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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05DEZ2023
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Dieser Tage wollte ich eigentlich nur über den Weihnachtsmarkt laufen. Aber dann haben mich die Leckereien so angelacht, dass ich nicht widerstehen konnte. Was darf’s denn sein, junger Mann, hat der Verkäufer gefragt. Junger Mann, habe ich geantwortet, machen Sie keine Witze. Darauf er: Sie sind doch mindestens zwanzig Jahre jünger als ich, und ich bin gerade siebzig geworden. Das konnte ich nun gut und einfach ausrechnen, er siebzig, ich neunundfünfzig - Dann sind das nur elf Jahre Altersunterschied, habe ich gesagt.

Jetzt legte der Verkäufer erst richtig los: Nur? Allmächtiger! Was kann man in elf Jahren nicht alles anstellen!

Während meine Bestellung vor sich hin brutzelte, konnte ich in Ruhe über elf Lebensjahre nachdenken. Was habe ich eigentlich vor elf Jahren gemacht? Und vom Leben erwartet? Und, von allen Fragen vielleicht die wichtigste: Was habe ich aus diesen elf Jahren gemacht? In den Worten des Verkäufers: Was habe ich in der Zeit alles angestellt? Das klingt nicht von ungefähr nach Lausbubenstreich. Es geht ja nicht immer um schwerwiegende Entscheidungen, sondern auch um Dinge wie: Das wollte ich schon immer einmal ausprobieren. Oder: Da habe ich aber völlig danebengelegen. Und: Wirklich weiter gebracht hat es mich nicht, aber es war schön. Vielleicht auch: Das war schlimm, aber ich habe es überstanden.

Lebenszeit ist etwas Wunderbares: zerbrechlich, immer wieder einzigartig, voller Fehler. Aber doch meine einmalige, unverwechselbare Lebenszeit. Kein Wunder also, dass der Verkäufer den Allmächtigen angerufen hat. Denn da geht es ganz offensichtlich um mehr als nur eine kleine Rechenaufgabe zu einem Altersunterschied. Für das Leben, für seinen Anfang und sein Ende, ist Gott zuständig. Das steht in seiner Hand. Immer wieder betont die Bibel, wie kostbar und wichtig ihm jeder Augenblick ist. Deshalb: was nehme ich mir vor, für die kommenden elf Jahre, wenn ich sie erlebe. Was will ich mit ihnen anstellen?

Auch, wenn die Sachen vom Weihnachtsmarkt ja oft etwas teurer sind - sei’s drum: So viel Weisheit und Grund zum Nachdenken kriegt man beim Einkaufen selten.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04DEZ2023
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Eigentlich ist es merkwürdig: Advent heißt Ankunft. Gemeint ist die Ankunft Jesu auf der Erde, bei uns Menschen. Dabei ist doch noch gar nicht Weihnachten. Es geht offensichtlich darum, sich erst einmal auf den Weg zu machen, um dann in einem zweiten Schritt an einem Ort anzukommen. Da ist es kein Zufall, dass es ein zweites Wort gibt, das die gleiche Bedeutung wie Advent hat: nämlich Abenteuer. Das glauben Sie nicht? Lassen Sie einfach beim Advent das „d“ weg, das spricht sich sowieso leichter, und machen Sie aus dem „w“ ein „b“, die beiden Laute sind eh verwandt, und schon hat sich der Advent in ein Abent-euer verwandelt.

Das Internet erklärt mir: „Als Abenteuer wird eine risikohaltige Unternehmung wie eine gefahrenträchtige Reise oder die Erforschung eines unbekannten Gebiets bezeichnet, die aus dem geschützten Alltagsbereich entfernen.“ (wikipedia)

Aha. Dann geht es also beim Advent darum, meinen Alltag hinter mir zu lassen und mich auf eine Reise zu begeben, bei der ich gar nicht weiß, wohin sie führt. Jedenfalls nicht dahin, wo ich schon immer in meinem Alltagstrott unterwegs bin. Am Ende lande ich sogar – nur um einmal ein Beispiel zu nennen – nachts bei Schafhirten in Bethlehem und mir erscheinen Engel.

Der Advent als Abenteuer. Die Reise in ein unbekanntes Gebiet. Und für wen ist die Begegnung mit Gott und mit den Geschichten über ihn nicht immer wieder Neuland?

Der Advent möchte sozusagen den Indiana Jones in uns wecken. Den mutigen Forscher, der sich vom Unbekannten faszinieren lässt. Und unglaublich neugierig ist, wo er dann ankommen wird. - Und wo bleibt das Risiko? Wenn man es ernst nimmt mit dem Advent, dann kann man nicht sicher sein, dass man nach dem Abenteuer noch derselbe ist. Man riskiert beim Adventsabenteuer sich selbst.

Nur eines ist im Advent bei allen möglichen Veränderungen klar: Gott ist es, der uns auf dem Weg schickt. Und er ist es, der auf die Abenteurer wartet.

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Anstöße sonn- und feiertags

03DEZ2023
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Einen schönen ersten Advent wünsche ich Ihnen! Ab heute bereiten wir uns ganz offiziell auf Weihnachten vor. Und damit auch auf die Weihnachtsgeschichte, die uns die Bibel dazu erzählt. Sie ist eine der ehrlichsten Geschichten, die ich kenne. Sie macht uns nichts vor. Sie lullt uns nicht ein. Sie verklärt nichts. Sie gibt keine falschen Versprechen.

Sie erzählt in einfachen Sätzen von Mächtigen, die Menschen umherschubsen und für eine Steuerschätzung quer durch das Land reisen lassen. Und fast beiläufig wird dann von einer Geburt ohne Dach überm Kopf in der Fremde erzählt. Es sind bescheidenste Umstände, unter denen Jesus auf die Welt kommt. Nur ganz wenige andere Menschen kommen vor: Hirten, die im Auftrag ihres Arbeitgebers im Freien übernachten müssen. Und nur diesen Armen singen die Engel etwas vor, niemandem sonst. Das Zeichen des Friedens und der Hoffnung, das ihnen angekündigt wird, ist nur ein Baby im Futtertrog.

Merkwürdig, dass mich diese Geschichte so sehr anrührt. Und ich hoffe, nicht nur weil ich Pfarrer bin, kann ich sie auswendig: Sie ist eine der wichtigsten Geschichten in meinem Leben.

Manchmal denke ich, die Geschichte wartet seit fast zweitausend Jahren immer wieder darauf, dass wir sie wirklich brauchen. Sie erzählt von Bedürftigkeit und Verletzlichkeit. Sie erinnert uns mit ihren alten Worten daran, worauf wir heute konkret miteinander angewiesen sind: Herzenswärme und bezahlbare Energie für alle, Zusammenhalt und Freude an der Demokratie, ein Ende des Kriegs in der Ukraine, in Israel sowie all den anderen Ländern und einen gerechten Frieden.

In der Weihnachtsgeschichte lebt die Hoffnung, dass aus ganz bescheidenen Anfängen und ganz bescheidenen Worten doch unsere Würde als Menschen hervorleuchtet. Und dass wir in unserem Leben etwas widerspiegeln vom Glanz Gottes. Kein Winkel dieser Erde, sei es selbst Bethlehem im Nirgendwo, ist gottverlassen. Für jeden Menschen hat Gott eine Botschaft. Nachzulesen in der Weihnachtsgeschichte.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28OKT2023
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Heute Nacht wird wieder einmal die Uhr umgestellt. Von Sommer- auf Winterzeit. Es wird früher hell und früher dunkel. Das heißt, und da muss ich mich immer konzentrieren, damit ich es nicht verwechsle: wir alle bekommen im Herbst eine Stunde zusätzlich dazu. Eigentlich nicht besonders viel, wenn man bei einer mittleren Lebenserwartung auf sage und schreibe 700.000 Stunden kommt. Höchstwahrscheinlich werde ich diese nächtliche Zusatz-Stunde schlafen. Und dann hinterher am Sonntagmorgen etwas früher aufwachen – meine innere Uhr lässt sich nicht so leicht hinters Licht führen.

Eine Stunde mehr - das geht natürlich nicht wirklich, die Zeit fließt ja einfach weiter, im Grunde zählen wir ja lediglich eine Stunde um zwei Uhr nachts doppelt. Trotzdem fühlt es sich anders an. Zeit erlebe ich nie gleich, mal vergeht sie im Fluge, mal zieht sie sich wie Kaugummi. Und das, obwohl die Zeit eigentlich gar nicht da ist. Abgesehen von dem winzigen Augenblick, in dem ich „jetzt“ sagen könnte, ist die Zeit ja entweder schon Vergangenheit und schon nicht mehr da oder noch Zukunft und noch nicht da. Gar nicht so einfach, da den Überblick und die Ruhe zu bewahren und alle meine kurzen Augenblicke im Auge zu behalten. Die Zeit geht unaufhörlich vorbei, sie fließt wie Wasser. Und wie keiner zwei Mal in denselben Fluss springen kann, weil das Wasser davongeflossen ist, so erlebt keiner zwei Mal einen Moment absolut gleich, weil die Zeit nicht stehen geblieben ist.

Meine Zeit steht in deinen Händen, Gott, meint die Bibel. Diese davoneilende oder im Schneckentempo kriechende Zeit, mal zu viel, mal zu wenig, aber immer in Bewegung – bei Gott steht sie. Er hält die Zeit, er behält den Überblick über meine Stunden und Tage. Gott begleitet Menschen durch die Zeit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Deshalb nennt die Bibel Gott den, der da ist, der da war und der da kommt.

Was auch immer Sie also heute Nacht mit der Zeitumstellung anfangen, ob Sie durchmachen oder schlafen – Gott hält auch diese Stunde. Ihre Zeit steht in seinen Händen. Sommer und Winter, Tag und Nacht.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27OKT2023
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Manchmal muss man etwas kaputt machen, damit sich etwas ändert. Die Bibel erzählt, dass vier Menschen ihren gelähmten Freund zu Jesus bringen wollten. Aber der saß in einem Haus und es gab keine Chance, zu ihm durchzukommen: Viele Menschen im Haus und noch viel mehr Menschen um das Haus herum. Was tun? Die vier haben sich entschlossen, Jesus auf’s Dach zu steigen. Dieses Dach war, entsprechend der landestypischen Bauweise, ein Flachdach. Und gebaut war das Dach aus Stroh und Lehm. Also haben die vier das Dach abgedeckt. Korrekterweise muss man sagen: Sie haben das Dach aufgegraben. Sich durchgewühlt, den Lehm gelockert, sich die Fingernägel schwarz gegraben.

Eine staubige Angelegenheit. Ein Teil des Daches muss dabei auch ins Haus hinein gebröselt sein. Ob Jesus beim Gespräch dort unten auf einmal Erde im Mund hatte? Und Stroh im Haar? Hat ihn und die anderen das nicht irritiert? Plötzlich Licht von oben? Denn das Loch, das die vier buddeln, das muss schon ganz schön groß gewesen sein. Schließlich wollten sie den gelähmten Menschen auf seiner Liege nach unten abseilen.

Und tatsächlich, der Gelähmte ist auf seiner Liege ins Zimmer hinab geschwebt und genau vor Jesus gelandet. Vom Himmel hoch zu Jesus, den der Himmel geschickt hat. Jesus hat den Gelähmten gesehen, aber auch die vier Freunde, die ihm so energisch und zielstrebig zur Seite gestanden haben. Wenn sich jemand so sehr für einen Freund einsetzt, dann hat Jesus das Glauben genannt. Dieser Glaube ist so gar nicht nach innen gerichtet und wendet sich auch nicht von der Welt ab. Sondern er packt an und schreckt auch nicht davor zurück, sich die Hände schmutzig zu machen und ein Loch ins Dach zu machen. Nichts war den vier Menschen peinlich, wenn es darum ging, dem Freund zu helfen. Und der Gelähmte auf seiner Matte hat sich den anderen anvertraut und das alles mit sich machen lassen. Ehrlich gesagt, die fünf sind ein Dreamteam. Sodass Jesus gar nichts anderes übrig geblieben ist, als den Gelähmten zu heilen.

Ich bin beeindruckt. Am liebsten möchte ich, frei nach Schiller, rufen: Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde – der sechste.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

26OKT2023
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Auf meinem Weg zur Arbeit komme ich am Rhein an einer Anlegestelle für Flusskreuzfahrtschiffe vorbei. Da ist eigentlich immer Betrieb, bei 900 Schiffen, die jedes Jahr in Mainz halt machen.

Gleich daneben geht es unscheinbarer zu: Wo Stufen direkt in den Fluss führen, da waren mal zwei Kajaks aufs Trockene gezogen worden. Und zwei Kajakfahrer waren die Stufen hinaufgestiegen und haben mich nach dem Weg zu einer geöffneten Kirche gefragt. Ich war verwirrt und bin ins Stottern geraten. Dom, Alter Dom, Chagall-Fenster, Gutenberg-Museum – nach den touristischen Highlights wird man als Mainzer ja öfter mal gefragt, einmal sogar nach einer Mainzelmännchen-Ampel. Aber irgendeine geöffnete Kirche: Was wollen die beiden denn da? Flusstourismus geht doch eigentlich anders.

Wir sind ins Gespräch gekommen. Die Flusstouristin und der Flusstourist sind den Rhein hinabgefahren und haben diese Fahrt genossen. Aber einmal am Tag wollten sie an den Ufern des Rheins in ganz verschiedenen Kirchen beten. Speyer, Worms und Nierstein hatten sie schon besucht und wollten dann weiter nach Bingen. Aber erst der Halt in Mainz. Aus dem Wasser direkt auf die Kirchenbank, sozusagen. Die beiden meinten: Das tut der Seele gut und man lernt eine Stadt noch einmal ganz anders kennen. Auf diese Weise hatten die beiden auf ihren Fahrten schon in winzigen Kapellen und großen Kathedralen gebetet, in Kirchen aus dem Mittelalter und solchen, die erst nach dem letzten Krieg gebaut worden waren. Diese verschiedenen Kirchen waren zugleich fremd und vertraut.

Ich finde, das ist wirklich eine Überlegung wert: Was tut der Seele gut? Wo kann ich aufatmen und auftanken? Vielleicht braucht es dann manchmal einen anderen Ort. Mir fällt ein Wort aus der Bibel ein, dass wir aus Wasser und Geist neu geboren werden sollen. Damit könnten auch die beiden Flusspilger gemeint sein: Unterwegs auf dem Fluss und unterwegs zu neuen Kirchen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25OKT2023
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„Gibt es nicht einen Platz für eine alte Bibel? Ich will sie nicht in den Müll werfen.“ Solche Fragen erreichen mich öfters. In der Tat: Was soll man mit einer alten Bibel machen, die man niemandem vererben kann, die vielleicht auch unansehnlich geworden ist? Auch wenn ich nicht fürchte, dass mich der Blitz trifft, wenn ich eine Bibel im Altpapier entsorgen würde – es ist doch ein komisches Gefühl, ein heiliges Buch wegzuwerfen. Schließlich erzählt die Bibel von Gott, ja, Gott spricht sogar in der Bibel. Nicht umsonst wird sie Gottes Wort genannt. Da muss es doch andere Lösungen geben als den Müll. Mit Gesangbüchern ist es auch nicht anders.

Im Judentum gibt es dafür die Geniza. Ein kleiner, abgetrennter Lagerplatz oder Buchspeicher, in dem alte Bibeln und religiöse Schriften, in denen Gottes Name vorkommt, aufbewahrt werden können, ohne verbrannt oder recycelt zu werden. Manchmal sogar über tausend Jahre. Manchmal so lange, dass die Geniza in Vergessenheit gerät und nach vielen Generationen allgemeines Staunen herrscht, was vor so langer Zeit aufbewahrt wurde. Im Grunde sind sie so etwas wie ein Grab, in dem Bücher in Frieden ruhen können. In Israel sind diese Buchgräber sogar öffentlich und stehen auf der Straße wie ein Altkleidercontainer.

Auch ich habe zerfledderte Bibeln, in denen einzelne Seiten lose sind, der Einband abgestoßen und voller Flecken, dazu manche Seiten mit Notizen vollgeschrieben. Weggeworfen habe ich sie noch nicht. Ich teile mit diesen Büchern wie mit einem Menschen liebe Erinnerungen. Sie hatten einmal einen Platz in meinem Leben. Aber ich kann sie unmöglich eines Tages meinen Kindern hinterlassen. Es wäre schön, wenn es einen Platz für sie gäbe.

Wenn jemand für eine alte Bibel keine Verwendung mehr hat, keinen Menschen und keine Institution findet, die sie nimmt, und wenn er oder sie verhindern will, dass sie weggeworfen wird, dann nehme ich sie auch schon einmal. Mittlerweile habe ich ein ganzes Regal mit alten Bibeln und Gesangbüchern. Wenn Sie es nicht weitersagen: ein bisschen Platz ist noch. Denn alte Bibeln haben Respekt und Würde verdient.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24OKT2023
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Vor fast 200 Jahren haben sich in der Stadt Großenhain in Sachsen ein Finanzbeamter und ein Arzt zusammengetan. Ihre Vision: Alle Bürger der Stadt sollten möglichst viele Bücher lesen können. Deshalb haben sie die erste öffentliche Bibliothek in Deutschland gegründet. Und deshalb wird heute – am 24. Oktober - daran erinnert und der Tag der Bibliotheken begangen.

Da feiere ich als Christ gerne mit. Denn auch mein Glaube hat mit einer kleinen, aber feinen Bibliothek zu tun: Der Bibel. Ohne diese Bibliothek wüsste ich nichts von Gott. Diese Gottesbibliothek umfasst 66 verschiedene Bücher. Das Buch der Bücher, wie man die Bibel auch nennt, ist nämlich in Wirklichkeit ein Buch aus Büchern. Und diese 66 sind alle sehr verschieden. Da gibt es Gesetze und Liebesgedichte, breit angelegte Abenteuerromane und knackig kurze Weisheitssätze. Manchmal widersprechen sich die einzelnen Bücher auch. Wie könnte das auch anders sein, wenn es um es um existentielle Dinge geht: Es geht um Erotik und Verbrechen, Himmel und Erde, Tod und Leben. Halt das pralle Leben.
Mit ihrer inneren Vielfalt macht die Bibel vor, was eigentlich das Prinzip jeder Bibliothek ist: Toleranz. Denn jede Überzeugung, jede Position, die sich in einem Buch findet, muss es aushalten, dass direkt neben ihr vielleicht das genaue Gegenteil im Regal steht. Wer die Bibel in der Tasche hat, der trägt den Glauben von ganz verschiedenen Menschen mit sich, denen es wichtig war, von ihren Erfahrungen mit Gott zu erzählen. Die Bibel nennt sie eine Wolke von Zeugen.
Mal sind diese Zeugen einer Meinung, mal nicht. Mal halten sie zusammen wie Pech und Schwefel, dann wieder streiten sie sich, dass die Fetzen fliegen. Genau so soll es sein, haben unsere Väter und Mütter im Glauben gesagt. Und seit über anderthalb Jahrtausenden ist es so: Keins der Bücher darf aus dieser kleinen Bibliothek entfernt werden. Auch dann nicht, wenn sie einem nicht passen.
Bibelleser haben das Zeug zu guten Bibliothekaren: Sie sind geübt in Toleranz und achten darauf, dass keine Überzeugung und nicht einmal ein Jota verloren geht.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23OKT2023
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In der französischen Stadt Chartres steht eine berühmte Kathedrale. Aber am berühmtesten ist gar nicht das Gebäude selbst, sondern das Labyrinth auf dem Boden in der Kirche. Ein Labyrinth ist kein Irrgarten, bei dem man die Orientierung verlieren soll, sondern ein verschlungener Weg ohne Abzweigungen oder Sackgassen. Im Labyrinth wechselt man zwar immer wieder die Richtung, aber am Schluss kommt man auf jeden Fall ans Ziel, und dieses Ziel ist im Zentrum.

Weil Wegschleife an Wegschleife liegt, sind es insgesamt 261 Meter und 50 Zentimeter, die man zurücklegen muss. Ich bin das Labyrinth in Chartres einmal gelaufen und ich kann Ihnen sagen: Das zieht sich ganz schön. Gerade hat es noch so ausgesehen, als wäre man am Ziel, da muss man plötzlich wieder abbiegen und ist gefühlt ganz am Anfang. Nah dran und weit weg mischen sich ununterbrochen. Am Schluss ist es dann geradezu eine Überraschung, dass man gerade jetzt den kleinen Platz im Mittelpunkt erreicht hat.

Auf diesen verschlungenen Pfaden kann jede und jeder auch die eigenen Lebenswege erkennen. Denn die sind allzu oft ja auch keine gut ausgebaute, gerade Strecke, die wir in kürzester Zeit meistern, sondern ein Vor und Zurück, ein Nicht-wirklich-Wissen, wohin es geht. Diese Botschaft des Labyrinths von Chartres erschließt sich ziemlich schnell. Die zweite Botschaft hat mich beim Gang durch das Labyrinth mehr überrascht: Da stehst du also in der Mitte, bist angekommen nach 261 Metern und 50 Zentimetern, und jetzt? Jetzt musst du die gleiche Strecke auch wieder zurücklaufen, damit du das Labyrinth wieder verlassen kannst. Das ist zwar einerseits logisch, aber trotzdem schwer auszuhalten. Da stehst du am Ziel und musst feststellen, dass das Ziel nur eine Etappe war auf dem Weg zurück. Will sagen: So lange wir leben, bleibt unser Leben ein Weg. Es ist schön, im Mittelpunkt zu stehen, aber nicht von Dauer. Nach dem Ziel geht es weiter.

Bei den vielen Besucherinnen und Besuchern der Kathedrale und des Labyrinths ist man übrigens niemals alleine unterwegs. Auf dem Hin- und auf dem Rückweg und in der Mitte begegnen wir anderen Menschen. Und auch dies lernt man im Labyrinth: Wir alle sind Weggefährten.

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Anstöße sonn- und feiertags

22OKT2023
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Neulich habe ich zufällig meine Konfirmationsurkunde in der Hand gehabt. Leicht vergilbt ist sie und an einer Ecke hat sie ein Eselsohr. Name, Datum, Ort, Konfirmationsspruch – das alles ist noch von Hand in die Urkunde eingetragen, nicht mit dem Computer.

An den Konfirmationsspruch konnte ich mich nicht mehr so richtig erinnern. Der wurde damals vor 45 Jahren noch vom Pfarrer ausgesucht. Heute machen die Konfirmandinnen und Konfirmanden das ja meistens selbst. Aber da auf der Urkunde stand ja die Bibelstelle, Brief des Paulus an die Galater, Kapitel 5, Vers 14. Dort steht: Das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Da zeigt sich die Bibel doch wieder einmal von ihrer besten Seite, habe ich gedacht. Sorge für deine Mitmenschen so, wie du für dich selbst sorgst.

Dann ist mein Blick auf meine alte Urkunde gefallen. Da sollte jetzt der Bibelvers in all seiner Schönheit stehen. Doch der Schluss des Verses fehlte. Da stand nicht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Sondern nur: Liebe.

Ich glaube nicht, dass es am fehlenden Platz gelegen hat, dass der Vers nicht ganz aufgeschrieben wurde. Wer immer den Vers damals aus der Bibel abgeschrieben und auf der Urkunde eingetragen hat, der ist von der Sprache der Bibel auf eine falsche Fährte gelockt worden. Denn da ist ja von einem Wort die Rede. Einzahl. Ein einzelnes Wort, kein ganzer Satz. Dass die Bibel, wenn sie vom Wort redet, oft ganze Sätze oder sogar viele Sätze meint, kann man ja nicht unbedingt wissen. Und dann ist es nur folgerichtig, dass man nur ein Wort hinschreibt, wenn nur von einem Wort die Rede ist. Hier also: Liebe!

Da habe ich jetzt tatsächlich meinen Konfirmationsspruch in zwei Fassungen. Einmal sozusagen ausführlicher mit Erläuterung. Zum anderen habe ich ihn tatsächlich als einzelnes Wort. Eine Art Parole, die mir zugerufen wird und wo ich schauen muss, was ich daraus mache. Jetzt kann ich immer entscheiden, was besser passt und mir weiterhilft: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Oder stattdessen kurz und knackig: Liebe.

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