SWR2 Wort zum Tag
Es gibt Männer, die hören einfach nicht auf zu beten! Rund um die Uhr: 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, wie bei einem Gebetsmarathon.
Es sind Männer aus Konstanz oder Offenburg, vom Kaiserstuhl oder aus dem Odenwald. Aus ganz unterschiedlichen Orten kommen sie, um in einer kleinen idyllischen Kirche in der Nähe von St. Peter bei Freiburg zu beten. Der Ausblick dort ist herrlich und die Atmosphäre eine ganz besondere.
Schon seit 67 Jahren gibt es die sogenannte „Gebetswache“ auf dem Lindenberg. Das klingt womöglich seltsam, aber der Anlass war damals ganz konkret. Im Jahr 1955 hat der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Reise nach Moskau unternommen. Er hat über die Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen aus Russland verhandelt. Ein paar Männer haben sich dann zusammengetan, um für das Gelingen dieses schwierigen Unterfangens ununterbrochen zu beten.
Man kann nun darüber streiten, ob Beten hilft oder nicht. 1955 ist es jedenfalls geglückt. Die letzten Kriegsgefangenen durften wieder in die Heimat zurück.
Nach dem Erfolg Adenauers dachten die Männer aber nicht: „Jetzt ist es genug mit dem Beten. Jetzt hören wir auf.“ Sie haben weitergemacht und seither kommen immer weiter Männer zum Beten auf den Lindenberg.
Warum es nur Männer sind? Hinter der Aktion steckt das katholische Männerwerk. Ein Verband nur aus Männern, der diese Aufgabe damals zu seiner eigenen gemacht hat und immer weiterführen will.
Den Männern ist wichtig, dass einfach immer jemand da ist, der betet. Sie beten um persönliche Anliegen, um Kraft bei Schicksalsschlägen und Krankheiten, zum Beispiel in der Familie oder bei Freunden. Besonders beten sie für den Frieden.
Auf dem Lindenberg steht so etwas wie eine „Dauerverbindung zu Gott“. Natürlich suchen Menschen überall Verbindung zu Gott, und ich bin überzeugt, Gott hält zu allen Orten überall Verbindung. Trotzdem ist es schon etwas Besonderes, wenn irgendwo ununterbrochen gebetet wird.
Ich glaube, das braucht es. Denn man könnte zynisch werden und sagen: „Auch wenn Menschen für den Frieden auf der Welt beten, das wird nie etwas!“ Man könnte aufgeben und die Hände in den Schoß legen. Dass diese Männer ständig beten, ist ein Zeichen der Hoffnung. Und es ist nicht das einzige!
Immer wenn Menschen, egal ob Kinder, Frauen oder Männer, nicht aufhören zu beten, ist das für mich ein Lichtblick. Sie machen mir Mut, dass auch ich dranbleibe, dass ich weiter vertraue, zuversichtlich bleibe und eben nicht aufgebe.
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Eine Handvoll Nüsse und ein paar Lebkuchen vor der Haustür, ein Schokolädchen am Arbeitsplatz oder eine Mandarine im Schuh. Das sind die Klassiker heute am Nikolaustag. Sie sind auch schön. Gerade Kinder lieben es, wenn ein „Nikolaus“ ihnen Geschenke und Süßigkeiten mitbringt.
Nächste Woche aber gibt es eine Aktion, die nicht so klassisch ist und bei der es auf dem ersten Blick untypisch für den Nikolaus zugeht: Die findet am nächsten Wochenende statt. Und die, die beschenkt werden, sind keine Kinder, sondern gestandene Männer, genau genommen: LKW-Fahrer. Für sie gibt es nicht nur Schokolade und Mandarinen, sondern vor allem Aufmerksamkeit und auch noch Zeit.
Das Ganze spielt an der Autobahnraststätte Hegau auf der A81 in der Nähe von Singen. Da klopft dann ein Nikolaus an LKW-Türen und verteilt Geschenktaschen an LKW-Fahrer. Sie sind als kleines Dankeschön gedacht, denn die Fernfahrer haben einen wichtigen und auch harten Beruf.
Es bleibt aber nicht nur bei den Mandarinen und der Schokolade. Ehrenamtliche der katholischen Arbeiternehmerseelsorge verteilen auch Duschgutscheine und sind zum Reden da. Auch Dolmetscher werden vor Ort sein. Viele Fernfahrer stammen ja aus Osteuropa, und da ist die Verständigung nicht einfach. Diese Männer werden oft übersehen. Sie sind wochenlang unterwegs, weit weg von ihren Familien. Sie arbeiten hart und lang für viel zu wenig Geld und stecken manchmal in betrügerischen Strukturen fest.
Ich finde diese ungewöhnliche Nikolausaktion toll. Sie erinnert mich daran, was auch dem Heiligen Nikolaus wichtig war. Es gibt ja viele Legenden, die sich um diesen Bischof von Myra aus dem 4. Jahrhundert ranken.
Am bekanntesten ist die Legende mit den Goldklumpen. Nikolaus kommt nachts am Haus einer armen Familie vorbei und wirft ihnen heimlich drei Goldklumpen durch das offene Fenster. Und niemand soll es gesehen haben, dass er es war.
Nikolaus hat die Menschen um sich herum wahrgenommen. Ohne sich selbst dabei ins Rampenlicht zu stellen, hat er ihnen einfach geholfen.
Diese selbstlose Geste ist zeitlos. Vielleicht hat sie gerade deswegen bis heute überlebt. Und vielleicht spricht diese Geste auch heute eine Sprache, die alle verstehen.
Wie schön, dass es heute an so vielen Orten Nikoläuse gibt. Und am Wochenende sogar auch auf der Autobahnraststätte.
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Hat Kaffeeduft etwas mit Gott zu tun? „Ja“, sagt Urban Federer. Er ist Abt des Klosters Einsiedeln und erklärt:
„Eigentlich hatte ich persönlich Kaffee lange nicht gerne, aber der Geruch des Kaffees, welcher am Morgen durch ein Haus zieht, lässt in mir die Erwartung von Genuss und Gemütlichkeit entstehen und ich würde wahrscheinlich kaffeesüchtig, wäre er im Mund so gut wie in der Nase.“
Und dann beschreibt Urban Federer noch etwas, und darin steckt der Clou. Er fragt sich:
„Warum aber soll der Duft in der Nase, meine Erwartung des Kaffees weniger wert sein als das Getränk im Gaumen? Für die Mystiker war schon immer klar, wie wichtig die menschliche Sehnsucht in der Beziehung zu Gott ist: Nicht etwa erst das Leben nach dem Tod bringt uns Gott näher, sondern bereits unsere Sehnsucht nach ihm.“[1]
Das klingt vielleicht kompliziert, aber vermutlich ist Abt Urban an etwas Wahrem dran. Ich ahne, was er meint, wenn er von dem großen Wort „Sehnsucht“ spricht und davon, dass sie allein schon so wertvoll sein kann. Ich kenne das: Wenn ich mich auf etwas besonders freue, das noch kommt, kann das ein starkes Gefühl sein.
Zum Beispiel wenn ich auf einer Reise im Zug sitze, es kaum erwarten kann anzukommen und das Ziel bereits schon durch das Fenster sehen kann. Oder wenn mich ein Freund besucht, den ich schon lange nicht mehr getroffen habe, und ich ungeduldig die Tage zähle, bis er kommt.
Das, wonach ich mich sehne – davon merke ich schon so viel. Ein Stückchen von dem geht schon in Erfüllung.
Für Abt Urban Federer war der angenehm aromatische Kaffeeduft im Raum so ein Zeichen dafür. An ihm merkt er, dass der echte Kaffee da ist. Dann spielt es gar keine große Rolle, dass er den Kaffee nicht trinken mag. Er hat, wenn er den Kaffee riecht, schon einen großen Teil des Kaffees genossen.
Ich muss nicht warten, bis ich Gott irgendwann so richtig erlebe. Ich kann jetzt schon auf ihn hoffen und ihn herbeisehnen. Wenn ich mich so an Gott anhänge, kann er für mich jetzt schon eine Stütze sein, mir jetzt schon helfen, das Gute und Richtige zu tun. Er kann dann jetzt schon in der Welt sein.
Die Adventszeit ist die perfekte Sehnsuchtszeit, vier Wochen lang.
[1] Federer, Urban: Quellen der Gottesfreundschaft. Mit Abt Urban durch das Kirchenjahr, Paulusverlag, Einsiedeln/Schweiz 2018.
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Vor gut zwei Wochen hat die Raumfahrtbehörde NASA zum ersten Mal einen Asteroiden erfolgreich umgelenkt. Unglaublich, was der Mensch alles kann.
Nach und nach kommt der Mensch dem Weltraum näher. Dabei spielt auch das berühmte James-Webb-Weltraumteleskop eine wichtige Rolle. Seit zehn Monaten befindet es sich in den Tiefen des Alls.
Das Weltraumteleskop soll der Wissenschaft einen Blick in die Vergangenheit bis an den Anfang des Universums ermöglichen. Die ersten Bilder sind da, und für diese Bilder hat das Teleskop Licht aufgenommen, das dreizehn Milliarden Jahre durch die Galaxie gereist ist.
Dreizehn Milliarden Jahre?! Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber jetzt gibt es Bilder von diesem uralten Licht. Zum Beispiel von einem leuchtenden Nebel, in dem Sterne entstehen, die in den unterschiedlichsten Farben strahlen. Oder Bilder eines sterbenden Sterns, der, kurz bevor er erlischt, Wolken aus Gas und Staub ausstößt.
Ich staune, welche Dimensionen das Universum hat. Und es überfordert mich. Ich staune ja schon, wenn ich zum Beispiel auf der Autobahn fahre und mir klarmache, dass in den unzähligen Autos auf meiner Strecke noch so viele andere Leute sitzen. Und alle haben ein eigenes Leben und jeder eine völlig eigene Geschichte. Und dann ist da das Weltall. Das sprengt meine Vorstellungen komplett.
Zwei Welten prallen aufeinander: das unendliche Universum und der ja so begrenzte Mensch. Aber: Der winzige Mensch kann forschen, und er kann sogar nach der Wahrheit des Universums suchen. Das zeigt mir: der Mensch kann einen besonderen Platz in diesem Kosmos haben. Und er kann die Erde kreativ gestalten, mit großen und guten Zielen vor Augen, auch wenn es im Moment so gar nicht danach aussieht.
Im christlichen Glauben gibt es die Vorstellung, dass Gott den Menschen als „Krone der Schöpfung“ gemacht hat. Doch diesem Anspruch wird der Mensch nicht gerecht. Vielleicht könnte man aus der Krone auch eine „Perle der Schöpfung“ machen: Der Mensch als etwas Kleines und Funkelndes, das dem großen Kosmos und der Erde einen besonderen Glanz verleihen kann.
Ich staune darüber, was der Mensch alles erreichen kann. Ich staune über jeden Umweltwissenschaftler, jede Friedensforscherin, einfach jeden, der voller Elan forscht. Diese Menschen sind wie „Perlen“. Und was wäre das, wenn die Menschheit dank ihnen beides schafft: dass Mensch und Universum zusammenfinden und endlich auch wieder Mensch und Erde.
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Ich bin in einem Pflegeheim und gehe einen langen Flur entlang. Eine nette Pflegerin zeigt mir den Weg und erklärt mir: „Frau Schaffner ist eine liebe Frau. Sie ist dement und reagiert nicht mehr so viel, aber es ist gut, dass Sie sie besuchen. Beten und singen, das tut ihr gut.“
Die Pflegerin klopft an eine Zimmertür und wir gehen rein. Frau Schaffner sitzt im Rollstuhl. Liebevoll bückt sich die Pflegerin zu ihr und greift nach ihren Händen: „Frau Schaffner, der Pfarrer ist da.“ Dann schiebt sie mir einen Stuhl hin und verabschiedet sich.
Ich bleibe erstmal stehen, stelle mich ihr vor und lächle sie unter der Maske freundlich an. Frau Schaffner scheint mich nicht wahrzunehmen. Behutsam setze ich mich zu ihr und berühre ihre Hand, damit sie merkt, dass ich bei ihr bin. Ich kenne sie nicht und sie kennt mich nicht.
Frau Schaffner ist ganz ruhig, als ich mit ihr bete und singe. Nun kann ich nicht in die ältere Dame hineinschauen. Ich weiß nicht, wie sie mich oder das, was passiert, wahrnimmt. Aber ich bemerke, wie sie meine Hand fester drückt und wie sie mich anschaut, als ich das „Vater unser“ bete und ein altes Marienlied anstimme.
Auch in ihrer Demenz war das Gebet der Frau wohl tief ins Herz geschrieben. Ich sehe in die Augen von Frau Schaffner und muss an ein altes Gebet denken, es ist ein Psalm: „Preise den HERRN, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen!“ (Ps 103,1)
Zwischen uns scheint eine unsichtbare Verbindung zu sein: das Gebet. Wir beten zu zweit miteinander oder sprechen füreinander zu Gott. Das Starke am Beten ist der unsichtbare Draht, der dadurch zwischen den Menschen entstehen kann. Zum Beispiel, wenn Ordensschwestern oder Mönche in den Klöstern wie jeden Morgen für so viele Menschen beten und für die Anliegen der Welt. Das verbindet. Oder, wenn ein Freund von mir einen Krankenwagen im Einsatz sieht und ein Stoßgebet für den Menschen in Not spricht.
Es gibt diese Verbindungen, die so helfen können: Wenn ein Freund für mich eine Kerze anzündet, weil ich operiert werden muss oder eine Prüfung zu bestehen habe; oder wenn sich jemand für mich einsetzt, ohne dass ich davon weiß.
Beten verbindet – auch, wenn diese Verbindung nach außen nicht sichtbar ist. Vielleicht war das bei Frau Schaffner auch so.
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Es gibt einen Roboter, der die saudi-arabische Staatsbürgerschaft hat. Das ist ja schon fast wie in einer Science Fiction-Geschichte.
Wir brauchen aber nicht einmal die teuerste Technologie, um davon einen Geschmack zu bekommen. Wenn ich mein Smartphone in die Hand nehme und sage „Hey, Siri!“ oder „Alexa!“, werde ich mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt. Dann sage ich: „Navigation starten“, und die Sprachassistentin fragt: „Wo möchtest du hin?" Ich nenne ihr die Adresse, und sie antwortet prompt: „In Ordnung. Los geht’s.“ Das klingt nicht ganz so enthusiastisch, aber meine technische Assistentin liest mir jeden Wunsch von den Lippen ab und hat auch einen vielleicht etwas trockenen Humor.
Ich muss nicht lange mit ihr reden, bis ich merke: So ganz wie ein Mensch ist sie dann doch nicht. Ihre Antworten sind vorprogrammiert, und wirklich unterhalten kann ich mich nicht mit ihr.
Die Wissenschaft ist schon weit gekommen. Von der künstlichen Intelligenz bis hin zu einem Roboter mit Staatsbürgerschaft – sie versucht, den Menschen so perfekt wie möglich nachzuahmen. Trotzdem schafft sie es nicht, ihn einhundertprozentig nachzumachen.
Der Mensch ist mehr als das, was ich mit Algorithmen und Elektrochips konstruieren kann. Der Mensch kann lieben, er kann glücklich sein oder traurig, er kann mit anderen Menschen fühlen und von einer Zukunft träumen.
Wenn ich einen Freund anstoße und sage „Hey!“, kommt eben nicht die vorprogrammierte Antwort, sondern vielleicht etwas ganz Unerwartetes. Jeder Mensch ist einzigartig und in diesem Sinne auch genial. Das finde ich faszinierend, und ich glaube, dass ein Erfinder dahintersteht, der den Menschen nicht nur gemacht, sondern jeden einzelnen ganz besonders gemacht hat.
Jeder Mensch ist geheimnisvoll. Niemand kann wissen, wie der Andere wirklich tickt, oder wie er sich in Zukunft entwickeln wird. Deshalb hat jeder Mensch eine einmalige Würde.
Ich bin froh, dass die Menschheit nicht nur bei menschenähnlichen Robotern stehen bleibt. Zum Glück gibt es technische Entwicklungen, die nicht Computer an die Stelle von Menschen setzen, sondern wirklich den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Beispielsweise eine App, die Menschen aus einem Stadtteil miteinander vernetzt, sodass diejenigen, die Hilfe suchen, auch diejenigen finden, die Hilfe anbieten. Oder ich denke an Sprachcomputer, die vollständig Gelähmten ermöglichen, nur durch ihre Augenbewegungen mit anderen zu kommunizieren.
Menschenähnliche Roboter sind eine tolle Erfindung. Aber noch besser sind die, die die Welt wirklich menschlicher machen.
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