Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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03MRZ2022
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Wenn es ums Fasten geht denke ich oft an Tante Sabine: Vor Hochzeiten und Jubiläen, Konfirmationen und den großen Geburtstagsfesten in der Verwandtschaft reduzierte Tante Sabine ihre Mahlzeiten für ein bis zwei Wochen: Ein ganz kleines Frühstück, eine Brühe am Mittag und etwas Gemüse am Abend – das reichte ihr.

Ich habe keine Ahnung, ob das ihrem Körper gutgetan hat. Aber ich kann mich noch gut an ihre strahlenden Augen erinnern, an ihre freudigen Kommentare und ihre glückliche Zufriedenheit, wenn es schlesischen Kartoffelsalat gab. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie mehr essen würde als andere bei diesen Festen. Aber sie genoss jeden Bissen.

In der Tradition meiner Kirche gibt es keine empfohlenen Fastenzeiten.
Aber ich kenne viele Menschen, die entdeckt haben, dass es ihnen guttut, für eine begrenzte Zeit auf etwas zu verzichten. Sie essen weniger, verzichten auf Alkohol, schalten YouTube, facebook und Insta ab, sie fahren weniger mit dem Auto und bewegen sich mehr zu Fuß. Jetzt, in den 7 Wochen vor Ostern, machen das Viele. Und sie tun es sicher auch, weil es ihnen guttut, weil sie sich leichter fühlen. Sie spüren, dass sie selbst ihr Leben gestalten können und unabhängiger sind als sie es dachten.

Und für einige ist es tatsächlich auch eine Zeit der Vorfreude. Sie wissen, dass Ostern kommt, das Fest der Auferstehung, das große Fastenbrechen. Wer auf das verzichtet, was das Leben manches Mal so sinnlos auffüllt, wird sensibler für das, was das Leben mit Sinn füllt.

Dieses Fasten mit Vorfreude hat sogar noch eine viel weiter gehende Bedeutung! Wenn es stimmt, was ich glaube, dann geht es nach dem Tod weiter. Wir Menschen kommen bei Gott an und feiern das wirkliche Fest der Auferstehung und das Ende von jedem Verzicht! Ich stelle mir vor, dass Gott uns Menschen entgegenlaufen wird und uns umarmt, jeden Einzelnen!

„Jetzt wird ein Fest für dich gefeiert!“  - das wird er jedem einzelnen Menschen sagen, der zaudernd und vorsichtig ankommt und hofft, dass er willkommen ist.

Wenn das stimmt, dann fällt es viel leichter, schon heute und hier auf manches zu verzichten.  Es muss gar nicht die Schokolade oder der Wein sein.mEin Verzicht darauf, das letzte Wort zu haben oder genau das Gleiche zu bekommen wie andere, das könnte auch ein Fasten sein - ein Verzicht aus Vorfreude.

Denn das, was wirklich wichtig ist, das gibt es alles dort, wo wir einmal ankommen: Gemeinschaft und Freude, Spaß auch und Lachen und Singen - und für Tante Sabine gibt es schlesischen Kartoffelsalat!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34922
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