SWR2 Wort zum Tag

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06APR2024
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Wir sind gute Freunde. Ab und zu machen wir zusammen Musik. Dann harmonieren wir gut miteinander. Wenn wir aber dann über Gott und die Welt diskutieren, sind wir ziemlich verschiedener Meinung.

Neulich haben wir darüber gesprochen, dass unser Grundgesetz in diesem Mai 75 Jahre alt wird. Eine große Errungenschaft nach den Zeiten der Nazi-Diktatur. Darin sind wir uns einig! Und auch darin, dass diese demokratische Errungenschaft heute bedroht ist. Und es jede Anstrengung wert ist, sie zu verteidigen!

Was wir allerdings unterschiedlich einschätzen: warum sich das Grundgesetz in seiner Präambel ausdrücklich auf Gott bezieht. Da steht ja: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen hat sich das deutsche Volk dieses Grundgesetz gegeben.“

Mein Freund meint, diesen Gottesbezug brauche es in einer säkularen Gesellschaft nicht. Er ist Naturwissenschaftler und denkt ganz rational. 

Ich meine: bei dem Bezug auf Gott geht es nicht um irgendeine Art ideologischer Überhöhung. Sondern, wie es der Verfassungsrechtler Horst Dreier sagt: „In Verantwortung vor Gott soll immer auch heißen: Wir nehmen nicht für uns in Anspruch, dass wir jetzt die letzte Wahrheit präsentieren... Sondern wir sind uns bewusst, dass das gewissermaßen Menschenwerk ist. Und Menschenwerk kann immer auch fehlbar sein.“

Ich finde es großartig, dass das Grundgesetz diese Grenzziehung vornimmt. Gegenüber einer Inthronisation von Instanzen, Parteien oder Machthabern, die beanspruchen, das allerletzte Wort zu haben. 

Durch den Gottesbezug, so verstehe ich es, bleibt der oberste Platz unbesetzt. Unbesetzt für etwas, das nicht greifbar oder definierbar ist. Eine Chiffre für Transzendenz sozusagen.

Und gerade das räumt mir als einem gläubigen Menschen genauso weltanschauliche Freiheit ein wie meinem Freund. Oder allen anderen, die nicht an Gott glauben wollen oder können.

Zusammen mit meinem Freund werde ich also auch in Zukunft mit Begeisterung musizieren. Und beide werden wir uns gemeinsam darüber freuen, dass unser in die Jahre gekommenes Grundgesetz ein Dach ist, unter dem Gläubige wie Ungläubige, Männer wie Frauen, Christen wie Juden und Muslime sich frei bewegen können. Und ihren Glauben frei leben dürfen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39664
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