SWR2 Wort zum Tag

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05APR2024
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Es sind Sätze, die mir nachgehen. Sätze über den Hass und seine Auswirkungen. Der Schriftsteller Heinrich Mann hat sie im Deutschland der 1930er Jahre geschrieben. Wie die Nationalsozialisten ein ganzes Volk erobert haben:

„Die Nazis“, schreibt Heinrich Mann, „würden dieses Volk niemals erobert haben, hätten sie sich nicht des Hasses bedient. Der Hass war ihnen nicht nur das Mittel hochzukommen, er war der einzige Inhalt ihrer Bewegung.“ Und: „Der Antisemitismus verrät einen Fehler im inneren Gleichgewicht einer Nation“.

Heinrich Mann war einer der ersten, der früh und in großer Klarheit die Bedrohung heraufziehen sah. Wie Hass, der sich ungebremst in einer Gesellschaft ausbreitet, in die politische Katastrophe führt. 

Seine Worte sind erschreckend aktuell, wenn ich sehe, wie aufgeladen und feindselig zuweilen der Umgang im gesellschaftlichen Miteinander geworden ist.

Was aber schützt vor dem Hass? Heinrich Mann hoffte, die Tradition der Aufklärung und des Geistes. „Wer Tradition hat“, so schreibt er, „ist sicher vor falschen Gefühlen. Tradition befähigt uns zur Erkenntnis, und sie macht uns geneigt zur Skepsis und zur Milde.“

Skepsis und Milde. Ein schönes Paar, finde ich. Zugleich ein Lebensentwurf, der für mich verkörpert ist in der Haltung einer Christusfigur, die der dänische Bildhauer Bertel Thorvaldsen geschaffen hat. An vielen evangelischen Kirchen ist er zu sehen: der segnende Christus.

Dieser Christus ist einerseits skeptisch: gegenüber hohlen Worten und drohenden Gebärden. Aber er verkörpert auch die Milde und Sanftmut derer, die er in der Bergpredigt seligpreist.

Wenn ich am Schreibtisch sitze, steht in meiner Nähe eine Nachbildung dieses segnenden Christus. Sie verströmt eine gelöste und friedliche Aura, in die ich mich gerne hineinziehen lasse.

Die Theologin Dorothee Sölle hat heilsame Worte gefunden über den segnenden Christus, in dieser besonderen Verbindung von Skepsis und Milde:
»den hass macht er müde“ schreibt sie, „die übermüdeten bringt er zum atmen, die zitternden zum schlafen, die träumenden zum handeln, und die handelnden zum träumen.« 

Literaturempfehlung: Heinrich Mann, Der Hass, Deutsche Zeitgeschichte, Essays, Fischer. Taschenbuch 1983

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39663
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