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SWR4 Abendgedanken

21OKT2022
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Der Prophet gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Land… Das sagt man so, wenn man merkt, dass ausgerechnet die, die einem am nächsten sind, nicht auf einen hören wollen.

Kennt man. Eltern jedenfalls kennen das. Aber auch Kinder, die zum Beispiel beruflich einen ähnlichen Weg wie die Eltern einschlagen. Die Alten wollen einfach nicht hören, was man zu sagen hat, auch wenn man kompetent ist!

Der Spruch mit den Propheten im eigenen Land stammt aus der Bibel, von Jesus. Der hält eine Predigt (Lukas 4,22-2) in seinem Heimatort, aber alle erwarten eigentlich von ihm, dass er hier Wundertaten vollbringt, Menschen gesund macht und all das tut, was ein Jesus eben so tut. Nichts davon geschieht!

Kennt man. Da hat die Tochter ein Handwerk erlernt und ist überall zu finden, nur nicht bei den Eltern, die ihre Künste brauchen könnten. Der Sohn, obwohl beim Finanzamt, hilft natürlich nicht bei der Steuererklärung… Gibt es da vielleicht einen Grund?

Jesus erklärt es den Menschen. „Es gab noch nie“, so sagt er, „einen Propheten, der im eigenen Land anerkannt wurde.“ Und er zeigt das auch an Beispielen. Viele Propheten Israels haben große Dinge getan außerhalb von Israel – nachdem sie des Landes verwiesen worden waren, weil sie unbequem waren.

Kennt man natürlich auch. Erst soll man das Waschbecken richten. Aber wenn es dann teuer, also unbequem wird, weil sich herausstellt, dass man das Abflussrohr austauschen muss, dann wäre es besser gewesen, jemand anderen zu fragen. „Es gab noch nie einen Propheten, der im eigenen Land anerkannt wurde.“

Als Jesus das dann auch noch ausspricht, da sind die Leute in seinem Heimatort verärgert und gehen auf ihn los. Kennt man. Wer die Wahrheit sagt, soll gehen. Der Prophet gilt ja bekanntlich nichts im eigenen Land.

Und warum erzähle ich das alles? Weil ich auf eine ganz einfache Frage hinauswill: Haben Sie heute schon jemanden, obwohl er mit Ihnen verwandt ist gelobt, weil er etwas kann? Haben Sie heute schon jemandem gezeigt, dass er oder sie anerkannt ist – sogar dort, wo man sie schon lange kennt? Kennt man eigentlich. Und ist eigentlich ganz einfach.

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SWR4 Abendgedanken

20OKT2022
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„Macht euch Freunde mit dem ungerechten Geld“ (Lukas 16,9). – Ein Satz von Jesus, der mich zurzeit sehr beschäftigt.

Man könnte ja fast meinen, dass Deutschland komplett verarmt in diesen Zeiten und dass alle auf der Straße und in Pappkarton-Hütten leben müssen als hätten wir Slums in Stuttgart, Karlsruhe oder Trier.

Das ist zum Glück nicht so! Im Gegenteil: Viele haben sich einen gewissen Wohlstand erarbeitet. Sie haben über Jahre dafür gearbeitet, sie haben umsichtig gehaushaltet. Sie haben vielleicht auch geerbt und ein bisschen Glück gehabt. Die Krisen stören: die Pläne für die nächste Reise zum Beispiel. Die Krisen fressen das Ersparte an. Aber sie bedrohen nicht das Leben.

Angst machen kann die Situation dennoch. Denn natürlich haben alle, denen es gut geht, ein Gefühl dafür, dass es andere gibt, denen es schlechter geht. Die können nicht immer etwas dafür. Geld ist ungerecht: Der junge Maschinenbauingenieur, der noch nicht unter Beweis gestellt hat, was er wirklich kann, bekommt als Einstiegsgehalt mehr Geld als die Erzieherin mit 30 Jahren Berufserfahrung. Jeder weiß, dass Geld ungerecht ist und ungerecht verteilt ist. Ich glaube, dass daher die Furcht kommt. Auch bei denen, denen es so viel besser geht. Geld ist ungerecht. Man weiß es. Und gegen die Furcht kann man auch etwas „machen“ – Freunde kann man sich machen.

„Macht euch Freunde mit dem ungerechten Geld.“ – was kann das heißen?

Vielleicht ja, bei der Solidaritätsaktion für die Tafeln mitzumachen und Geld zu spenden, damit die ihre Kühlung für das Essen und ihre Heizung für die Menschen bezahlen können. Es kann heißen, sich ehrenamtlich einzubringen, zum Beispiel als Energieberaterin für Menschen in schwierigen Wohnverhältnissen.

„Macht euch Freunde mit dem ungerechten Geld.“ – Nicht, weil man es im Überfluss hätte, sondern einfach, weil man „etwas“ hat. Das ist vielleicht mehr als andere haben…

„Macht euch Freunde mit dem ungerechten Geld.“ – Das kann heißen, Bekannte einzuladen mit dem Hinweis: Heute braucht ihr nicht zu heizen und zu kochen – ihr seid bei uns! Und schon macht man sich Freunde mit dem Geld, das ungerecht verteilt ist. Aber man kann ja was draus machen. Freunde nämlich.

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SWR4 Abendgedanken

19OKT2022
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Menschen sind wie handgezogene Kerzen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen seltsam. Aber tatsächlich sind Menschen wie handgezogene Kerzen. Die, die Zeit hatten, Schicht um Schicht zu entstehen, geben ein besonderes Licht.

Ich weiß, wovon ich rede. In unserer Kirchengemeinde ziehen Kinder und Erwachsene seit Jahrzehnten jedes Jahr, wenn die Tage dunkler und kürzer werden, eigene Bienenwachskerzen. Hunderte von Menschen kommen, tausende von Kerzen entstehen: Ein Docht wird in heißes Wachs eingetaucht, ein Mal, dann wird gewartet, und er wird wieder eingetaucht. Und dann wieder und wieder. So entsteht – langsam und Schicht für Schicht – eine Kerze, die ein sehr angenehmes, natürliches Licht gibt und wunderbar und leicht duftet.

Für mich sind die handgemachten Kerzen ein Bild für Menschen in meinem Alter, Menschen, die in die reiferen Jahre kommen. Sie sind die, die Schicht um Schicht entstanden sind. Und sie geben ein besonderes Licht. Man muss sich und anderen nichts beweisen. Man hat Erfahrung in einigen Bereichen des Lebens. Im Beruf und in der Familie, im Scheitern und im Erfolg, im Durchhalten auch.

Ich kann es gut verstehen, wenn manche irgendwann sagen: Jetzt schaue ich mal nach mir. Nach der Familienphase und dem Wiedereinstieg in den Beruf, nach 40 Jahren und mehr Arbeit, nach so vielen Einsätzen im Ehrenamt – jetzt ist es genug, jetzt ziehe ich mich zurück und kümmere mich um mich, bin auf Reisen, bin dann mal weg. Ich kann das verstehen.

Und zugleich denke ich mir: Nein, das darf doch nicht wahr sein! Was für eine Verschwendung von Licht! Oder ich denke es mit einem Satz, den Jesus einmal gesagt hat: „Es zündet doch keiner ein Licht an, um es dann unter einem Eimer zu verstecken!“ Nein, die so kunstvoll entstandene Kerze kann doch nicht unter einem Eimer versteckt werden! „Nein, man stellt sie an eine ganz besonders hohe Stelle. Und so kann sie ihr Licht auf alle werfen, die ins Haus kommen“ (Matthäus 15,15).

Auch wenn Reisen und Erholung, Rückzug und Neuorientierung wichtig sind: Stellen Sie Ihr Licht nicht unter einen Eimer. Wir brauchen sie, die Menschen im reiferen Alter. Sie machen die Welt heller mit ihrem besonderen Licht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

05MRZ2022
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Manchmal bekomme ich auf einen Beitrag wie diesen Reaktionen. Der eine ruft berührt an, die andere schreibt verärgert eine E-Mail und einer meint, ich hätte doch die Gelegenheit „im Radio“ nutzen müssen, um den Menschen „das alles mit Gott“ einmal richtig zu erklären.

Das ist eine gute Idee, aber kann ich das? „Das alles mit Gott“ - in nicht einmal drei Minuten? Von denen jetzt schon die ersten 30 Sekunden vorbei sind? Komme ich durch, während einer die Katze füttert und eine andere Fleischbrät für die Maultaschen vorbereitet?

Ich würde „das alles“ wahrscheinlich mit sehr einfachen Worten sagen. So, wie ich es vor Kurzem einem 10jährigen Freund erklärt habe. Dem habe ich gesagt: Gott hat dich lieb. Das ist das Erste und Wichtigste, das du wissen musst. Und wenn dich niemand auf der ganzen Welt lieb zu haben scheint: Er hat dich lieb. Er hat dein Leben von Anfang an gewollt. Er wollte, dass du lebst und ihm vertraust und ihn kennenlernst.

Er zeigt sich in deinem Leben. Schau nur hin! - Schau, wie schön die Welt ist und wie alles zusammenpasst. Und wir sind ein Teil dieser Welt – wunderschön und geliebt.

Und Jesus? Jesus ist die Liebe Gottes, die sich in einen Menschen verwandelt hat. Gott liebt uns so sehr, dass er es in seinem Himmel nicht mehr aushält. Er kommt zu uns. Das ist ein Wunder und ein Glück! – so sage ich das meinem 10jährigen Freund.

Manchmal machen wir Fehler, sage ich ihm. Wir tun anderen weh, wir lügen. Und dann tut es uns wieder leid und es macht das Herz schwer. Irgendwie passt es nicht zusammen mit dem, dass wir wunderschön sind.

Jesus hat das, was dein Herz schwer macht, mit sich in den Tod genommen. All die belastenden Gefühle und alles, was sich so anfühlt, als ob wir nicht zu Gott passen, das ist „gestorben“.

Du bist frei! Jesus ist nicht im Tod geblieben, sondern lebt. Du kannst ihm vertrauen, dass nichts dich von der Liebe Gottes trennen kann. Gott hat dich lieb. Das ist das Erste und Wichtigste, das du wissen musst.

Und ich sage meinen 10jährigen Freund: Wer auf die Liebe Gottes vertraut, wird selbst zu einem liebenden Menschen. Du spürst, dass Gott in dir lebt. Du merkst, dass in dir eine Kraft ist, eine Energie, die aus der Liebe Gottes kommt und selbst zur Liebe wird. Der Heilige Geist, das ist Gott in dir. Gott zeigt dir immer wieder, was gut ist: „Behandle deine Mitmenschen so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest.“

Das ist kein „Muss“ mehr, sondern wie Atmen, wie der Atem Gottes in dir. So ungefähr würde ich „das alles“ auch „im Radio“ sagen. Und das Wichtigste ist: Gott hat dich lieb.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Männer! Männer können so stur sein! Wie oft höre ich das, wenn ich in einem Trauerhaushalt bin. Männer diskutieren nicht, sie verlassen den Raum oder werden laut. Sie wollen, dass alles so weitergeht wie es immer ging. Auch dann, wenn sie eigentlich nicht mehr Auto fahren sollten, setzen sie sich ans Steuer… Gerade bei älteren Männern heißt es – bei aller Liebe -, sie seien eben stur gewesen. Mit dem Kopf durch die Wand, ohne Rücksicht auf Verluste, verhärtet, verkämpft seien sie gewesen. Nach ihren Vorstellungen, nur nach ihrem Willen haben es gehen müssen, sie hätten sich nicht auf Neues eingelassen.

Ich bin auch ein Mann. Und ich fürchte, dass das, was man heute bei mir als „Entschiedenheit“ bezeichnet, einmal zur Sturheit wird. Ich habe Sorge, dass das, was heute „Durchsetzungskraft“ heißt, morgen ein ausgewachsener Dickkopf ist. Und meine „klare Kante“ ist irgendwann einmal Unverbesserlichkeit.

Deshalb höre ich auch ganz genau hin, wenn bei einem Menschen genau das nicht gesagt wird: dass er ein Sturkopf gewesen sei. Es könnte ja sein, dass ich etwas lernen kann.

Eine Antwort habe ich tatsächlich schon gefunden. Sie klingt ganz einfach und heißt: „Dankbarkeit ist das Gegenteil von Sturheit.“ Ältere und alte Männer, die dankbar waren, wurden von ihrem Umfeld offenbar nicht als so stur empfunden, sondern als friedfertig und versöhnlich

In der Bibel findet sich ein ähnlicher Zusammenhang. Da heißt es einmal: „Der Frieden, den Christus schenkt, soll euer ganzes Denken und Tun bestimmen. (…) Seid dankbar!“ (Kolosser 3,15) Frieden und Dankbarkeit gehören zusammen. Dankbarkeit ist das Gegenteil von Sturheit, denn sie macht friedfertig und versöhnlich.

Nun halte ich mich tatsächlich für einen dankbaren Menschen.
„Seid dankbar“? Die Aufforderung, dankbar zu sein, brauche ich nicht. Aber es geht eben nicht nur darum, irgendwo tief in sich dankbar zu sein. „Zeigt eure Dankbarkeit!“ Das ist gemeint.

Also: Einfach mal sagen, was in einem ist, auch wenn es einem schwer über die Lippen geht: „Danke!“ Einfach mal sehen, dass es gut gemeint ist, was die Kinder einem da vorschlagen – und es auch sagen: „Danke! Es fällt mir schwer, wenn sich etwas ändert, aber danke, dass ihr mir dabei zur Seite steht. Ich will das nicht, aber ich bin dankbar, dass ihr euch Gedanken macht.“ – Das ist es, was den Unterschied macht, wie Männer in Erinnerung bleiben – friedfertig oder stur. Die Dankbarkeit macht den Unterschied.

Männer! Männer können so dankbar sein! Ich möchte einmal in Erinnerung bleiben als ein Mensch, der wenigstens ein wenig Frieden und Dankbarkeit verbreitet hat.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03MRZ2022
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Wenn es ums Fasten geht denke ich oft an Tante Sabine: Vor Hochzeiten und Jubiläen, Konfirmationen und den großen Geburtstagsfesten in der Verwandtschaft reduzierte Tante Sabine ihre Mahlzeiten für ein bis zwei Wochen: Ein ganz kleines Frühstück, eine Brühe am Mittag und etwas Gemüse am Abend – das reichte ihr.

Ich habe keine Ahnung, ob das ihrem Körper gutgetan hat. Aber ich kann mich noch gut an ihre strahlenden Augen erinnern, an ihre freudigen Kommentare und ihre glückliche Zufriedenheit, wenn es schlesischen Kartoffelsalat gab. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie mehr essen würde als andere bei diesen Festen. Aber sie genoss jeden Bissen.

In der Tradition meiner Kirche gibt es keine empfohlenen Fastenzeiten.
Aber ich kenne viele Menschen, die entdeckt haben, dass es ihnen guttut, für eine begrenzte Zeit auf etwas zu verzichten. Sie essen weniger, verzichten auf Alkohol, schalten YouTube, facebook und Insta ab, sie fahren weniger mit dem Auto und bewegen sich mehr zu Fuß. Jetzt, in den 7 Wochen vor Ostern, machen das Viele. Und sie tun es sicher auch, weil es ihnen guttut, weil sie sich leichter fühlen. Sie spüren, dass sie selbst ihr Leben gestalten können und unabhängiger sind als sie es dachten.

Und für einige ist es tatsächlich auch eine Zeit der Vorfreude. Sie wissen, dass Ostern kommt, das Fest der Auferstehung, das große Fastenbrechen. Wer auf das verzichtet, was das Leben manches Mal so sinnlos auffüllt, wird sensibler für das, was das Leben mit Sinn füllt.

Dieses Fasten mit Vorfreude hat sogar noch eine viel weiter gehende Bedeutung! Wenn es stimmt, was ich glaube, dann geht es nach dem Tod weiter. Wir Menschen kommen bei Gott an und feiern das wirkliche Fest der Auferstehung und das Ende von jedem Verzicht! Ich stelle mir vor, dass Gott uns Menschen entgegenlaufen wird und uns umarmt, jeden Einzelnen!

„Jetzt wird ein Fest für dich gefeiert!“  - das wird er jedem einzelnen Menschen sagen, der zaudernd und vorsichtig ankommt und hofft, dass er willkommen ist.

Wenn das stimmt, dann fällt es viel leichter, schon heute und hier auf manches zu verzichten.  Es muss gar nicht die Schokolade oder der Wein sein.mEin Verzicht darauf, das letzte Wort zu haben oder genau das Gleiche zu bekommen wie andere, das könnte auch ein Fasten sein - ein Verzicht aus Vorfreude.

Denn das, was wirklich wichtig ist, das gibt es alles dort, wo wir einmal ankommen: Gemeinschaft und Freude, Spaß auch und Lachen und Singen - und für Tante Sabine gibt es schlesischen Kartoffelsalat!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02MRZ2022
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Ich hasse es, mein Auto freizukratzen. In diesem Winter musste ich das ein paar Mal: Eis auf allen Scheiben rundherum. Einmal bin ich eingestiegen und habe beim Starten erst bemerkt, dass meine Außenspiegel ebenfalls vereist waren. Ich konnte vor lauter Eis nicht nach hinten sehen. Bei beheizten Außenspiegeln erledigt sich das nach wenigen Minuten, doch ich wollte so nicht losfahren, bin ausgestiegen und habe für freie Sicht nach hinten gesorgt.

Während der Fahrt ist mir aufgefallen, dass das ein gutes Bild für viele Familienbeziehungen ist, die ich kennengelernt habe: Im Innenraum ist Wärme. Man ist sich selbst genug in der nächsten Familie und fühlt sich wohl.

Außen aber, in der weiteren Familie, sind die Spiegel vereist: die Streitereien rund ums Erbe, Konkurrenz zwischen Geschwistern, das Empfinden, das schwarze Schaf zu sein, Ungerechtigkeiten, Ablehnung des eigenen Lebensstils, mangelnde Wertschätzung – die Liste ist lang für die Gründe, warum der Blick zurück nicht mehr möglich ist, weil man immer nur das Eis sieht. Ein klares Bild ist unmöglich, immer ist da nur Frost und Kälte. Das Böse, das andere getan haben – niemand weiß mehr so ganz genau, was es war. Man redet nicht darüber und man redet nicht miteinander. Man schaut nicht zurück, denn da ist alles Eis und Minustemperatur.

Wer erlebt hat, dass das Vertrauen in der Familie missbraucht wurde, wird überall misstrauisch. Wo man auch hinschaut, ist da immer nur Eis. Wer erlebt hat, zum schwarzen Schaf gemacht zu werden, fühlt sich leicht ausgegrenzt. Beim Blick zurück ist da immer dieser Frost, der alle Bilder füllt.

Ich finde das schlimm. So behält das, was andere mir angetan haben, Macht über mich. Ich bin in einem Reich des ewigen Winters gefangen, sobald ich zurückschaue. Wie schön wäre es, wenn man dieses Eis einfach wegkratzen könnte, womöglich während der Fahrt!

Und, nein: Ich habe jetzt nicht das Patentrezept dafür, wie man das ganz genau macht. Ich glaube, dass es zuallererst wichtig ist, dass man es merkt. Dass man sieht, dass man nichts sieht, oder immer nur dasselbe.

„Gott, kratz das Eis vom Außenspiegel, bitte!“ – mir hilft es, wenn ich dann bete. Im Vaterunser heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ – das bedeutet auch nichts anderes als: „Bitte, kratz das Eis weg!“ Wie das genau geschieht, wird unterschiedlich sein. Immer macht es frei. Die Sicht und die Menschen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09DEZ2021
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Man sagt das so: „Da haben wir über Gott und die Welt geredet…“ – Wenn ich nachfrage, muss ich feststellen: Das stimmt gar nicht. Weil man über Gott nichts zu sagen wusste, blieb nur noch die Welt übrig.

Wenn ich in ein Trauerhaus komme, dann rede ich natürlich auch irgendwann über den Glauben, die Religion, die Kirchenzugehörigkeit der Verstorbenen. Das ist dann oft das erste Mal, dass der Glaube in einer Familie überhaupt zum Thema wird. Selbst Ehepartner, die seit „zig Jahren“ zusammen sind, wissen nichts vom Glauben des anderen.

Manchmal ergibt sich bei so einem Gespräch aus den Bruchstücken aber doch, dass da ein ganz eigener Glaube war, ganz eigene Erfahrungen. Eine Frau hat gebetet und ist von einer als unheilbar geltenden Krankheit geheilt gewesen – „Ich muss für meine Kinder da sein“, hat sie zu Gott gesagt – und bei der nächsten Untersuchung war der Tumor weg. Aber Jahrzehnte hat niemand mehr darüber gesprochen. Warum?

Da hat ein Mann sich jeden Abend Zeit dafür genommen, für alle seine Lieben zu beten. Und nur sein bester Freund weiß das, weil er das irgendwann einmal erzählt hat „nach dem fünften Bier oder so“… Seinen Lieben selbst hat er nie etwas davon erzählt hat. Warum?

Der ganz normale Glaube ist offenbar sehr intim. Man möchte nicht verwechselt werden mit denen, die von Haus zu Haus gehen oder irgendwelche Spezialthemen für besonders wichtig halten.

Doch gerade der ganz normale Glaube von denen, die nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen ist so wertvoll! In der Bibel heißt es immer wieder: „Ich will all deine Wunder erzählen“ (z.B. Psalm 9,2). – Wie viel Mut könnte das machen, wenn wir andere ganz selbstbewusst und selbstverständlich an diesem Teil unseres Lebens teilhaben lassen.

Ich wünsche mir das sehr, dass dieser normale, alltägliche Glaube geteilt wird.

Ich habe sehr viele Gründe für diesen Wunsch, aber die wichtigsten sind:

Es macht anderen Mut, wenn sie wissen, dass sie mit ihrem normalen Glauben nicht allein sind.

Wenn der persönliche Alltag nicht zu Wort kommt, dann wird er außerdem viel zu schnell reduziert: Stehlen, Töten und Ehe brechen – das fällt einem dann noch ein. Soll man alles nicht machen!

Das wichtigste Gebot ist aber, dass wir Gott lieben. Das ist sehr intim, aber wenn wir jemand oder etwas wirklich lieben, dann können wir halt doch nicht darüber schweigen, oder? Also reden wir doch über „Die Welt – und Gott“. Da fände ich schön.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08DEZ2021
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Als der Wissenschaftler Albert Einstein von einem New Yorker Rabbiner gefragt wurde, ob er an Gott glaube, hat er keine direkte Antwort gegeben. „Ich bin kein Atheist“, hat er gesagt, „Das Problem ist für unseren begrenzten Geist zu gewaltig.“

Ich selbst bin mit Herz und Seele Christ, ich glaube an Gott – und ich habe großen Respekt vor allen, die skeptisch sind. Es gibt nicht wenige, die durch eigene Erfahrungen, durch die Geschichte der Religionsgemeinschaften oder durch wissenschaftliches Denken ihre Vorbehalte haben. Ich habe großen Respekt vor allen, die die Frage offenlassen – offenlassen müssen. „Das Problem ist für unseren begrenzten Geist zu gewaltig.“

Keine Angst, jetzt kommt nicht der Bekehrungsversuch! Ich habe wie gesagt Respekt davor, dass jemand die Frage offenlässt. Denn das ist alles andere als einfach.

Ein Naturwissenschaftler hat mir das einmal so erklärt, dass er einerseits keinen Beweis findet für Gott, doch er könne die Existenz eines höheren Wesens auch nicht ausschließen. „Die Welt ist voller Wunder“, so hat er gesagt: „Vielleicht gibt es Gott ja doch!“

Aus seiner Sicht, aus der Sicht des Physikers, der ein begeisterter Naturbeobachter ist, spricht einiges dafür. Ich habe in der halben Stunde, in der ich mich mit ihm unterhalten konnte, dann unglaublich viel über Skorpionmütter und Eisbären gehört, von der Bedeutung von Tiefseefischen, von Krill und der Vermehrung von Farn und vom einzigartigen Zusammenspiel der Planeten.

Ich habe gemerkt, da schaut jemand hin, mit offenen Augen, mit einem offenen Herzen. Und er ist berührt von der Schönheit nicht nur der Farben und Formen, sondern von der Schönheit „wie alles zusammenpasst“ und ineinandergreift. Das hat ihn als Wissenschaftler fasziniert und er konnte nicht anders als darin eine besondere Schönheit zu erkennen - und dahinter einen Plan oder einen schöpferischen Geist zumindest für möglich zu halten.

Interessiert hat er auch mir zugehört als ich ihm gesagt habe, dass sich in der Bibel der Glaube immer wieder am Sehen und Staunen festmacht. „HERR, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde!“ so schließt der Psalm 8 ab, den ich in der Schule auswendig lernen musste.

Vielleicht wird ja aus dem Sehen und Staunen irgendwann ein Glauben? Die Welt ist voller Wunder. Vielleicht gibt es Gott ja doch.

Lassen wir das mal so offen. Es ist gar nicht so einfach, das offen zu lassen, und verdient Respekt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07DEZ2021
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„Herr, mein Gott, bei dir suche ich Schutz! Rette mich vor meinen Verfolgern, hilf mir!“ So beginnt der Psalm 7. In diesem Jahr habe ich mir vorgenommen, das Buch der Psalmen als Adventskalender zu benutzen. Das ist praktisch, dachte ich mir, denn die Psalmen, das sind Gebete und Lieder, die durchnummeriert sind. Tür Nummer 7 ist also der Psalm Nummer 7. Ein Liedtext, der jetzt aber gar nicht stimmungsvoll adventlich beginnt.

Jemand betet zu Gott, weil falsche Vorwürfe gegen ihn erhoben werden! „Hilf mir, sonst beißen sie mir die Kehle durch!“

Das kennen viele aus der Firma, aus der Familie, aus der Nachbarschaft – man wird gemobbt, weil irgendjemand ein Gerücht aufbringt. Es ist so schwer, sich dagegen zu wehren:

Sagt man nichts, läuft das Gerücht weiter. Sagt man etwas, bestätigt man, dass das überhaupt ein Thema ist. Beschwert man sich bei der Chefin, heißt es, dass man selbst Gerüchte streut. Redet man mit anderen Kolleginnen und Kollegen bringt man sie vielleicht selbst in eine schwierige Situation…

Es ist vertrackt und leider bleiben die, die Verleumdungen in Umlauf bringen, oft ungeschoren.

Die, die angegriffen werden, fühlen sich ohnmächtig, dürfen die Schwäche aber nicht zeigen. Sie werden missbraucht und in die Opferrolle gedrängt – und wissen zugleich, dass man erst dann wirklich Opfer wird, wenn man wie ein Opfer denkt. Selbst wenn man beten will – wie soll man da beten?

„Gott, bei dir suche ich Schutz!“ – Es klingt fast ein bisschen banal, aber wenn es Gott gibt, dann ist er eine Adresse für alles, was man gegenüber Menschen nicht auszusprechen wagt. Das ist eine echte Hilfe!

Ich habe in Psalm 7 so viel von dem gefunden, was man braucht, um in einer Mobbingsituation zurechtzukommen: „Gott, wenn ich wirklich etwas falsch gemacht habe“ – so kann ich mit Psalm 7 beten, weil es wichtig ist, mich selbst zu prüfen und zu vergewissern, dass nichts dran ist an den Verleumdungen. Und mit Psalm 7 kann ich meinen Zorn in Worte fassen: „Sie sind Verbrecher! Sie sollen selbst in die Grube fallen, die sie gegraben haben! Ihre Bosheit soll sie selber treffen!“

 Schluss mit dem diplomatischen Geschwätz. Vor Gott kann ich ehrlich sein und wüten!

Und mit Psalm 7 kann ich auch wieder Hoffnung fassen – ich hoffe auf einen gerechten Gott, der für einen Ausgleich sorgt. Sie werden nicht davonkommen – und ich bin geborgen. Denn: „Herr, mein Gott, bei dir suche ich Schutz! Rette mich vor meinen Verfolgern, hilf mir!“

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