SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

05DEZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Hat Kaffeeduft etwas mit Gott zu tun? „Ja“, sagt Urban Federer. Er ist Abt des Klosters Einsiedeln und erklärt:

„Eigentlich hatte ich persönlich Kaffee lange nicht gerne, aber der Geruch des Kaffees, welcher am Morgen durch ein Haus zieht, lässt in mir die Erwartung von Genuss und Gemütlichkeit entstehen und ich würde wahrscheinlich kaffeesüchtig, wäre er im Mund so gut wie in der Nase.“

Und dann beschreibt Urban Federer noch etwas, und darin steckt der Clou. Er fragt sich:

„Warum aber soll der Duft in der Nase, meine Erwartung des Kaffees weniger wert sein als das Getränk im Gaumen? Für die Mystiker war schon immer klar, wie wichtig die menschliche Sehnsucht in der Beziehung zu Gott ist: Nicht etwa erst das Leben nach dem Tod bringt uns Gott näher, sondern bereits unsere Sehnsucht nach ihm.“[1] 

Das klingt vielleicht kompliziert, aber vermutlich ist Abt Urban an etwas Wahrem dran. Ich ahne, was er meint, wenn er von dem großen Wort „Sehnsucht“ spricht und davon, dass sie allein schon so wertvoll sein kann. Ich kenne das: Wenn ich mich auf etwas besonders freue, das noch kommt, kann das ein starkes Gefühl sein.

Zum Beispiel wenn ich auf einer Reise im Zug sitze, es kaum erwarten kann anzukommen und das Ziel bereits schon durch das Fenster sehen kann. Oder wenn mich ein Freund besucht, den ich schon lange nicht mehr getroffen habe, und ich ungeduldig die Tage zähle, bis er kommt.

Das, wonach ich mich sehne – davon merke ich schon so viel. Ein Stückchen von dem geht schon in Erfüllung.

Für Abt Urban Federer war der angenehm aromatische Kaffeeduft im Raum so ein Zeichen dafür. An ihm merkt er, dass der echte Kaffee da ist. Dann spielt es gar keine große Rolle, dass er den Kaffee nicht trinken mag. Er hat, wenn er den Kaffee riecht, schon einen großen Teil des Kaffees genossen.

Ich muss nicht warten, bis ich Gott irgendwann so richtig erlebe. Ich kann jetzt schon auf ihn hoffen und ihn herbeisehnen. Wenn ich mich so an Gott anhänge, kann er für mich jetzt schon eine Stütze sein, mir jetzt schon helfen, das Gute und Richtige zu tun. Er kann dann jetzt schon in der Welt sein.

Die Adventszeit ist die perfekte Sehnsuchtszeit, vier Wochen lang.

 

[1] Federer, Urban: Quellen der Gottesfreundschaft. Mit Abt Urban durch das Kirchenjahr, Paulusverlag, Einsiedeln/Schweiz 2018.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36650
weiterlesen...