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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

17DEZ2024
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Kurz vor Weihnachten heben die beiden Brüder einfach ab. Es ist der 17. Dezember, lange haben sie an Lösungen getüftelt. Jetzt dürfen die beiden nacheinander ran. Zuerst Orville: 37 Meter in zwölf Sekunden, dann Wilbur: 260 Meter in 59 Sekunden. Die Rede ist von den Brüdern Wright und dem, was ihnen vor 121 Jahren gelang. In ihren eigenen Worten: Zum ersten Mal hatte sich eine Maschine mit einem Menschen durch ihre eigene Kraft in freiem Flug in die Luft erhoben, war in waagerechter Bahn vorwärts geflogen und schließlich gelandet, ohne zum Wrack zu werden. Ihre Maschine nennen die Brüder Wright einfach Flyer, also Flieger.

Besonders faszinierend finde ich ihre Ausdauer und ihre Neugier, bis es soweit war. Sie sind Söhne eines Bischofs, kein besonders technischer Beruf, und verlassen die Highschool ohne Abschluss. Zunächst gründen sie eine Druckerei, dann reparieren und schließlich bauen sie Fahrräder. Aus Begeisterung für die Idee des Fliegens beginnen sie ihre Experimente. Vier Jahre lang forschen sie und probieren aus, wie das gehen könnte mit dem Fliegen; sogar einen Windkanal lassen sie bauen. Ihre Flugbegeisterung ist im Grunde nichts anderes als eine Freizeitbeschäftigung, die sie aus eigener Tasche bezahlen müssen.

Nach vier Jahren kommt dann die Bestätigung: Es geht. Es funktioniert. Der Traum vom Fliegen lässt sich umsetzen. Die Hartnäckigkeit trotz aller Rückschläge hat sich bezahlt gemacht. Menschen können Maschinen bauen, in denen sie fliegen können – und sicher wieder landen. Solche Menschen wie Orville und Wilbur Wright brauchen wir heute mehr denn je. Denn gut für die Umwelt ist der gewaltige Luftverkehr definitiv nicht. Es braucht Menschen, die ihre Beharrlichkeit und Begeisterung für neue Ideen nutzen. Menschen, die den Traum vom Fliegen und den Schutz der Erde durch Erfindungen verbinden. Das wär ja – wie Advent und Weihnachten an einem Tag.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

16DEZ2024
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Der Kanadier David Taylor hat vor einigen Jahren eine interessante Liste zusammengestellt. Er hat mithilfe eines Computerprogramms die fünf häufigsten Wörter aus allen englischsprachigen Liedern der letzten Jahre herausgefiltert.

Wie könnte es anders sein: Auf der Fünferliste stehen auch zwei Fluchwörter. Dafür geht immer wieder einfach zu viel schief im Leben: Fuck und hell, zurückhaltend übersetzt: „Verdammt“ oder „Mist“.

Und auch das englische Wort für „sterben“ hat einen Platz auf der Miniliste. Das hören wir zwar nicht besonders gern, aber auch das ist nun einmal Teil des Lebens.

Doch damit genug von der negativen Seite. Genug von dem, was runterzieht. Zwei Plätze sind ja noch zu vergeben. Und die gefallen mir nun ausgesprochen gut:

Denn zu den allerhäufigsten Wörtern gehört auch „we“, also „wir“. Das hätte ich jetzt nicht gedacht, ich hätte eher ein „ich“ oder „du“ vermutet. Stattdessen machen die Liedtexte Mut, „wir“ zu sagen und zu singen, denn gemeinsam kriegen wir es einfach besser hin.

Mein absolutes Lieblingswort unter den Top-Five ist allerdings ein schlichtes „Yeah“. Einfach „ja“ sagen zu können, ist etwas Großartiges. Es braucht keine besondere Leistung, es braucht nur ein Einschwingen auf etwas Schönes oder Wundervolles oder Überraschendes. Also etwas, das ganz viel positive Energie freisetzt.

Von so einem schlichten „Yeah“ lebt die christliche Botschaft. Der Apostel Paulus würde da sofort und ohne Zögern einstimmen. Denn der Glaube ist im innersten Kern kein Mix aus Ja und Nein, sodass am Ende dann ein „Vielleicht“ herauskommt. Sondern da ist nur ein Ja. In Paulus‘ Worten: „Jesus ist das „Ja“ in Person.“ (2. Korinther 1,19) Weil er Ja zu uns allen sagt – da kommt übrigens noch einmal das „Wir“ ins Spiel. Weil er Ja zum Leben sagt, so schwierig, verdammt noch mal, das auch sein mag. Er sagt Ja, auch wenn es am Ende ans Sterben geht. Gott sagt Ja zu uns, darum können wir es untereinander auch. Yeah!

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

15DEZ2024
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Wenn ich nachher in die Kirche gehe, dann freue ich mich an der wachsenden Krippe, die da aufgestellt ist. Dass die Krippe wächst, das meint nicht, dass alle Figuren auf geheimnisvolle Weise größer werden, sondern dass die verschiedenen Figuren erst nach und nach an der Krippe ankommen. An Weihnachten ist sie dann komplett. Deshalb ist jetzt, anderthalb Wochen vor Weihnachten, immer noch viel Platz in der Krippe. Und nicht nur in der eigentlichen Krippe selbst, sondern auch drumherum: Keine Engel, keine Maria, kein Josef, kein Jesus. Nur Ochs und Esel sind schon im Stall; die beiden wohnen da ja schließlich. Und draußen, auf dem Feld, da sind die Hirten bei ihren Schafen. Auch das versteht sich fast von selbst, schließlich müssen sie ja arbeiten und tagaus, tagein ihre Herden bewachen.

Für mich ist diese noch unvollständige Krippe, diese Szene noch vor und ohne Weihnachten, besonders anrührend. Denn so ist es allzu oft: Da sind nur Hirten, sonst niemand. Diese einfachen Männer, an das Leben draußen gewohnt, die an Heiligabend nach dem Jesuskind suchen werden. – So wie sie jetzt schon nach verloren gegangenen Schafen suchen. Das ist ihr Job. Wie gut, wenn Menschen nach denen schauen, die verloren gegangen sind! Und gerade diese Männer in prekären Beschäftigungsverhältnissen, tageweise bezahlt, immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, bloß nicht krank werden, dann gibt es kein Geld. Gerade die gehen auf die Suche. Gut, dass diese verantwortungsvollen Habenichtse in der Geschichte vorkommen.

Mir kommt ein kühner Gedanke: Vielleicht wird die ganze Weihnachtsgeschichte ja nur erzählt, vielleicht wird die Krippe mit weiteren Figuren nur deshalb aufgefüllt, um den Hirten zu zeigen: Ihr seid wichtig. Ihr zählt. Auf euch kommt es an. Für euch singen die Engel. Für euch soll Frieden werden.

Wenn die Krippe dann wächst, also wenn Maria und Josef und das Kind und die Engel an ihren Plätzen sind – dann wächst auch die Achtung und die Liebe für die Hirten. Die sind und bleiben nämlich die ganze Zeit vor Ort.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

31AUG2024
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Oberhalb von Bacharach stehen die Reste der Wernerkapelle. Romantischer geht es in Rheinland-Pfalz am Mittelrhein kaum: Der große Fluss, die alte Stadt, die steilen Weinberge und dazu die Wernerkapelle. Die ist eine Ruine ohne Dach, Fenster und Türen und Teil des Weltkulturerbes.

Leider ist die Geschichte hinter der Kapelle alles andere als romantisch. Als vor über siebenhundert Jahren ein halbwüchsiger Junge namens Werner tot aufgefunden wurde, gab man „den Juden“ die Schuld. Schon zuvor hatte man immer wieder Lügengeschichten konstruiert und behauptet, dass sie in ihren Gottesdiensten Menschen opfern. Nach dem Tod des Jungen kam es zu Gewalt gegen die jüdische Gemeinde. Und bald errichtete man ihm zu Ehren die Wernerkapelle. Man erklärte ihn einfach zum christlichen Märtyrer, von Juden ermordet. Es hat viele Jahrhunderte gedauert, bis die Christenheit erkannt hat, was für Verbrechen sie in ihrem Judenhass begangen hat. Vor der Wernerkapelle ist deshalb ein Zitat von Papst Johannes XXIII. angebracht. Er betete:

„Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen der Juden hefteten… Denn wir wussten nicht, was wir taten.“

Ja, die Christen haben statt Segen immer wieder Fluch auf ihre jüdischen Mitmenschen gelegt. Aber Gott sei’s geklagt, ich fürchte, mit seiner letzten Bemerkung hatte Johannes XXIII. nicht recht: Leider weiß, wer andere verfolgt, meistens sehr genau, was er tut.  Denn man will sich überlegen fühlen, indem man andere ausgrenzt. Man will sich ungestraft fremdes Eigentum aneignen. Es ist noch gar nicht lange her, gerade ein paar Wochen, da gab es wieder einmal solche Unruhen in England.

Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat die Ruine der Wernerkapelle einst ein romantisches „Gerippe“ genannt. Ach, ich wünschte, Ausgrenzung und Verfolgung und Hass und Neid wären auch nur noch Vergangenheit und ein Gerippe!

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

30AUG2024
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Einmal im Jahr geht es bei uns in der Kirche drunter und drüber. Na ja, wenigstens so ein bisschen. Denn dann feiern wir ein internationales Kirchenfest. Die verschiedenen Kirchengemeinden und ihre Gäste aus aller Herren Länder feiern miteinander.  Und wann immer im Gottesdienst etwas in einer fremden Sprache gesagt wird, gibt es jemanden, der es ins Deutsche übersetzt. Damit alle alles verstehen. So hat sich das schon der Apostel Paulus vor 2.000 Jahren gewünscht. Schließlich sind christliche Gemeinden ziemlich ordentlich. Aber an einer Stelle des Gottesdienstes leisten wir es uns, dass alle in ihren Sprachen gleichzeitig reden. Das geschieht beim Vater unser. Die einen auf Ungarisch, die anderen auf Filipino, aber auch Armenisch oder Französisch. Und Farsi und natürlich auch deutsch. Wenn dann noch einzelne aus Skandinavien dabei sind oder aus Italien oder, oder, oder… Herrlich, dieser Mix!

Das Vaterunser zeigt, wie prima verschiedene Sprachen miteinander harmonieren können. Obwohl sie sich so sehr unterscheiden, kommen alle fast gleichzeitig mit dem Beten ans Ende. Denn auf diese Weise übt man, aufeinander zu hören. Man spürt: Einerseits sprechen wir nicht die gleiche Sprache. Andererseits verstehen wir uns doch. Die Botschaft des Vaterunsers verbindet. In kurzen, prägnanten Sätzen werden drei wichtige Dinge geklärt, sozusagen das Allerallerwichtigste:

Dass wir zu Gottes Familie gehören. Dass Gott für uns sorgt. Dass wir barmherzig mit Fehlern umgehen sollen.

Ganz am Schluss sagen dann alle wieder ein und dasselbe Wort: Amen. Auf deutsch: So soll es sein. Das ist ein wahres Wort zum Schluss des Gebets. Denn so richtig kriegen das die Christinnen und Christen auf der Welt noch nicht hin: Dass sie alle zusammengehören. Dass sie auf Gottes Fürsorge vertrauen. Dass es nur mit Barmherzigkeit geht. Aber sie sollen es üben. Immer wieder und wieder. Und je internationaler sie es üben, desto besser.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

29AUG2024
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Noch immer wird in der Kirche heftig über die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in Paris diskutiert. Denn es gab da eine Szene, da saßen ganz unterschiedliche Menschen, alle bunt und schrill in Szene gesetzt, hinter einem langen Tisch. So hatte der Künstler Leonardo da Vinci einmal das Abendmahl gemalt. Hat man sich also in Paris über das Christentum lustig gemacht? War das vielleicht eine bewusste Verspottung des Abendmahls, des letzten Abendessens Jesu mit seinen Freunden vor seiner Verhaftung und Hinrichtung?

Ich habe mir die Szene daraufhin ein paar Mal angesehen und bin mir nicht sicher.  Ja, man kann schon auf den Gedanken kommen und kann sich an das Abendmahl, wie wir es uns vorstellen, erinnert fühlen. Aber wie müsste man sich das Abendmahl überhaupt „richtig“ vorstellen?

Jesus hat sich geradezu hemmungslos mit allen möglichen Menschen an einen Tisch gelegt. Fast kann man sagen: Je verachteter jemand war, wie Prostituierte, je anrüchiger seine Geschäfte, wie profitorientierte Steuerpächter, je religiös fanatischer, wie die Jünger, umso lieber hat Jesus mit ihnen das Essen geteilt und ihnen vom Reich Gottes erzählt. Jede und jeder war ihm beim Essen willkommen. Denn er war davon überzeugt: Im Reich Gottes, im Himmel, da kommen alle möglichen und unmöglichen Menschen zusammen. Denn alle sind eingeladen. Aus allen Himmelsrichtungen, Nord, Süd, Ost, West, kommen die schrägen Vögel, die Trostbedürftigen, die Einsamen, die Kranken, die Schuldigen, die Großen und Kleinen und Alten und Jungen zusammen, und zwar friedlich und mit dem Ziel, gut miteinander auszukommen.

Wenn man darüber nachdenkt, dann haben die olympischen Spiele, wie sie sein sollten, und das Abendmahl, wie es sein sollte, ganz viel gemeinsam. Nur bei einer Sache setzt das Abendmahl noch einen oben drauf: So was wie einen Medaillenspiegel gibt es im Himmel nicht. Denn alle liegen ohne Ansehen der Person bei Gott zu Tisch und sind seine Gäste. Gleich geliebt und gleich bewirtet.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

28AUG2024
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Sero te amavi: Spät habe ich dich geliebt. Klingt das nicht unglaublich romantisch? Sero te amavi. Dahinter steht eine ganze Lebensgeschichte. Sie beginnt in Mailand. Da lebt Augustinus, ein angesehener Professor für Redekunst.

Augustinus ist damals 31 Jahre alt. Heute ist man mit 31 noch ziemlich jung, aber damals, vor 1600 Jahren, war man da in der Blüte seiner Jahre. Und Augustinus hatte in seinem Leben auch schon ganz schön viele Stationen hinter sich. Geboren und aufgewachsen ist er im heutigen Algerien. Lange hat er nach einer geistigen Heimat gesucht. Deshalb hatte er sich einer Sekte angeschlossen. Doch dann musste er erkennen: Alles Lug und Trug. Nur Fassade, nichts dahinter. Also suchte er weiter und hat sich für Philosophie begeistert. Doch auch da ist er enttäuscht und merkt: Das sind alles großes Denkgebäude, aber es ist kein Leben drin. Augustinus bleibt unruhig und auf der Suche. Da trifft er seine große Liebe, und es ist um ihn geschehen. Es wird die Liebe seines Lebens. Sie inspiriert ihn, berauscht ihn, macht ihn glücklich. Er gibt andere Beziehungen auf und beginnt zu schreiben. Für die Liebe. Die wichtigsten Sätze sind kurz: Sero te amavi. Spät habe ich dich geliebt. Die große späte Liebe im Leben des Augustinus wird Gott.

Eine Liebe im Alter – wobei ich vermute, dass Gott das anders gesehen hat als Augustinus. Denn für Gott ist die Liebe zu seinen Menschen eine echte Sandkastenliebe. Von Anfang an kümmert sich Gott um Augustinus als sein geliebtes Kind – auch wenn die Liebe 31 Jahre lang unerwidert bleibt. Schon in der Bibel wird immer wieder betont: Gott ist unglaublich geduldig und respektiert die Wege, die ein Mensch in seinem Leben geht. Die geraden und die krummen. Bis dann endlich auch Augustinus dahinterkommt und sagt: Sero te amavi, spät habe ich dich geliebt. Kurz und knapp. Denn die wirklich wichtigen Dinge lassen sich ganz einfach und in wenigen Worten sagen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

27AUG2024
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Angeblich werden die Steckmücken im Spätsommer ja weniger. Ihre Lebenszyklen sind erschöpft, heißt es von amtlicher Seite. Das mag sein, aber: Leider wissen das die Stechmücken über meinem Bett nicht. Sie versammeln sich verlässlich Nacht für Nacht um mich und reißen mich – bssssss - aus dem Schlaf. Ich neige dann zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen und schlage um mich. Wissenschaftlich lässt sich das gut begründen: erstens will keiner gern gestochen werden, es juckt hinterher einfach zu unangenehm, und zweitens ist der Summton der Stechmücken oder Schnaken oder Bothämmel, wie wir hier am Rhein sagen, je nach Geschwindigkeit und Flugrichtung unterschiedlich. Auf solche Tonschwankungen reagieren unsere Ohren besonders sensibel und geben an das Gehirn Stechmückenalarm weiter. Dann ist mitten in der Nacht Schnakenjagd angesagt.

Eine Freundin findet mich in dieser Angelegenheit nicht nur übermüdet und reizbar, sondern auch religiös auf dem falschen Weg. Sie hat mir nahegelegt, mich etwas mehr an Albert Schweitzer zu orientieren. Von dem legendären Elsässer Tropenarzt stammt der Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Den Satz nahm Schweitzer absolut wörtlich und konnte folglich keiner Fliege und auch keiner Stechmücke etwas zuleide tun.

Ich gebe zu, im Hinblick auf Schnaken tue ich mich etwas schwer mit dem Satz. Schnaken als gute Schöpfung? Aber natürlich, Gott hat auch die Stechmücken geschaffen. Sie haben eine Aufgabe im Kreislauf der Natur und dienen Fröschen, Vögeln und Spinnen als Nahrung. Gestochen werden wir nur von den Weibchen, die nun mal unser Blut für die Produktion von Eiern brauchen. Und mir fällt wieder ein, dass es in einem Kinderlied auch von den „Mücklein“ heißt: „Gott der Herr rief sie mit Namen, dass sie all ins Leben kamen.“ Dennoch frage ich nach: Und was bedeutet das nun praktisch für meinen Nachtschlaf?

Praktisch bedeutet das: Die Freundin macht es wie Albert Schweitzer am Kongo. Das Mittel der Wahl in der Nacht ist das Moskitonetz.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

26AUG2024
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Neulich habe ich ihn auch gehört: den Eisenbahnpoeten. Gemeint ist der Lokführer Andreas Frank, und er versucht seit einigen Monaten, seinen Beitrag zu leisten, dass es im Bahnverkehr gelassener zugeht. Denn die vielen Verspätungen, Zugausfälle und überfüllten Züge sind ja nicht wirklich lustig, um es einmal zurückhaltend auszudrücken. Manchem Fahrgast schwillt da der Kamm. Der Eisenbahnpoet hat seine eigene Antwort auf die Herausforderungen des Schienenverkehrs entwickelt. Denn er steuert nicht nur den Zug, sondern spricht die Menschen bei seinen Durchsagen auch ganz besonders an. Das geht dann zum Beispiel so:

Das macht kein Spaß, auch hör doch auf,
jetzt haben wir schon über zehn Minuten Verspätung drauf.
Ja, liebe Leut, lasst mich net lüsche,
da draußen fahr`n halt jede Menge Züsche.

Wer zuhört, der merkt: Der Lokführer sitzt ja im selben Boot, pardon: im selben Zug. Unsere Verspätung ist auch seine Verspätung. Doch er versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Fahrgäste. Nämlich, indem er sie zum Schmunzeln bringt und damit tröstet. Denn darum geht es beim Trost: einem anderen beizustehen. Wunder kann der Eisenbahnpoet natürlich nicht vollbringen. Aber er kann so zu den Menschen sprechen, dass zumindest einige sich entspannen.

Bei mir haben die Reime gewirkt. Der Ärger ist wie weggeblasen. Natürlich hoffe ich, dass jetzt nicht alle Bemühungen, das deutsche Eisenbahnwesen zu modernisieren, eingestellt werden und stattdessen nur noch gereimt wird. Aber wenn man schon im Schlamassel steckt, dann freue ich mich, wenn mir jemand auf ganz persönliche Art und Weise sagt, was los ist und dass er mit mir fühlt. Ein kleiner Vierzeiler kann wahre Wunder wirken. Nächstenliebe als Reim aus dem Lautsprecher, wer hätte das gedacht! Wenn ich einmal zurückreimen darf:

Probleme um die Gleise
erklärt er auf seine Weise.
Was er damit auch noch schafft:
Gibt Geduld und neue Kraft.

Mittlerweile habe ich Fotos von Andreas Frank gesehen. Ob seine selbst geschmiedeten Verse am Ende etwas mit dem Kreuz zu tun haben, das er an einer Kette um den Hals trägt?

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

25AUG2024
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Im Urlaub bin ich einen Berg hinaufgestiegen, um eine abgelegene Kapelle zu besuchen. Dorthin führte ein Fußweg, Autos hatten keine Chance. Die Kapelle war schon von weitem zu sehen und fünfhundert Höhenmeter in langen Schleifen, na, dachte ich mir, das schaffst du. Es war ein heißer Tag und ich kam ganz gehörig ins Schwitzen. Und ehrlich gesagt habe ich auch etwas geflucht. Aber umkehren auf halben Weg und aufgeben wollte ich auch nicht. Also bin ich ein paar Mal zwischendurch stehengeblieben, habe mir den Schweiß abgewischt und mich etwas ausgeruht. Schließlich war ich oben und wurde mit einem herrlichen Ausblick in alle Richtungen belohnt – und mit der Kapelle. Ich öffnete in die Tür und trat ein.

Es war dunkel drinnen nach der gleißenden Sonne. Wenige, kleine Fenster, ein paar Bänke, ein Altar mit Stoffblumen – nichts Besonderes, absolut nichts Besonderes. Und trotzdem. Ich war berührt und ergriffen: Menschen haben sich die Mühe gemacht, hier oben auf dem Berg zu bauen. Sie haben nicht nur, wie ich, sich selbst, sondern auch die Baumaterialien bis hier hinauf transportiert. Sie haben eine Anlaufstelle geschaffen, um zu beten, um einen Moment stillzusitzen, um zu sich zu kommen. An einem Ort, der dem Himmel ein kleines Stückchen näher ist und der nicht einfach am Rand der üblichen Wege liegt. Man muss sich anstrengen, ihn zu erreichen – nicht zu sehr, aber man soll es merken.

Vielleicht ist es ja das, was Jesus meint, wenn er sagt: Wie schmal ist der Weg zum Leben! (Matthäus 7,14) Alles Wichtige bekommst du geschenkt, inklusive eines Platzes für dich und zum Beten. Aber schauen, wo du eigentlich hinwillst, wie es gehen soll mit deinem Leben, das musst du schon selbst. Und du solltest es dir dabei auch nicht zu einfach machen. Nicht, weil Gott will, dass du dich quälst. Sondern, damit du dich selbst spürst.

Weil außer mir keiner da war, habe ich noch ziemlich laut ein Lied gesungen. Und eine Kerze angezündet. Die ist für… Aber das bleibt in einer Kapelle, erst recht so einer abgelegenen, ein Geheimnis zwischen Gott, der Kerze und mir.

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