenn irgendein Haß aufkommt oder wenn sie gegenüber schimpfen oder so. Es gibt so viel Menschen, wo alleine sind. Und ich sage immer:Warum bist du eigentlich alleine? Komm setzt dich an den Tisch und vielleicht kommen ja noch ein paar andere dazu. Und wenn es dann gegen Abend wird es sind die lustig gewesen. Da hat einer ne Gitarre mitgebracht und dann war das ne Gemeinschaft …

Das tut mir gut, das tut den Menschen gut und ich hoff bloß, dass viele da mal drüber nachdenken, vielleicht auch in der schlechteren Zeit, wo kommt, dass man einfach miteinander wieder viel zusammen macht.  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36389
weiterlesen...