SWR Kultur Wort zum Tag

09JUL2024
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Ich war vielleicht zehn Jahre alt, als mir mein Vater einen Leuchtglobus geschenkt hat. Groß wie ein Fußball. Mittels der eingebauten Glühbirne konnte man Erdteile und Ozeane zum Leuchten bringen. Was für ein wunderbares Geschenk!

Plötzlich war die Erde nicht mehr flach wie auf den Seiten meines Diercke Schulatlas. Jetzt konnte ich sehen, dass der Planet ein großes rundes Ganzes ist.

Und das war ja nur ein winziger Vorgeschmack auf das, was Jahre später kommen sollte. Als die ersten Astronauten die Erde auf einer Umlaufbahn umkreisten. Und fantastische Fotos vom blauen Planeten zurück zur Erde schickten.  

Einer der ersten Astronauten, Ron Garan, berichtet damals davon. „Wenn wir auf die Erde aus dem Weltraum herabschauen“, sagt er, „sehen wir diesen erstaunlichen, unbeschreibbar schönen Planeten – der wie ein lebender, atmender Organismus aussieht. Aber gleichzeitig sieht er sehr verletzlich aus.“      

Menschen haben plötzlich eine Anschauung davon gewonnen, wie unendlich weit und schön der Kosmos ist. Und wie verbunden das eigene Leben mit dem Leben im Universum.

Aber man muss sich nicht auf eine Umlaufbahn schießen lassen, um die Schönheit der Schöpfung zu erkennen. Wache Augen genügen. Wie sie der lateinamerikanische Dichter Ernesto Cardenal hat, wenn er schreibt: „Die ganze Schöpfung ist die Schönschrift Gottes und in seiner Schrift gibt es nicht ein sinnloses Zeichen. Der Schriftzug der Meteore am Himmel, der Flug der Zugvögel in den Herbstnächten, die Jahresringe im Stamm einer Zeder, alles sind Zeichen, die uns Botschaften übermitteln. Wir müssen nur verstehen, sie zu lesen.“

Mir geht es so, dass ich dazu morgens nur das Fenster aufmachen muss. Die Schwärze der Nacht ist verflogen. Ich lasse die kühle Morgenluft ins Zimmer, freue mich am Zwitschern der Vögel und genieße das Glück eines jungen Morgens.

Und begreife: Ich lebe auf dem blauen Planeten, auf dem alles miteinander verbunden ist. Zerbrechlich und verletzlich ist er. Wie ich selber auch. Darum will ich ihm begegnen, wie man Verletzlichem und Zerbrechlichem begegnet. Behutsam und mit Empathie.

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