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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15DEZ2023
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Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: Löwe und Lamm. Der Löwe stark und imposant. Das Lamm sanft und verletzlich. In der freien Wildbahn sind die beiden Feinde.

Umso absurder ist das, was der niederländische Priester Henri Nouwen rät, der unser Innerstes mit einem Löwen und einem Lamm vergleicht. Er sagt: „Lass deinen Löwen bei deinem Lamm liegen.“

Der Löwe steht bei Nouwen für das Eigenständige in uns. Mein Löwe meldet sich, wenn ich merke: hier möchte ich Position beziehen. Möchte ich mich selbstbewusst einbringen, Dinge entscheiden und vorangehen. Als Lamm dagegen bezeichnet Nouwen den Teil in uns Menschen, der Beistand und Zuneigung braucht. Ich kann etwas von dem Lamm in mir spüren, wenn ich mir wünsche, dass jemand für mich da ist, der für mich sorgt. Mir den Rücken stärkt, wenn meine Kraft nicht reicht.

Ich kenne beide Seiten in mir. Meine Löwen- und meine Lamm-Seiten. Nicht immer liegen die beiden friedlich nebeneinander. Es kommt schon vor, dass einer den anderen ordentlich zur Seite schiebt, fast verdrängt. Ich möchte zum Beispiel in einem Streit unbedingt meine Position behaupten – mein Löwe brüllt. Aber gleichzeitig gibt es eine Seite in mir, die will von Streit gar nichts wissen. Und dann ringen die beiden in mir.

Nouwen sagt dazu: „Gibst du nur auf deinen Löwen Acht, wirst du dich überfordern und bald erschöpft sein. Und siehst du nur auf dein Lamm, wirst du bald deinem Bedürfnis, anderen zu gefallen und zu imponieren, zum Opfer fallen. Die Kunst (…) besteht darin, beiden uneingeschränkt Rechnung zu tragen: deinem Löwen und deinem Lamm.“

Mir hat das Bild vom Löwen und dem Lamm geholfen. Es macht mir klar, dass es beides braucht und nicht das eine besser als das andere ist. Beides braucht Platz und will geübt werden: in einer Freundschaft genauso, wie im Beruf. Wenn ich meine Meinung und meine Bedürfnisse immer nur zurückhalte, um mich im Kollegenkreis zu integrieren und bloß nicht negativ aufzufallen, dann wird mich das innerlich genauso unruhig und unzufrieden machen, wie wenn ich meine, dass ich immer zielstrebig voranpreschen muss und es ohne mich nicht geht.

Für Nouwen liegt der Schlüssel darin, Löwe oder Lamm nicht kleinzuhalten, sondern für beide zu sorgen. Und dann – davon ist Nouwen überzeugt – beginnt der Frieden sich auszubreiten. Erst in mir und dann auch um mich herum.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14DEZ2023
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Passende Geschenke zu finden, ist gar nicht so einfach.

Was mir dieses Jahr geholfen hat, war ein Blick ins Herkunftswörterbuch. Dort steht, dass das Wort schenken früher bedeutet hat, „jemandem etwas zu trinken geben“. In Formulierungen wie „jemandem etwas einschenken“ steckt das heute noch drin. Und wenn damals jemand einem Gast einen Willkommenstrunk angeboten hat, war der natürlich gratis. Ein Geschenk sozusagen.

Wenn schenken also heißt, jemandem den Durst zu stillen, dann geht es um mehr, als um ein weiteres Paar Socken oder eine Schachtel Pralinen, die ich kaufe, um an Heiligabend nicht mit leeren Händen dazustehen. Geschenke sollen so etwas wie Durstlöscher sein. Vielleicht auch Durstlöscher für die Seele.

Im ersten Moment hat mir das die ganze Geschenke-finden-Sache nicht leichter gemacht – eher noch den Druck erhöht. Doch dann wurde mir klar: Geschenke stillen meinen Durst oder stärken mich, wenn ich merke, dass jemand sich wirklich was für mich überlegt hat. Dass mir jemand mit dem Geschenk zeigen möchte: schön, dass es Dich gibt. Danke, dass du in meinem Leben bist. Und dann ist weniger das Geschenk selbst wichtig, als vielmehr die Botschaft, die das Geschenk transportiert.

Das macht die Geschenkesuche für mich etwas entspannter. Denn wenn ich vor allem Botschaften verschenken möchte, dann kommt es weniger drauf an, ob das Geschenk groß oder klein, wertvoll oder originell ist. Dann kann ich einem Freund auch ein paar Pralinen verpacken oder meiner Kollegin ein feines Gewürz. Und damit alle auch wirklich verstehen, was ich ihnen damit sagen möchte, binde ich in diesem Jahr an die Geschenke kleine Zettel dran. Oder schreibe eine Botschaft mit Silberstift auf das Packpapier. An dem Gewürz für meine Kollegin hängt dann ein Zettel, auf dem steht: „Du bringst Pepp und Würze in mein Leben, weil Du mich mit deinen Ideen und Gedanken inspirierst.“ Und die Botschaft auf der Pralinenpackung lautet: „Du versüßt mein Leben. Ich genieße jeden Moment mit dir.“

Hinter all diesen Botschaften steckt für mich das, was Weihnachten ausmacht. Denn Gott sendet uns mit der Geburt von Jesus auch eine Botschaft. Eine, die die Kraft hat, den inneren Durst für immer zu stillen. Nämlich: Fürchtet euch nicht. Ich bin bei euch.

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SWR1 3vor8

05NOV2023
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Kann man beten lernen?

Ich denke schon. Meine Eltern haben mir und meinen jüngeren Geschwistern gezeigt, wie das auch mitten im Alltag gehen kann. Abends vor dem Schlafengehen zum Beispiel. Da durfte das kleine Kreuzzeichen auf die Stirn nicht fehlen. Oder mittags vor dem Essen, wenn wir uns alle an den Händen gehalten und miteinander gebetet haben. Das waren kurze Momente – keine großen, spektakulären Dinge. Es hat ganz selbstverständlich dazugehört. Und Worte waren dabei gar nicht so wichtig. Sondern vor allem das Gefühl, geborgen und aufgehoben zu sein. Aufgehoben bei meinen Eltern und auch bei Gott.                                     

Wenn ich den biblischen Text höre, der heute in katholischen Gottesdiensten gelesen wird, dann vermute ich, dass es den Menschen in Thessaloniki ähnlich gegangen ist. Paulus und seine Freunde waren dort einige Zeit zu Besuch und haben sich als Gäste aber nicht nur verwöhnen lassen und den Menschen von Jesus erzählt, sondern sie waren mitten im Leben dabei. Haben angepackt und mitgearbeitet. In einem Brief schreiben sie später: „Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt, so waren wir euch zugetan und wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem Leben.“ (1Thess2,7b f.).

Ich stelle mir vor, dass die Menschen in Thessaloniki sich dabei von Paulus und seinem Team auch abgeschaut haben, wie es ganz praktisch geht, als Christ zu leben. Wie man mitten im Alltag zusammenarbeiten, miteinander umgehen und beten kann.

Bei mir waren es meine Eltern, die mir das gezeigt haben. Mittlerweile habe ich noch andere alltägliche Situationen entdeckt, in denen ich mich mit Gott verbinde und mir bewusst mache, dass ich in einen größeren Zusammenhang eingebettet bin.
Morgens beim Blick in den Spiegel zum Beispiel. Wenn ich mir vorstelle, dass auch Gott mich jetzt anschaut und hinter dem Vordergründigen das Schöne und Liebenswerte sieht.

Oder wenn ich in den Kalender schaue, dann bete ich: Gott, meine Zeit, steht in deinen Händen. Lass mich bewusst und dankbar mit meiner Zeit umgehen.

Wenn ich ein Martinshorn höre oder ein Blaulicht sehe, dann denke ich an die Person, die jetzt wohl gerade in Not ist und schicke ein Stoßgebet in den Himmel.

Und heute Nachmittag schalte ich das Handy eine Weile in den Flugmodus und bete: Gott, nimm du alles, was unnötig ist und mich bedrängt, von mir und lass mich Ruhe finden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07OKT2023
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„Der ganze Vordere Orient ist von babylonischen Assyrern besetzt. Der ganze Vordere Orient? Nein! Ein von unbeugsamen Israeliten bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten.“[1]

Wie in Asterix und Obelix erzählt das biblische Buch Judit davon, dass von einem Dorf die Zukunft eines ganzen Volkes abhängt. Nur sind es in der Bibel nicht die Römer, die die Herrschaft übernehmen wollen, sondern die Babylonier mit ihrem brutalen Feldherren Holofernes. Schon lange belagert er das Dorf Betulia. Wenn er es schafft, es einzunehmen, dann ist der Weg in die Hauptstadt Jerusalem frei und sein König der Größte.

Eine ganze Zeit lang halten die Bewohner von Betulia der Belagerung stand, doch irgendwann verlässt sie der Mut. Einen Zaubertrank, wie in Asterix und Obelix, haben sie nicht, aber eine mutige Frau. Judit. Sie kommt ins Spiel, als den Männern nichts anderes mehr einfällt, als auf ein Wunder zu warten.

Judit ist klug und schön. Und sie betet viel. Dadurch ist sie eng mit Gott in Kontakt, und das macht sie stark. Denn der Glaube hilft ihr, auch in dieser bedrückenden Lage einen klaren Kopf zu bewahren, und er gibt ihr die Kraft, zu handeln, statt den Kopf in den Sand zu stecken. Judit brezelt sich richtig auf und wagt sich in das feindliche Lager. Sie gibt vor, Holofernes zu bewundern und flirtet mit ihm. Holofernes genießt das. In Vorfreude auf eine gemeinsame Nacht trinkt er ein Glas Wein nach dem anderen und schläft schließlich ein. Diese Gelegenheit nutzt Judit und – jetzt kommt´s ganz Dicke – Judit schlägt mit dem Schwert Holofernes den Kopf ab und verlässt das Lager. Am nächsten Morgen sehen die Assyrer den Kopf ihres Anführers an der Stadtmauer hängen. Vor lauter Angst flüchten sie. Judit hat ihr Volk gerettet.

Ich bin ziemlich froh, dass die Geschichte von Judit – wie so manche Erzählung in der Bibel – eine Lehrgeschichte ist, in der es nicht um historische Fakten geht, sondern in der deutlich werden soll, wie Gott sich auf die Seite der Schwachen stellt. Und wie wichtig es ist, auch selbst im richtigen Moment zu handeln und sich mutig und couragiert für die Schwächeren einzusetzen.

 

[1] Vgl. „Bibel heute. 159_Judit. S. 10f.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06OKT2023
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1, 2, 3, 4 – und schon geht´s los. Ich bin bei einem Trommel-Workshop und sitze mit einer Gruppe Menschen, die ich kaum kenne, in einem Kreis. Wir sind mit den unterschiedlichsten Rhythmusinstrumenten ausgestattet – von der Basstrommel bis zur Rassel. In der Mitte des Kreises steht Ricarda. Sie nimmt Blickkontakt auf, zählt beschwingt auf vier, und dann fangen alle gleichzeitig an zu trommeln. Manche ganz vorsichtig, andere wild und laut. Doch ganz schnell wird aus dem chaotischen Getrommel ein gemeinsames Musizieren. Wir finden als Gruppe einen Rhythmus, der uns verbindet, werden mal lauter, mal leiser, sogar Pausen und solistische Einlagen sind möglich. Und das alles ohne Vorkenntnisse oder langes Üben. Ich bin mega erstaunt, dass das geht, und wie viel Spaß das macht.

Ricarda erzählt: „Wir alle haben Rhythmus im Körper. Das erste Geräusch, das wir hören, ist das Herzklopfen unserer Mutter. Und schon im Bauch nehmen wir ihren Atemrhythmus wahr. Es ist also tief in uns verankert, dass wir mit anderen in so eine Art Gleichklang kommen möchten – bei allen Eigenheiten und Besonderheiten, die wir mitbringen.“

Dass das funktioniert, hat Ricarda schon oft erlebt. Seit vielen Jahren trommelt sie z.B. mit demenzerkrankten Menschen im Altenheim. Oder sie wird gebucht für Teambuilding-Maßnahmen in Firmen, für Menschen in Anzug und Kostüm. Doch egal wer da sitzt, ob jemand musikalisch ist oder nicht, das wichtigste, so sagt Ricarda, ist das Vertrauen.

Zum einen das Vertrauen in die Gruppe. Dass da Menschen sind, die etwas Wunderbares schaffen können. Menschen, die den Wunsch in sich tragen, sich mit anderen zu verbinden – auch wenn sie es vielleicht nicht bewusst wissen. Menschen, die Teil der Gruppe sein möchten. Die im Zusammenspiel mit anderen, den eigenen Rhythmus finden, und die merken: ich kann Schwung in die Gruppe bringen oder mich eine Zeitlang zurückziehen und vom Rhythmus der anderen mittragen lassen. Entscheidend ist, dass ich dabei bin.

Neben dem Vertrauen in die Gruppe braucht Ricarda aber auch Vertrauen in sich selbst. In das, was sie kann. In die Begeisterung, die sie für Musik in sich trägt und in die Fähigkeit, schöne Beats aus der Gruppe aufzuspüren und zur Geltung zu bringen.

Komplexe Rhythmen kann ich nach diesem Workshop nicht trommeln, aber ich nehme viel mehr mit: nämlich wie schön Gemeinschaft sein kann. Und was mit Vertrauen alles möglich ist.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05OKT2023
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Die Bibel wurde lange Zeit falsch übersetzt. Die Übersetzer wollten eine Stelle beschönigen, wo Gott mit einem Geier verglichen wird und haben es mit „Adler“ übersetzt. Vermutlich, weil Geier Aas fressen und deshalb kein gutes Image haben.

Das hebräische Wort „näsär“ wurde also mit Adler übersetzt, obwohl es eigentlich Geier heißt. Doch Adler sind im damaligen Palästina selten. Und eine biblische Stelle, in der der kahle Kopf des Vogels beschrieben wird, zeigt: es kann eigentlich nur ein Geier gemeint sein. Adler sind nicht kahlköpfig.

Auch für mich ist das Bild eines Geiers für Gott fremd, und doch wurden diese Tiere damals in Israel bewundert. Weil sie im Flug so wahnsinnig schnell werden können. Weil sie eine riesige Flügelspannweite von fast drei Metern haben und in den Aufwinden der Wüste scheinbar mühelos und unglaublich ausdauernd kreisen können. Vor allem aber, weil sie ihre Jungen so fürsorglich aufziehen. Denn junge Geier sind Nesthocker und lernen erst mit etwa fünf Monaten zu fliegen. Da ein Geierpaar aber im Jahr nur jeweils ein Junges aufzieht, können die Eltern ihm geduldig das Fliegen beibringen. Sie flattern über ihm, während es seine Flugversuche macht, und wenn es abzustürzen droht, fliegen sie darunter und lassen es auf den eigenen Flügeln landen.

Ein berührendes Bild. Und mir wird klar, warum die Menschen den Vers in der Bibel so schätzen, wo Gott sagt: Ihr habt gesehen (...), wie ich euch auf Geierflügeln getragen und zu mir gebracht habe. (Ex 19,4)

So ist Gott für die Menschen. Er fängt und trägt mich. Und das, obwohl ich es oft gar nicht merke. Besonders dann nicht, wenn ich das Gefühl habe, das meine Kraft nicht reicht oder ich fürchten muss, dass ich innerlich ohne Halt in die Tiefe stürze. In solchen Zeiten merke ich von Gottes tragenden Flügeln oft nichts. Und das kann auch lange Zeit so sein. Doch spätestens im Rückblick habe ich irgendwann dann doch immer gespürt, dass mir – wo ich eben noch ganz kraftlos war – neue Kraft zufließt. Dass es wieder aufwärts geht und ich nach und nach aus eigener Kraft weiterfliegen kann. [1]

[1]Vgl. dazu: Annette Jantzen, gotteswort_weiblich (Instagram-Post am 19. Juni 2023)

Und: Geier in der Bibel: https://www.bibelwissenschaft.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/geier

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SWR1 3vor8

01OKT2023
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In allen Lebenslagen immer genau wissen, was jetzt das Richtige ist – das wäre toll. Aber so ist es im Leben selten. Im Evangelium von heute finde ich einen Hinweis dazu.

„Ein Mann hatte zwei Söhne“ so beginnt Jesus das Gleichnis. Und so beginnt es ja oft in der Bibel. Oft geht es um Geschwisterpaare, in der der eine eher der Gute, der andere der Böse ist. Kain und Abel zum Beispiel.

 

So eindeutig kann man das in dem Gleichnis von heute nicht sagen – der eine gut, der andere schlecht. Da werden die beiden Söhne vom Vater gebeten in den Weinberg zu gehen, um bei der Arbeit zu helfen. Der eine sagt zuerst nein, macht es dann aber doch. Der andere sagt ja, tut aber letztlich nichts. Wenn Jesus die Zuhörenden fragt „Wer von beiden hat den Willen seines Vaters erfüllt?“ (Mt 21,31) ist allen klar: natürlich der erste. Am Ende zählt das Ergebnis. Taten statt Worte.

Ich denke, das ist richtig. Aber je länger ich mir das Gleichnis anschaue, desto mehr ahne ich, dass es nicht so einfach ist wie es im ersten Moment aussieht. Dass das Leben oft komplexer und nicht so klar ist. Natürlich wäre es super, wenn ich in allen Lebenslagen wüsste: das ist das Richtige – das sage ich und das tue ich. Aber so ist es ja selten. Wie oft weiß ich eigentlich, was gut wäre, aber kann es dann doch nicht einhalten. Weil die Zeit fehlt. Weil mir anderes wichtiger ist. Oder ich sage lieber erst einmal nein, hab nachher aber ein schlechtes Gewissen und ringe mich dazu durch, es doch zu tun. Beide Situationen kenne ich. Beides Mal schwanke ich – suche ich die richtige Entscheidung, die ich auch durchhalten kann.

Jesus richtet sich mit dem Gleichnis an die Pharisäer. Eine religiöse Gruppe, die sich mehr um die fromme Fassade sorgt, als um einen Glauben, der auch in Taten sichtbar wird. Und auch wenn Jesus mit den beiden Söhnen die Kategorien richtig und falsch aufmacht und die Pharisäer damit provoziert, so vermute ich, dass er mir auch zeigen möchte: ich bin nicht auf meine erste Reaktion festgelegt. Ich habe die Chance, mich zu korrigieren. Nötig ist dazu, dass ich mir klar mache, was ich will, aber auch nach dem frage, was für andere gut ist, oder was Gott von mir verlangt. Im Leben wie im Glauben kann ich mich nicht bequem einrichten, sondern bin aufgefordert, mich zu positionieren und vielleicht auch zu korrigieren.

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SWR2 Lied zum Sonntag

10SEP2023
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Die französische Philosophin Simone Weil hat einmal gesagt: „Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten.“[1]

Nicht suchen, sondern erwarten – für mich ist das wie eine Überschrift über unser heutiges Lied zum Sonntag. Es heißt „Und ein neuer Morgen“, und Gregor Linßen hat es 1989 geschrieben. Darin geht es auch um kostbare Dinge: um Hoffnung, um Güte und um Freude. Kostbare Güter, die ich weder von jetzt auf gleich herstellen noch erzwingen oder verdienen kann. Hoffnung, Güte und Freude kann ich nur ersehnen und erwarten. Und dann mich daran erfreuen, wenn sie wie ein keimender Same wachsen, Knospen treiben und aufblühen:

 

Herr, du bist die Hoffnung, wo Leben verdorrt,
auf steinigem Grund wachse in mir,
sei keimender Same, sei sicherer Ort,
treib Knospen und blühe in mir.

Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an
in einem neuen Tag, blühe in mir.
Halte mich geborgen fest in deiner starken Hand und segne mich,
segne mich und deine Erde.“

Musik 1

„Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten.“, hat Simone Weil gesagt. Und das „erwarten“ nennt sie im franz. Original „attention“, also aufmerksam und achtsam werden für das, was ist. Nicht alles mit eigenen Plänen oder Vorstellungen zuschütten, sondern bereit sein, sich beschenken zu lassen.

Mir fällt das nicht immer leicht – schon gar nicht am Morgen. Manchmal hält mich das nächtliche Gedankenkarussell noch eine ganze Weile gefangen. Oder ich bin direkt nach dem Aufwachen bei dem, was heute alles erledigt werden muss. Mache mir Sorgen, wie ich das schaffen soll. Das kann ganz schön erdrückend sein.

In solchen Momenten hilft es mir, mich in die Zuversicht anderer einzuklinken. Zum Beispiel in die von Gregor Linßen, der zu seinen Liedern selbst einmal geschrieben hat: „Ich möchte mit ihnen (urspr.: „diesen Liedern“) die Freude, die ich an Gott habe und das Vertrauen, das ich in ihn setze, freilassen.“[2]

In der zweiten Strophe heißt es:

 

Herr, du bist die Güte, wo Liebe zerbricht,
in kalter Zeit, atme in mir,
sei zündender Funke, sei wärmendes Licht,
sei Flamme und brenne in mir.

Musik 2 (unterlegt)

Der Komponist und Textdichter Gregor Linßen traut Gott zu, dass er da ist, wenn Liebe zerbrochen ist. Dass Gott das Innerste erwärmen kann, wenn Kälte oder Einsamkeit sich breit gemacht haben.

Und inspiriert von Gregor Linßen bete ich heute Morgen weiter:
„Gott, du bist die Güte gegen die Härte dieser Zeit, gegen alle Herzlosigkeit und Gleichgültigkeit. Sei in Dunkelheit und Kälte in mir und lass Dein Licht in mir nicht ausgehen. Halte mich in deiner starken Hand geborgen. Segne mich und deine Erde.“

Ich merke: Während ich bete, wächst langsam in mir die Zuversicht. Heute Morgen die Zuversicht, dass Gott auch an diesem Tag da sein könnte. Und dass ich seine Nähe – wie den neuen Morgen – zwar nicht erzwingen, aber ersehnen und erwarten kann.

 

Herr, du bist die Freude, wo Lachen erstickt,
in dunkler Welt, lebe in mir,
sei froher Gedanke, sei tröstender Blick,
sei Stimme und singe in mir.

Und ein neuer Morgen bricht auf dieser Erde an
in einem neuen Tag, singe in mir.
Halte mich geborgen fest in deiner starken Hand und segne mich,
segne mich und deine Erde.“

 

Musik 3

 

[1] Vgl. dazu: https://www.feinschwarz.net/simone_weil_warten/

[2] Aus dem Vorwort zur Partitur der Messe „Lied vom Licht“ (Gregor Linßen)

 

Komponistin

T + M: Gregor Linßen

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SWR1 3vor8

20AUG2023
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Wie soll es weitergehen? Wie schaffen wir ein „Miteinander“, statt immer weiter auseinander zu driften?

Eine einfache Antwort wird sich darauf nicht finden lassen, aber die Frage beschäftigt mich. Nicht nur, wenn ich auf unsere Gesellschaft schaue und leider feststellen muss, dass die extremen Positionen zunehmen. Auch mit Blick auf meine Kirche frage ich mich, wie es bei aller Unterschiedlichkeit miteinander weitergehen soll.

Der biblische Text des Propheten Jesaja, der heute in katholischen Gottesdiensten zu hören ist, zeigt eine Richtung.

Jesaja spricht da zu seinem Volk, das nach langer Zeit aus der Fremde nach Jerusalem zurückgekehrt ist. Er möchte den Menschen Mut machen, dass die schweren Zeiten vorbeigehen werden. Denn Vieles ist nicht mehr so, wie es vor dem Exil war. Da wohnen mittlerweile Fremde in Jerusalem, die Gesellschaft hat sich verändert. Auch die Glaubensgemeinschaft ist eine ganz andere. Ich denke, damals haben sich die Menschen wahrscheinlich auch gefragt: Wie soll es weitergehen? Worauf kommt es jetzt an?

Jesaja gibt eine klare Antwort: „Wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit!“ (56,1) Jesaja rät also, in dieser Situation auf jeden Fall gerecht zu bleiben. Doch ich frage mich: was ist gerecht? Oder vielmehr: Wann werde ich anderen gerecht? Sicherlich nicht, wenn ich alle gleichbehandle. Was für den einen gut ist, ist für jemand anderen genau das Falsche. Ich glaube, wir werden einander gerecht, wenn wir füreinander da sind. Wenn ich nicht nur nach mir schaue, sondern wenn ich immer wieder mein Herz öffne, um mich in andere einzufühlen. Und wenn ich dabei auch die beachte, deren Leben sich an den Rändern abspielt oder deren Lebensentwurf mir fremd ist.

Und noch etwas ist Jesaja wichtig, deshalb fährt er fort: „Glücklich ist der Mensch, der so handelt und daran festhält! Er hält den Sabbat ein und (…) hütet sich, irgendein Unrecht zu tun.“ (Jes 56,2).

Hier kommt der Sabbat neu ins Spiel – der Ruhetag der Juden. Vielleicht pocht Jesaja deshalb so darauf ihn einzuhalten, weil er für die Menschen eine wichtige Funktion hat. Am Ruhetag habe ich Zeit über das Leben und über das Zusammenleben nachzudenken. Ich kann meine Freundschaften pflegen, ich kann mich um andere und um mich selbst kümmern. Und ich kann mir bewusstwerden, dass es etwas gibt, das größer ist als ich.

Für das Zusammenleben rät Jesaja also: Sich um Gerechtigkeit bemühen, nichts Böses tun und sich einen Tag in der Woche eine Auszeit nehmen. Vermutlich braucht es für ein gelingendes Miteinander noch etwas mehr, doch ich finde, das ist eine sehr gute Basis.

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SWR1 3vor8

09JUL2023
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Ich mag Worte, die etwas aus der Mode gekommen sind. Worte wie famos und fürwahr oder Schabernack und Augenweide. Im biblischen Text, der heute in kath. Gottesdiensten zu hören ist, gibt es auch so ein Wort. Da sagt Jesus: „Ich will euch erquicken.“ (Mt 11,28)

Erquicken. Das Wort klingt für mich frisch und belebend. Wie eine Dusche an einem Sommertag, wenn vor lauter Schweiß alles klebt. Da kann ich richtig spüren, wie mit dem Wasser meine Lebenskraft zurückkommt. Doch ich frage mich: wie will Jesus das machen? Wie will er mich erquicken, wenn ich überlastet bin und nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht? Wenn die Sorgen und schweren Gedanken riesig geworden sind und mich runterziehen?

Im biblischen Text gibt Jesus den Menschen den Tipp: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig.“ (Mt 11,29)

Toller Tipp, habe ich lange gedacht. Jesus packt auf die Päckchen, die ich mit mir rumschleppe, noch was obendrauf. Aber dann habe ich mir so ein Joch von damals mal genauer angeschaut und kapiert: wenn früher in der Landwirtschaft einem Ochsen ein Joch aufgelegt wurde, dann hat das Joch verhindert, dass die Riemen des Pfluges dem Ochsen in die Haut schneiden. Die Last war dann zwar immer noch schwer, aber sie hat sich besser verteilt. Wenn Jesus den Menschen also rät, dass sie zwischen sich und ihre Last ein Joch legen sollen, dann soll das helfen, das Schwere besser zu ertragen. Dann drückt sich das, was mich belastet, nicht ganz so tief in meine Seele.

Seinem Joch gibt Jesus zwei Namen: Güte und Demut.
Die Güte hilft dabei, nicht zu verbittern. Bei allem, was schwierig ist in meinem Leben, soll ich versuchen, gut und liebevoll zu sein. Zu mir selbst und zu anderen. Also nicht den ganzen Berg von Sorgen vor mir auftürmen, sondern Schritt für Schritt ein Problem nach dem anderen angehen. So, wie es eben gerade geht – ohne mich zu überfordern. Und auch gut und liebevoll gegenüber anderen bleiben. Auch sie tragen ihre Last mit sich rum.

Zur Güte kommt die Demut. Sie erinnert mich daran, dass ich mich nicht überschätze. Ich bin ein Teil von etwas viel Größerem. Es hängt nicht alles von mir ab, ich allein kann und muss die Welt nicht retten. Das nimmt Druck raus.

Güte und Demut bilden also ein Joch, das beim Tragen hilft – so möchte Jesus mich erquicken. Ein guter Tipp – nicht nur an heißen Sommertagen.

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