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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04MRZ2024
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Gott als Müllmann oder als Eisglätter. Von diesen beiden ungewöhnlichen Bildern habe ich gehört, und ich finde sie richtig gut.

Über das erste Bild habe ich bei der Autorin Susanne Niemeyer gelesen. Sie schreibt: „Bei der Müllabfuhr zu sein, ist ja eigentlich kein schöner Beruf. Man räumt den Dreck anderer Leute weg, und meistens stinkt es. (…) Eine unappetitliche Sache, alles in allem.“ Doch „einer muss es ja machen, denn wenn es keiner täte, dann bliebe ja unser ganzer Müll auf der Erde, und es stänke zum Himmel.“ Und dann stellt Susanne Niemeyer sich vor, wie es wäre, wenn Gott riefe: „Bring den Müll runter, nur her mit dem ganzen Dreck, dem Frust, dem Abfall, allem, was stinkt und was auf deiner Seele liegt und sie schwer macht. Ich kümmere mich darum.“

Gott – der Dreckwegmacher in oranger Jacke. Ich mag das Bild. Und ich habe auch schon erfahren, wie gut es tut, wenn ich Gott all meinen Müll hinlegen kann. Wenn ich am Abend nach einem Tag, an dem gefühlt alles schiefgelaufen ist, zu Gott bete: „Heute hab ich mich oft geärgert – über mich. Über andere. Räume weg, was den Tag so schwer gemacht hat, sodass morgen Platz für Neues ist, und hilf mir, mich nur dann zu ärgern, wenn es sich lohnt.“

Vom anderen Bild für Gott hat mir eine Kollegin erzählt. Sie liebt das Eiskunstlaufen. Sie sagt: Gott ist wie der Fahrer einer Zamboni, einer Eisbearbeitungsmaschine. So eine, die beim Eiskunstlauf oder Eishockey die Eisfläche wieder glatt macht. Wenn eine Zamboni über die Eisfläche fährt, wird erst die oberste Schicht abgekratzt und dann kommt ein wenig warmes Wasser auf die Eisfläche. Durch die Wärme taut das darunterliegende Eis etwas an, sodass die neue Eisschicht fest mit dem alten Eis zusammenfriert. Auf der glänzenden Eisfläche sind neue Wege möglich. Keine Gefahr mehr, in die Spurrillen der anderen zu geraten. Und letztlich hinzufallen, weil sie für mich nicht taugen. Und auch meine eigenen Kratzspuren werden durch das warme Wasser geglättet.

Müllabfuhr und Zamboni – zwei ungewöhnliche Gottesbilder. Und wie jedes andere Gottesbild begrenzt. Keines trifft allein und 100-prozentig zu. Aber die Bilder helfen mir, nicht müde zu werden, über Gott nachzudenken. Und deshalb gefallen mir die beiden Vorstellungen, dass Gott mir aus dem Müllauto zuwinkt oder dass er auf der Eisfläche in einer Zamboni für mich hin- und herfährt.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

03MRZ2024
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Mein Kollege Andreas hat mal wieder gezeigt, dass es auch anders geht.
Mitten in Heidelberg, auf einem belebten Platz, steht ein laut fluchender Mann. Vermutlich ist er obdachlos, auf jeden Fall sieht er mitgenommen und wenig gepflegt aus. Doch nicht nur deshalb wollen viele Leute lieber schnell an ihm vorbei. Mit den übelsten Schimpfwörtern beleidigt er alle um sich herum. Am besten schnell weitergehen – ich jedenfalls habe mich nicht getraut, diesen Mann anzusprechen. Doch Andreas, mein Kollege, macht etwas völlig Anderes. Er geht auf den Mann zu und fragt: „Warum schreist Du so? Was ärgert Dich?“ Die Antwort überrascht mich, denn der Mann sagt: „Niemand achtet auf mich und gibt mir ein bisschen Kleingeld. Mir fehlen doch nur 50 Cent.“ Andreas kramt in seinen Taschen. Er findet noch ein 50-Cent-Stück, gibt es dem Mann, wünscht einen schönen Tag und geht weiter. Laute Schimpfwörter waren dann erstmal nicht mehr auf dem Platz zu hören.

Ich bin sprachlos. So einfach kann es gehen. Andreas hat nicht spekuliert, was mit dem Mann los ist. Statt einen großen Bogen um ihn zu machen, geht er auf ihn zu. Fragt nach. Und das verändert alles.

Jesus hat das ähnlich gemacht. Auch er hat nicht einfach irgendwas vermutet, sondern hat die Menschen, die zu ihm gekommen sind, gefragt: „Was willst Du, dass ich Dir tue?“ Und er ist auch denen nicht aus dem Weg gegangen, die – so heißt es in der Sprache der Bibel – von einem unreinen Geist oder von Dämonen besessen sind. Diese unreinen Geister zerren die Menschen hin und her. Vielleicht sind es Ängste, die einen von innen auffressen. Oder Mächte, die übermächtig geworden sind. Doch egal, wie man sie nennt – all diese Gedanken, die Besitz ergreifen und viel zu groß werden, – sie schaden den Menschen. Und sie isolieren sie. Wer besessen ist, wird anderen fremd und wird ausgrenzt. Jesus lässt sich davon nicht aufhalten. Er will, dass alle Menschen gut und ohne Angst miteinander leben können.

Wahrnehmen und ansprechen, nachfragen statt vermuten – das will ich mir merken. Nicht nur für extreme Situationen, wie bei meinem Kollegen Andreas. Sondern auch, wenn jemand mürrisch und sogar beleidigend ist. Wenn jemand etwas tut, was ich nicht verstehe. Anstatt mich angegriffen zu fühlen, schaffe ich es vielleicht nachzufragen. Und wer weiß – vielleicht endet das Gespräch dann nicht in lautem Geschrei, sondern mit einem freundlichen Wort.

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SWR1 3vor8

18FEB2024
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Eine Woche mit mir allein. Ohne Handy, Internet und Bücher. Das mache ich jedes Jahr ein Mal. Schön und herausfordernd zugleich. Schön, weil es gut tut, mal aus dem Alltag rauszukommen. Alles hinter mir zu lassen und durchzuatmen. Zeit nur für mich und für Gott. Aber es kann auch ganz schön hart sein – weil mich dann nichts mehr von mir selbst ablenkt. Ich werde mit dem konfrontiert, was unter der Oberfläche liegt. Auch mit dem Dunklen, mit meinen Fragen, Zweifeln und Ängsten, die ich sonst lieber zugedeckt lasse. Innerlich geht es in dieser Zeit also keineswegs ruhig zu.

Das eigene Leben anschauen und ganz auf sich selbst gestellt sein – das kann hart sein. Diese Erfahrung hat auch Jesus gemacht. Die Bibel berichtet, dass Jesus 40 Tage in der Wüste ist. Eine Zeit, in der es ordentlich zur Sache geht. Vom Satan und wilden Tieren ist die Rede. Aber auch von Engeln. In katholischen Gottesdiensten klingt das heute so: „In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1, 12f.)

Der Satan – er steht bildlich für das Böse. Für Gedanken und Phantasien, die mich ausdauernd belagern, und die mich wegbringen möchten von einem Leben, das mir und anderen gut tut. Zum Beispiel, wenn ich mich mit anderen vergleiche und der Neid Platz bekommt. Das schafft erst in mir Unfrieden - und dann auch im Miteinander mit anderen.

Und wenn ich an mir selbst zweifle oder einsam bin, dann fühlen sich diese Gedanken manchmal an wie wilde Tiere, die über mich herfallen und laut brüllen. Wie Raubtiere tigern die Gedanken dann durch den Kopf und machen mich unruhig.

Dass auch Jesus davon nicht verschont geblieben ist, beruhigt mich. Er kennt das Böse und weiß, dass es gelingen kann, sich dagegen zu stellen. Und mit den wilden Tieren hat er gelernt zu leben. Sie müssen gar nicht verschwinden, aber ich kann sie kennenlernen und zähmen. Wenn ich mir klar mache, dass ich immer mal wieder Anerkennung oder auch körperliche Nähe brauche, dann können mich diese Bedürfnisse begleiten ohne übermächtig zu werden.

Im März habe ich wieder eine stille Woche geplant. Was dieses Jahr zum Vorschein kommen wird, kann ich heute nur ahnen. Aber aus den letzten Jahren weiß ich, dass die Tage mir gut tun, um so manches Chaos im Kopf zu sortieren. Und hoffentlich geht es mir so wie Jesus in der Wüste: er hatte nicht nur die Einsamkeit und die wilden Tiere an seiner Seite, sondern auch die Engel Gottes.

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SWR1 3vor8

07JAN2024
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Für mich ist es jedes Mal ein bewegender Moment. Ich stehe als Seelsorgerin am Grab eines Menschen. Gerade wurde die Urne oder der Sarg in die Erde gelassen, und dann nehme ich Weihwasser und spreche die alten Gebetsworte: „Im Wasser und im Heiligen Geist wurdest Du getauft. Der Herr vollende an dir, was er in der Taufe begonnen hat.“

Für mich ist das zutiefst tröstlich. Denn diese Worte bedeuten: Durch die Taufe ist ein Mensch so eng mit Gott verbunden, dass selbst der Tod diese Verbindung nicht zerstören kann. Und sogar noch mehr, dass Gott das Leben vollendet. Dass er alles, was im Leben dieses Menschen kostbar gewesen ist, aufnimmt, und das, was unfertig oder zerbrochen war, ergänzt und heilt.

 

Wenn heute in katholischen Gottesdiensten das Fest „Taufe des Herrn“ gefeiert wird, dann ist die biblische Erzählung von Jesus zu hören, in der er im Jordan getauft wird. Eine Stelle voller Symbolkraft. Jesus kommt zu Johannes dem Täufer und steigt ins Wasser. Vielleicht sogar an eine der tiefsten Stellen im Jordan. Dahin, wo es schlammig ist, wo man stecken bleiben, ausrutschen oder gar untergehen kann. Ein Ort, der symbolisch für das stehen kann, was mich manchmal runterzieht, ein Ort der Ängste und Sorgen. Vielleicht auch ein Ort, der für die Momente steht, in denen ich mit anderen nicht umsichtig umgegangen bin oder in denen ich nachlässig mit meinem Körper war. Momente, in denen ich danach gemerkt habe: so kann es nicht weitergehen. Zu viel dies, zu wenig das.

 

Genau dorthin geht Jesus. Und dort, am tiefsten Punkt, da begegnet mir Gott mit seiner Liebe. In der Bibel heißt es, dass sich der Himmel öffnet und „eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ (Mk 7,11)

Eine göttliche Liebeserklärung. Und sie verändert Jesus: Danach beginnt er, öffentlich aufzutreten, und die Menschen spüren etwas von diesem himmlischen Liebesband.

In diese Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und Jesus, sind Menschen mit hineingenommen - vor allem durch die Taufe, aber auch wenn sie eine Sehnsucht nach dieser Verbindung spüren. Eine Verbindung, die Kraft zum Leben und auch zum Sterben gibt.

Für mich sagt Gott zu jedem Menschen: Du, Mensch, bist gut. So wie Du bist. Du bist meiner Liebe wert. Es gibt Dinge, die Dein Leben gefährden. Die dich runterziehen in die Tiefe. Aber ich bin bei Dir. Und auch am tiefsten Punkt Deines Lebens, im Tod, da führe ich Dich zum Leben.

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SWR1 3vor8

17DEZ2023
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Ein Augusttag vor fast 300 Jahren. Der Komponist Georg Friedrich Händel ist krank. Und er steckt mitten in seiner schwersten Schaffenskrise. Er weiß nicht, ob er jemals wieder Musik schreiben wird. Müde und trostlos beginnt er in dem Manuskript zu lesen, das ihm sein Freund Charles für ein neues Stück zugesandt hat. Doch das, was er da liest, fesselt ihn auf Anhieb. Er ist sich sicher: Ich bin gemeint. Diese Worte sind nur für mich. Da steht: Tröste dich mein Volk, spricht dein Gott! Vernehmt die Stimme Johannes des Täufers in der Wüste. Bereitet unserem Gott den Weg.

Händel verschlingt die biblischen Worte vom Trost und von Johannes dem Täufer. Wie in einem Rausch komponiert er in nur drei Wochen eines seiner bekanntesten Werke: den Messias. Als die Menschen später die Musik hören, sind sie tief berührt von der Kraft der tröstenden Musik. Bis heute.

Auch ich lechze nach Worten und Klängen, die mich trösten. Kriege – an so vielen Orten auf unserer Welt –, hasserfüllte Menschen, die brutal morden, Hitzewellen und Überschwemmungen. Und dazu das, was ich in meinem Umfeld mitbekomme: ein Kind, das kurz vor der Geburt im Bauch der Mutter stirbt, eine Krankheit, bei der die Ärzte nicht wissen, wie sie sie in den Griff bekommen können.

Da ist so Vieles, was das Herz bedrückt und was mich ohnmächtig und ratlos zurücklässt. Wie sehr brauche ich in solchen Zeiten Trost, der mich stärkt und meine Seele wieder aufrichtet.

Händel hat den Trost in alten biblischen Worten gefunden. Und in der Figur von Johannes dem Täufer. Von ihm ist heute, am dritten Adventssonntag, in katholischen Gottesdiensten die Rede.

Johannes ist zuversichtlich, dass Gott kommt. Darauf weist er sein ganzes Leben lang hin. Er selbst sieht sich als Wegbereiter Gottes und sagt: „Ebnet den Weg für den Herrn“ (Joh 1,23). Johannes ist überzeugt, dass sich alles zum Guten wendet, wenn Gott kommt. Dass alles Leid, alles, was uns jetzt Sorgen macht, ein Ende haben wird. Dass da einer kommt, der Heil und Leben bringt.

Auch wenn Menschen nach wie vor einander Schlimmes antun, auch wenn es weiterhin Schicksalsschläge und Naturkatastrophen gibt, so tröstlich sind für mich adventliche Gestalten, wie Johannes der Täufer. Und auch Klänge, wie die von Händels Messias. Beide lösen die Probleme nicht, aber sie richten mich innerlich auf und wärmen mein Herz. So dass ich wieder hoffen kann.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16DEZ2023
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Wenn alles glatt läuft, spricht bald niemand mehr drüber. Aber wenn etwas mal daneben geht, dann erzählt man sich noch Jahre später davon. So wie beim 60sten Geburtstag meiner Mutter. Mit der Familie waren wir wandern und saßen abends in einer Gaststätte. Zur Feier des Tages wollten wir vor dem Essen anstoßen. Doch statt des Aperitifs „Kir Royal“, einem Glas Sekt mit Johannisbeerlikör, haben wir einen Eisbecher „Kir Royal“ bekommen. Nunja… den Hauptgang haben wir anschließend kaum geschafft, aber der Stimmung hat das nicht geschadet. Bis heute lässt uns der Eisbecher zum Aperitif über den schönen Tag schmunzeln. Nicht perfekt, aber nachhaltig in der Erinnerung.

So kann es einem vielleicht auch mit Weihnachten gehen.

Wenn ich mir die Weihnachtsgeschichte anschaue, ist auch damals nicht alles perfekt gelaufen. Maria und Josef sind zu spät dran und müssen in einem Stall übernachten, Sterndeuter suchen verzweifelt den richtigen Weg, und die ersten Gäste sind Hirten, die mit dem Geruch von Schafen direkt von der Arbeit kommen. Die Weihnachtsgeschichte ist voll von Unperfektem. Und doch war es genug. Maria, Josef, die Hirten und die Sterndeuter – sie alle haben gespürt: es ist etwas Besonderes passiert. Etwas, das ihr Herz erfüllt hat, und wovon sie nachher noch lange erzählt haben. Momente, in denen Gott auf einmal ganz nah war.

Daran will ich denken, wenn dem Weihnachtsbaum hier und da ein paar Zweige fehlen, wenn die Wohnung nicht auf Hochglanz geputzt ist und wenn ich es erst zwischen den Jahren schaffe, die Weihnachtspost zu schreiben. Und auch ein Streit darf mal sein. Weihnachten wird es, auch wenn nicht alles sauber oder nicht alles liebevoll, eben nicht alles perfekt ist. Dann nämlich, wenn ich mit einer Freundin ein intensives Gespräch über schwere Dinge führe und auf einmal im Raum etwas von der Botschaft der Engel spürbar wird: „Fürchte dich nicht“. Oder wenn mein Patenkind sich nicht nur die wohlgeformten Weihnachtsplätzchen, sondern auch die Missratenen in den Mund schiebt und dabei über das ganze Gesicht strahlt.

Entscheidend ist, gerade auch in den unperfekten Momenten, mein Herz zu öffnen. So, dass Begegnung möglich ist. Mit anderen und dadurch auch mit Gott.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15DEZ2023
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Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Löwe und Lamm. Der Löwe stark und imposant. Das Lamm sanft und verletzlich. In der freien Wildbahn sind die beiden Feinde.

Umso absurder ist das, was der niederländische Priester Henri Nouwen rät, der unser Innerstes mit einem Löwen und einem Lamm vergleicht. Er sagt: „Lass deinen Löwen bei deinem Lamm liegen.“

Der Löwe steht bei Nouwen für das Eigenständige in uns. Mein Löwe meldet sich, wenn ich merke: hier möchte ich Position beziehen. Möchte ich mich selbstbewusst einbringen, Dinge entscheiden und vorangehen. Als Lamm dagegen bezeichnet Nouwen den Teil in uns Menschen, der Beistand und Zuneigung braucht. Ich kann etwas von dem Lamm in mir spüren, wenn ich mir wünsche, dass jemand für mich da ist, der für mich sorgt. Mir den Rücken stärkt, wenn meine Kraft nicht reicht.

Ich kenne beide Seiten in mir. Meine Löwen- und meine Lamm-Seiten. Nicht immer liegen die beiden friedlich nebeneinander. Es kommt schon vor, dass einer den anderen ordentlich zur Seite schiebt, fast verdrängt. Ich möchte zum Beispiel in einem Streit unbedingt meine Position behaupten – mein Löwe brüllt. Aber gleichzeitig gibt es eine Seite in mir, die will von Streit gar nichts wissen. Und dann ringen die beiden in mir.

Nouwen sagt dazu: „Gibst du nur auf deinen Löwen Acht, wirst du dich überfordern und bald erschöpft sein. Und siehst du nur auf dein Lamm, wirst du bald deinem Bedürfnis, anderen zu gefallen und zu imponieren, zum Opfer fallen. Die Kunst (…) besteht darin, beiden uneingeschränkt Rechnung zu tragen: deinem Löwen und deinem Lamm.“

Mir hat das Bild vom Löwen und dem Lamm geholfen. Es macht mir klar, dass es beides braucht und nicht das eine besser als das andere ist. Beides braucht Platz und will geübt werden: in einer Freundschaft genauso, wie im Beruf. Wenn ich meine Meinung und meine Bedürfnisse immer nur zurückhalte, um mich im Kollegenkreis zu integrieren und bloß nicht negativ aufzufallen, dann wird mich das innerlich genauso unruhig und unzufrieden machen, wie wenn ich meine, dass ich immer zielstrebig voranpreschen muss und es ohne mich nicht geht.

Für Nouwen liegt der Schlüssel darin, Löwe oder Lamm nicht kleinzuhalten, sondern für beide zu sorgen. Und dann – davon ist Nouwen überzeugt – beginnt der Frieden sich auszubreiten. Erst in mir und dann auch um mich herum.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14DEZ2023
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Passende Geschenke zu finden, ist gar nicht so einfach.

Was mir dieses Jahr geholfen hat, war ein Blick ins Herkunftswörterbuch. Dort steht, dass das Wort schenken früher bedeutet hat, „jemandem etwas zu trinken geben“. In Formulierungen wie „jemandem etwas einschenken“ steckt das heute noch drin. Und wenn damals jemand einem Gast einen Willkommenstrunk angeboten hat, war der natürlich gratis. Ein Geschenk sozusagen.

Wenn schenken also heißt, jemandem den Durst zu stillen, dann geht es um mehr, als um ein weiteres Paar Socken oder eine Schachtel Pralinen, die ich kaufe, um an Heiligabend nicht mit leeren Händen dazustehen. Geschenke sollen so etwas wie Durstlöscher sein. Vielleicht auch Durstlöscher für die Seele.

Im ersten Moment hat mir das die ganze Geschenke-finden-Sache nicht leichter gemacht – eher noch den Druck erhöht. Doch dann wurde mir klar: Geschenke stillen meinen Durst oder stärken mich, wenn ich merke, dass jemand sich wirklich was für mich überlegt hat. Dass mir jemand mit dem Geschenk zeigen möchte: schön, dass es Dich gibt. Danke, dass du in meinem Leben bist. Und dann ist weniger das Geschenk selbst wichtig, als vielmehr die Botschaft, die das Geschenk transportiert.

Das macht die Geschenkesuche für mich etwas entspannter. Denn wenn ich vor allem Botschaften verschenken möchte, dann kommt es weniger drauf an, ob das Geschenk groß oder klein, wertvoll oder originell ist. Dann kann ich einem Freund auch ein paar Pralinen verpacken oder meiner Kollegin ein feines Gewürz. Und damit alle auch wirklich verstehen, was ich ihnen damit sagen möchte, binde ich in diesem Jahr an die Geschenke kleine Zettel dran. Oder schreibe eine Botschaft mit Silberstift auf das Packpapier. An dem Gewürz für meine Kollegin hängt dann ein Zettel, auf dem steht: „Du bringst Pepp und Würze in mein Leben, weil Du mich mit deinen Ideen und Gedanken inspirierst.“ Und die Botschaft auf der Pralinenpackung lautet: „Du versüßt mein Leben. Ich genieße jeden Moment mit dir.“

Hinter all diesen Botschaften steckt für mich das, was Weihnachten ausmacht. Denn Gott sendet uns mit der Geburt von Jesus auch eine Botschaft. Eine, die die Kraft hat, den inneren Durst für immer zu stillen. Nämlich: Fürchtet euch nicht. Ich bin bei euch.

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SWR1 3vor8

05NOV2023
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Kann man beten lernen?

Ich denke schon. Meine Eltern haben mir und meinen jüngeren Geschwistern gezeigt, wie das auch mitten im Alltag gehen kann. Abends vor dem Schlafengehen zum Beispiel. Da durfte das kleine Kreuzzeichen auf die Stirn nicht fehlen. Oder mittags vor dem Essen, wenn wir uns alle an den Händen gehalten und miteinander gebetet haben. Das waren kurze Momente – keine großen, spektakulären Dinge. Es hat ganz selbstverständlich dazugehört. Und Worte waren dabei gar nicht so wichtig. Sondern vor allem das Gefühl, geborgen und aufgehoben zu sein. Aufgehoben bei meinen Eltern und auch bei Gott.                                     

Wenn ich den biblischen Text höre, der heute in katholischen Gottesdiensten gelesen wird, dann vermute ich, dass es den Menschen in Thessaloniki ähnlich gegangen ist. Paulus und seine Freunde waren dort einige Zeit zu Besuch und haben sich als Gäste aber nicht nur verwöhnen lassen und den Menschen von Jesus erzählt, sondern sie waren mitten im Leben dabei. Haben angepackt und mitgearbeitet. In einem Brief schreiben sie später: „Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, so waren wir euch zugetan und wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem Leben.“ (1Thess2,7b f.).

Ich stelle mir vor, dass die Menschen in Thessaloniki sich dabei von Paulus und seinem Team auch abgeschaut haben, wie es ganz praktisch geht, als Christ zu leben. Wie man mitten im Alltag zusammenarbeiten, miteinander umgehen und beten kann.

Bei mir waren es meine Eltern, die mir das gezeigt haben. Mittlerweile habe ich noch andere alltägliche Situationen entdeckt, in denen ich mich mit Gott verbinde und mir bewusst mache, dass ich in einen größeren Zusammenhang eingebettet bin.
Morgens beim Blick in den Spiegel zum Beispiel. Wenn ich mir vorstelle, dass auch Gott mich jetzt anschaut und hinter dem Vordergründigen das Schöne und Liebenswerte sieht.

Oder wenn ich in den Kalender schaue, dann bete ich: Gott, meine Zeit, steht in deinen Händen. Lass mich bewusst und dankbar mit meiner Zeit umgehen.

Wenn ich ein Martinshorn höre oder ein Blaulicht sehe, dann denke ich an die Person, die jetzt wohl gerade in Not ist und schicke ein Stoßgebet in den Himmel.

Und heute Nachmittag schalte ich das Handy eine Weile in den Flugmodus und bete: Gott, nimm du alles, was unnötig ist und mich bedrängt, von mir und lass mich Ruhe finden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07OKT2023
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„Der ganze Vordere Orient ist von babylonischen Assyrern besetzt. Der ganze Vordere Orient? Nein! Ein von unbeugsamen Israeliten bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“[1]

Wie in Asterix und Obelix erzählt das biblische Buch Judit davon, dass von einem Dorf die Zukunft eines ganzen Volkes abhängt. Nur sind es in der Bibel nicht die Römer, die die Herrschaft übernehmen wollen, sondern die Babylonier mit ihrem brutalen Feldherren Holofernes. Schon lange belagert er das Dorf Betulia. Wenn er es schafft, es einzunehmen, dann ist der Weg in die Hauptstadt Jerusalem frei und sein König der Größte.

Eine ganze Zeit lang halten die Bewohner von Betulia der Belagerung stand, doch irgendwann verlässt sie der Mut. Einen Zaubertrank, wie in Asterix und Obelix, haben sie nicht, aber eine mutige Frau. Judit. Sie kommt ins Spiel, als den Männern nichts anderes mehr einfällt, als auf ein Wunder zu warten.

Judit ist klug und schön. Und sie betet viel. Dadurch ist sie eng mit Gott in Kontakt, und das macht sie stark. Denn der Glaube hilft ihr, auch in dieser bedrückenden Lage einen klaren Kopf zu bewahren, und er gibt ihr die Kraft, zu handeln, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Judit brezelt sich richtig auf und wagt sich in das feindliche Lager. Sie gibt vor, Holofernes zu bewundern und flirtet mit ihm. Holofernes genießt das. In Vorfreude auf eine gemeinsame Nacht trinkt er ein Glas Wein nach dem anderen und schläft schließlich ein. Diese Gelegenheit nutzt Judit und – jetzt kommt´s ganz Dicke – Judit schlägt mit dem Schwert Holofernes den Kopf ab und verlässt das Lager. Am nächsten Morgen sehen die Assyrer den Kopf ihres Anführers an der Stadtmauer hängen. Vor lauter Angst flüchten sie. Judit hat ihr Volk gerettet.

Ich bin ziemlich froh, dass die Geschichte von Judit – wie so manche Erzählung in der Bibel – eine Lehrgeschichte ist, in der es nicht um historische Fakten geht, sondern in der deutlich werden soll, wie Gott sich auf die Seite der Schwachen stellt. Und wie wichtig es ist, auch selbst im richtigen Moment zu handeln und sich mutig und couragiert für die Schwächeren einzusetzen.

 

[1] Vgl. „Bibel heute. 159_Judit. S. 10f.

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