Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

  

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13DEZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es gibt Menschen, die bringen die Welt zum Leuchten.

So jemand muss die heilige Lucia gewesen sein. Der Name Lucia heißt übersetzt „die Leuchtende“, und heute ist ihr Tag.

Der Legende nach hat Lucia im 3. Jahrhundert in der Küstenstadt Syrakus auf Sizilien gelebt. Sie war Christin – in einer Zeit, als Christen verfolgt wurden und viele sich verstecken mussten. Lucia ist zu ihnen in die Keller und Katakomben gegangen und hat sie mit Lebensmitteln versorgt. Meist abends oder nachts, das war lebensgefährlich. Lucia hat Körbe voll mit Obst und Brot und Krüge voller Wasser durch die Straßen getragen. Weil sie keine Hand mehr für einen Leuchter oder eine Laterne frei hatte, soll sie sich einen Kranz mit Lichtern auf den Kopf gesetzt haben. Was für ein Bild: Lucia mit dem Lichterkranz auf dem Kopf und die Hände voll mit Körben und Krügen.

Da hat sich eine das Licht fest zu sich genommen und ist losgezogen. Ganz aufrecht stelle ich mir Lucia dabei vor. Wie sie mit so viel Haltung so viel Helligkeit in die dunklen Keller gebracht hat.

Allerdings wurde Lucia eines Tages wohl verraten und beim Kaiser angezeigt. Sie wurde daraufhin gefangen genommen, sie muss schrecklich gequält worden sein und schließlich wurde sie umgebracht.

Im Ganzen betrachtet ist Lucias Geschichte also keine schöne Geschichte. Sie hat am Ende ihres kurzen Lebens durch die absolute Dunkelheit durchgehen müssen. Leider müssen das heute noch immer ganz viele. Und das ist schrecklich. Einerseits sind Menschen, die so viel Mut wie Lucia haben, leuchtende Vorbilder. Andererseits leuchtet dann gar nichts mehr, wenn genau diese couragierten Menschen unterdrückt werden, weil andere ihre Macht ausspielen.

Zum Glück gibt es solche Lucias auch jetzt noch. Ich denke an die unermüdlichen Sozialarbeiter, die jetzt in den Gefängnissen oder in den Sammelunterkünften tatkräftig helfen. Und mir kommen die Ärztinnen und Ärzte in den Sinn, die sich in Gefahr begeben und trotz allem weiter helfen: Im Jemen, in Afghanistan, im Südsudan. 

Die Welt braucht Menschen wie Lucia. Und sie braucht diejenigen, die eben diesen Lucias ihre Freiheit lassen, sie unterstützen und nicht gefangen nehmen.

Denn all die Lucias sind so ‚aufrecht‘ in dem, was sie tun. Mögen ihre Gedanken voller Hoffnung und Licht bleiben und ihre beiden Hände frei.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38920
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12DEZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt wächst mir über den Kopf.

Meine Freundin Sina kennt dieses Gefühl nur zu gut. Sie arbeitet als Lehrerin an einer Grundschule, und in ihrem Kollegium fehlen dauerhaft Leute. Deswegen muss Sina zwei Klassen auf einmal unterrichten. Ein Ding der Unmöglichkeit! Sina ist dauergestresst und hat das Gefühl, egal, was sie tut, es ist nie genug. 

Durch den ganzen Stress und die Dauerbelastung verliert Sina jetzt schneller die Geduld. Sie erzählt mir: „Die Kinder waren wieder so laut, ich war genervt und bin irgendwann explodiert. In der Pause ist dann meine Kollegin zu mir rüber gekommen. Sie hat mich durch die Wände nebenan wohl schimpfen gehört. Sie hat gesehen, wie runter ich war, und hat mir kurz die Hand auf die Schulter gelegt. Zum Glück!“

Wie Sina mir das so erzählt, denke ich: „Ja, die Kollegin hat eben gemerkt, was ihr jetzt guttun würde. Dass so ein kurzer, kleiner Beistand helfen kann.“ Und die Kollegin war noch nicht fertig. Am Nachmittag hat sie auf dem Weg zum Parkplatz nochmal mit Sina gesprochen. Sie hat ihr erzählt, was ihr hilft, mit dem Stress und den vielen Erwartungen umzugehen und hat Sina einen Satz eingebläut. Und der heißt: „Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.“

Der Satz stammt eigentlich von Albert Schweitzer. Der Arzt und Theologe hat in seinem Leben unendlich viel auf die Beine gestellt. Er hat eine Krankenstation in Lambarene im afrikanischen Gabun gegründet. Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat er sich ganz viel für Kinderdörfer eingesetzt.

„Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.“ Sina sagt, dieser Satz hat etwas an ihrer Haltung verändert. Ganz grundsätzlich. Auch wenn die Dauerbelastung im Beruf immer noch da ist. Aber sie schaut jetzt mehr auf das, wo sie ihren Beitrag geleistet hat.

Es gibt so viele Baustellen und so vieles, was kompliziert ist und Menschen mehr als doppelt belastet. Da sind manche, die das fast schon lähmt, die verlieren darüber den Mut und resignieren. Und andere packen trotzdem an.

Dieser Satz kann neu Mut machen, und er kann beruhigen. Vielleicht vor allem diejenigen, die unermüdlich vieles geben und ständig so viel leisten. Und denen sicher auch mal vor Anstrengung der Kragen platzt.

Ich bin wie Sinas Kollegin überzeugt: Auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist oder sich so anfühlt: Das, was du tust, ist genug. Und das Wenige, das du tun kannst, ist viel wert. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38919
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11DEZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal kann etwas Großes und Majestätisches ganz verletzlich sein. Das ist nicht nur bei Menschen und Tieren so, sondern auch bei Bergen und Gletschern. So mächtig diese majestätischen „weißen Riesen“ sind, so verletzlich sind sie.

Zum Glück gibt es Menschen wie Claudio Smiraglia. Er ist Forscher an der Universität Mailand, und er liebt Gletscher und möchte sie retten.

Zum Beispiel den Forni-Gletscher im Veltlin in der Lombardei. Den kennt Claudio Smiraglia seit sechzig Jahren. Er spricht über Gletscher, als ob sie Menschen wären. Er sagt: „Wie Lebewesen verändern sich Gletscher im Laufe der Jahre und sogar im Laufe eines einzigen Tages. Der Gletscher wird geboren, vollzieht eine Entwicklung, er hat Rückschläge und stirbt.“ 

Bis in die 1990er Jahre galt der Forni-Gletscher mit seinem Ausmaß von dreizehn Quadratkilometern als der größte Gletscher in Italien. Inzwischen misst er nur noch elf Quadratkilometer. Claudio Smiraglia deutet das so: „Wie ein alter Riese verliert der Forni-Gletscher im Alter etwas von seiner Erhabenheit.“ Der Gletscher-Forscher macht sich aber auch große Sorgen, weil die Geschwindigkeit viel zu hoch ist, mit der dieser Gletscher abnimmt. Denn mit dem Eis schwindet auch der Permafrost, der die Felsen um den Gletscher herum zusammenhält. Und das ist gefährlich.

Smiraglia und sein Mailänder Forscherteam haben nun etwas Verrücktes ausprobiert. Sie haben damit an einem anderen Gletscher angefangen. Weil ihr Experiment dort besonders gut funktioniert. Mit einer riesigen weißen Kunststoffdecke schützen sie einen Teil dieses Gletschers vor zu viel Sonneneinstrahlung. Die Forscher haben es überprüft: Eis und Schnee bleiben unter dieser Kunststoffdecke weitgehend erhalten.

Leider kann man so nicht den ganzen Gletscher retten. Aber man kann immerhin einen Teil von ihm eine Weile schützen.

Smiraglia und seine Forscher unternehmen all die Anstrengungen aus Liebe. Aus Liebe zu den Bergen und den Gletschern, einfach zur ganzen Natur. Deshalb haben sie etwas ausprobiert, was tatsächlich hilft.

Bei Smiraglia und seinen Gletschern hat nicht Resignation das letzte Wort. Sondern Anpacken und Mut. Smiraglia wollte eine Stelle schützen, die besonders verletzlich ist. Gut, es ist ein bisschen verrückt, so einen mächtigen „Riesen“ einzupacken. Aber an einer einzigen Stelle etwas zu tun, wenn etwas ganz Großes verletzlich geworden ist, das ist wohl immer verrückt. Aber es wirkt, und das ist riesig. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38918
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

04OKT2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manche Menschen wirken auf den ersten Blick verrückt. Aber auf den zweiten Blick ist das, was sie tun, zutiefst menschlich und voller Liebe zum Leben. Bei Lucia ist das so.

Lucia ist eine junge Landwirtin und lebt in einem Dorf im Veltlin, in der Lombardei, und sie hat ein besonderes Verhältnis zu Tieren. Lucia sagt: „Für mich sind meine Kühe und Schafe wie ein Teil meiner Familie. Wenn sie geboren werden, gebe ich ihnen als erstes einen Namen, als wären sie mein Bruder oder meine Schwester.“

Das hat Lucia schon als Kind getan. Sie erzählt: „Im Kindergarten bin ich jedes Mal, wenn ein Kälbchen oder ein Lämmlein geboren wurde, sofort zu meinen Erzieherinnen gelaufen und habe gesagt: „Ich habe ein Geschwisterchen bekommen!“. Weil wir so viele Tiere hatten, kam das unter der Woche zwei bis drei Mal vor.“ Und jetzt lacht Lucia und erzählt weiter: „Der Gipfel war, als ich zum Kinderpsychologen musste, denn meine Erzieherinnen hatten Angst, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei. Mein Verhalten war für sie einfach nicht logisch. Aber die Psychologin meinte nur: Alles in bester Ordnung. Nur die Erzieherinnen könnten gerne in Therapie!“  

Lucias besondere Haltung gegenüber Tieren erinnert mich an Franz von Assisi. Heute ist sein Namenstag, und heute ist auch Welttierschutztag. Seit 1931 wird er international begangen – heute am Franziskus-Tag, den die Kirche schon seit dem 13. Jahrhundert feiert. Das passt wunderbar zusammen. Denn auch der Heilige Franziskus hatte eine ganz besondere Verbindung zu Tieren und zur Natur. Zu Vögeln soll er sogar gepredigt und ihnen von der Liebe Gottes erzählt haben. Er muss selbst wohl auch ein ziemlich verrückter Vogel gewesen sein. Ähnlich wie Lucia hat auch er Tiere als seine Brüder und Schwestern angesehen und sie wie Menschen geachtet. Weil sie in Franziskus Augen genauso Geschöpfe Gottes sind wie die Menschen und die ganze Natur. 

Mich inspiriert das, und es erinnert mich daran: Tiere sind eigenständige Wesen. Sie sind mehr als nur Milch-, Fleisch oder Eierspender. Sie haben eine Würde. Franz von Assisi würde wohl unterschreiben, was auch Lucia sagt. Die junge Landwirtin, mit so viel Leidenschaft, erklärt: „Jedes Mal, wenn ich ein Tier ansehe, hat es einen Ausdruck und auch Gefühle. Mein Vater sagt immer, es sind keine Tiere, es sind Lebewesen. Und so müssen sie auch behandelt werden. Weil wir alle Kinder dieser Erde sind.“  

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38530
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

03OKT2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn ich mich auf Neues einlassen muss, kann das so schwierig sein. Denn das Neue hat meist mit Veränderungen zu tun, manchmal auch mit Brüchen und Abschieden. Und gleichzeitig ist es selbstverständlich Teil des Lebens, dass ich mit Neuem umgehen muss.

Ich kenne einige Leute, die von einem Tag auf den anderen durch die Wende ganz viel Neues erlebt haben und ihren Horizont radikal erweitern mussten und es auch getan haben. Achtzehn Jahre lang habe ich in Ostdeutschland gelebt, und da habe ich Mareike kennengelernt. Sie hat, wie ganz viele andere auch, viel auf sich genommen und riskiert.

Sie war meine Kollegin in der Schule. In den 90er-Jahren hat sich an den Schulen in Ostdeutschland ganz viel verändert. Da gab es keinen gültigen Lehrplan, und auch viele Schulbücher passten nicht mehr. Mareike hat sich in Windeseile in die neue Welt eingearbeitet, weil sie ihre Schüler gut aufs Abitur vorbereiten wollte. Auf eine Welt, die sie selbst nicht kannte.

Damals vor 34 Jahren haben so viele eine Revolution in Gang gesetzt und durchlebt, ohne zu töten. Sie haben von Freiheit geträumt und davon, eine eigene Meinung haben und sagen zu dürfen – und sind dann in einem neuen Staat aufgewacht. Sie haben die Herausforderung angenommen und sich dabei einen offenen Horizont bewahrt. Das diesjährige Motto aus Hamburg zum Tag der Deutschen Einheit heute – und das passt ja dann auch wieder – heißt: Horizonte öffnen.

Zum Glück gibt es viele, die genau das heute tun. Ich denke an meine Nachbarin Hasiye. Sie weiß, was es heißt, wenn man in einem anderen Land neu anfangen muss. Deshalb bringt sie geflüchteten Kindern Deutsch bei. Und heute steht Hasiye in der Moschee und begrüßt ihre Gäste. Denn heute ist auch Tag der offenen Moschee. Viele tausende Muslime öffnen die Türen ihrer Moscheen ganz bewusst am Tag der Deutschen Einheit. Weil auch sie ein Teil eben dieser Deutschen Einheit sind. 

Ich weiß, wir haben es oft schwer, gut miteinander umzugehen. Und genau deshalb machen mir Menschen Hoffnung, die sich mit offenem Horizont einbringen. Meine Freunde im Osten, damals wie heute, und die vielen Muslime heute. An sie denke ich. Und an alle, egal welcher Religion oder Nationalität, die in Umbrüchen einen weiten Horizont bewahren.

Ich kann mich auf Neues einlassen, auch auf das, was mir zunächst fremd erscheint. So wie Mareike und Hasiye. Alle, die ihren Blick und ihr Herz offen halten, leisten einen großen Beitrag für die Einheit in unserem Land. Was sie geschafft haben und immer noch schaffen, das feiere ich heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38529
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02OKT2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Manchmal reicht ein kurzer Moment, und eine verfahrene Situation kann sich verändern. Meine Freundin Tanja hat das vor ein paar Tagen erlebt. Es war so:

Tanja und ihr Freund Marco waren auf dem Heimweg von einem herrlichen Ausflug. Von unterwegs haben sie sich Pizza bestellt. Als die beiden ihre Pizza abholen wollten, war da auf dem Hof vom Pizzaservice eine ganz seltsame Stimmung. Da standen sich ein paar junge Leute gegenüber und haben heftig gestritten. Tanja erzählt: „Ich weiß nicht genau, worum es da gegangen ist. Irgendwas zwischen einem der Jungs und dem Pizzabäcker. Als Marco und ich aus dem Auto ausgestiegen sind, haben uns die so misstrauisch angeguckt. Wer weiß, was sie gedacht haben, vielleicht dass wir uns einmischen oder Partei ergreifen.“

Ich frage Tanja: „Und was habt ihr dann gemacht?“ Sie antwortet: „Wir sind auf die beiden zerstrittenen Gruppen zugegangen und haben kurz in die Runde geguckt. Marco hat gesagt: „Hi, wir wollen unsere Pizza abholen. Dürfen wir mal durch?“ Da hat die Freundin von einem der beiden Streithähne angefangen zu lachen.“ „Und dann?“, frage ich. Tanja meint: „Na ja, durch uns haben sie ihren Streit kurz unterbrochen. Ich glaub, so haben sie selbst kurz Abstand zu der Situation bekommen. Jedenfalls hat sich da was verändert. Denn als wir ein paar Minuten später wieder mit unserer Pizza rausgekommen sind, haben die fast schon normal miteinander geredet. Zum Glück!“

Soweit zu Tanja, Marco und dem Pizza-Streit. Was ich davon mitnehme, ist eine Idee, wie Streitigkeiten gelöst werden können. Da war diese kurze Unterbrechung, und die hat die Wende gebracht. Tanja und Marco sind gekommen, und dank ihnen war kurz „Pause“. In richtig heftigen und komplizierten Konflikten kann es natürlich äußerst anspruchsvoll sein, zu so einer Pause zu kommen. Ich denke da zum Beispiel auch an Familienstreit, wo solche Zeiten des Abstands, in denen ich mich neu sortieren kann, gut tun.

Es kann sich etwas Neues zeigen, wenn jeder erstmal einen Schritt zurücktritt. Erst hat jeder die Möglichkeit, sich zu sortieren, und es zeigt sich, ob ich auch wieder einen Schritt auf die anderen zugehen kann. Dass das gelingt und dass Menschen den Mut aufbringen zu ihrer Pause im Streit, das wünsche ich mir heute. Denn das hat etwas Gewaltloses. Und es kann Streitigkeiten lösen, auch heute am offiziellen Tag der Gewaltlosigkeit. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38528
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

31MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wie gelingt es, sich gut zu verabschieden? Ein ganz lieber und erfahrener Kollege hat es mir gezeigt. Er heißt Helmut, und im entscheidenden Abschiedsmoment stehe ich mit ihm unter der Haustür bei unserem Büro. Helmut und ich waren ein gutes Team, aber ich nehme eine neue Stelle an, und der Abschied von meinem Kollegen fällt mir schwer. 

Das letzte Tschüss ist gesagt und ich will gerade losgehen, da fängt es auf einmal an, wie aus Kübeln zu schütten. Helmut zeigt nach oben und sagt voller Inbrunst: „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Dabei schaut er mich liebevoll und ein bisschen schelmisch an.

Für mich war das ein echter Gänsehautmoment. Mein Kollege hat so charmant auf den Punkt gebracht, wie er zu mir steht, dass sich in dem Moment irgendwie auch bei mir etwas gelöst hat. Mein eigener Abschied von der alten Stelle ist da erst richtig möglich und irgendwie auch gut geworden. Es hat sich fast so angefühlt, als hätte mir mein Kollege da mitten im Platzregen so eine Art persönlichen Abschiedssegen mit auf den Weg gegeben. 

Abschiede sind meist traurig, weil ich ein Stück meines Lebens loslasse. Oder einen Ort, an dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Oder einen Menschen. Oder eine Art zu leben, die schön für mich war, aber die jetzt einfach nicht mehr passt.

Aber gleichzeitig sind Abschiede wichtig. Wenn ich mich in aller Ruhe verabschieden kann, auch mit allem, was in mir drin los ist, kann ich auf das Neue, das kommt, leichter zugehen und mich offener darauf einlassen. So wie bei Helmut und mir.

Nicht umsonst gibt es unter Christen die Tradition des Abschiedssegens. Ich denke an die Irischen Segenswünsche. Da heißt es zum Beispiel: „Möge Gott auf dem Weg, den du gehst, vor dir hereilen. Mögest du immer Rückenwind haben. Möge dir die Sonne warm ins Gesicht scheinen und sanft auf deine Felder fallen. Gott halte dich in seiner schützenden Hand, bis wir uns wiedersehen. Gott sei mit dir und segne dich.“

Diese Irischen Segenswünsche haben für mich so etwas von einem zuversichtlichen Wegschicken. Da kann jemand den anderen zuversichtlich gehen lassen.

Mein Kollege Helmut hat mir gezeigt, wie Abschiednehmen gut funktionieren kann. Bei ihm habe ich auch als diejenige, die geht, viel Zuversicht mitgenommen. „Der Himmel weint, weil du gehst.“ Damit hat mir Helmut ein bisschen sein Herz aufgemacht und mich dennoch einfach ziehen lassen. Das hat mir gut getan, so wie ein echter Segen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37733
weiterlesen...

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

30MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Weg vom Odenwald und hinein in die weite schöne Welt. Das war lange Zeit die Devise von IT-Fachmann Joar Berge. Er hat viele Jahre ein abwechslungsreiches und wohlhabendes Leben geführt. Joar Berge konnte nach Herzenslust feiern, reisen und vom Strand an der Côte d’ Azur aus arbeiten. Aber irgendwann hat er gemerkt, dass er sich noch was anderes im Leben wünscht als Sonne, Strand oder Partys. Joar Berge sagt: „Ich bereue mein früheres Leben nicht, aber plötzlich hab ich gemerkt, dass mir was fehlt: Kühe!“

Kühe kennt Joar aus seiner Kindheit auf dem Land im Odenwald zur Genüge. Und Joar hat sich erinnert, wie verschmust Kühe sein können. Und dann hat er sein Leben komplett umgekrempelt. Er ist von der französischen Riviera zurück in den Odenwald gezogen, weil da, wie er sagt, die Lebensbedingungen für Kühe besser sind.

Aber das war nur der erste Schritt. Joar erklärt: „Zuerst hab ich gedacht, ich könnte so eine Art ‚Kuhbaden‘ anbieten, also Kuscheln mit Kühen. Für gestresste Manager zum Beispiel.“

Aber die Idee hat Joar Berge wieder verworfen und stattdessen einen Gnadenhof für Kühe gegründet. Den betreibt er jetzt zusammen mit einem Team von Ehrenamtlichen. Heute nennt er seinen Bauernhof ‚Lebenshof‘, und inzwischen leben da nicht nur Kühe, sondern auch Hühner, Schweine und Hasen.

Tiere müssen auf dem Lebenshof nichts ‚leisten‘, die Kühe müssen nicht einmal Milch geben. Jedes Tier darf einfach nur da sein. Joar sagt: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. Für alle, für Tiere und Menschen, für jede Kreatur.“  

Ich gebe zu: ich trinke Milch und genieße schon auch gerne mal Fleisch. Und ich weiß: solange Menschen Fleisch essen, werden Tiere geschlachtet. Trotzdem bewundere ich Joar für das, was er macht. Denn er macht das, was zu ihm passt und was für ihn sinnvoll ist – und tut dabei sich selbst und anderen Gutes. Joar Berge ermöglicht Leben.

Joar ist sich bewusst, dass er nicht allen helfen kann. Er sagt: „Es geht nicht darum, die ganze Welt zu retten. Aber diesen Tieren hier, denen kann ich helfen. Und das ist gut so.“

An einer Stelle in der Bibel spricht Jesus vom „Leben in Fülle“ und sagt: „ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“[1] Was Joar Berge auf seinem Lebenshof macht, hat für mich viel mit so einem „Leben in Fülle“ zu tun. Weil er so vielfältiges Leben ermöglicht. Für die geretteten Tiere und gleichzeitig auch für sich selbst.

 

[1] Joh 10, 10.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37732
weiterlesen...

Anstöße sonn- und feiertags

29MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Das ist eine komplizierte Sache: sich gegenseitig verstehen. Und es ist nicht selbstverständlich. Es gibt zwar Menschen, mit denen verstehe ich mich ohne Worte. Mit meiner Lieblingsfreundin Anja zum Beispiel oder mit meinem Mann. Aber auch mit den beiden gibt es Momente, da ist es wichtig, dass ich ganz genau und gründlich ausspreche, was ich meine. Und auch umgekehrt, dass ich hinhöre und wirklich verstehen will, was meine Lieben mir sagen wollen.

Richtig kompliziert ist, diejenigen zu verstehen, mit denen ich keine gemeinsame Sprache finde. Oder die ich noch nicht gut kenne. 

In der Bibel gibt es eine Geschichte, da war es auf einmal möglich, dass sich solche Menschen verstanden haben. Das war an Pfingsten.

Die Jünger Jesu sind alle zusammen in einem Haus in Jerusalem. Und gleichzeitig ist dort in der Stadt viel los. Denn es ist gerade das große jüdische Wochenfest. Die Straßen sind voll von Leuten, die alle die unterschiedlichsten Sprachen sprechen. Die Kommunikation muss eine echte Herausforderung gewesen sein. Aber dann passiert etwas, und dann verstehen die vielen Fremden auf einmal ganz einfach, was die Jünger ihnen sagen wollen.

Wie genau das funktioniert hat, bleibt offen. Die Bibel spricht von einem Sturm und von Feuerzungen und vom Heiligen Geist, der plötzlich da war. Es muss regelrecht etwas über die Jünger hereingebrochen sein. Eine neue Kraft vielleicht, oder eben ein besonderer Geist. Und der hat bewirkt, dass jeder jeden verstehen konnte.

Das ist Pfingsten: wenn Menschen einander verstehen. Und das ist eine Sache der Liebe, davon bin ich überzeugt.Denn es hat ganz viel mit Liebe und Aufmerksamkeit zu tun, wenn Verstehen gelingt.

Mir ist die Sache mit dem Verstehen besonders wichtig. Und deswegen kann ich den Pfingstgeist auch sehr gut brauchen. Ganz besonders dann, wenn ich am anderen vorbeirede oder einfach nicht verstehe, was mir mein Gegenüber sagen möchte. Weil wir vielleicht unterschiedlich ticken. Manchmal bin ich auch einfach müde oder zu sehr mit mir selbst beschäftigt. Dann kann ich nicht wirklich geduldig oder offen sein. Es ist schon eine Kunst oder eine Geistesgabe, wenn es trotzdem gelingt und ich mich wirklich auf den anderen einlassen kann. Und andersherum gibt es das ja auch. Dass ich Vertrauen fasse und meinem Gegenüber das offen sage, was es braucht, dass er mich verstehen kann.

Pfingsten motiviert mich, dass ich wieder besser und so richtig zuhöre, und dass ich mich auch öffne, dort, wo ich das kann und möchte. Ich bin überzeugt: es ist wohl eine Kraft von oben im Spiel, wenn sich Menschen verstehen. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37731
weiterlesen...

Anstöße sonn- und feiertags

28MAI2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich bin bei Heike auf der Dachterrasse, irgendwo mitten in Mannheim. Und meine Freundin regt sich tierisch auf. Sie wedelt wild mit ihren Armen, um eine Taube zu vertreiben.

Eigentlich ist Heike gar nicht so, aber jetzt schimpft sie: „Diese ‚Ratten der Lüfte‘. Kleckern alles voll.“

Ich bin auch kein großer Fan von Tauben. Aber heute ist ihr Tag, denn heute ist Pfingsten. Der Feiertag für den Heiligen Geist, und die Taube ist das Symbol für diesen Heiligen Geist oder anders gesagt, für die Kraft Gottes. Heute feiern Christen, dass Gott den Menschen seinen Geist schickt – als Beistand und treuen Begleiter in allen Lebenslagen. 

Tauben sind treue Tiere. Es heißt, dass sie ein Leben lang mit ihrem Partner zusammenbleiben. Deshalb sind schön gepflegte weiße Tauben auch bei Hochzeiten so beliebt. Ich finde das kitschig, aber es steckt etwas Schönes dahinter. Die Tauben erinnern mich daran, dass auch Gott treu ist. Weil Gott auch dann da bleibt, wenn es mir nicht gut geht und es in meinen Beziehungen schwierig wird.

Aber Tauben sind nicht nur treu. Züchter schwören darauf, dass Tauben auch besonders zuverlässig sind. Man denke nur an die Brieftauben. Und sogar in Grimms Märchen kommen sie vor: bei Aschenputtel zum Beispiel. Da werden zwei Tauben zu echten Seelentrösterinnen.

Und auch in der Bibel haben Tauben eine positive Rolle. Eine Taube bringt Noah den Ölzweig als Zeichen dafür, dass die Sintflut vorbei ist. Und im alten großen Liebeslied der Bibel, im Hohelied der Liebe, vergleicht der junge Mann seine Geliebte mit einer Taube, weil sie so schön ist. Und noch ein Beispiel aus der Bibel: als Jesus getauft wird, da heißt es: „er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen“[1].  

Die Tauben sagen mir viel über Gott. Die schönen weißen Tauben der Taubenzüchter und die grauen schmutzigen Tauben, die in der Stadt überall sein können. 

Die Taube trägt gewissermaßen Gottes Geist durch die Luft und in die Welt. Und sie trägt ihn an alle Orte, egal wie schön oder hässlich, dreckig oder ungemütlich es dort zugeht.  

Das ist mir wichtig in meinem Glauben: dass Gott da ist, überall. Mit Gott geht es nicht darum, dass alles immer nur hübsch oder sauber aussieht oder ich mir die Welt schönrede.

Heute feiere ich, dass Gott als Beistand überall dabei ist. Auch im Dreck, im Müll oder auf der Straße. Gott schickt seinen Beistand oder seine Seelentröster ganz zuverlässig und treu überall hin, auch dorthin, wo Tauben sind. 

 

[1] Mt 3, 16.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37730
weiterlesen...