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SWR2 Lied zum Sonntag

14APR2024
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Ein Lied, das zum Tanzen einlädt! „Auf, auf mein Herz mit Freuden, nimm wahr, was heut geschieht!“ Heiter und beschwingt ist die Melodie. In Hoffnung verliebt der Text. Er stammt von demselben Dichter, der auch das schwungvolle Sommerlied „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ gedichtet hat: Paul Gerhardt.
Auch in diesem Osterlied steht ein weckender Impuls am Anfang: Mach dich auf! Lass die Traurigkeit hinter dir! Nimm wahr, was an Ostern geschehen ist: „Es kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht.“

Auf, auf, mein Herz,
mit Freuden nimm wahr,
was heut geschieht;
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht!
Mein Heiland war gelegt
da, wo man uns hinträgt,
wenn von uns unser Geist
gen Himmel ist gereist.

Ein Lied, das zum Hoffen einlädt! Licht fällt in das Grab, in dem Christus begraben lag. Und von dort in die stickigen Grabkammern der Trostlosigkeit überall auf der Welt. Es wird nicht dunkel bleiben. Denn seit Ostern weht ein Hoffnungsschimmer durch die Welt. Oder wie es Paul Gerhardt sagt: „Das Leben schwingt seine Siegesfahne.“

Er war ins Grab gesenket,
der Feind trieb groß Geschrei;
eh er's vermeint und denket,
ist Christus wieder frei
und ruft "Viktoria",
schwingt fröhlich hier und da
sein Fähnlein als ein Held,
der Feld
und Mut behält.

Ein Lied, das zum Lachen einlädt! Zum Osterlachen! Diese Welt mit ihrer Verbissenheit und in ihrer Zerrissenheit ist lächerlich! Ich will mich davon nicht länger entmutigen lassen. Denn an Ostern leuchtet ein Gegenlicht auf. Es stellt in den Schatten, was mich deprimieren und mein Leben verdunkeln will. Und lässt noch in die finstersten Nächte einen „Sonnenblick“ fallen.

Tanzen, hoffen, lachen! So will ich hineingehen in diesen österlichen Sonntagmorgen...

Die Welt ist mir ein Lachen
mit ihrem großen Zorn;
sie zürnt und kann nichts
machen, all Arbeit ist verlorn.
Die Trübsal trübt mir nicht
mein Herz und Angesicht;
das Unglück ist mein Glück,
die Nacht mein Sonnenblick.

                    *

CD 1: Paul Gerhard, die schönsten Choräle, Bach Chor Siegen
CD 2: Lob, Ehr und Preis sei Gott, Vocal Concert Dresden, Berlin Classics 2013

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SWR2 Wort zum Tag

06APR2024
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Wir sind gute Freunde. Ab und zu machen wir zusammen Musik. Dann harmonieren wir gut miteinander. Wenn wir aber dann über Gott und die Welt diskutieren, sind wir ziemlich verschiedener Meinung.

Neulich haben wir darüber gesprochen, dass unser Grundgesetz in diesem Mai 75 Jahre alt wird. Eine große Errungenschaft nach den Zeiten der Nazi-Diktatur. Darin sind wir uns einig! Und auch darin, dass diese demokratische Errungenschaft heute bedroht ist. Und es jede Anstrengung wert ist, sie zu verteidigen!

Was wir allerdings unterschiedlich einschätzen: warum sich das Grundgesetz in seiner Präambel ausdrücklich auf Gott bezieht. Da steht ja: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“

Mein Freund meint, diesen Gottesbezug brauche es in einer säkularen Gesellschaft nicht. Er ist Naturwissenschaftler und denkt ganz rational. 

Ich meine: bei dem Bezug auf Gott geht es nicht um irgendeine Art ideologischer Überhöhung. Sondern, wie es der Verfassungsrechtler Horst Dreier sagt: „In Verantwortung vor Gott soll immer auch heißen: Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, dass wir jetzt die letzte Wahrheit präsentieren... Sondern wir sind uns bewusst, dass das gewissermaßen Menschenwerk ist. Und Menschenwerk kann immer auch fehlbar sein.“

Ich finde es großartig, dass das Grundgesetz diese Grenzziehung vornimmt. Gegenüber einer Inthronisation von Instanzen, Parteien oder Machthabern, die beanspruchen, das allerletzte Wort zu haben. 

Durch den Gottesbezug, so verstehe ich es, bleibt der oberste Platz unbesetzt. Unbesetzt für etwas, das nicht greifbar oder definierbar ist. Eine Chiffre für Transzendenz sozusagen.

Und gerade das räumt mir als einem gläubigen Menschen genauso weltanschauliche Freiheit ein wie meinem Freund. Oder allen anderen, die nicht an Gott glauben wollen oder können.

Zusammen mit meinem Freund werde ich also auch in Zukunft mit Begeisterung musizieren. Und beide werden wir uns gemeinsam darüber freuen, dass unser in die Jahre gekommenes Grundgesetz ein Dach ist, unter dem Gläubige wie Ungläubige, Männer wie Frauen, Christen wie Juden und Muslime sich frei bewegen können. Und ihren Glauben frei leben dürfen.

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SWR2 Wort zum Tag

05APR2024
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Es sind Sätze, die mir nachgehen. Sätze über den Hass und seine Auswirkungen. Der Schriftsteller Heinrich Mann hat sie im Deutschland der 1930er Jahre geschrieben. Wie die Nationalsozialisten ein ganzes Volk erobert haben:

„Die Nazis“, schreibt Heinrich Mann, „würden dieses Volk niemals erobert haben, hätten sie sich nicht des Hasses bedient. Der Hass war ihnen nicht nur das Mittel hochzukommen, er war der einzige Inhalt ihrer Bewegung.“ Und: „Der Antisemitismus verrät einen Fehler im inneren Gleichgewicht einer Nation“.

Heinrich Mann war einer der ersten, der früh und in großer Klarheit die Bedrohung heraufziehen sah. Wie Hass, der sich ungebremst in einer Gesellschaft ausbreitet, in die politische Katastrophe führt. 

Seine Worte sind erschreckend aktuell, wenn ich sehe, wie aufgeladen und feindselig zuweilen der Umgang im gesellschaftlichen Miteinander geworden ist.

Was aber schützt vor dem Hass? Heinrich Mann hoffte, die Tradition der Aufklärung und des Geistes. „Wer Tradition hat“, so schreibt er, „ist sicher vor falschen Gefühlen. Tradition befähigt uns zur Erkenntnis, und sie macht uns geneigt zur Skepsis und zur Milde.“

Skepsis und Milde. Ein schönes Paar, finde ich. Zugleich ein Lebensentwurf, der für mich verkörpert ist in der Haltung einer Christusfigur, die der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffen hat. An vielen evangelischen Kirchen ist er zu sehen: der segnende Christus.

Dieser Christus ist einerseits skeptisch: gegenüber hohlen Worten und drohenden Gebärden. Aber er verkörpert auch die Milde und Sanftmut derer, die er in der Bergpredigt seligpreist.

Wenn ich am Schreibtisch sitze, steht in meiner Nähe eine Nachbildung dieses segnenden Christus. Sie verströmt eine gelöste und friedliche Aura, in die ich mich gerne hineinziehen lasse.

Die Theologin Dorothee Sölle hat heilsame Worte gefunden über den segnenden Christus, in dieser besonderen Verbindung von Skepsis und Milde:
»den hass macht er müde“ schreibt sie, „die übermüdeten bringt er zum atmen, die zitternden zum schlafen, die träumenden zum handeln, und die handelnden zum träumen.« 

Literaturempfehlung: Heinrich Mann, Der Hass, Deutsche Zeitgeschichte, Essays, Fischer. Taschenbuch 1983

 

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SWR2 Wort zum Tag

04APR2024
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Vor einhundert Jahren ist der Schriftsteller Franz Kafka im Alter von vierzig Jahren gestorben. Eine seiner Geschichten ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Da erzählt einer von einer langen Reise, zu der er aufbricht:

Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte den Diener, was das bedeutete. Er wusste nichts und hatte nichts gehört.
Beim Tor hielt er mich auf und fragte: „Wohin reitet der Herr?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“
„Du hast keinen Essvorrat mit“, sagte er. „Ich brauche keinen“, sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme.“

Der Erzähler, das wird sofort klar, bricht nicht zu einer Urlaubsreise auf. Es geht um die ungeheure Reise eines ganzen Lebens. Als Jude sind Kafka die Geschichten der hebräischen Bibel vertraut. Da gibt es auch diesen ungeheuren Aufbruch des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten. Endlose Wege durch die Wüste. Da hilft kein Proviant, den man mitgebracht hat. Also muss ich unterwegs etwas Nahrhaftes finden.

Weil der Weg endlos erschienen ist, begann das Volk an Gott zu zweifeln. Da ließ Gott, so erzählt die Bibel, Manna vom Himmel fallen. Manna war eine besondere Speise. Man konnte sie nicht aufheben. Sie reichte immer nur für einen einzigen Tag.

Auch in Kafkas Geschichte sagt der Erzähler: Ich muss verhungern, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Ich kenne das auch. Dass ich täglich neu finden muss, was ich brauche - an Motivation, an Kraft und an Energie.

Jeden Tag bin ich angewiesen darauf, dass jemand mit mir teilt, was er hat. An Wissen, an Erfahrung, auch an Wasser und Brot. Und umgekehrt: dass andere schätzen, was ich beisteuern kann.

Dann kann ich los gehen. Ins Ungewisse, aber voller Vertrauen, dass Gott mich finden lässt, was ich für diesen Tag brauche.

Vielleicht mit so einem Gebet: „Ich bitte dich, Herr, um die große Kraft, diesen kleinen Tag zu bestehen. Um auf dem großen Wege zu dir, einen kleinen Schritt weiterzugehen.“

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SWR2 Wort zum Tag

09MRZ2024
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Moderne Gesellschaften, so hat der Philosoph Wilhelm Schmid kürzlich in einem Radioessay gesagt, befinden sich „mitten in einem Großexperiment“. Er meint damit, dass die gesamte Moderne seit ihren Anfängen vor über 200 Jahren zusammen mit der „Befreiung von allerlei Bindungen auch die Befreiung von Religion“ im Sinn habe.

Eine stetig wachsende Zahl von Menschen - jedenfalls in der westlichen Welt - unternehme seither, so Schmid, „den Versuch, ein Leben ganz ohne Religion zu leben.“

Für mich stellt sich allerdings die Frage, und das fragt auch der Philosoph nicht ganz ohne Sorge: wie wird dieses Experiment ausgehen? Angenommen es scheitert. Was dann?

Das Thema ist ja wichtig. Denn es hat viel zu tun mit dem Leben jedes Einzelnen wie auch unserer Gesellschaft im Ganzen.

Wenn nämlich alles abgelegt wird wie ein veraltetes Gewand - nicht nur das Religiöse im engeren Sinn, sondern zugleich damit auch andere Bindungen wie Traditionen und Konventionen -  was dann?  

Der Gedanke liegt nahe, dass jeder Mensch dann vor der kaum lösbaren Aufgabe steht, sich jeden Tag neu erfinden und orientieren zu müssen. Jeden Schritt, den man tut, neu zu begründen. Alles, was sich bewährt hat, immer wieder neu auszuhandeln.

Aber auch auf viele Fragen und Antworten, die der Glaube gibt, zu verzichten. Nach dem Anfang und dem Grund allen Lebens. Nach dem Sinn und der Zukunft meiner Existenz.

Schwierig! Ich möchte jedenfalls den Ausgang dieses Großexperiments nicht abwarten. Weil ich den Verdacht habe, dass die Freiheit, zu der die „Befreiung von Religion“ führen soll, ein falsches Versprechen enthält. Und die versprochene Freiheit in einer ständigen Überanstrengung endet.

Ich meine, der religiöse Glaube, da wo er ernst genommen wird, thematisiert ja das Menschsein mit allen seinen Höhen und Tiefen. Er verbindet Vergangenheit mit Zukunft. Schafft Gemeinschaft. Und vermittelt mir Dankbarkeit für die geschenkte Lebenszeit.

Der Glaube zeigt mir eine verlässliche Spur, wie andere Menschen gelebt, gehofft und gehandelt haben. Einsichten und Erfahrungen, an die ich anknüpfen kann. Und die mir heute Orientierung geben können für ein befreites Leben.

Vor allem aber entlastet er von dem Druck, mich jeden Tag neu erfinden zu müssen.

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SWR2 Wort zum Tag

08MRZ2024
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Hundertmal gesehen und doch nicht bemerkt! So ging es mir mit der Frauengestalt, die auf dem berühmten Deckenfresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle im Vatikan dargestellt ist. Ich meine die berühmte Szene, in der Gott und Adam sich aufeinander zu bewegen. Und sich mit ihren Fingerspitzen zu berühren scheinen.

Dieses aufregende Detail auf dem Gemälde habe ich lange übersehen. Dass nämlich Gott seinen anderen Arm um eine Frau gelegt hat. Lange hat man in der Kunstgeschichte angenommen, es handele sich dabei um Eva. Heute sagen Bibelwissenschaftler: Nein! Es ist die Frau, die von Anfang der Schöpfung an mit dabei war: die Weisheit. Personifiziert in einer Frau.

Im biblischen Buch „Sprüche Salomos“ kommt Frau Weisheit selbst zu Wort.  „Ich war dabei“, sagt sie, „als Gott das Dach des Himmels baute, als er den Horizont über dem Meer bildete... Als er dann die Fundamente der Erde legte, stand ich ihm als Handwerkerin zur Seite.

Frau Weisheit, so erfahren wir, ist eine kluge Ratgeberin. Sie berät Einzelne, aber auch das Volk. Und sogar die Regierung. Man könnte sagen: sie ist so etwas wie die antike Lebenskunst in Person.

So ruft sie zur Verantwortung für die Schwachen und sagt: „Tue deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ Sie weiß: „Hochmut kommt vor dem Fall“. Und warnt davor, mit der eigenen Zukunft zu prahlen, denn: „Du weißt nicht, was der morgige Tag bringt.“ Sie findet, „dass ein Geduldiger besser ist als ein Starker“ und dass Gott es ist, der letztlich unsere Schritte lenkt.

Von Anfang an ist die Weisheit das weibliche Gegenüber zu Gott. Die göttliche Urkraft, die bis heute die ganze Schöpfung durchwebt.

Erstaunlich finde ich, dass es ein halbes Jahrtausend gebraucht hat, bis man sie auf Michelangelos Bild so wahrgenommen hat: als Frau an der Seite Gottes.

Uns heute, finde ich, hat Frau Weisheit in einer Zeit, wo so manches aus der Balance geraten ist, einiges zu sagen. Sie predigt keinen religiösen Moralismus. Sondern sie steht für eine Art dringend benötigter geistlicher Lebenskunst.
Torheit gibt es schließlich genug auf der Welt!

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SWR2 Wort zum Tag

07MRZ2024
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Mit zahlreichen Ausstellungen und Retrospektiven wird er in diesem Jahr gefeiert: der 250. Geburtstag des Malers Caspar David Friedrich. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Gemälde mit dem Titel „Mönch am Meer“.

Seit Langem fasziniert mich dieses Bild. Die endlose Weite und düstere Leere, die der Maler vor uns ausbreitet. Im Vordergrund nur die kleine und verloren wirkende Gestalt des Mönchs. Ein schmaler Streifen Strand, auf dem er steht. Dahinter in bleierner Schwärze das Meer.  

Erst am oberen Bildrand hellt sich die Szene auf. Und die grauen Wolkenschleier geben den Blick frei ins Blau des Himmels.

Man hat gesagt, dieses Bild stehe am Anfang der Moderne. Es zeige den Menschen, der nicht mehr beheimatet ist in der Welt.

Was Caspar David Friedrich selbst zu seinem Bild schreibt, klingt ein wenig anders: „Tief zwar sind deine Fußstapfen am öden sandigen Strande“, so der Maler, „doch ein leiser Wind weht darüber hin, und deine Spur wird nicht mehr gesehen: törichter Mensch voll eitlem Dünkel!"

Caspar David Friedrich kannte beides: das Gefühl, einem unendlichen Universum gegenüber schutzlos ausgeliefert zu sein. Aber dann auch ein inneres Geborgensein, das in seinem Glauben begründet war.

Einmal schrieb er: „Der Himmel und Erde schuf, ist um mich und seine Liebe schützet mich.“ 

Ich denke, das Bild kann beim Betrachter tatsächlich unterschiedlichste Wirkungen auslösen. Bis hin zu dem Wunsch, am besten wegzulaufen, um sich in Sicherheit zu bringen. Ich sehe in dem Mönch am Meer eher jemanden, der trotz aller Düsternis Stand hält. Und nicht wegläuft. Er erinnert mich an die Worte eines alten Kirchenchorals. Da singt einer angesichts einer düsteren Welt:

Tobe, Welt, und springe;
ich steh hier und singe
in gar sichrer Ruh!
Gottes Macht hält mich in Acht...

Für mich ist der Mönch so einer, der Stand hält. Selbst wenn der Himmel verhangen ist. Ein Einsamer? Vielleicht. Aber mehr noch, glaube ich, ein Hoffender. Einer, der darauf wartet, dass der schmale helle Streifen am Himmel größer wird. Dass der Himmel sich wieder öffnet. Und das Leben in neue Farben taucht.

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SWR2 Lied zum Sonntag

04FEB2024
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Orgelchoral „Liebster Jesu, wir sind hier“

„Liebster Jesu, wir sind hier“, so heißt das Lied, das eben in dem kunstvollen Orgelvorspiel von Johann Sebastian Bach angeklungen ist. Ich erinnere mich, dass ich es als Kind oft gesungen habe. Im Kindergottesdienst. Da bin ich gerne hingegangen. Einmal, weil es die erste Veranstaltung in meinem Leben war, zu der mich meine Eltern alleine gehen ließen.Aber da war noch etwas Anderes, das wichtiger war: Ich hatte das Gefühl, in der Nähe von diesem Jesus, da bist du gut aufgehoben.

Liebster Jesus, wir sind hier,
dich und dein Wort anzuhören;
lenke Sinnen und Begier
auf die süßen Himmelslehren,
dass die Herzen von der Erden
ganz zu dir gezogen werden.

Erst später habe ich den historischen Zusammenhang verstanden, aus dem das Lied stammt. Es ist kurz nach Ende des Dreißigjährigen Krieges entstanden.
Der evangelische Pfarrer Tobias Clausnitzer aus Weiden in der Oberpfalz hat es für einen Friedensgottesdienst gedichtet. Das Wort Frieden kommt im Lied zwar nicht vor, aber die Sache schon. Denn es geht darum, sich ganz auf den auszurichten, der die Sanftmütigen und die Friedensstifter seligpreist.

„Lenke Sinnen und Begier auf die süßen Himmelslehren“, heißt es am Anfang. Und dann in der zweiten Strophe:

Unser Wissen und Verstand
ist mit Finsternis verhüllet,
wo nicht deines Geistes Hand
uns mit hellem Licht erfüllet.

Heute wird das Lied oft im Gottesdienst vor der Predigt gesungen. Ich finde, da passt es auch gut hin. So wird sein Impuls aufgenommen: dass ich mich auf das konzentrieren soll, was Orientierung und Erkenntnis schafft. In dunklen Zeiten.
Das genau ist die stille Hoffnung, die im Lied erklingt: wenn ich mich öffne für die Worte Jesu, dann kommt etwas vom verlorenen Glanz zurück in die Welt.

Und führt mich heraus aus der Beschäftigung mit mir selbst. Und öffnet mir Herzen, Mund und Ohren für den Klang seiner Friedensbotschaft.

O du Glanz der Herrlichkeit,
Licht vom Licht, aus Gott geboren:
mach uns allesamt bereit,
öffne Herzen, Mund und Ohren;
unser Bitten, Flehn und Singen
lass, Herr Jesu, wohl gelingen.

                                        *

Orgelchoral „Liebster Jesu, wir sind hier“, BWV 731. CD: Orgelwerke Opus Bach, Peter Kofler, 5, Faraq Classic 2019, LC 03740
„Liebster Jesu, wir sind hier“. CD: Aus meines Herzens Grunde. Die schönsten alten Kirchenlieder, 2, Carus Verlag, Track 25, LC 3989
„Liebster Jesu, wir sind hier“. CD: Ein Choralbuch für Johann Sebastian Bach, Gächinger Kantorei, edition hänssler, Track 2, LC 06047

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SWR2 Wort zum Tag

30DEZ2023
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Am Ende des Jahres bringen Zeitungen und Fernsehmagazine ihre Jahresrückblicke. Die Chronik des Jahres 2023 ist voll von Nachrichten über Kriege und Katastrophe, Wetterextreme und Menschen, die auf der Flucht sind. Das Wort „Krisenmodus“ ist zum „Wort des Jahres“ gewählt worden.

Ich frage mich aber: Welche Ereignisse und Nachrichten haben es nicht in die Schlagzeilen geschafft? Wo sind die Menschen geblieben, die eher unauffällig im Hintergrund agiert und die Welt zum Guten verändert haben?

Die russischen und ukrainischen Musikerinnen etwa, die zusammen ein Lied aufgenommen haben. Um mit dem Erlös die vom Krieg Betroffenen zu unterstützen. Oder der israelische und der palästinensische Journalist, die sich zusammengesetzt haben, um miteinander ihre Angehörigen zu betrauern und sich ihre Hilflosigkeit einzugestehen. Die Frau, die sich um den Nachbarn kümmert, der seine Lebensgefährtin verloren hat.

Gerade solche Nachrichten im Blick zu behalten, hilft mir, dass die täglichen Schlagzeilen mich nicht erschlagen. Es gibt so vieles, bei dem ich den warmen Herzschlag der Menschlichkeit spüre.

Menschen, die es nicht dabei bewenden lassen, dass die Welt nur so ist, wie sie sich in den Schlagzeilen präsentiert. Die Einspruch erheben und etwas dagegen setzen.

In einem Lied zum Jahreswechsel, das fast vierhundert Jahr alt ist und von Paul Gerhardt kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges gedichtet worden ist, finde ich mich wieder.

Wir gehen dahin und wandern
von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen
vom alten bis zum neuen.

Durch so viel Angst und Plagen,
durch Zittern und durch Zagen,
durch Krieg und große Schrecken,
die alle Welt bedecken.

Seinen eigenen „Jahresrückblick“ schließt Paul Gerhardt ab mit dem Lob des Schöpfers und einer Bitte um Segen.

Gelobet sei deine Treue,
die alle Morgen neue;
Lob sei den starken Händen,
die alles Herzleid wenden.

Sprich deinen milden Segen
zu allen unsern Wegen,
lass Großen und auch Kleinen
die Gnadensonne scheinen.

So zu denken und zu sprechen gelingt dann, wenn ich nicht bei den Schlagzeilen stehen bleibe. Sondern den Blick darüber hinaus auf den Gott richte, der im Verborgenen der Begleiter meines Lebens ist.
Wenn morgen das alte Jahr zu Ende geht, wünsche ich Ihnen, ein gesegnetes neues Jahr. Unter der Gnadensonne Gottes.

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SWR2 Wort zum Tag

29DEZ2023
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Unter den Büchern, die ich in diesem Jahr gelesen habe, hat mich dieses besonders fasziniert. Es heißt: „Gentleman über Bord“. Ein wohlsituierter Geschäftsmann sucht Abstand von Frau, Familie und Beruf. Und macht zusammen mit ein paar weiteren Touristen eine Schiffsreise mit einem Frachter über den Pazifik.

Bei einem Spaziergang an Deck am frühen Morgen rutscht er auf einem Ölfleck aus. Und fällt von Bord des Schiffes. Aber die See ist ruhig und glatt wie ein Spiegel. Malerisch geht die Sonne am Horizont auf. Nichts ist für ihn bis dahin beunruhigend. Denn die Chancen, entdeckt und gerettet zu werden, stehen gut. Denkt er.

Doch das erweist sich als Irrtum. Es stellt sich nämlich heraus, dass die Leute an Bord alle mit sich selbst beschäftigt sind. Mit dem morgendlichen Frühstück. Mit Morgengymnastik. Mit der Navigation des Schiffs. Mit sich selbst beschäftigt ist aber auch der Gentleman, der ins Meer gefallen ist. Viel zu spät kommt er darauf, dass es gut wäre, irgendwelche Anstrengungen zu unternehmen, um sich bemerkbar zu machen.

Lieber malt er sich aus, wie es sein wird, wenn er - nach seiner Rettung, von der er überzeugt ist -  einem von ihm faszinierten Publikum seine spannende Geschichte erzählen wird. Erst ganz allmählich und viel zu spät wird er sich seiner Einsamkeit und seiner Ohnmacht inmitten des riesigen Meeres bewusst.

Ich lese das Buch „Gentleman über Bord“  auch als Parabel über menschliche Einsamkeit und enttäuschte Hoffnungen. Und den Irrglauben, man habe alles schon irgendwie unter Kontrolle.

Und ich denke daran, dass das Bild des Schiffes ja auch in der christlichen Tradition eine geradezu archetypische Rolle spielt. Beim Betreten einer Kirche kann ich die beruhigende Atmosphäre des Kirchenschiffs spüren. Den weiten Raum, der mich empfängt. Und der eine Ruhe verströmt, in der ich mich aufgehoben fühle.

In den zurückliegenden Weihnachtstagen habe ich wieder erlebt, welche Geborgenheit so ein Kirchenschiff vermittelt, wenn Menschen dort miteinander singen und feiern.

Und damit ausdrücken: wir wollen eine Gemeinschaft sein, die aufeinander Acht gibt und einander im Blick hat. Damit keiner, wie im Roman erzählt wird, unbemerkt und unbeachtet von Bord fällt. 

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