SWR2 Wort zum Tag

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30MAI2023
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Ich stehe an der Brüstung auf dem hohen Turm der Gedächtniskirche in Speyer. Und schaue über die Dächer der Stadt ins weite Land. Es ist früh am Morgen und der Wind ist noch frisch. Aber die Sonne scheint und die Luft ist klar. Nicht weit entfernt sehe ich den Dom, dann den Rhein und in der Ferne die Ausläufer von Odenwald und Kraichgau.

Eigentlich musste ich hier oben nur nach dem Rechten sehen. Hatte vor lauter anderer Arbeit aber gar keine Lust dazu. Aber nun, beim Anblick der wunderbaren Weite dieser Welt, spüre ich ein Gefühl von Freiheit in mir. Dabei sehe ich, wie eine Taube vom Dachreiter der Kirche mit ein paar Flügelschlägen aufsteigt, und sich dann vom Wind weiter tragen lässt, der Sonne entgegen. Wie gern würde ich es ihr gleichtun. Einfach die Flügel ausbreiten und mich tragen lassen, treiben lassen vom Wind. Über aller Welt. Ungebunden. Frei.

So muss es auch mit Gottes Geist sein. Sagt der Apostel Paulus. Der macht frei. Frei von allem, was mich bedrängt, bedrückt, gefangen hält. Weil Gottes Geist eine Kraft ist, die alle Zwänge und Verzagtheit überwinden kann. Und mich die Weite der Möglichkeiten in meinem Leben wie auch in der Welt sehen lässt. Wer sich von ihm getragen weiß, wird befreit zu neuem Leben.

Bei Paulus war das tatsächlich so. In seinen Briefen kommt das immer wieder zum Ausdruck. Er wurde verfolgt, wegen seines Glaubens in Frage gestellt, angefeindet, ins Gefängnis gesteckt und hat sich doch nicht kleinkriegen lassen. Im Gegenteil. Er hat mit unglaublicher Leidenschaft und Stärke, frank und frei, anderen Hoffnung und Mut zugesprochen. Und oft genug auch Haltung gezeigt.

Ich finde, das ist äußerst beeindruckend. Aber auch erheblich leichter gehört als tatsächlich erfahren. Gerade in den Niederungen des Lebens, in denen ich nicht vom Geist der Freiheit beflügelt dahinschwebe.

Hier oben auf dem Turm aber kann ich Freiheit spüren. Ich bin gewissermaßen auf Augenhöhe und in Sichtweite der Taube.

Vielleicht braucht es manchmal so einen Ort zwischen Himmel und Erde, den man aufsucht, um ein klein wenig etwas von diesem Geist der Freiheit erfahren zu können. Weil man für einen Moment der Welt entzogen ist.

Mir hat das unglaublich gut getan. Und mich auch nach dem Abstieg an diesem Tag getragen. Und weit darüber hinaus.

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