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SWR2 Wort zum Tag
Wie oft habe ich die Geschichte von der Geburt von Jesus schon gehört. Als Kind mit wechselnden Rollen in zahlreichen Krippenspielen! In wie vielen Weihnachtsgottesdiensten seither! Als Pfarrer habe ich sie oft selbst gelesen. Und auch vorgestern in der Christvesper habe ich sie wieder gehört. Von der Volkszählung, der Herbergsuche von Maria und Josef, der Geburt im Stall und auch dem Engel bei den Hirten in der Nacht.
„Fürchtet euch nicht!“, sagt der Engel in der Weihnachtsgeschichte mitten in der Nacht zu den Hirten auf dem Feld. „Fürchtet euch nicht, denn euch ist heute der Heiland geboren!“
Dieser Ruf des Engels hat sich mir in diesem Jahr besonders ins Herz gelegt. Weil ich ansonsten, wenn ich es recht bedenke, eigentlich immer nur das Gegenteil höre. Nämlich: Fürchtet euch!
Dieser Ruf scheint die Welt derzeit wie eine allgemein gültige Parole zu durchziehen. Er wird auf furchtbare Weise laut in den Bomben und Granaten, die Russland mit seinem Angriffskrieg über der Ukraine niedergehen lässt. Im entsetzlichen Angriff der Hamas und dem daraus entstandenen Nahostkrieg. Allen, die eine andere Meinung als die chinesische Staatsführung haben, wird von Peking zugerufen: Fürchtet euch!
In Amerika wollen ein ehemaliger Präsident und seine Anhänger alle, die nicht so denken wie sie, das Fürchten lehren. Auch in Europa und in Deutschland gibt es Politiker und Parteien, die so denken und handeln.
Mir bereitet das große Sorgen. Wir leben im Zeitalter des Anthropozän. Das bedeutet: Der Mensch hat mit seiner Gestaltungskraft inzwischen Möglichkeiten, die enormes zerstörerisches Potential bergen. Die Atombombe war erst der Anfang. Der Klimawandel lässt es uns überall spüren. Und was die künstliche Intelligenz mit uns machen wird, weiß heute noch keiner.
Vieles ist wirklich zum Fürchten. Vielleicht sind darum die Diskussionen in unserer Gesellschaft oft so unglaublich aufgeheizt und gereizt. Weil die Probleme so groß sind, dass unter dem enormen Druck der Verantwortung, andere Meinungen und Haltungen sofort verteufelt werden. Die Angst, jetzt nicht das Richtige zu tun, bestimmt alles. Und lähmt.
Fürchtet euch nicht! Was für ein Wort, was für eine Zusage! Ausgesprochen von einem Engel. Einem Boten Gottes. Damals an die Hirten. Deren Leben war geprägt von Furcht und Sorge: Um ihren Lebensunterhalt. Um ihre Schafe, Weidemöglichkeiten für sie und Schutz vor wilden Tieren. Um einen sicheren Ort zum Schlafen mit einem warmen Feuer für die Nacht. Ihnen, genau ihnen, gilt diese wunderbare Zusage!
„Fürchtet euch nicht!“ Diese Zusage gilt auch für uns heute. Das wird mir im Nachdenken über die Weihnachtsgeschichte deutlich.
In einer befreundeten Familie ist der Vater schwer an Krebs erkrankt. Und von heute auf morgen ist alles ganz anders. Für die Frau, für die Kinder. Keiner, der es nicht selbst erfahren hat, kann ermessen, wie es ist, wenn man voller Hoffnung zum Arzt hinein gegangen ist und auf einmal voller Sorge wieder herauskommt. Da helfen keine medizinischen Erklärungen und auch keine Statistik. Wenn das Ende des Lebens auf einmal ganz nahe rückt. In diesem Moment neigt sich der Tag und das Dunkel der Nacht senkt sich herab. Für jeden und jede der Betroffenen. Und ebenso für alle Angehörigen.
Fürchtet euch nicht! Drei Worte. Voller Kraft, voller Hoffnung und voller Zuversicht. Hineingesprochen in die Lebenswirklichkeit von uns Menschen. Für mich sind es Worte des Lichts, die die Dunkelheiten von Angst und Sorge erhellen. Es sind Worte voller Wärme. Mitten hineingesprochen in die Kälte unserer Zeit. Starke Worte des Halts in Zeiten der Haltlosigkeit. Und auch das: Geleitworte auf dem Weg durchs Leben. Die man brauchen kann. Dann, wenn es darauf ankommt. Gerade in unserer Zeit. Sei es am Tag oder mitten in der Nacht.
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Ein Pfälzer sitzt auf dem Kalmit, dem höchsten Berg des Pfälzer Waldes, und schaut übers Land. Er blickt auf die langgestreckten Bergzüge des Waldes, die Weinreben am Haardtrand mit der ganzen Farbenpracht ihrer Blätter jetzt im Herbst, dahinter die Städte, Dörfer und Äcker in der Rheinebene.
Auf einmal setzt sich Gott neben ihn. Und macht genau das Gleiche. Sitzt und schaut und schweigt. Nach einer Weile nimmt der Pfälzer seinen ganzen Mut zusammen und fragt ihn: „Du, Gott, was machst Du denn bei uns in der Pfalz?“ Und Gott antwortet: „Homeoffice, mein Bub, Homeoffice!“
Ich finde diesen Witz einfach grandios. Und es gibt ihn, glaube ich, in vielen Varianten wohl für jede Region in Deutschland. Mit einem Schwaben am Neckar, einem Badener am Rhein, einem Ostfriesen am Wattenmeer. Der Witz ist einfach gut, weil er auf liebevolle Art und mit viel Charme eine wunderbare Heimatverbundenheit zum Ausdruck bringt. Wenn Gott die Wahl hätte, er wäre eben auch ein Pfälzer.
Mir gefällt die kleine Anekdote aber auch noch aus einem anderen Grund: Gott nimmt auf liebevolle Weise neben mir Platz. Einfach so. Sitzt neben mir, ohne auch nur ein einziges Wort zu verlieren. Er ist einfach da. Nimmt Anteil. An mir und meiner Welt, in der ich lebe. Er ist eben einen kostbaren Moment lang nicht irgendwo fernab in der Weite von All und Welt, sondern kommt zu mir. Ist offensichtlich da zuhause, wo ich bin. Das ist doch ein schöner Gedanke.
Mir gefällt auch das stille Beisammensein von Gott und Mensch. Im andächtigen Nebeneinander beim Genießen von Land, Zeit und Leben. Und dann eine kurze Frage und eine kurze Antwort auf Du und Du. Das hat doch was. Und zu guter Letzt bekommt auch noch der Begriff Homeoffice eine ganz neue Bedeutung, als ihm sonst eigentlich zukommt. Denn normalerweise heißt Homeoffice ja, dass man nicht im Büro, sondern zu Hause arbeitet.
Hier geht es aber gar nicht ums Arbeiten, sondern im Gegenteil um eine Auszeit von der Arbeit. Ums Innehalten. Auftanken. Die Zeit genießen. Sich gütlich tun an der Schönheit einer Landschaft, eines Ortes. Und das Spüren einer tiefen Verbundenheit. Mit der Welt. Ihren Menschen. Und mit Gott.
In diesem Sinn suche ich mir immer wieder einen Platz, einen Ort zum Verweilen. Und gehe ins stille Homeoffice mit Gott. Andächtig. In einem Park. Einer Kirche. Oder auch an meinem Schreibtisch. Es muss gar nicht immer auf dem Kalmit sein.
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Auf der Höhe von Deidesheim habe ich bei einer Wanderung am Haardtrand des Pfälzer Waldes ein eigentümliches Plakat entdeckt. Angebracht an einem Baum vom Forstamt Bad Dürkheim. Eines der üblichen Hinweisschilder im Wald, habe ich zuerst gedacht. Beim Näherkommen lese ich die große Überschrift: „Ungeliebte Naturbewohner“. Ich stutze. Was soll das denn heißen? Die Abbildungen zeigen aber weder Wölfe noch Parasiten, sondern verschiedene Müllsorten, die Menschen immer wieder unachtsam im Wald zurücklassen. Auf dem Plakat sind sie in Anlehnung an den schwedischen Naturforscher Carl von Linné mit zwei Namen versehen, in Deutsch und in Latein. Und mit einer Zeitangabe, wie lange es dauert, bis sie verrottet sind. Ich will nur einige nennen:
Z.B. das Papiertaschentuch, genannt „Weißer Rotzling“, lat. Popel schnupfus alba, mit einer Verrottungszeit von 1-5 Jahren. Oder der „Gemeine Beutler“, lat. Sackuli plasticus, und damit die ordinäre Plastiktüte mit satten 120 Jahren. Der „Gefüllte Dungfang“, entpuppt sich als eine Windel, lateinisch sinnenfällig mit Stinki bombulus windeli benannt, hat eine Verfallszeit von 500-800 Jahren. Der „Geknickte Dürstling“, lat. Trapattoni babbela, ist eine zusammengeknüllte Plastikflasche, mit einer Verfallszeit von 500-1000 Jahren. Und ca. 50.000 Jahre dauert es beim „Kleinen Schluckspecht“, einer kleinen Underberg- oder Wodkaflasche, lat. Liquior cadaveri genannt.
Fantastisch! Da hat jemand auf humorvolle Art und Weise deutlich gemacht, was wir der Natur und letztlich auch uns selbst antun, wenn wir unseren Müll einfach liegen lassen. Das Thema ist ja nicht neu. Aber es hat mich noch nie auf diese Weise angesprochen und aufgerüttelt. Ganz anders, als wenn da nur ein Schild steht, dass Müll wegwerfen verboten ist.
Ich merke, wie erzieherisch effektiv es sein kann, wenn nicht Moral, sondern Humor die Gebote der Zeit ansagt. Wie schön wäre es, wenn solche Ideen auch in anderen Bereichen umgesetzt werden würden. Zum Beispiel auf öffentlichen Plätzen, am Bahnhof, in Parkanlagen. Wo Müllmänner jeden Tag die Hinterlassenschaften anderer entfernen müssen. Oder beim Arbeitsschutz. Sei es in der Fabrik oder im Büro. Da könnten humorvolle Namen für die Missachtung von Schutzmaßnahmen im Sinne ungeliebter Arbeitsweisen, Fehlhaltungen und ihrer Folgen vielleicht eine noch bessere Wirkung zeigen als Verbotsschilder.
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Ich wandere mit einem Freund durch den Nordschwarzwald. Wir sind von Forbach an der Murg aus gestartet und nun unterwegs in Richtung Schwarzenbachtalsperre. An manchen Stellen gibt es nicht nur Tannen, sondern auch Eichen und Buchen. Und tatsächlich sehe ich auf dem Boden vor mir einige Bucheckern liegen. Ich hebe eine auf, zeige sie meinem Freund und sage den Satz, den meine Mutter immer gesagt hat, wenn sie Bucheckern gefunden hat: „Alles hat seine zwei Seiten, nur Bucheckern haben drei“.
Er bestätigt es schmunzelnd und wir stellen wieder einmal fest, dass wir als Kinder derselben Generation mit denselben Sprüchen groß geworden sind. Selbst wenn sie, wie in diesem Fall, eigentlich ziemlich sinnfrei scheinen. Denn was haben die drei Seiten der Bucheckern mit der Lebensweisheit von den zwei Seiten aller Dinge zu tun? Also halten wir uns nicht weiter an der Frage auf und setzen unsere Wanderung fort.
Mir ist der Spruch jedoch im Gedächtnis geblieben. Und ich habe, inzwischen längst wieder zuhause, weiter darüber nachgedacht. Dass alles im Leben zwei Seiten hat, kann ich nur bestätigen. Zum Beispiel kann ich mich noch gut erinnern, wie stolz ich war, als ich mir mit 29 mein erstes Auto gekauft habe, einen gebrauchten Mazda 323. Dafür hatte ich dann aber leider keinen Cent mehr übrig, um in Urlaub zu fahren.
Manchmal zeigt sich die andere Seite einer Sache auch erst viele Jahre später.
So ging es einer alten Frau, die ich einmal besucht habe. Sie hat mir erzählt, wie sie nach ihren beiden ersten Kindern mit einigem Abstand noch einen Jungen als Nachzügler bekommen hat und eigentlich gar nicht erbaut war im fortgeschrittenen Alter noch einmal ein Kind zu bekommen. Noch einmal Windeln wechseln, Elternabende besuchen, angebunden sein… . Aber heute ist sie froh um ihren Jüngsten, weil er nämlich derjenige ist, der in der Nähe wohnen geblieben ist und nach ihr schaut und sie versorgt. Wie sehr sie Gott dankbar ist, dass alles für sie so gekommen ist.
In diesem Zusammenhang macht der Spruch mit der dritten Seite für mich Sinn. Dass es zu den zwei Seiten der Dinge in meinem Leben noch eine dritte geben kann: Überall dort, wo Gott ins Spiel kommt. Überall dort, wo sich eine Situation oder Möglichkeit auftut, die ich zunächst vielleicht nicht sehe, weil sie sich erst viel später als gut erweist. Die dritte Seite, mit der dann etwas zum Tragen kommt, was meinem Leben eine neue Wendung gibt.
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Gerade wollte ich noch einmal in die Pedale treten und richtig durchstarten. Aber dann sehe ich, wie die rote Ampel angeht, gleich darauf höre ich es bimmeln und schon senkt sich die Bahnschranke unaufhaltsam vor mir herab. Es hilft alles nichts. Ich muss warten.
Ich bin nicht der Einzige. Noch weitere Fahrradfahrer kommen und halten neben mir an. Auch Fußgänger. Viele Schüler. Hinter uns wächst eine Schlange von Autos. Es machen sogar alle den Motor aus. Und nun warten wir. Alle zusammen. Und doch jeder für sich. Für ein paar Minuten sind wir, lauter verschiedene Menschen, doch eine Art Gemeinschaft, im Warten vor dieser Bahnschranke, bevor wieder alle ihrer Wege gehen.
Jeder nutzt die Zeit auf seine Weise. Es ist ein schöner Tag. Manche nutzen die unverhoffte Pause für eine kleine Auszeit, halten der Sonne ihr Gesicht entgegen, genießen ihre Strahlen und die Wärme auf der Haut. Andere haben keine Geduld zur Muße, packen Handy und Kopfhörer aus und hören Musik. Ich denke mit Sorge an den Stapel von Arbeitsmappen und Ordnern in meinem Büro. Und was sonst noch alles zu erledigen ist. Dabei höre ich zufällig, wie sich zwei Schüler neben mir unterhalten. Der eine erzählt, dass seine Mutter für eine Woche ins Krankenhaus muss. Er muss sich dann um seinen jüngeren Bruder kümmern. Darauf hat er eigentlich keine Lust. Vielmehr macht er sich Sorgen um seine Mutter. Und dann sagt der Freund, dass er gerne zu ihm kommt, um ihm zu helfen, zu zweit ist alles leichter. Die beiden verabreden, dass er ihn nun jeden Nachmittag besuchen kommt. Dann rast der Zug vorbei und ich verstehe nichts mehr.
Meine Ungeduld legt sich und ich denke: so ein Moment des Wartenmüssens vor einer Bahnschranke ist im Grunde keine verlorene Zeit. Im Gegenteil. In diesen Minuten war es eine im wahrsten Sinne des Wortes heilsame Unterbrechung. Mitten im Hin und Her des hektischen Alltags auf der Straße. Mit einem Mal geschieht es, dass die einen Zeit finden, die Sonne zu genießen, andere Musik hören und ein Junge seinem Freund in einer schwierigen Situation seine Hilfe anbietet. Und für mich war es heilsam festzustellen, dass andere noch ganz andere Probleme haben als ich. Dann geht auch schon die Schranke wieder hoch und ich trete, wie alle anderen in die Pedale. Und sehe meinem Stapel Akten auf dem Schreibtisch gelassen entgegen.
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Ich sitze in der Gedächtniskirche von Speyer im Konzert mit Joseph Moog und der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Soeben noch frenetischer Applaus. Und jetzt gespannte Stille. Alle warten auf die Zugabe des Pianisten. Ich sehe, wie er sich noch einmal kurz konzentriert. Und dann zu spielen beginnt. Ein Klavierstück von Franz Liszt. Au bord d´une source. Am Rande einer Quelle. Ich habe es bis dahin noch nie gehört. Und bin vom ersten Ton an gebannt.
Was ich höre, gleicht einem musikalischen Wasserlauf. Kaskaden von Sechzehnteln fließen herauf und herunter, unglaublich sprudelnde Klänge und perlende Töne, alles quillt und perlt und drängt und strömt. Und in allem und über allem ist da eine wunderbar sphärische Melodie, die wie ein Regenbogen alles überspannt.
Dabei kommt mir in Erinnerung, was Sergiu Celibidache, ein berühmter Dirigent, einmal gesagt hat: Musik ist das hörbare Verklingen von Zeit. Hier wird es erfahrbar. Jeder Ton strebt mit seinem Klang einem Ende zu. Er vergeht. Wie auch immer. Und lässt einen insofern, bei aller Schönheit, auch die Vergänglichkeit hören. In der Welt von heute habe ich manchmal das Gefühl, dass da so vieles ist, das verklingt, verweht, vergeht.
Aber: dieses Klavierstück „Au bord d´une source“ von Franz Liszt setzt für mich einen Kontrapunkt. Es bringt das pure Leben zum Klingen. Ich höre mich tatsächlich am Rande einer Quelle sitzen. Einer Quelle, der beständig und unaufhörlich neue Töne und Klänge entspringen. Frisch und klar und vital und belebend. Ich könnte immer weiter dort sitzen und zuhören.
Ich brauche Quellen, aus denen ich schöpfen kann, damit sie mir Kraft geben. In diesem Sinne ist Gott für mich Quellgrund meines Lebens. Und in Momenten wie diesen kann ich etwas von seiner Schöpferkraft spüren. Sie findet ihren Ausdruck in den Fähigkeiten eines Menschen, der für mich durch seine Kunst eine Quelle zum Sprudeln bringt.
Ist es nicht ein Wunder, dass ein Mensch solch eine wunderbare Musik komponieren und ein anderer Mensch sie so mitreißend spielen kann? Ist es nicht ein Wunder, dass es Quellen wie diese gibt? Quellen, die einen im übertragenen Sinn vom Wasser des Lebens trinken lassen? Neue Energie und Lebensfreude schenken?
Musik ist eine der schönsten Zugaben im Konzert des Lebens. Es tut wunderbar gut, dann und wann am Rande einer solchen Quelle zu sitzen.
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Vor mir fliegt ein Schmetterling über den Weg. Lustig flattert er auf und nieder, bis er sich auf einer der Blumen am Rand niederläßt, um dann gleich wieder weiterzufliegen. Wir sind mit der Familie auf dem Rheindamm südlich von Speyer zu einem Spaziergang unterwegs. Auf der rechten Seite des Dammes die fruchtbaren Äcker und Streuobstwiesen von Römerberg und links der Rheinauenwald mit seinen vielen Eschen, Pappeln und Eichen auf feuchtem Grund. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und alles duftet herrlich nach Sommer.
Schon länger war ich nicht mehr zu einem Spaziergang draußen in der Natur und erst jetzt merke ich, wie sehr mir das gefehlt hat. Ich genieße die frische Luft, den blauen Himmel, die Wärme der Sonne, den fröhlichen Gesang der Vögel. Mein Schritt wird leicht und beschwingt. Ein Sommerlied kommt mir in den Sinn: Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit. Es ist von Paul Gerhardt. Vor 370 Jahren, hat er es gedichtet. Fünf Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Auch nach 30 Jahren Krieg und Zerstörung, Hunger, Gewalt und Seuchen, kann er sich noch, oder vielleicht gerade deswegen wieder, am Reichtum und der Schönheit der Natur freuen. Und ein Lied dichten, das das Leben und das Gottvertrauen besingt.
Geh aus mein Herz und suche Freud. Recht hat er mit seiner Aufforderung. Wer zu lange in der Stube bleibt, versauert irgendwann. Verlernt den Gang nach draußen. Sucht und sieht vielleicht gar nicht mehr das Schöne und Gute, sondern nur noch das, was alles schlecht und misslich ist.
Paul Gerhardt ermuntert dazu, die Freude zu suchen. Vielleicht gerade auch dann, wenn es einem nicht so gut geht. Der Sommer bietet so vieles, was das Herz erfrischt, und die Seele erfreut. Und in der Natur kann beim Spazierengehen so vieles entdeckt werden: „Schau an der schönen Gärten Zier“, dichtet er, „und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben“. In all der Herrlichkeit und Schönheit der Natur sieht er Zeichen von Gottes Güte.
Ja, denke ich, es ist eigentlich ganz einfach. Und ich müsste es viel öfter tun. Rausgehen. In die Natur. Und das Leben sehen. In seiner ganzen Fülle. Und so die Freude suchen und finden. Wenn die Sonne scheint, die Vögel zwitschern und alles herrlich nach Sommer duftet.
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„Die Geschwindigkeit, mit der das Sterben voranschreitet, hat mich doch sehr überrascht“, sagt Reiner Voß, Fotograf aus Kaiserslautern, als er seine Fotografien über den Klimawandel in der Pfalz zeigt. Und sie sind eindrücklich.
Über die letzten Jahre hinweg hat er dokumentiert, was Dürre, Hitze, Wasserknappheit mit Pflanzen und Landschaft in der Pfalz anrichten können. Und wie der Grundwasserspiegel inzwischen gesunken ist.
Ich sehe Fotografien von schwer geschädigten Bäume, toten Pflanzen, rissiger Erde, Flüsse und Seen, die früher Wasser führten und auf einmal ausgetrocknet sind wie der Jagdhausweiher bei Kaiserslautern im Frühsommer 2021.
Es ist ein Einführungsvortrag für den Beschluss eines Klimaschutzgesetzes auf der Landessynode der Ev. Kirche der Pfalz. Mit Betroffenheit sehe ich diese Bilder. Und mit ebensolcher Betroffenheit höre ich die Sorgen und Ängste vieler in der sich anschließenden Diskussion. Ich höre Unverständnis, dass immer noch nicht allen die Notwendigkeit des Klimaschutzes einleuchtet.
Ich höre die wütende Frage, welchen Sinn es macht, wenn ihn nur wenige und so viele andere nicht tun.
Und ich höre die Ratlosigkeit und Angst im Blick darauf, dass noch nicht klar ist, wie das alles, selbst bei bestem Willen, überhaupt gehen soll. Wenn die Kosten für Heizung und energetische Sanierung von Gebäuden so hoch sind, dass sie von vielen Gemeinden und auch als Privatperson gar nicht aufzubringen sind.
Auch ich teile diese Sorgen. In beiderlei Hinsicht. Aber nichts tun ist für mich keine Option. Es geht für mich da auch um Glaubwürdigkeit. Für mich als einzelnen Christen und auch für meine Kirche. Wenn wir jetzt keine Schritte unternehmen, um unseren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, auch wenn dieser Beitrag im Blick auf das globale Ganze vielleicht nur gering erscheinen mag, würde uns als Christinnen und Christen und als Kirche irgendwann jede Predigt zur Erhaltung der Schöpfung als unglaubwürdig vorgeworfen werden. Und das zu Recht.
Bei allen Fragen und Sorgen in Bezug auf Kosten, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Umsetzung hat am Ende die Synode der Ev. Kirche der Pfalz auch so entschieden: Klimaschutz ist notwendig. Unbedingt. Der Weg dahin wird in jedem Fall nicht einfach. Aber es ist ein Anfang gemacht. Ein erster Schritt getan.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37718SWR2 Wort zum Tag
Ich stehe an der Brüstung auf dem hohen Turm der Gedächtniskirche in Speyer. Und schaue über die Dächer der Stadt ins weite Land. Es ist früh am Morgen und der Wind ist noch frisch. Aber die Sonne scheint und die Luft ist klar. Nicht weit entfernt sehe ich den Dom, dann den Rhein und in der Ferne die Ausläufer von Odenwald und Kraichgau.
Eigentlich musste ich hier oben nur nach dem Rechten sehen. Hatte vor lauter anderer Arbeit aber gar keine Lust dazu. Aber nun, beim Anblick der wunderbaren Weite dieser Welt, spüre ich ein Gefühl von Freiheit in mir. Dabei sehe ich, wie eine Taube vom Dachreiter der Kirche mit ein paar Flügelschlägen aufsteigt, und sich dann vom Wind weiter tragen lässt, der Sonne entgegen. Wie gern würde ich es ihr gleichtun. Einfach die Flügel ausbreiten und mich tragen lassen, treiben lassen vom Wind. Über aller Welt. Ungebunden. Frei.
So muss es auch mit Gottes Geist sein. Sagt der Apostel Paulus. Der macht frei. Frei von allem, was mich bedrängt, bedrückt, gefangen hält. Weil Gottes Geist eine Kraft ist, die alle Zwänge und Verzagtheit überwinden kann. Und mich die Weite der Möglichkeiten in meinem Leben wie auch in der Welt sehen lässt. Wer sich von ihm getragen weiß, wird befreit zu neuem Leben.
Bei Paulus war das tatsächlich so. In seinen Briefen kommt das immer wieder zum Ausdruck. Er wurde verfolgt, wegen seines Glaubens in Frage gestellt, angefeindet, ins Gefängnis gesteckt und hat sich doch nicht kleinkriegen lassen. Im Gegenteil. Er hat mit unglaublicher Leidenschaft und Stärke, frank und frei, anderen Hoffnung und Mut zugesprochen. Und oft genug auch Haltung gezeigt.
Ich finde, das ist äußerst beeindruckend. Aber auch erheblich leichter gehört als tatsächlich erfahren. Gerade in den Niederungen des Lebens, in denen ich nicht vom Geist der Freiheit beflügelt dahinschwebe.
Hier oben auf dem Turm aber kann ich Freiheit spüren. Ich bin gewissermaßen auf Augenhöhe und in Sichtweite der Taube.
Vielleicht braucht es manchmal so einen Ort zwischen Himmel und Erde, den man aufsucht, um ein klein wenig etwas von diesem Geist der Freiheit erfahren zu können. Weil man für einen Moment der Welt entzogen ist.
Mir hat das unglaublich gut getan. Und mich auch nach dem Abstieg an diesem Tag getragen. Und weit darüber hinaus.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37717SWR2 Wort zum Tag
Was treibt mich an, morgens aufzustehen? Was treibt mich an, heute dieses und morgen jenes zu tun? Manchmal stelle ich mir diese Frage. Besonders, wenn ich noch im Bett bleiben und nicht gleich aufstehen und in den Tag gehen möchte.
Ich stelle fest: Da gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Manchmal ist es einfach die Sonne, die morgens schon durchs Fenster scheint und mich fröhlich aufwachen und in den Tag gehen lässt. Oder es gibt ein besonderes Ziel, das ich vor Augen habe und das zu erreichen mich anspornt. Ein anderes Mal fühle ich mich regelrecht getrieben. Vor lauter Angst und Sorge. Um eine Sache, einen Menschen. Und an vielen Tagen ist es einfach nur die Gewohnheit, die mich antreibt, aus dem Bett zu steigen und mein Tagwerk anzugehen.
So wie am frühen Morgen gibt es viele Motive, Situationen oder Gründe, die mich dazu bringen, etwas zu tun oder zu lassen im Leben. Manches wird durch äußere Umstände oder von anderen an mich herangetragen, anderes entspringt meinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Und immer wieder gibt es Momente, in denen ich mich schwertue. Ich bin dann unsicher, zweifle, hadere mit mir selbst, mit Gott und mit der Welt. Ich bin mutlos. Kleinmütig. Verzagt.
In solchen Momenten halte ich mich an einen Satz, den der Apostel Paulus gesagt hat: Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Verzagtheit, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit (2.Tim 1,7).
Viele Stellen in den zahlreichen Briefen, die Paulus geschrieben hat, atmen diesen Geist. Zum Beispiel, wenn er erzählt, dass er im Gefängnis ist, sich davon aber nicht entmutigen lässt, sondern den anderen Mitgefangenen Mut und Hoffnung zugesprochen hat. Dass er für Liebe, Respekt und Vernunft eingetreten ist, gegen Hass und emotionale Unbedachtheit. Nicht getrieben vom Geist der Verzagtheit, sondern getragen, ja angetrieben von einem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Ich habe das für mich selbst auch schon erfahren können. Zum Beispiel als ich einen Konflikt mit einem Kollegen hatte. Da war ich zunächst ganz verzagt und unsicher und wäre ihm am liebsten aus dem Weg gegangen. Dann habe ich aber beschlossen, die Sache im Sinne von Paulus anzugehen. Ich habe mit dem Kollegen offen gesprochen und es ist mir gelungen, den Konflikt auszuräumen. Unser Verhältnis hat darüber keinen Schaden genommen.
Ich stelle fest: Sich von einem Geist der Kraft, Liebe und Besonnenheit antreiben zu lassen, tut ganz schön gut.
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