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SWR2 / SWR Kultur

  

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SWR Kultur Wort zum Tag

10JUL2024
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Gaia – so heißt eine spektakuläre Kunstinstallation des britischen Künstlers Luke Jerram. Es ist eine sieben Meter große, detailgetreue Abbildung unseres Planeten. Eine Kugel, die über den Betrachtern schwebt. Gefertigt nach Weltraumfotos der NASA. Benannt nach der griechischen Göttin Gaia.

Gaia verkörpert in der antiken Mythologie die Erde als Ganze. Sie steht für die Grundlage, den Mutterboden von allem, was lebt.

Wer die Kunstinstallation anschaut, so der Künstler, erlebt einen ähnlichen Effekt wie die Raumfahrer, als sie zum ersten Mal die Erde aus dem Weltall gesehen haben. Das, was man später als den „Overview-Effekt“ bezeichnet hat: ein Gefühl der Ehrfurcht und Ergriffenheit vor der unendlichen Weite des Alls, in dem die Erde nur ein kleiner blauer Punkt ist.

Und plötzlich wird klar, wie fein alles Leben aufeinander abgestimmt und miteinander verbunden ist. Wie schön, aber auch wie verletzlich der Planet Erde ist.

„Von da oben“, so hat es einer der Astronauten gesagt, „siehst du nur die natürlichen Grenzen, nicht die von den Menschen geschaffenen. Dies war eine der tiefsten, emotionalsten Erfahrungen, die ich jemals hatte.“

Ich denke, dieser Blick aus der Ferne, den die Kunstinstallation vermittelt, hilft auch zu sehen, wie destruktiv oft menschliches Verhalten in der Nähe ist. Ich denke an die Friedlosigkeit auf unserem Planeten. Die zahllosen Konflikte, Rivalitäten und Machtkämpfe.

Dabei könnte die Erkenntnis doch die sein: Wir sind Teil eines großen Ganzen. Von Mutter Erde, oder, wie Christen sagen würden, Teil der Schöpfung Gottes. Der Blick in die Tiefen des Universums zeigt, wie kostbar und zerbrechlich unsere Insel des Lebens im unendlichen Kosmos ist.

So dass ein neues Verantwortungsgefühl befördert wird: den zerbrechlichen und kostbaren Planeten zu hüten für künftige Generationen. Und bewohnbar zu erhalten.

Übrigens: die Ausstellung „Gaia“, die bereits durch viele Städte in Amerika, China und Europa getourt ist, wird vom 13. September bis 6. Oktober in der Karlsruher Stadtkirche zu sehen sein. Vielleicht haben Sie ja die Möglichkeit, sie dort anzuschauen.

 

Ausstellungshinweis unter: www.gaia-in-karlsruhe.de

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SWR Kultur Wort zum Tag

09JUL2024
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Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mir mein Vater einen Leuchtglobus geschenkt hat. Groß wie ein Fußball. Mittels der eingebauten Glühbirne konnte man Erdteile und Ozeane zum Leuchten bringen. Was für ein wunderbares Geschenk!

Plötzlich war die Erde nicht mehr flach wie auf den Seiten meines Diercke Schulatlas. Jetzt konnte ich sehen, dass der Planet ein großes rundes Ganzes ist.

Und das war ja nur ein winziger Vorgeschmack auf das, was Jahre später kommen sollte. Als die ersten Astronauten die Erde auf einer Umlaufbahn umkreisten. Und fantastische Fotos vom blauen Planeten zurück zur Erde schickten.  

Einer der ersten Astronauten, Ron Garan, berichtet damals davon. „Wenn wir auf die Erde aus dem Weltraum herabschauen“, sagt er, „sehen wir diesen erstaunlichen, unbeschreibbar schönen Planeten – der wie ein lebender, atmender Organismus aussieht. Aber gleichzeitig sieht er sehr verletzlich aus.“      

Menschen haben plötzlich eine Anschauung davon gewonnen, wie unendlich weit und schön der Kosmos ist. Und wie verbunden das eigene Leben mit dem Leben im Universum.

Aber man muss sich nicht auf eine Umlaufbahn schießen lassen, um die Schönheit der Schöpfung zu erkennen. Wache Augen genügen. Wie sie der lateinamerikanische Dichter Ernesto Cardenal hat, wenn er schreibt: „Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes und in seiner Schrift gibt es nicht ein sinnloses Zeichen. Der Schriftzug der Meteore am Himmel, der Flug der Zugvögel in den Herbstnächten, die Jahresringe im Stamm einer Zeder, alles sind Zeichen, die uns Botschaften übermitteln. Wir müssen nur verstehen, sie zu lesen.“

Mir geht es so, dass ich dazu morgens nur das Fenster aufmachen muss. Die Schwärze der Nacht ist verflogen. Ich lasse die kühle Morgenluft ins Zimmer, freue mich am Zwitschern der Vögel und genieße das Glück eines jungen Morgens.

Und begreife: Ich lebe auf dem blauen Planeten, auf dem alles miteinander verbunden ist. Zerbrechlich und verletzlich ist er. Wie ich selber auch. Darum will ich ihm begegnen, wie man Verletzlichem und Zerbrechlichem begegnet. Behutsam und mit Empathie.

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SWR Kultur Wort zum Tag

08JUL2024
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Eins meiner Lieblingsbücher, die ich als Kind gelesen habe, waren die „Schönsten Sagen des Klassischen Altertums“ von Gustav Schwab. Besonders begeistert hat mich die Geschichte des Titanen Prometheus. Er war einer, der den Menschen besonders zugetan war.

Prometheus schenkt nämlich den Menschen das Feuer. Damit – so der Mythos – hat er die menschliche Zivilisation begründet.

Inzwischen müsste er diese Tat allerdings bitter bereuen. Meint der Philosoph Peter Sloterdijk in seinem jüngsten Buch „Die Reue des Prometheus“. Denn das Geschenk des Feuers habe sich als höchst ambivalent erwiesen.

Was zur Kultivierung der Welt hätte dienen sollen, habe der moderne Mensch zum exzessiven Abfackeln der unterirdischen Wälder eingesetzt. So seien die Menschen der Neuzeit zu Brandstiftern geworden: „Über ihren Feuerstellen“, so Sloterdijk, „ihren Motoren, ihren Hochöfen, ihren Kraftwerken, ihren Schlachtfeldern sammeln sich Rauchwolken, die alles andere als Gutes bedeuten“.

Mir wird bewusst, wie anders das biblische Konzept in der ökologischen Krise der Gegenwart lautet. Es steht gleich am Anfang der Bibel in der Schöpfungsgeschichte. Da übergibt Gott den Menschen den Garten der Schöpfung mit einem doppelten Auftrag. Nämlich: die gute Schöpfung – wie es wörtlich heißt – „zu bebauen und zu bewahren.“

Darin steckt beides: weiterzuentwickeln, was uns gegeben ist. Und die nicht erneuerbaren Schätze der Natur, wo immer möglich, zu schonen. Wenn ich versuche, das in konkretes Verhalten zu übersetzen, dann vielleicht so:

Ich lasse das Auto öfter mal stehen und gehe zu Fuß. Ich entdecke die Faszination der Nähe, statt das Reisen in die Ferne. Zum Einkaufen nehme ich ein Netz oder eine Tasche mit, statt Plastiktüten zu benutzen. Und wie wäre es beispielsweise, im Sommer, statt Wäschetrockner den Charme der Wäscheleine wiederzuentdecken?

Schließlich können nicht nur Menschen ihr Burn-out erleben. Auch die Schöpfung im Ganzen kann irgendwann ausgebrannt sein.

Die Figur des Prometheus erinnert mich daran. Und mehr noch der biblische Auftrag, die Schöpfung nicht nur zu bebauen. Sondern auch zu bewahren!

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SWR Kultur Lied zum Sonntag

09JUN2024
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Es ist früh am Sonntagmorgen. Ich bin früher aufgestanden als sonst, weil ich bei einem Gottesdienst im Grünen dabei sein will. Mein Weg führt mich durch einen Park. An schlanken, hochgewachsenen Buchen vorbei, die in vollem Laub stehen. Ich genieße die frische Luft, den Atem der Bäume. Und schon von weitem höre ich den Bläserchor: „Morgenglanz der Ewigkeit...“

Es ist eine besondere Stimmung, wie sie nur ein junger Morgen hat. Wenn nach dunkler Nacht das Licht zurückkommt. Was für ein unglaubliches Wunder an jedem Morgen! Es ist fast so, als würde die Schöpfung noch einmal von vorne beginnen. So wie damals, als Gott sprach: Es werde Licht! Der Tag ist noch unverbraucht und liegt aufgeschlagen vor mir wie ein unbeschriebenes Blatt. Ich frage mich: Wie wird er werden? Wem werde ich heute begegnen? Was wird mich berühren?

Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschaffnen Lichte,
schick uns diese Morgenzeit,
deine Strahlen zu Gesichte
und vertreib durch deine Macht
unsre Nacht!

Ja, es gibt auch andere Morgen, da fällt wenig Glanz vom Himmel. Wenn die Nacht nicht weichen will. Eine Krankheit, die mich quält. Die Nachrichten im Radio, die den Horizont verdunkeln. Oder die Sorge um Angehörige. Das Leben, die „Lebensaue“, fühlt sich dürr und ausgetrocknet an. Umso mehr strecke ich mich dann aus nach dem Licht. Wie nach einer Quelle, aus der ich neue Kraft schöpfen kann. Oder wenigstens ein paar Tropfen frischen Morgentaus.

Deiner Güte Morgentau
fall auf unser matt Gewissen,
lass die dürre Lebensau
lauter süßen Trost genießen
und erquick uns, deine Schar,
immerdar!

Es ist schön, an diesem Morgen auf Menschen zu treffen, die meine Hoffnung teilen. Vielleicht in einem Park, in einer Kirche oder beim Frühstück. Gemeinsam hofft es sicher besser. Die Nähe, die entsteht, wenn wir miteinander singen, facht die müden Lebenskräfte an. Und ich stimme ein in dieses Lied, das mir helfen kann, gut aufzustehen und gut in den Tag zu kommen. Mit der Bitte am Schluss: „Erweck‘ uns Herz und Mut bei erstandener Morgenröte, dass wir, eh wir gar vergehn, recht aufstehn!“

Gib, dass deiner Liebe Glut
unsre kalten Werke töte
und erweck uns Herz und Mut
bei erstandner Morgenröte,
dass wir, eh wir gar vergehn,
recht aufstehn!

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

                                                   *

CD: Gott danken ist Freude, Sächsische Posaunenmission Dresden, III
CD: Wach auf, mein Herz, und singe. Morgenglanz der Ewigkeit. Choralsatz für gemischten Chor a cappella, Wilhelmshavener Vokalensemble; Popken, Ralf

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SWR Kultur Wort zum Tag

29MAI2024
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Zuweilen kommt es mir vor, als hätte dieses Wort gerade Hochkonjunktur. Ich meine das Wort „Demut“. Fußballtrainer sprechen davon, wenn sie sagen: man müsse mit Demut in die nächste Partie gehen. Politiker teilen mit, was auch immer das zu erwartende Wahlergebnis sei, sie würden es mit Demut annehmen.   

Was ist da los?, frage ich mich. Verbirgt sich dahinter nur eine besonders raffinierte Form der Eitelkeit? Im Alltag geht es ja eher um andere Dinge. Um Selbstdarstellung und Profilierung. Darum sich groß, aber nicht klein zu machen.

Demut ist eigentlich ein Schlüsselbegriff aus der jüdischen und christlichen Glaubenstradition. Ursprünglich ist Demut eine Haltung, die ein Mensch Gott gegenüber einnimmt. Wenn er etwa Erfahrungen macht, wie hilflos und klein ein Mensch im Kosmos ist. Wie machtlos ausgeliefert gegenüber Naturgewalten und Schicksalsschlägen.

Im Alten Testament entdeckt Hiob das unbegreifliche Geheimnis Gottes, als im klar wird, dass er viele Fragen in seinem Leben nicht auflösen kann.

Da zerbricht das Bild, das er sich von Gott gemacht hatte. Gott, den er bisher nur aus überlieferten Bildern und Vorstellungen kannte, wird für ihn zu einem lebendigen Gegenüber.

Es stimmt ja: es sind meistens einschneidende Ereignisse im Leben, bei denen mir bewusst plötzlich wird, dass nicht ich das das Maß aller Dinge bin. Sondern dass ich gehalten und angesprochen bin von einer Macht, die größer ist als ich. Die mich demütig werden lässt.

Der Theologe Fulbert Steffensky hat das so gesagt: „Man darf sich“ schreibt er, „nicht gewissenslos irgendeiner Autorität unterwerfen. Man darf sich aber auch nicht sich selbst und dem eigenen Ich unterwerfen. Demut heißt, sich dem eigenen falschen Bewusstsein zu entwinden. Es heißt, sich treffen und beunruhigen zu lassen von Wahrheiten, die größer sind als unsere eigenen.“ 

Demut hat also nichts zu tun mit falscher oder künstlicher Bescheidenheit. Sie verhilft vielmehr zu einer heilsamen Erkenntnis der Selbstbegrenzung.

Und mir wird klar: In Gottes großer Schöpfung habe ich einen einmaligen und unverwechselbaren Platz. Mit unzähligen Möglichkeiten. Aber eben auch: mit meinen Grenzen.

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SWR Kultur Wort zum Tag

28MAI2024
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„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Fragt die Königin im Märchen ihren Wunderspiegel. Und der antwortet pflichtschuldig: „Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ Da war die Königin zufrieden, heißt es im Märchen, denn „sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte.“

Die Ironie ist nicht zu überhören. Im Märchen wird ein tiefsitzender menschlicher Wunsch angesprochen. Den es nicht nur im Märchen gibt. Das Bedürfnis nämlich, schöner, größer, mächtiger zu sein als andere. Was bedenklich daran ist: dass diese Art der Selbstbespiegelung grenzenlos ist. Der Psychoanalytiker Horst Eberhard Richter hat schon vor Jahren vom Gotteskomplex gesprochen. Der Gotteskomplex bezeichnet den tief sitzenden Drang eines Menschen, andere in allem nicht nur zu übertreffen, sondern selbst letztlich gottgleich zu sein.

Die kirchliche Tradition kennt eine solche Haltung und nennt sie: Hochmut. Der Hochmut rangiert unter den sieben Todsünden an erster Stelle.

Und macht selbst vor dem engsten Umfeld Jesu nicht Halt.

In der Bibel wird in einer Episode erzählt, wie die Jünger in einen Wettstreit miteinander treten. Zwei von ihnen schleichen sich heimlich an Jesu Seite mit der Bitte, er möge ihnen doch bitte die besten Plätze in seinem kommenden Reich reservieren. Aber Jesus durchkreuzt ihren Ehrgeiz: „Anders herum !“, sagt er, „Wer unter euch groß sein will, der soll den anderen dienen!“

Jesus macht die Jünger darauf aufmerksam, dass man die eigenen Begabungen und Talente durchaus besser einsetzen kann als zur Steigerung   des eigenen Ruhms. Indem ich auch die Fähigkeiten und Talente anderer gelten lasse. Vielleicht sogar fördere.

So möchte ich seinen Einwand verstehen: Nicht nur mich selbst im Blick zu haben, sondern auch das, was andere mitbringen.

Und vielleicht wäre das gerade in Zeiten, wo Wahlen anstehen und sich Menschen in besonderer Weise in Konkurrenz zueinander treten, eine schöne Übung: den eigenen Überlegenheitsimpuls zu zügeln. Statt Hochmut Fairness im Umgang miteinander zu praktizieren.

Und - anders als die Königin im Märchen - Mut zu haben zum Respekt voreinander. 

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SWR Kultur Wort zum Tag

27MAI2024
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Es gibt Worte, die verströmen einen besonderen Zauber. Für mich ist das Wort Anmut so eines. Es ist selten geworden im heutigen Sprachgebrauch. 

Was ist das - anmutig? Nicht leicht zu sagen. Die Anmut kommt aus einer anderen Welt als der des Nützlichen und Funktionalen. Anmut ist Grazie, absichtslose Schönheit. Eine Geste, ein Blick, eine Haltung, die mich unmittelbar berührt.

Es ist wohl gerade dieses Absichtslose, was es der Anmut heute so schwer macht. Wo wir doch darauf trainiert werden: Wie wirke ich? Wie komme ich an? Wie steigere ich meine Beliebtheitswerte?

Ich glaube, Jesus spricht von der Anmut in der Bergpredigt, wenn er die Menschen seligpreist, die reinen und aufrichtigen Herzens sind. Über sie sagt er: „Sie werden Gott schauen“. 

Für mich sind es tatsächlich oft biblische Frauengestalten, die ich mir anmutig vorstelle: Maria Magdalena in der Selbstvergessenheit, mit der sie sich Jesus nähert. Die zarte Begegnung zwischen Maria und Elisabeth am Beginn ihrer Schwangerschaft. Aber auch von einem Mann heißt es in der Bibel:  er war von anmutiger Gestalt. Gemeint ist der junge David.

Dabei hat Anmut nicht unbedingt etwas mit äußerlicher Schönheit zu tun. Der Philosoph Martin Seel meint sogar: eine im Sinne der Anmut „gute Figur können auch Leute machen, die sonst keine haben.“

Denn Anmut schafft einen Raum, der das Körperliche und Materielle übersteigt. Wo ich berührt werde, ohne genau sagen zu können, warum.

Wie beim Betrachten einer Rose. So hat der christliche Mystiker Angelus Silesius gedichtet:

„Die Ros‘ ist ohn‘ Warum/sie blühet, weil sie blühet./Sie acht‘ nicht ihrer selbst/fragt nicht, ob man sie siehet.“

Die Rose fragt nicht, wie sie wirkt oder ob jemand ihren Duft wahrnimmt. Sie ist, was sie ist – anmutig!

 

Ich finde, die Wiederentdeckung des Anmutigen könnte uns in zuweilen hässlichen Zeiten helfen, den Sinn ür das Schöne nicht zu verlieren. Und: das Anmutige kann Mut machen –  für ein gutes Wort, eine schöne Geste, ein strahlendes Lächeln. Also: Nur Mut!

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SWR2 Lied zum Sonntag

14APR2024
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Ein Lied, das zum Tanzen einlädt! „Auf, auf mein Herz mit Freuden, nimm wahr, was heut geschieht!“ Heiter und beschwingt ist die Melodie. In Hoffnung verliebt der Text. Er stammt von demselben Dichter, der auch das schwungvolle Sommerlied „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ gedichtet hat: Paul Gerhardt.
Auch in diesem Osterlied steht ein weckender Impuls am Anfang: Mach dich auf! Lass die Traurigkeit hinter dir! Nimm wahr, was an Ostern geschehen ist: „Es kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht.“

Auf, auf, mein Herz,
mit Freuden nimm wahr,
was heut geschieht;
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt
da, wo man uns hinträgt,
wenn von uns unser Geist
gen Himmel ist gereist.

Ein Lied, das zum Hoffen einlädt! Licht fällt in das Grab, in dem Christus begraben lag. Und von dort in die stickigen Grabkammern der Trostlosigkeit überall auf der Welt. Es wird nicht dunkel bleiben. Denn seit Ostern weht ein Hoffnungsschimmer durch die Welt. Oder wie es Paul Gerhardt sagt: „Das Leben schwingt seine Siegesfahne.“

Er war ins Grab gesenket,
der Feind trieb groß Geschrei;
eh er's vermeint und denket,
ist Christus wieder frei
und ruft "Viktoria",
schwingt fröhlich hier und da
sein Fähnlein als ein Held,
der Feld
und Mut behält.

Ein Lied, das zum Lachen einlädt! Zum Osterlachen! Diese Welt mit ihrer Verbissenheit und in ihrer Zerrissenheit ist lächerlich! Ich will mich davon nicht länger entmutigen lassen. Denn an Ostern leuchtet ein Gegenlicht auf. Es stellt in den Schatten, was mich deprimieren und mein Leben verdunkeln will. Und lässt noch in die finstersten Nächte einen „Sonnenblick“ fallen.

Tanzen, hoffen, lachen! So will ich hineingehen in diesen österlichen Sonntagmorgen...

Die Welt ist mir ein Lachen
mit ihrem großen Zorn;
sie zürnt und kann nichts
machen, all Arbeit ist verlorn.
Die Trübsal trübt mir nicht
mein Herz und Angesicht;
das Unglück ist mein Glück,
die Nacht mein Sonnenblick.

                    *

CD 1: Paul Gerhard, die schönsten Choräle, Bach Chor Siegen
CD 2: Lob, Ehr und Preis sei Gott, Vocal Concert Dresden, Berlin Classics 2013

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SWR2 Wort zum Tag

06APR2024
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Wir sind gute Freunde. Ab und zu machen wir zusammen Musik. Dann harmonieren wir gut miteinander. Wenn wir aber dann über Gott und die Welt diskutieren, sind wir ziemlich verschiedener Meinung.

Neulich haben wir darüber gesprochen, dass unser Grundgesetz in diesem Mai 75 Jahre alt wird. Eine große Errungenschaft nach den Zeiten der Nazi-Diktatur. Darin sind wir uns einig! Und auch darin, dass diese demokratische Errungenschaft heute bedroht ist. Und es jede Anstrengung wert ist, sie zu verteidigen!

Was wir allerdings unterschiedlich einschätzen: warum sich das Grundgesetz in seiner Präambel ausdrücklich auf Gott bezieht. Da steht ja: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“

Mein Freund meint, diesen Gottesbezug brauche es in einer säkularen Gesellschaft nicht. Er ist Naturwissenschaftler und denkt ganz rational. 

Ich meine: bei dem Bezug auf Gott geht es nicht um irgendeine Art ideologischer Überhöhung. Sondern, wie es der Verfassungsrechtler Horst Dreier sagt: „In Verantwortung vor Gott soll immer auch heißen: Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, dass wir jetzt die letzte Wahrheit präsentieren... Sondern wir sind uns bewusst, dass das gewissermaßen Menschenwerk ist. Und Menschenwerk kann immer auch fehlbar sein.“

Ich finde es großartig, dass das Grundgesetz diese Grenzziehung vornimmt. Gegenüber einer Inthronisation von Instanzen, Parteien oder Machthabern, die beanspruchen, das allerletzte Wort zu haben. 

Durch den Gottesbezug, so verstehe ich es, bleibt der oberste Platz unbesetzt. Unbesetzt für etwas, das nicht greifbar oder definierbar ist. Eine Chiffre für Transzendenz sozusagen.

Und gerade das räumt mir als einem gläubigen Menschen genauso weltanschauliche Freiheit ein wie meinem Freund. Oder allen anderen, die nicht an Gott glauben wollen oder können.

Zusammen mit meinem Freund werde ich also auch in Zukunft mit Begeisterung musizieren. Und beide werden wir uns gemeinsam darüber freuen, dass unser in die Jahre gekommenes Grundgesetz ein Dach ist, unter dem Gläubige wie Ungläubige, Männer wie Frauen, Christen wie Juden und Muslime sich frei bewegen können. Und ihren Glauben frei leben dürfen.

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SWR2 Wort zum Tag

05APR2024
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Es sind Sätze, die mir nachgehen. Sätze über den Hass und seine Auswirkungen. Der Schriftsteller Heinrich Mann hat sie im Deutschland der 1930er Jahre geschrieben. Wie die Nationalsozialisten ein ganzes Volk erobert haben:

„Die Nazis“, schreibt Heinrich Mann, „würden dieses Volk niemals erobert haben, hätten sie sich nicht des Hasses bedient. Der Hass war ihnen nicht nur das Mittel hochzukommen, er war der einzige Inhalt ihrer Bewegung.“ Und: „Der Antisemitismus verrät einen Fehler im inneren Gleichgewicht einer Nation“.

Heinrich Mann war einer der ersten, der früh und in großer Klarheit die Bedrohung heraufziehen sah. Wie Hass, der sich ungebremst in einer Gesellschaft ausbreitet, in die politische Katastrophe führt. 

Seine Worte sind erschreckend aktuell, wenn ich sehe, wie aufgeladen und feindselig zuweilen der Umgang im gesellschaftlichen Miteinander geworden ist.

Was aber schützt vor dem Hass? Heinrich Mann hoffte, die Tradition der Aufklärung und des Geistes. „Wer Tradition hat“, so schreibt er, „ist sicher vor falschen Gefühlen. Tradition befähigt uns zur Erkenntnis, und sie macht uns geneigt zur Skepsis und zur Milde.“

Skepsis und Milde. Ein schönes Paar, finde ich. Zugleich ein Lebensentwurf, der für mich verkörpert ist in der Haltung einer Christusfigur, die der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffen hat. An vielen evangelischen Kirchen ist er zu sehen: der segnende Christus.

Dieser Christus ist einerseits skeptisch: gegenüber hohlen Worten und drohenden Gebärden. Aber er verkörpert auch die Milde und Sanftmut derer, die er in der Bergpredigt seligpreist.

Wenn ich am Schreibtisch sitze, steht in meiner Nähe eine Nachbildung dieses segnenden Christus. Sie verströmt eine gelöste und friedliche Aura, in die ich mich gerne hineinziehen lasse.

Die Theologin Dorothee Sölle hat heilsame Worte gefunden über den segnenden Christus, in dieser besonderen Verbindung von Skepsis und Milde:
»den hass macht er müde“ schreibt sie, „die übermüdeten bringt er zum atmen, die zitternden zum schlafen, die träumenden zum handeln, und die handelnden zum träumen.« 

Literaturempfehlung: Heinrich Mann, Der Hass, Deutsche Zeitgeschichte, Essays, Fischer. Taschenbuch 1983

 

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