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SWR Kultur Wort zum Tag
„Ein Ungläubiger schreibt über den Glauben“. Mit diesem Satz beginnt das Buch, das ich gerade zu Ende gelesen habe. Sein Titel „Was vom Glauben bleibt“ hat mich neugierig gemacht. Der Autor, Bernd Stegemann, ist kein Kirchenmann, sondern kommt vom Theater. Er hat Philosophie studiert und als Dramaturg an verschiedenen Theatern gearbeitet.
Also: Wie schreibt ein Ungläubiger über den Glauben? Nach den ersten Seiten habe ich festgestellt: voller Respekt. Und zugleich voller Traurigkeit und Sehnsucht. Er leidet darunter, dass der christliche Glaube in der modernen Gesellschaft zerbröselt. Und Menschen sich aus dem, was davon übriggeblieben ist, aus den „Glaubenspartikeln“, wie er sagt, ein Weltbild nach eigenem Geschmack zimmern. Da steht dann aber nicht mehr Gott im Mittelpunkt. Sondern nur noch das Interesse der verschiedenen Einzelnen, die sich die Rolle Gottes anmaßen.
So entstehen gefährliche Allmachtsphantasien. Der Mensch, der nur noch sein eigenes Spiegelbild als Gegenüber hat, verliert das ihm gesetzte Maß. Und überschreitet seine Grenzen.
Dass der Glaube das verhindern kann, ist mir kürzlich deutlich geworden beim Blick nach Amerika. Und zwar in dem vom Fernsehen übertragenen Gottesdienst anlässlich der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten.
In ihrer Predigt hat die anglikanische Bischöfin von Washington um Erbarmen und Mitgefühl gebeten. Für die Menschen, vor allem Minderheiten, die von der künftigen Politik des amerikanischen Präsidenten betroffen sein würden.
Mit klaren Worten hat sie als jemand geredet, für die nicht das eigene politische Handeln die letzte Instanz und Richtschnur bildet. Sondern die Verantwortung vor Gott. Die demütig macht.
Eben das ist der Unterschied. Dass ich frei werde von dem Irrglauben, mich ständig selbst beweisen und mich selbst zelebrieren zu müssen. Weil ich aus einer anderen Quelle schöpfe als aus meinem Ego.
Weil ich auf eine Gegenwart und eine Gemeinschaft hoffe, in der Menschen einander nicht als Rivalen, sondern als Geschöpfe Gottes und Geschwister begegnen. Das ist, glaube ich, was vom Glauben bleibt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41489SWR Kultur Wort zum Tag
„Zerreiß deine Pläne! Sei klug und halte dich an Wunder!“, notiert die jüdische Lyrikerin Mascha Kaléko. „Sie sind lang schon verzeichnet im großen Plan. Jage die Ängste fort und die Angst vor den Ängsten!“
Vor fünfzig Jahren ist Mascha Kaléko in Zürich gestorben. In ihrem bewegten Leben hat sie viele Pläne gemacht. Freiwillig und unfreiwillig. Viele Pläne, die sie gefasst hatte, gingen nicht auf. Weil es für sie als Jüdin in Deutschland ganz anders gekommen ist. Unvorhersehbar, bitter.
Ihre Worte regen mich anzufragen: wie ist das mit den Plänen in meinem Leben? Ob es einen großen Plan gibt? Ich meine nicht so einen Plan, den ich mir selbst mache. Oder den man am Reißbrett erstellen kann. Nach dem Motto: bis dann und dann will ich das erreicht haben, bis dann das Nächste, und so weiter.
Eigentlich mache ich gerne Pläne. Aber ich kenne auch das Problem damit. Wenn plötzlich alles durcheinanderkommt. Es läuft anders als geplant! Eine Krankheit. Eine Beziehung, die zerbricht. Die Verhältnisse ändern sich.
Dann muss ich beweglich sein. Mich von meinem Plan lösen und umplanen können. Manchmal hilft es mir dann zu wissen, dass in der Bibel noch von einem ganz anderen Plan die Rede ist. Einem Plan, in den mein Leben von Anfang bis Ende eingebettet ist. Den ich vielleicht nur ahne. Manchmal. Oder vielleicht im Rückblick. Am Ende meines Lebens.
In einem Psalm heißt es: „Deine Augen, Gott, sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten, und von denen keiner da war.“
Darauf vertrauen können! Und hoffen können, dass ich aufgehoben bin im großen Plan Gottes. In seinen guten Händen. Das schenkt, finde ich, Bewegungsfreiheit. Auch im Hinblick auf meine eigenen Pläne. Weil ich weiß, jenseits davon gibt es jemanden, der mich sieht und auf mich Acht gibt.
Vielleicht ist es das, was Mascha Kaléko sagen will. Dass meine Pläne nicht das Letzte sind, auf das ich mich verlassen muss. Sondern, dass sie aufgehoben sind im großen Plan Gottes. „Zerreiß deine Pläne. Sei klug und halte dich an Wunder.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41488SWR Kultur Wort zum Tag
Wie mit Verlusten leben? Wenn zu spüren ist, vieles wird nicht so weitergehen wie bisher. Wenn vermeintliche Sicherheiten dahinschmelzen wie Schnee in der Sonne. Wie damit fertig werden, wenn das Gefühl schwindet, dass das Morgen besser wird als das Heute?
Der Soziologe Andreas Reckwitz hat neulich gesagt: „Die Moderne hat kein kulturelles Skript für den Umgang mit Verlusten.“ Kein Drehbuch also für den Umgang mit Verlusten!
Weil wir jahrzehntelang in der Gewissheit gelebt haben, dass alles immer bergauf geht. Dieser Optimismus habe einen Knacks bekommen.
Eine naheliegende Reaktion, die ich auch von mir kenne, ist es, andere dafür verantwortlich zu machen. Andere sind schuld: die Politiker, die Ausländer, sogar die Demokratie. Auf alle Fälle: die anderen.
Ich fände es aber besser, sich selbst zu befragen. Ob da nicht vielleicht auch etwas bei mir falsch gelaufen ist. Ob ich nicht manches in meinem Leben neu bedenken muss. Ob die Werte noch stimmen, die wir für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, für eine gemeinsame Zukunft, brauchen.
Wäre das nicht so etwas wie gesellschaftliche Trauerarbeit? Verluste benennen, aber nicht einfach nur beklagen. Denn es gibt ja Anhaltspunkte für eine neue Ausrichtung, die hilfreich wären in unserer Situation. Ich finde sie auch in der Bibel.
„Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen,“ sagt Jesus einmal. „Sammelt euch aber Schätze im Himmel, wo sie weder Motten noch Rost fressen. Und wo die Diebe nicht einbrechen und stehlen.“
Jesus meint damit nicht eine Vertröstung auf eine jenseitige Welt. Sondern er lenkt meinen Blick auf Ziele, die nicht dahinschwinden. Die haltbar sind und gültig bleiben. Auf Haltungen und Überzeugungen, die sich für ein gutes Miteinander in Zukunft bewähren.
Etwa so: Haltet euch nicht auf bei gegenseitigen Vorwürfen! Geht aufeinander zu! Lernt wieder, den Schatz zu entdecken, den ein Mensch für den anderen darstellt! Und stärkt den Zusammenhalt und das Miteinander gerade dort, wo Verluste spürbar werden! Ich glaube, dann kann es gelingen, den Schmerz über Verluste in Hoffnung zu verwandeln.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41487SWR Kultur Lied zum Sonntag
„Lass mich dein sein und bleiben, von dir lass mich nichts treiben!“ Das klingt wie ein Liebesbrief. Und eigentlich ist es auch einer. Nur dass das angesprochene Du nicht ein geliebter Mensch ist. Sondern der “treue Gott und Herr“. Den bittet der Dichter dieses Liedes, nichts möge ihn von ihm trennen. „Lass mich dein sein und bleiben.“
Lass mich Dein sein und bleiben,
Du treuer Gott und Herr;
von Dir lass mich nichts treiben,
halt mich bei Deiner Lehr.
In den Jahren, als ich Auslandspfarrer der deutschsprachigen Gemeinde auf Mallorca war, hat die Gemeinde dieses Lied am Schluss jedes Gottesdienstes gesungen. Mich hat das immer wieder berührt.
Denn wir haben ja alle die Woche über verstreut über die ganze Insel gelebt. Der Besuch des Gottesdienstes, zu dem oft auch Touristen gekommen sind, war dann aber eine gute Gelegenheit, sich zu treffen, Kontakte aufzunehmen oder lebendig zu erhalten. Und miteinander zu feiern.
Vor allem aber: zu wissen, es gibt etwas Bleibendes, das uns verbindet. Ein verlässliches Fundament, das bestehen bleibt und uns Halt gibt. Auch wenn wir bald wieder auseinandergehen.
Lass mich Dein sein und bleiben,
Du treuer Gott und Herr;
von Dir lass mich nichts treiben,
halt mich bei Deiner Lehr.
Herr, lass mich nur nicht wanken,
gib mir Beständigkeit;
dafür will ich Dir danken
in alle Ewigkeit.
Besonders in stürmischen Zeiten braucht man ein festes Fundament. Nikolaus Selnecker, der das Lied im Jahr 1572 gedichtet hat, hat es gefunden. In seinem Vertrauen auf Gott. Und das Gebet war für ihn der Weg, sich dieses Fundamentes immer wieder neu zu vergewissern.
Ich finde es darum schön, dass dieses Lied im evangelischen Kirchengesangbuch zu finden ist. Max Reger, dessen Vertonung wir heute hören, hat ihm allerdings eine andere, nämlich seine eigene Melodie gegeben.
Das ist gut so! Denn, davon bin ich überzeugt, jeder muss seine eigene Sprache und Melodie finden, um seinen Glauben in Worte und Töne zu fassen.
Lass mich dein sein und bleiben.
Herr, lass mich nur nicht wanken,
gib mir Beständigkeit;
dafür will ich Dir danken
in alle Ewigkeit.
*
CD: Lebensgebete. Ensemble Thios Omilos. Romantische Vokalmusik aus dem 19. Und 20. Jahrhundert, Rondeau Production 2013, LC 06690
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41486SWR Kultur Lied zum Sonntag
War er nun eher ein Dichter oder ein Musiker? Diese Frage hat Peter Cornelius ein Leben lang begleitet.
Mit dem Lied „Drei Könige wandern aus Morgenland“ hat Cornelius aber bewiesen, dass er beides beherrschte: das Dichten und das Komponieren.
Im Lied berührt mich seine im Pietismus beheimatete Herzensfrömmigkeit. Und besonders, wie sich Cornelius selbst in die biblische Geschichte von den heiligen drei Königen hineinbegibt. So als geschähe sie heute.
Drei Könige wandern aus Morgenland,
Ein Sternlein führt sie zum Jordanstrand,
In Juda fragen und forschen die drei,
Wo der neugeborene König sei.
Sie wollen Weihrauch, Myrrhen und Gold
Zum Opfer weihen dem Kindlein hold.
Kunstvoll ist das Lied mit einem viel älteren Choral verwoben. Während uns die Männerstimme die Geschichte von den Königen erzählt, singt der Chor dazu den Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ von Philipp Nicolai aus dem Jahr 1597.
Und hell erglänzt des Sternes Schein,
Zum Stalle gehen die Könige ein,
Das Knäblein schauen sie wonniglich,
Anbetend neigen die Könige sich,
Sie bringen Weihrauch, Myrrhen und Gold
Zum Opfer dar dem Knäblein hold.
Wir heute sind auch unterwegs - zu unterschiedlichsten Zielen. Und manchmal weiß ich dabei nicht so recht, wohin es gehen soll. Und ob die Richtung stimmt.
Dann bietet mir die Geschichte und das Lied von den heiligen drei Königen eine hilfreiche Erinnerung. Dass es wichtig ist, Schritt zu halten mit ihnen. Und mit dem, was sie auszeichnet: ihrer Suche nach Frieden, ihrer Sehnsucht nach Erlösung.
Und auch wenn wir heute andere Dinge als Weihrauch, Myrrhen und Gold in den Händen halten – worauf es ankommt, ist: „Schenke dem Kind dein Herz!“, wie es in der letzten Strophe heißt:
O Menschenkind! halte treulich Schritt!
Die Kön′ge wandern, o wand're mit!
Der Stern des Friedens, der Gnade Stern
Erhelle dein Ziel, wenn du suchest den Herrn:
Und fehlen Weihrauch, Myrrhen und Gold,
Schenke dein Herz dem Knäblein hold!
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CD: O magnum mysterium, Weihnachten mit dem Dresdner Kreuzchor, „Die Könige wandern aus Morgenland“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41350SWR Kultur Wort zum Tag
„Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder“. Mit diesem Satz endet der Roman „Hiob“ von Joseph Roth, den ich kurz vor Weihnachten zu Ende gelesen habe. Was für ein grandioser Satz, habe ich gedacht, „ausruhen von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder!“
Nach längerer Zeit habe ich den Roman jetzt noch einmal in die Hand genommen. Vor allem wegen des Themas: der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leids und des Leidens in der Welt. Dabei handelt das Buch überhaupt nicht von einem Menschen, dem das Glück ein Leben lang hold gewesen ist. Im Gegenteil. Erzählt wird die Geschichte des leidgeplagten Juden Mendel Singer. Er ist Lehrer und lebt in bescheidenen Verhältnissen in einer Kleinstadt in Russland. Nach einer Kette von kleineren und größeren Katastrophen wächst sein Entschluss, die Heimat zu verlassen. Und sein Glück in Amerika zu suchen. Aber das Unheil nimmt auch dort seinen Lauf. Sein Sohn stirbt im Krieg, seine Frau folgt ihm in den Tod, die Tochter wird verrückt.
Mendel verzweifelt an Gott und kündigt ihm den Glauben auf. Er verbrennt die Blätter seiner Gebetsbücher und will Gott aus seinem Leben auslöschen. Aber dann nimmt sein Leben eine unverhoffte Wendung. Der verloren geglaubte jüngste Sohn, ewiges Sorgenkind der Familie, taucht wieder auf. Und schenkt dem alten Mann am Ende seines Lebens neue Hoffnung und Zuversicht. Und so schließt das Buch mit diesem Satz: „Er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder“.
Ich finde, Josephs Roths Schlusssatz passt gut in die Atmosphäre eines zu Ende gehenden Jahres. In vielerlei Hinsicht war es ein schwieriges Jahr. Da ist viel geschehen, das einen deprimieren oder aus der Spur werfen kann. Wie bei Rabbi Mendel, diesem Hiob des 20. Jahrhunderts. Der aber am Ende seines Leidensweges erlebt, dass noch längst nicht aller Tage Abend ist.
Das alte Jahr beenden wie ein zu Ende gelesenes Buch, das möchte ich gerne. Ausruhen „von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder.“ Und dann dankbar aufbrechen – in ein neues Morgen!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41280SWR Kultur Wort zum Tag
Vor kurzem ist er hundert Jahre alt geworden: der Altersforscher und Arzt Helmut Luft. Dass er vom Älterwerden viel versteht, das hat er aus diesem Anlass in mehreren Gesprächen deutlich gemacht. „Mit einem Bein stehe ich bereits in der Ewigkeit“, hat er kürzlich in einem Interview gesagt. Und gleich hinzugefügt: „Bis es aber so weit ist, lebe ich nach dem Motto, das mich das Leben gelehrt hat: Lernen, Laufen, Lachen, Lieben.“
Das sind, finde ich, vier beherzigenswerte Ratschläge. Alles Tätigkeitswörter: Lernen, Laufen, Lachen, Lieben. Damit kann ich auch für mich viel anfangen.
Ersten: Lernen. Darum geht es ja auch im Glauben. Christsein, hat Martin Luther gesagt, ist nicht ein Sein, sondern ein Werden. Meinen Glauben habe ich nicht ein für alle Mal, sondern er ist eine Weise, mich mit der Welt auseinanderzusetzen. Mit Argumenten, mit Zweifeln und letztlich mit Vertrauen.
Zweitens: Laufen. Das bedeutet: in Bewegung bleiben. Nicht stagnieren. Das lerne ich von den Menschen der Bibel, die immer wieder neu aufbrechen. Ich denke an den Exodus Abrahams in ein Land, das Gott ihm verheißen hat. An den Wanderprediger Jesus, der mit seinen Jüngern durch ganz Galiläa unterwegs war, weil er davon überzeugt war, dass Gott unterwegs zu finden ist.
Drittens: das Lachen. Wer lachen kann, begegnet den eigenen Unzulänglichkeiten und denen anderer mit Nachsicht. Anmaßung und Selbstüberschätzung werden einfach ausgelacht.
Und viertens, das Wichtigste: Lieben. Wer liebt, schenkt Wärme. Lässt sich berühren und nimmt Anteil. Für Paulus steht die Liebe neben dem Glauben und der Hoffnung. Und überragt beide sogar. Weil Liebe das ist, was bleibt, wenn alles andere vergeht.
Mir gefällt es, wenn sich Menschen ein Lebensmotto wählen. Da steckt ja viel Lebenserfahrung drin. Die kann wie ein Geländer wirken. Bei dem Motto „Lernen, Laufen, Lachen, Lieben“ ist das so. Mich regt es an, zu überlegen, wie ich die vier Tätigkeitswörter künftig fülle. Bald liegt ja ein ganzes Jahr vor mir, in dem ich das ausprobieren kann. Ich bin gespannt, welche Erfahrungen ich damit mache.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41279SWR Kultur Wort zum Tag
Was bleibt von Weihnachten? Genau um diese Frage geht es auch in einer Erzählung von Marie Luise Kaschnitz. Sie heißt: „Was war das für ein Fest?“
Da hockt ein kleiner Junge auf dem Fußboden, kramt neugierig in einer alten Schachtel und fördert – neben allerlei Krimskrams – einen vergilbten und unansehnlich gewordenen Stern zutage. „Was ist das?“, fragt der Kleine. Und die Mutter, leicht genervt, weil sie gerade am Telefonieren ist, erklärt ihm: „Ein Stern ist das.“ Und sie erzählt dem Kind, welche Bedeutung dieser Stern früher einmal hatte. Bei einem großen Fest, wo alle um einen Baum standen und Lieder gesungen haben. Während sie erzählt, steigen in der Mutter Erinnerungen auf an eine alte Geschichte: Von Hirten, die zu einer Krippe kamen und ein kleines Kind darin gefunden haben. Von einem Stern, den man an der Spitze eines Tannenbaumes befestigt hat und der an diese alte Geschichte erinnern sollte.
Aber auch daran erinnert sich die Mutter, dass sie sich gelangweilt hat und froh war, wenn das Fest wieder vorbei war. Die neugierigen Fragen des Kleinen sind ihr lästig. Und so sagt sie: „Sieh mal, wie alt der Stern schon ist, wie unansehnlich und vergilbt. Du darfst ihn in den Müllschlucker werfen und aufpassen, wie lange du ihn noch siehst.“ Fasziniert von diesem offenbar neuen Spiel schaut der Kleine dem Stern hinterher, wie der im tiefen Schacht des Müllschluckers verschwindet. „Ich sehe ihn immer noch“, flüstert das Kind, „er glitzert, er ist immer noch da.“
So endet die Geschichte. Ich finde, sie passt gut in die Zeit, wo die Feiertage bald vorbei sind. Mit der Frage: „Was war das eigentlich für ein Fest?“ Hat die Botschaft „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ ein Echo gefunden? Oder war alles nur viel Lametta und Goldrausch?
Weihnachten lässt sich ja mittlerweile völlig losgelöst von seinem inhaltlichen Kern feiern. Ein bisschen so wie die alljährlich wiederkehrenden Kirmes- und Jahrmarktsfeste. Ein paar Relikte in der Erinnerung sind zwar noch vorhanden. Aber die Mutter in der Geschichte muss sich schon anstrengen, diese Reste zu einer zusammenhängenden Erzählung zusammenzufügen.
Am Ende aber blitzt doch ein Hoffnungsschimmer auf. Der langsam entgleitende und in der Ferne verschwindende Stern hinterlässt ein lang anhaltendes Licht. Und in diesem Licht steckt seine Botschaft: „Er ist immer noch da“, sagt das Kind.
Das also bleibt von Weihnachten. Etwas Unauslöschliches. Es bleibt ein Leuchten, das größer ist als die Lichter, die wir anzünden. Manchmal sehe ich, wie dieses Leuchten über das Gesicht eines Menschen huscht. Und alles ein bisschen heller wird. Manchmal blitzt die Gewissheit auf, dass das Geheimnis der Welt nicht im Größten liegt, sondern im Kleinsten. Nicht im Lauten, sondern im Leisen. Nicht im Hellen und Grellen, sondern im Verborgenen und Dunklen. Was also war das für ein Fest?
Der Dichter Friedrich Rückert hat die Antwort in seine Worte gefasst. Er schreibt:
Gekommen in die Nacht
der Welt ist Gottes Licht,
wir sind daran erwacht
und schlummern künftig nicht.
Wir schlummern künftig nicht
den Weltbetäubungsschlummer,
wir blicken, wach im Licht,
aufs Nachtgrau ohne Kummer.
In hellen Mienen macht
sich kund die Kraft des Herrn,
und wer nicht in der Nacht
kann leuchten, ist kein Stern.
Das ist es, denke ich: Christen schlummern nicht den „Weltbetäubungsschlummer“. Denn es bleibt ein Licht in der Nacht. Mit der tröstlichen Botschaft: der Stern ist immer noch da. Und leuchtet uns auch ins kommende Jahr.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41278SWR Kultur Lied zum Sonntag
„Warum sollte ich mich denn mutlos fühlen?“, fragt sich die Sängerin zu Beginn des heutigen Liedes zum Sonntag, „warum sollte ich mich vor dunklen Schatten fürchten?“ Wir hören die große Jazz- und Gospelsängerin Mahalia Jackson. Mit ihrem Lied „His Eye Is On the Sparrow“ gibt sie sich selbst die Antwort.
Why should I feel discouraged?
Why should the shadows come?
Why should my heart feel lonely
And long for heaven and home?
Nicht nur die Sängerin dieses Liedes ist eine Frau, sondern auch die Dichterin des Textes: Civilla Martin. Sie war Lehrerin und mit einem Pfarrer verheiratet. Durch ihre Tätigkeit kam sie oft mit anderen Menschen zusammen. Besonders eindrücklich war für sie die Begegnung mit einem Ehepaar. Beide, der Mann und die Frau, waren durch Krankheiten stark eingeschränkt. Trotzdem muss von dieser Frau eine strahlende Zuversicht ausgegangen sein. „Gott sieht selbst den kleinsten Spatz“, hat sie gesagt, „darum bin ich mir sicher, dass Gott auch mich sieht.“
Die Zuversicht und der Lebensmut dieser Frau haben Civilla Martin zu ihrem Lied inspiriert. Ihr berührendes Lebensmotto hat sie dabei kurzerhand zum Titel gemacht: „His eye is on the sparrow“: Gott gibt auch auf den Sperling acht.
When Jesus is my portion
A constant friend is he
His eye is on the little sparrow
And I know he cares for you and me
Der Text ist ein Zitat aus einer Rede Jesu. Wenn Gott sich schon um die Spatzen kümmert, sagt Jesus, um wie viel mehr hat er uns Menschen im Blick?
Ein großes Vertrauen zum Leben liegt darin. Ein Vertrauen, das nicht bei sich selbst bleibt, sondern andere ansteckt: „Ich singe, weil ich glücklich bin, ich singe, weil ich mich frei fühle“, heißt es am Schluss.
I sing because my soul is happy
I sing because I'm free
His eye is on the little sparrow
And I know he is watching over you and me
CD: The Best of Mahalia Jackson, Sony Music Entertainment, 1995
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41078SWR Kultur Wort zum Tag
„Ich glaube, dass der moderne Mensch darunter leidet, dass er seinen Glauben verloren hat“, hat der Autor und Journalist Tobias Haberl kürzlich in einem Interview gesagt. Und hinzugefügt: „Ich glaube, dass er sein Glück in falschen Dingen und an falschen Orten sucht.“
An dem Satz bin ich hängengeblieben. Und frage mich: Was mache ich, wenn mein Glaube plötzlich weg ist? Es damit gut sein lassen? Ignorieren? Oder ihn suchen?
Jesus erzählt dazu eine Geschichte. Von einer Frau, die etwas Wertvolles verloren hat. Ein kostbares Geldstück, eine Silbermünze. Alles setzt sie in Bewegung, um diese Münze wiederzufinden. Sie sucht das ganze Haus ab, dreht das Unterste zuoberst. Als sie die Silbermünze schließlich wiedergefunden hat, da ist ihre Freude riesig. Sie ruft Freundinnen und Nachbarn zusammen und lässt alle an ihrem Glück teilhaben.
Die Geschichte ist damit schon zu Ende. Aber wie das bei Jesus so ist, sie enthält eine Pointe, die niemand erwartet hat. Denn mit der Frau ist keine x-beliebige Frau gemeint. Sondern Gott selbst. Gott, der etwas unendlich Kostbares und unermesslich Wichtiges verloren hat, das er ganz intensiv sucht.
Was das ist, ist nicht schwer zu erraten. Denn kostbar und unersetzlich ist für Gott jeder einzelne Mensch. Du und ich! Wo wir uns auch versteckt haben mögen, in welche dunkle Ritze oder Spalte wir auch geraten sind, wohin wir uns auch vergraben haben. Gott macht sich auf die Suche.
Wenn Gott verliert, was ihm wertvoll und kostbar ist, dann schreibt er diesen Verlust also nicht einfach ab. Sondern setzt alles daran, das Verlorene wiederzufinden. Genau wie die Frau, die alles von unten nach oben kehrt.
Das bedeutet doch: wahrscheinlich kommt es gar nicht darauf an, dass ich meinen verlorenen Glauben angestrengt zu suchen beginne. Jesus erklärt mir, dass es umgekehrt ist. Gott ist längst auf der Suche nach mir.
Er sucht in allen Ecken und Winkeln, um mich zu finden. Und findet mich manchmal - in lichten Momenten, in plötzlichen Einfällen oder in erinnerungswürdigen Begegnungen. Dann kann es geschehen, dass ich meinen Glauben auf ganz neue Weise wieder entdecke.
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