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SWR1 3vor8
Es ist ein Sonntagvormittag in München. 200 Frauen treffen sich zum Spazierengehen. Das Besondere ist: sie kennen sich nicht. Noch nicht. Erst während des Spaziergangs kommt man ins Plaudern. Nach knapp einer Stunde gehen die Frauen wieder auseinander – zufrieden über einen gemütlichen Sonntagsspaziergang in Gesellschaft, viele erfüllt von einem guten Gespräch und manche sogar mit einer Telefonnummer, um sich verabreden zu können.
Die Idee zu solchen Spaziergängen hat Clare Carrington[1] aus den USA mitgebracht. Zurück von ihrem Auslandsaufenthalt war sie so begeistert, dass sie über insta Frauen zum Spaziergang eingeladen hat. Und die Resonanz war riesig. Mittlerweile hat sich die Idee rumgesprochen, und die Spaziergänge sind ein richtiger Trend geworden. Und das nicht nur in München. Bereits in mehr als 30 Städten sind sogenannte „girlswalkingandtalking“-Gruppen zu finden, frei übersetzt „Mädels laufen und reden“.
Miteinander unterwegs sein, jemand anderem erzählen, wie das Leben gerade ist, und wie es mir geht – das geschieht auch in dem biblischen Text, der ganz eng zum heutigen Ostermontag gehört und in vielen katholischen Gottesdiensten zu hören ist.
Zwei Jünger sind unterwegs nach Emmaus und vertrauen einander an, was sie beschäftigt. Vor allem, wie traurig sie sind, da ihr Freund Jesus gestorben ist. Unterwegs treffen sie auf einen Fremden, der wissen will, was sie bedrückt. Sie erzählen ihm, wie enttäuscht und traurig sie sind. Er hört ihnen zu, er baut sie auf, und er erzählt, dass er voller Hoffnung ist. Erst im Nachhinein, beim Essen am Abend, kapieren sie, dass der Fremde, der mit ihnen gegangen ist, Jesus war. Und dass sie das eigentlich schon unterwegs gespürt haben. (vgl. Lk 24, 13-35)
Ich kann mich gut in die Situation der beiden Jünger hineinversetzen. Wenn ich traurig bin oder ein belastender Gedanke sich in meinem Kopf festgekrallt hat, dann tut es mir gut, wenn ich nicht alleine bleibe. Wenn ich rausgehe, in Bewegung komme und mich jemandem anvertrauen kann. Zu merken „Ich bin nicht allein“, macht mein Herz leichter. Und ich bin mir in solchen Momenten sicher: Jesus geht mit. Er begleitet mich, und das kann ich durch andere spüren.
„Ich bin nicht allein.“ Das sagt übrigens auch Clare, die mit den Frauenspaziergängen. Wenn man sie fragt, ob man zu den Spaziergängen wirklich alleine kommen kann, antwortet sie: „Genau darum geht es, das ist das Schöne: Jede kommt zwar alleine, aber keine geht alleine.“
[1] vgl. Fasten-Wegweiser 2025 „wandeln“ von AndereZeiten, S. 38f. oder auch: https://www.brigitte.de/aktuell/gesellschaft/clare-carrington--macherinnen-im-check-13858566.html
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Mit jeder Menge Klebeband lassen sich biblische Geschichten erzählen. Das habe ich neulich auf einer Fortbildung erfahren. Da ging es um Ester, eine jüdische Königin. Ihre Geschichte ist schnell erzählt. Ein Hauptmann aus dem eigenen Heer plant, alle Juden im Land umzubringen. Sie und ihr ganzes Volk sind bedroht. Zunächst zögert Ester, weil auch sie selbst sterben könnte. Doch ein Gespräch mit ihrem Adoptivvater Mordechai macht ihr Mut. Er sagt zu ihr: „Wer weiß, ob du nicht gerade für eine Zeit wie diese jetzt Königin geworden bist.“ (Est 4,14). Ester spürt, dass Mordechai Recht hat. Genau sie braucht es jetzt. Geschickt überzeugt sie ihren Mann, den König, dass nicht die Juden sterben sollen, sondern der Hauptmann den Tod verdient und rettet so sich und ihr Volk.
Auf meiner Fortbildung wurde diese Geschichte immer wieder unterbrochen. Dann kam das Klebeband zum Einsatz. Weil der Name Ester übersetzt „Stern“ oder „die Leuchtende“ bedeutet, war die erste Aufgabe an unsere Gruppe, mit buntem Klebeband einen großen Stern auf den Boden zu kleben. Die nächste Aufgabe war schon schwerer. Mit dem Klebeband sollte jeder ein Symbol für sich selbst neben Esters Stern kleben: Ein Kreis oder ein Rechteck oder auch ein Umriss mit Beinen, Armen und Kopf. Das soll zeigen: die Ester Geschichte ist zwar schon lange her, aber sie hat auch etwas mit mir zu tun. Ich kann mich bildlich neben Ester stellen, denn auch in meinem Leben gibt es Dinge, die mich herausfordern oder mir Angst machen. Und diese Dinge sollten wir dann wieder symbolisch darstellen und um unseren Umriss herum kleben. Manche haben Wörter, wie „Krieg“ und „Machtmissbrauch“ geklebt. Andere haben mit schwarzem und weißem Klebeband ausgedrückt, wie sehr sie das schwarz-weiß-Denken belastet. Und wieder andere haben Symbole geklebt: ein Kreuz für den Tod oder ein zerbrochenes Herz für eine unglückliche Liebe.
Um all dem etwas entgegenzusetzen, war die nächste Aufgabe: Und jetzt klebt einen Mutmach-Satz in die Mitte eures Umrisses. Ein stärkendes Wort, das ihr jetzt gerade braucht. Einen Satz, so in der Art wie Ester ihn von Mordechai gesagt bekommen hat. Auf dem Boden klebte dann schnell „Just do it.“ Also: „Mach einfach“. Oder auch „Fürchte dich nicht.“ oder „Lass los, was war.“
Ich habe einen Satz auf den Boden geklebt, der mir persönlich sehr wichtig ist, und der auch heute in katholischen Gottesdiensten zu hören ist. Gott sagt ihn Mose, denn wie Ester weiß auch Mose nicht, wie es weitergehen soll. Gott verspricht: „Ich bin mit dir.“ (Ex 3,12).
SWR Kultur Lied zum Sonntag

Kreuze hängen in Kirchen und Wohnzimmern, stehen an Wanderwegen und auf Berggipfeln. Es ist Erkennungszeichen der Christen und zugleich irritiert es. Denn eigentlich ist das Kreuz ein Folter- und Hinrichtungsinstrument, steht für Leid und Tod. Und doch ist es für Christen ein hoffnungsvolles Zeichen.
So auch in unserem heutigen Lied zum Sonntag „Kreuz, auf das ich schaue“. Es ist ein Lied aus den 80ern und gehört damit – auch wenn das mittlerweile schon über vierzig Jahre her ist – immer noch zu den eher neueren Liedern für die Fastenzeit. Eckard Bücken, ein evangelischer Diakon aus Berlin, hat es in Anlehnung an ein altes Kirchenlied geschrieben. Schlicht und mit wenigen Worten wird in drei Strophen das Kreuz besungen. Und es geht dabei nicht um Dornenkrone und Schmerzen, sondern um Nähe und Zuversicht.
Musik 1
Kreuz, auf das ich schaue, steht als Zeichen da;
der, dem ich vertraue, ist in dir mir nah.
Ich kann nicht sagen, wie oft ich schon auf ein Kreuz geschaut habe. Häufig bleibt es schlicht und einfach ein Zeichen. Doch manchmal passiert mehr. Besonders dann, wenn meine Gefühle unsortiert sind. Wenn ich mich zerrissen fühle zwischen Himmel und Erde. Wenn ich mir Sorgen mache oder nicht weiter weiß. Dann auf ein Kreuz zu schauen, gibt mir Halt. Weil es mich daran erinnert, dass ich nicht allein bin. Dass ich mich Jesus verbunden fühlen kann. Einem, der mit mir fragt: Gott, wo bist du in all dem?
In solchen Momenten wird nicht sofort alles anders, aber meine Angst und meine Sorgen rücken in ein anderes Licht. Bekommen eine neue Farbe. Wie ein schwebender hoher Ton, der zur Melodie dazukommt. Und so heißt es in der zweiten Strophe:
Kreuz, zu dem ich fliehe aus der Dunkelheit;
statt der Angst und Mühe ist nun Hoffnungszeit.
Der Liedtext kann sich nicht richtig entscheiden. Immer wieder schwankt er hin und her. Mal geht es um das Kreuz, zu dem ich hinschauen oder hingehen kann – gerade wenn mein Lebensgepäck schwer auf meinen Schultern lastet. Und an anderen Stellen im Lied geht es um Jesus, der mir immer nahe ist. Und der mich hoffen lässt – auf jeden neuen Tag und sogar auf ein Leben nach dem Tod. Auch in der dritten und letzten Strophe des Liedes klingen beide Perspektiven an:
Musik 2
Kreuz, von dem ich gehe in den neuen Tag,
bleib in meiner Nähe, dass ich nicht verzag.
Je öfter ich mich mit dem Lied beschäftige, desto mehr mag ich, dass das Lied keine eindeutige Perspektive hat. Weil es in meinem Leben doch oft auch so ist. Dass ich irgendwo zwischen Leid und Leben stecke. Zwischen Sorgen und Hoffen. Zwischen dem Alltag, der oft mühsam ist, und einem mutigen und frischen Start in den neuen Tag.
Das heutige Lied zum Sonntag ist ein kurzes Lied. Und trotz aller Kürze leuchten in den schlichten Strophen drei Facetten des Kreuzes auf. So ist das Kreuz zunächst Orientierungspunkt, in all den Aufs und Abs meines Lebens. Dann steht es auch für Hoffnung, weil es mich daran erinnert, dass ich nicht alles alleine durchstehen muss. Und es stärkt mich, um weiterzugehen. Mit Jesus an meiner Seite – in den heutigen Sonntag hinein.
Titel: „Kreuz, auf das ich schaue“
Kirchenlied für gemischten Chor a cappella.
Komponist: Lothar Graap; Leon Tscholl
Interpret: CoroPiccolo Karlsruhe, Leitung Christian Raiser
Eigenproduktion des SWR vom 20. und 21.05.2022
SWR Archiv-Nummer: M0687557
Orgelaufnahmen:
KMD Dr. Markus Uhl
Chororgel in der Jesuitenkirche Heidelberg (Orgelbau Kuhn)
Aufnahme Februar 2025
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41699Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Bei den Rosenmontagsumzügen fliegt heute wieder jede Menge Konfetti durch die Luft. Kleine, bunte Papierschnipsel, die auch nach Tagen noch in Schuhen, Wollschals oder Kapuzenpullis stecken, und die zur Fastnacht einfach dazugehören. Und das schon seit dem 18. Jahrhundert. Schon damals haben sich in Italien die Menschen an Fastnacht mit Konfetti beworfen. Allerdings waren es keine Papierschnipsel, sondern kleine Süßigkeiten, Zucker-Mandeln oder Nüsse, die im Italienischen eben „confetti“ heißen.
Wie dann aus den Süßigkeiten Papierschnipsel wurden, ist nicht ganz sicher. Aber man vermutet, dass vor ungefähr 140 Jahren der Berliner Buchbindermeister Paul Demuth einmal beim Karneval in Venedig war und dort auf die Idee kam, Konfetti aus Papier zu machen. Das ist billiger, bunter und vor allem auch weniger schmerzhaft für die, die das Konfetti abbekommen. Und es bleibt ein bisschen länger in der Luft. Ist zarter und feiner.
Wenn heute jede Menge Konfetti durch die Luft wirbelt, dann ist das für mich ein schönes Bild für Gottes Segen. Denn so wie Konfetti das Leben bunt macht, den Blick nach oben in die Höhe zieht und manchmal ganz unerwartet um mich herumwirbelt, so erlebe ich es auch mit Gott. Er berührt mich zart und sanft und wirbelt gleichzeitig manchmal alles durcheinander. Seine Liebe fällt einfach so – wie Konfetti-Regen – ohne einen Unterschied zu machen auf mich und auf alle, die um mich herum sind. Gott bringt Farbe in mein manchmal tristes Leben. Und das macht er einfach dadurch, dass er bei mir ist. Egal, wie es mir geht. Wenn ich glücklich bin genauso, wie an den Tagen, an denen ich nur heulen könnte. Mich seiner Liebe zu vergewissern und mich daran zu erinnern, dass er mir nahe ist, macht mein Leben intensiver. Bunter.
Neulich bin ich auf einen Konfetti-Segen von der ev. Vikarin Deborah Siemermann gestoßen. Und mit ihren Worten wünsche ich Ihnen einen gesegneten Rosenmontag:
„Segen für dich. Wie eine Handvoll Konfetti soll er um dich herumwirbeln. Leuchten in allen Farben dieser Welt. Rot, gelb, grün, violett, blau. Segen für dich! (…) Denn du bist wunderbar! Mit allem, was dich ausmacht. Ob du nun mit dem Leben tanzt oder der Sturm des Lebens dich durchpustet. Ob Du gerade lächelst, obwohl dein Herz Tränen verdrückt. Du gerade lieber nach grau greifst, obwohl Dir alle Farben aus dem Malkasten zur Verfügung stehen. Segen für dich! “[1]
[1]https://www.youtube.com/watch?v=jCOoxR6vi5g
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41701SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Fastnacht ist nicht so mein Ding. Doch einmal im Jahr mache ich eine Ausnahme. Dann bin ich auf einer Fastnachtssitzung. So ganz klassisch mit Büttenreden, Schunkelrunden und Gardetanz. Grund dafür ist meine Schwester. Sie wohnt in Mainz, und da gehört es dazu, Fastnacht zu feiern. Und so treffen sich meine beiden Brüder und ich einmal jährlich bei ihr, und wir feiern gemeinsam Fastnacht – mit Gruppenkostüm und allem, was dazu gehört. Als die vier Bremer Stadtmusikanten, als Imker und Bienenschwarm oder als vier Jahreszeiten verkleidet sitzen wir dann im Saal, und ich gebe zu: für ein paar Stunden bin ich mittendrin und genieße die ausgelassene Stimmung. Aber nicht nur das: wenn ich genauer hinschaue, kann ich einiges entdecken, was ich doch an der Fastnacht mag und beeindruckend finde.
Zum einen das enorme ehrenamtliche Engagement. Damit Fastnacht gefeiert werden kann, werden stundenlang Tänze geübt und das Geschehen in der Welt aufmerksam beobachtet, um Büttenreden zu schreiben. Da basteln Frauen und Männer an aufwendigen Kostümen und Mottowägen für die Umzüge. Lieder werden einstudiert und große Säle fastnächtlich geschmückt. Echt enorm, wie die Menschen sich da reinhängen.
Was ich mir von Fastnacht für das Jahr zu merken versuche, ist die vielleicht schlichte Einsicht: ich fühle mich in meiner Haut und in meinem Leben wohl. Ich kann in ein Kostüm schlüpfen, aber eigentlich muss ich gar nicht jemand anderes sein.
Regelrecht Gänsehaut bekomme ich, wenn zwischen den Feiernden im Lauf des Abends eine Gemeinschaft entsteht. Da mag die ein oder andere Weinschorle dazu beitragen, aber ich glaube, der Grund ist ein anderer. Es ist der Wunsch, der vermutlich tief im Menschen steckt, sich mit anderen verbunden zu fühlen. Das heißt nicht, dass es für unsere Gesellschaft und unser Land gut und sogar unglaublich wichtig ist, miteinander zu streiten, zu diskutieren und um Kompromisse zu ringen. Doch ich glaube, damit das möglich ist und niemand ausgeschlossen und vergessen wird, ist es wichtig, auch miteinander zu feiern. Und mich ohne Wenn und Aber bei der nächsten Schunkelrunde bei meinem Nachbarn einzuhaken. Egal, wie alt sie ist, und egal, wo er herkommt.
Eine eingefleischte Fastnachtsnärrin werde ich vermutlich dennoch nicht. Aber gerade dann, wenn die Zeiten komplex und schwierig sind, tut es gut, der Seele Luft zu verschaffen, zu lachen, durchzuatmen und zu feiern. Und dann habe ich auch die Kraft, wieder mit anderen traurig zu sein oder auf die Nöte in der Welt zu schauen.
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Ende Januar habe ich mich einer besonderen Herausforderung gestellt. Viel hat es dafür nicht gebraucht. Nur PC, Internet und ein paar Minuten Zeit. Die Challenge hieß „Everynamecounts“, also „Jeder Name zählt“. Anlass war der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz und die Aufgabe war, dass innerhalb einer Woche fast 30.000 Häftlingspersonalkarten für ein online-Archiv digitalisiert werden sollten.
Gestartet haben die Challenge die Arolsen Archives, das weltweit größte Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. Sie haben die Häftlingspersonalkarten eingescannt und dann Freiwillige gesucht, die mithelfen, Namen und Geschichten der KZ-Inhaftierten sichtbar zu machen. Viele haben mitgemacht und wie ich Namen und Vornamen, Geburtsdaten, letzter Wohnort, Religion, aber auch die Häftlingsnummern eingegeben. Ich musste manches Mal kräftig schlucken und tief durchatmen, wenn ich gesehen habe, wie jung die Menschen waren, als sie ins KZ gekommen sind. Und das nur, weil sie Juden waren oder homosexuell oder nicht ins System der Nazis passten.
Einmal mehr wurde mir bewusst, dass so etwas nie wieder geschehen darf, und dass es an uns allen liegt, unsere Gesellschaft mitzugestalten. Wir sollten gut aufeinander achtgeben, damit Minderheiten nicht übersehen oder noch mehr benachteiligt werden. Weil sie die Sprache nicht können, weil sie Kinder sind oder krank oder weil sie das Geld nicht haben, um gesellschaftlich mithalten zu können: Andere Klamotten, Urlaub nur zuhause. Schnell ist man außen vor.
Mir macht Mut, dass zur Zeit viele Menschen auf die Straße gehen – für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Davon wird nicht sofort alles besser, aber ich hoffe, dass viele sich dadurch aufrütteln lassen, berühren lassen und in ihrem Umfeld genauer hinsehen und hinhören. Und dass sie dann merken, was sie anpacken und verändern können. Sei es, sich so kurz vor der Bundestagswahl noch einmal gut zu informieren, oder sich für den Kollegen einzusetzen, mit dem sich viele schwer tun.
In katholischen Gottesdiensten ist heute der Abschnitt aus der Bibel zu hören, in dem Jesus die ersten Menschen auffordert, mit ihm zu gehen, ihm nachzufolgen. Simon, Jakobus und Johannes werden mitten aus ihrem Alltag als Fischer gerissen (vgl. Lk 5,1-11). Und was heißt „Jesus nachfolgen“ heute? Vermutlich gehört dazu, dass ich, wenn ich als Christ leben möchte, immer wieder meine Gewohnheiten überdenke. Dass ich vielleicht auch Nachteile in Kauf nehme. Dass ich mich ergreifen und hinterfragen lasse von einem Gott, der uns Menschen braucht, damit seine Botschaft in der Welt ankommen kann. Die Botschaft von einem gütigen und menschenfreundlichen Gott. Einem, der sich gerade der Schwachen annimmt. Und für den jeder Mensch zählt.
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Johanna ist mein Patenkind und acht Jahre alt. Neulich waren wir zusammen in der Kirche und im Gottesdienst wurden wir aufgefordert, uns gegenseitig zu segnen. Ich habe ihr ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und dann umgekehrt sie mir. Für mich ein besonderer Moment. Der Segen ging hin und her und Johanna und ich: wir beide mittendrin.
Gesegnet zu werden ist für mich etwas Besonderes. Vor allem, wenn mir eine Person direkt gegenübersteht, in die Augen schaut und mir mit den Fingerspitzen ein Kreuzzeichen auf die Stirn macht. In diesen Momenten wird mir bewusst: Ich bin gemeint. Mir wird gerade Gutes gesagt. Und in dieser Nähe eines anderen Menschen erahne ich, dass auch Gott mir nahe ist.
Gott segnet die Menschen – das kenne ich. Und bislang war für mich klar: der Segen geht quasi von oben nach unten, von Gott zum Menschen. Doch dass der Segen auch in die andere Richtung, also vom Menschen zu Gott gehen kann – das ist für mich ein eher ungewöhnlicher Gedanke.
Nicht für die Bibel. Da geht der Segen hin und her. Ganz bildlich wird das bei der Geschichte von Jakob, im ersten Buch der Bibel beschrieben. Jakob träumt, dass die Boten Gottes auf einer Himmelsleiter von Gott zu Jakob und von Jakob zu Gott steigen. Auf und ab. Himmel und Erde sind miteinander verbunden und Gott verspricht Jakob: „Ich bin bei dir. Ich behüte dich, wohin auch immer du gehst.“ (Gen 28,12ff.)
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die ersten Christen die Erzählung von Jakob und dem Segen, der hin- und hergeht, gekannt haben. Und auf diesem Hintergrund schreibt Paulus in einem Brief an die Menschen in Ephesus: „Gesegnet sei Gott (…).“ Und kurz darauf schreibt er weiter: „Gott hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel.“ (Eph 1,3)
Ich finde das einen schönen Gedanken am Beginn dieses neuen Jahres: Gott segnet mich und diesen Segen kann ich weitergeben. An andere Menschen und eben auch an Gott. Und so teile ich mit Gott nicht nur das, was mir gerade schwer auf der Seele liegt und wo ich ihn vermisse und seinen Segen brauche. Sondern ich segne ihn auch. Also ich suche die Nähe zu ihm, danke ihm und teile mit ihm das Schöne, das es in meinem Leben gibt.
Der Segen – er geht hin und her. Eine Verbindung, die mich trägt.
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Orte, an die man sich manchmal hinwünscht, heißen „Sehnsuchtsorte“. Das kann ein Sandstrand am Meer, eine Berghütte oder die gemütliche Bar in der Nachbarschaft sein. Zu einem Sehnsuchtsort gehört für mich, dass ich dort dem entfliehen kann, was mich belastet. Dort fühle ich mich aufgehoben und leicht.
In biblischen Texten ist die Stadt Jerusalem so ein Ort. Heute ist davon in katholischen Gottesdiensten zu hören. Der Abschnitt aus dem Buch des Propheten Baruch beschreibt Jerusalem als eine Frau, die ihre alten Kleider ablegen und neue anlegen soll. Ganz poetisch heißt es: „Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends, und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! Leg den Mantel der göttlichen Gerechtigkeit an; setz dir die Krone der Herrlichkeit des Ewigen aufs Haupt! Denn Gott will deinen Glanz dem ganzen Erdkreis unter dem Himmel zeigen.“ (Bar 5,1-3)
Jerusalem als ein Sehnsuchtsort, wo einmal alles gut sein wird. Und das, obwohl die Stadt nicht nur heute, sondern auch zu biblischen Zeiten oft heftig umkämpft und sogar mehrmals zerstört wurde. Das haben auch die Menschen zur Zeit des Propheten Baruch am eigenen Leib erfahren. Und die schwere Zeit steckt ihnen noch in den Knochen. Aber – und davon spricht der Prophet Baruch – es wird anders werden. Weil Gott sie nicht vergessen hat. Er sorgt dafür, dass Jerusalem irgendwann wieder strahlen wird.
Ich glaube, wir Menschen brauchen solche Hoffnungsbilder. Nicht weil ich davon ausgehe, dass Gott alles Unglück mit einem Wisch beseitigt. Aber mir tut es gut, wenn ich von solchen Hoffnungsbildern höre – gerade jetzt im Advent. Sie erinnern mich daran, dass es unter dem, was schwer auf mir lastet, immer auch glänzt. Ein Glanz, den Gott in jeden Menschen gelegt hat. Und diesen gilt es zu suchen und freizulegen. Dann wird das Leben nicht nur an irgendeinem Sehnsuchtsort heller und schöner, sondern auch da, wo ich gerade bin.
Äußerlichkeiten, wie ein schickes Oberteil oder glänzender Schmuck, können dabei helfen. Doch noch besser gelingt das, wenn mich jemand ermutigt, mich nicht unterkriegen zu lassen, weil wir das gemeinsam schon hinbekommen. Oder wenn jemand wirklich versucht zu verstehen, wie es mir geht und mir dadurch zeigt, dass ich ihm wichtig bin. In solchen Momenten, kann ich den Glanz erahnen, mit dem Gott mich und die Menschen um mich herum ausgestattet hat.
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Seit gut vier Jahren gibt es auf Instagram das Projekt „eswarnichtimmereinfach“. Dort werden Geschichten von Heiligen erzählt. Aber nicht über sie, sondern aus der Perspektive der Heiligen selbst. Bekanntere Heilige, wie Nikolaus und Martin, aber auch Unbekanntere mit teilweise schrägen Lebensläufen werden so zugänglich und nahbar. Wenn ich in den Lebensgeschichten lese, gibt es meistens irgendetwas, was ich für mich herausziehen kann. Wie z.B. bei Alfred Delp, der davon überzeugt war, dass ein Mensch so viel Mensch ist, wie er liebt. Oder Hildegard von Bingen, die über sich sagt: „Ich habe gezeigt, dass es wichtiger ist, dem Herz zu folgen, als Gehorsam zu leisten.“
Bei allen Lebensgeschichten zeigt sich aber auch, warum die Macher für ihr Projekt die Überschrift „es war nicht immer einfach“ ausgesucht haben. Denn im Leben der Heiligen gibt es auch viel Schweres. Sie ringen mit sich, der Welt und Gott und sind dabei lange nicht perfekt. Oft brauchen sie eine riesige Portion Mut, um sich gegen ihr Umfeld zu stellen. Sie müssen manches aus- und durchhalten – oft richtig lang. Wie Alfred Delp, der von den Nazis inhaftiert, gefoltert und zuletzt sogar erhängt wurde. Oder eben auch Hildegard von Bingen, die von sich schreibt: „In mir sah man allzu oft nur eine kränkliche Frau.“
Doch so unterschiedlich die Lebensgeschichten der Heiligen sind: immer hat sich Gott in ihrem Leben bemerkbar gemacht. Und zwar so, dass sie verstanden haben, dass Gott da ist. Und dass sie von Gott geliebt sind, dass Sie „Geliebte Gottes“ sind.
Geliebte, genauso werden heute auch alle angesprochen, die in katholischen Gottesdiensten sind. Denn es wird ein Abschnitt aus der Bibel gelesen, in dem es heißt: „Geliebte, wir sind Kinder Gottes.“ Und: „Seht, welche Liebe uns der Vater geschenkt hat.“ (1 Joh 3, 1f.) Was für eine Zusage. Und: gar nicht so leicht zu begreifen. Eigentlich eine Nummer zu groß für mich. Doch mit der Liebe ist es vermutlich immer so. Ich kann die Liebe nicht verstehen und bis ins Letzte erfassen. Aber ich kann mich von ihr tragen lassen. Kann üben, dass ich dem, der mich liebt, vertraue.
Die Lebensgeschichten der Heiligen zeigen, was dann möglich ist. Sie hatten so ein tiefes Vertrauen in Gottes Liebe, dass es nicht nur in ihrem Leben, sondern auch für andere heller und leichter wurde. Für mich sind Heilige deshalb Menschen, durch die Gottes Liebe einen Weg in die Welt findet. Menschen, durch die diese Liebe nicht abstrakt bleibt, sondern wirklich sichtbar wird.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40931SWR Kultur Lied zum Sonntag
Mein erstes Konzert, bei dem ich im Chor mitgesungen habe, war das Requiem von John Rutter. 14 Jahre war ich damals, und ein Requiem nicht unbedingt das, was andere in meinem Alter hoch und runter gehört haben. Doch die Musik hatte mich gepackt. Ich weiß noch gut, wie ich in die Klänge abgetaucht bin. Wie tröstlich ich die Musik fand und wie kraftvoll.
John Rutters Musik hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Weihnachten ist für mich ohne seine Weihnachtslieder fast nicht vorstellbar. Und ich kann kaum mehr zählen, wie oft ich im Chor das Segenslied „The Lord bless you and keep you“ gesungen habe.
Auch unser Lied zum Sonntag ist von John Rutter. Es heißt „For the beauty of the earth“ also „Für die Schönheit dieser Welt“ und passt ganz wunderbar zum heutigen Erntedankfest:
Musik 1
„Unser Herr, zu dir erheben wir unsern frohen Dank im Lied.“
Mit dieser Zeile endet jede Strophe dieses großen Lobgesangs. Den Text hat vor 160 Jahren Folliot Pierpoint geschrieben, und John Rutter hat ihn 1980 vertont. Strophe für Strophe besingen die Sängerinnen und Sänger Berg und Tal, Baum und Blumen, Sonne, Mond und Sternenlicht. Dann stehen wir Menschen im Fokus des Dankes und die Liebe, die uns untereinander verbindet. Der Liedtext zählt Brüder, Schwestern, Eltern und Kinder auf. Und er dankt für die Freunde. Für die, die hier auf der Erde sind und, so heißt es im Text, für die Freunde dort. Also für die, die bereits gestorben sind. Bei John Rutter klingt das so:
Musik 2
John Rutter hat einmal gesagt: „Als ich mit dem Komponieren begann, sagte ich mir, dass es sehr wichtig ist, den Text, den man vertonen will, nicht nur im Kopf zu verstehen, sondern ihn ins Herz zu nehmen.“ Ich finde, das hört man seiner Musik an. Sie ist ein Glaubenszeugnis. Sie kommt von Herzen und sie geht zu Herzen. Für manche mag sie dadurch ein wenig kitschig sein, doch mich trägt und umhüllt seine Musik. Gerade, wenn Schweres mein Leben zudeckt.
Und heute ermutigt sie mich, bewusst nach dem Ausschau zu halten, wofür ich dankbar bin. Und wie das Lied fange ich mit dem an, was mich umgibt: die Weite des Himmels, der herrliche Duft von Herbst, von Trauben und Laub, und die Musik aus dem Radio. Und ich bin ganz fasziniert: einmal mit dem Danken angefangen, entdecke ich viel leichter immer Neues, wofür ich danken kann.
Aufnahme
Titel: For the beauty of the earth.
Hymnus für vierstimmigen gemischten Chor und Klavier oder Orgel, Fassung für Chor, Flöte, Oboe und Harfe
Komponist: John Rutter
Interpret: Chamber Choir of Europe, Leitung: John Rutter
Festkonzert anlässlich der Verleihung des Preises der Europäischen Kirchenmusik 2019 an John Rutter
Übersetzung (deutsch): Karl Rathgeber
SWR Archiv-Nummer: M0572283
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