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SWR2 Wort zum Tag

12JAN2024
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Eine Szene am Flughafen. Dazu die Stimme des Schauspielers Hugh Grant: „Wenn mich die weltpolitische Lage deprimiert, denke ich immer an die Ankunftshalle im Flughafen Heathrow.“ Warum? In Zeitlupe und Großaufnahme sieht man, wie sich Menschen bei ihrer Ankunft am Airport in die Arme fallen. Wie sie strahlen, aufeinander zulaufen, sich freuen und sich herzen. Und Hugh Grant resümiert: „Es wird allgemein behauptet, wir lebten in einer Welt voller Hass und Habgier. Aber das stimmt nicht.“

So geht der Film „Tatsächlich Liebe“ los. Der ist schon 20 Jahre alt und inzwischen ein richtiger Weihnachtsklassiker. Witzig und anrührend erzählt er von den Irrungen und Wirrungen unterschiedlichster Liebespaare. Auch beim x-ten Mal kann ich noch über viele Szenen lachen und verdrücke auch hie und da ein paar Tränchen. Aber diesmal bin ich bei dieser Anfangsszene hängen geblieben. Und frage mich: Hilft es tatsächlich, der deprimierenden weltpolitischen Großwetterlage eine Handvoll Liebesgeschichten entgegenzusetzen? Und die Welt kommt wieder ins Lot? Das ist doch eine starke Behauptung!

Aber auch die biblische Jahreslosung für das Jahr 2024 lenkt meinen Blick in diese Richtung.  „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Paulus, der diesen Satz geschrieben hat, weiß: Liebe ist ein starkes Mittel. Sie wirkt unmittelbar gegen Hass und Habgier. Sie lindert Schmerzen. Sie heilt Verletzungen. Und Hugh Grant hat recht: wenn mich die weltpolitische Lage wieder einmal deprimiert und mir einreden will, dass ich klein und ohnmächtig bin und gar nichts ausrichten kann, dann schaue ich mal ganz bewusst dahin, wo sich die Liebe zeigt. In der Ankunftshalle im Flughafen. Auf der Entbindungsstation eines Krankenhauses. Beim Nachbarn, der seine kranke Frau zuhause pflegt.   

Glaube, Liebe und Hoffnung hat Paulus als die größten Kräfte ausgemacht, die die Welt zum Guten verändern. Und die Liebe ist die größte unter ihnen. Also nehme ich mir vor: Ganz viel Liebe geschehen zu lassen.   

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SWR2 Wort zum Tag

11JAN2024
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Seit ein paar Tagen steckt Jesus in meiner Handtasche. Genauer gesagt eine kleine Krippenfigur mit dem in Windeln gewickelten Kind. Ich habe sie übersehen, als ich den anderen Weihnachtsschmuck wieder in Kisten verpackt und auf dem Dachboden verstaut habe. Zuerst habe ich mich geärgert. Über mich, weil ich doch jeden Raum gründlich abgesucht hatte. Und dann auch über diesen kleinen Kerl, dem es gelungen ist, meiner Gründlichkeit ein Schnippchen zu schlagen. Grinst er nicht sogar aus seiner Krippe? Als wollte er sagen: Ich lass mich doch nicht einfach abschieben!  

Das würde ja zu ihm passen, denn in der Bibel heißt es, dass Gott sich mit diesem Kind auf das größte Abenteuer seines Lebens eingelassen hat. Am eigenen Leib wollte Gott endlich erfahren, wie sich das anfühlt, eines dieser Geschöpfe zu sein, die er mit großer Liebe am Anfang der Welt geschaffen hat. Das konnte nur klappen, wenn er seine Gottheit an einen himmlischen Nagel hängte und zur Welt kam, geboren wurde von einer Frau, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Um all das zu teilen, um alles zu erfahren, was ein Mensch im Lauf eines Lebens mitmacht. Und dann war es so weit: Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh, und lässt sich nicht mehr hinausdrängen aus der Welt.

Du hast es geschafft, sage ich zu dem Krippenkind auf meiner Kommode zuhause. Du kannst bleiben. Ich werde dich mitnehmen und durch mein Leben tragen. Packe dich in meine Handtasche. Und ab und zu werde ich dich herausholen und vor mich hinstellen.

Auf die aufgeschlagene Zeitung am Morgen. Neben das Mikrofon im Studio. Unter die Windschutzscheibe im Auto. Auf den Tisch beim Essen. Und ins Laub beim Spaziergang im Wald. Und ich bin jetzt schon gespannt, was da so alles passiert. Wie du meinen Blick veränderst auf die Welt. Und ob sich die Welt verändert, wenn ich dich überall hin mitnehme. Ein Jahr mit Jesus. Ich freu mich drauf!

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SWR1 Begegnungen

07JAN2024
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Raimund Hertzsch Quelle: Ev. Brüder-Unität

Martina Steinbrecher trifft Raimund Hertzsch, der täglich in der Bibel liest, jährlich einen Bestseller in 60 verschiedenen Sprachen herausgibt und immer noch darüber staunt, wie geloste Bibelworte das Leben begleiten können.

Über der Tür hängt ein großer Herrnhuter Stern. In dem schlichten Haus am Ortsrand von Bad Boll bin ich mit Raimund Hertzsch verabredet. Er ist Direktor der dort ansässigen Brüder-Unität. In seinem Büro liegt der Bestseller der Herrnhuter Brüdergemeinde auf dem Tisch: Die Losungen. Jährlich übersetzt in mehr als 60 Sprachen.  

Ja, wir finden, es ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Seit 1731 erscheint dieses Büchlein schon jedes Jahr, also jetzt im Jahr 2024 ist es der 294. Jahrgang.

Die Losungen: Ein Andachtsbuch mit kurzen Bibelworten für jeden Tag des Jahres. Erfunden hat sie Graf Nikolaus von Zinzendorf. Auf seinem Hofgut in der Oberlausitz hat er im 18. Jahrhundert Glaubensflüchtlinge aus Mähren aufgenommen. Die nannten ihre neue Heimat Herrnhut: Unter der Obhut des Herrn.  

Am Anfang hatte Zinzendorf die Idee, den Menschen in Herrnhut einen Text, eine Art Parole für den Tag mitzugeben, über den sie dann während des Tages nachdenken konnten. Damals sind die Losungen mündlich in die Häuser hineingerufen worden.

Ein Tag, eine Losung. Selbstverständlich aus der Bibel. So haben die Leute die Bibel als lebenstauglich erlebt und sie nebenbei auch noch auswendig gelernt. Die mündliche Verbreitung kam allerdings schnell an ihre Grenzen. Deshalb werden die Losungen seit bald 300 Jahren gedruckt. Und gefunden werden die täglichen Worte aus dem Alten Testament tatsächlich durch ein Losverfahren.

Jedes Jahr um den 3. Mai herum wird im Gebäude der Kirchenleitung in Herrnhut die Losung gezogen aus einer Sammlung von reichlich 1800 Bibeltexten, eben Texten aus dem Alten Testament.

Im Livestream? Mit medienwirksamer Verbreitung auf Social Media? Raimund Hertzsch winkt ab. Das große Ereignis findet in einem feierlichen, aber überschaubaren Rahmen statt. Die eigentliche Arbeit beginnt nach dieser Ziehung. Dann machen sich nämlich Theologen ans Werk, um jedem der 365 gelosten Verse eine passende Stelle aus dem Neuen Testament zuzuordnen. Mit der Auswahl der 1800 zum Teil von Zinzendorf noch eigenhändig geschriebenen Losungen geht man dabei auch kritisch um. Bibelstellen, die Krieg oder Gewalt verherrlichen, wurden inzwischen aussortiert. Und …

… nach dem zweiten Weltkrieg sind stark Texte hineingekommen, die mit Buße und mit dem Thema Schuld und Vergebung zu tun hatten. Dann vielleicht in den 80er, 90er- Jahren war es stark auch das Thema Gerechtigkeit, Friedensthemen.

Und heute? Welche biblischen Texte können Menschen im Jahr 2024 brauchen? 

Raimund Hertzsch gehört zum Direktionsteam der Herrnhuter Brüdergemeinde, die die täglichen Losungen herausgibt. In mehr als 60 Sprachen. Manchmal findet er, passt der Bibelvers ganz wunderbar zur Situation eines Tages. Heute zum Beispiel, bevor morgen die erste Arbeitswoche des neuen Jahres beginnt:

Die Losung für den 7. Januar 2024 steht im 2. Mosebuch, Kapitel 14, Vers 13: „Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für ein Heil der Herr heute an euch tun wird.“

An anderen Tagen, sagt er, braucht es ein paar Überlegungen mehr, was denn diese Bibelverse für ihn bedeuten sollen.

Manchmal reibe ich mich an den Losungen, auch wenn er so gar nicht passen will zu meiner Situation. Aber meistens empfinde ich es wirklich als eine Kraftquelle, je nachdem, Ermutigung, Trost, als Anlass, selbstkritisch nachzudenken.

Passt es oder passt es nicht? Raimund Hertzsch warnt davor, die Losungen als eine Art Orakel für den Tag misszuverstehen. Im Gegensatz dazu gefällt ihm, was zum Beispiel der Theologe Fulbert Steffensky über seine Losungspraxis denkt. Er empfängt die Bibelworte wie einen fremden Gast.

Der fremde Gast kam zu mir, der fremde Text. Ich habe ihn mir nicht ausgesucht. Ich würde mir immer die aussuchen, die zu mir passen. Ich würde mich fortsetzen in den Texten, die ich mir aussuche, und stattdessen unterbrechen die Losungen die eigenen Gewohnheiten.

Raimund Hertzsch hat es aber auch schon ganz anders erlebt. Dass der Text der Losung die eigene Lebenswirklichkeit fantastisch interpretiert hat.

Ich bin ja in der DDR aufgewachsen, da waren die Losungen wirklich ganz vielen Menschen besonders wichtig. Und oft passte die Losung sehr schön zu dieser absurden Wirklichkeit des damaligen Regimes. 

Besonders gerne zitiert er dazu eine Losung aus dem Jahr 1987. Am 13. August, also ein Vierteljahrhundert nach dem Bau der Mauer, stand da zu lesen:  

„Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch“ aus dem Psalm 24. Und am 17. August, die hat sich besonders eingeprägt bei uns, die haben wir immer wieder zitiert: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“

Was für eine Erfahrung! Alte Bibelworte, zufällig für einen bestimmten Tag ausgelost, kündigen im zeitgenössischen Kontext das Ende einer Diktatur und den Fall der Berliner Mauer an. Großartig, dass Menschen mit so starken Hoffnungsbildern versorgt werden und wirklich Halt finden können.

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SWR1 Begegnungen

31DEZ2023
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Christoph Sonntag Copyright: sonntag.tv

Martina Steinbrecher trifft: Christoph Sonntag, Kabarettist, Wohltäter, einundfünfzigprozentiger Gläubiger 

(Eine Wiederholung der Sendung vom 18.09.2022)

Er hätte auch Pfarrer werden können. Neben einem passenden Namen bringt er vieles mit, was ihn statt auf die Bühne auch auf eine Kanzel hätte führen können. Der Kabarettist Christoph Sonntag stammt aus Waiblingen und ist in einem pietistisch geprägten Umfeld aufgewachsen: Er ist getauft und konfirmiert und bis heute Mitglied der evangelischen Landeskirche. Vor allem aber bescheinigt ihm seine Mutter ein „Talent zur Menschenfischerei“:

Ja, meine Mama hat jahrelang gejammert: „Ach, Kerle, wärsch doch Pfarrer worre!“ Wahrscheinlich denkt meine Mama, dass ein Pfarrer automatisch in den Himmel kommt. Und zweitens hat sie wahrscheinlich meine menschenfischende Art erkannt. Und drittens wäre es halt in der Gesellschaft wahrscheinlich besser angekommen als ein Kabarettist.

Ich kenne keinen Pfarrer, der den Begriff Menschenfischer heute auf sich bezieht. Klingt wahrscheinlich zu sehr nach „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. Dabei gehört das Wort unbedingt in die Tradition christlicher Nachfolge. Im Lukasevangelium erkennt Jesus die menschenfischende Art von Petrus, einem Berufsfischer vom See Genezareth. „Von nun an sollst du Menschen fischen“, sagt Jesus zu ihm. Und ich höre heraus: Du kannst das: Menschen für eine Sache gewinnen, überzeugen, begeistern …

Wir haben alle eine Botschaft und möchten, glaube ich, darauf hinweisen, dass wir alle in ein Leben geschmissen wurden, wo keiner uns jetzt beweisen kann, dass es vom lieben Gott gesteuert ist. Dass es ihn überhaupt gibt, weiß keiner. Das ist eine Mutmaßung. Aber wir sind in diesem Leben und haben die Möglichkeit, Spuren zu hinterlassen.  

Christoph Sonntag sieht sich nicht als Comedian, der nur unterhalten möchte, sondern als Mensch mit einer Haltung, einer Weltanschauung. Die will er verbreiten, ohne ätzend zu sein, ohne die Leute zu belehren. Sein Vehikel ist der Humor. Und die Botschaft kommt im Beifang.

Ich bin Unterhalter. Da kommen Menschen zu mir, die haben einen ganzen Tag geschafft, die haben ihre Probleme. Die haben Probleme mit den Kindern, mit dem Job, mit der Gesundheit. Und denen möchte ich zwei Stunden lang einfach Tränenlachen bieten, damit sie mal davonschweben können. Und wenn im Beifang ein bissle Weltanschauung mit durchfließt und sie am Schluss sagen, hey, das war supergeil beim Sonntag, aber da mit der Ukraine hat er recht gehabt oder: da mit dem Umweltschutz hat er recht gehabt. Das ist doch toll. Mehr kannst du gar nicht kriegen.

Wenn ich Christoph Sonntag von seinem Beruf schwärmen höre, muss ich denken: So unterschiedlich sind die Erwartungen an Kabarettisten und Pfarrerinnen ja gar nicht. Auch zu mir in den Sonntagsgottesdienst kommen Leute mit Problemen. Und auch ich möchte, dass sie verändert nach Hause gehen, nachdenklich, wachgerüttelt, getröstet, beschwingt. Dass sie sagen: Hey, geil war`s am Sonntag. Christoph Sonntag meint:  

Ihr seid immer in der Gefahr, dass man denkt, ach, jetzt kommt was Betuliches. Ihr müsst immer dagegen ankämpfen: Hör mir doch bitte zu, weil so blöd ist es gar nicht. Aber ja, das ist halt die Bürde eures Jobs.

Ich habe eine Übereinstimmung zwischen unseren Berufen festgestellt: Hier die Pfarrerin, da der Kabarettist. Beide wollen wir den Menschen etwas mitgeben, was das Leben leichter macht. Den großen Unterschied formuliert Christoph Sonntag so:

Der Pfarrer hat seine Texte vorgeschrieben vom lieben Gott, der Kabarettist darf sie sich selber schreiben. Wir sind etwas freier.

Über die Sache mit der Freiheit muss ich lange nachdenken. Stimmt das? Klar, beim Predigen bin ich an die biblischen Texte verwiesen. Die sind zwar nicht vom lieben Gott geschrieben, aber in einer gewissen Reihenfolge für jeden Sonntag vorgegeben. In der Auslegung bin ich als Protestantin aber nur meinem Gewissen verpflichtet. Ausgerechnet der Kabarettist, der kein Pfarrer werden wollte, hat mich zu Beginn unseres Gesprächs daran erinnert. Auf der Kaffeetasse, die er mir hingestellt hat, steht „I muss gar nix!“  Und dazu meint er augenzwinkernd: „So was in der Art hat der Luther ja auch mal gesagt!“ Stimmt. Im O-Ton: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan!“ Erlebt Christenmensch Sonntag den Glauben auch als eine befreiende Kraft?

Es gibt fünfzig Prozent Chance, dass es Gott gibt, fünfzig Prozent Chance, dass es ihn nicht gibt. Ich sehe es einundfünfzig zu neunundvierzig, weil für mich sind zu viele Momente auf dieser Erde da, die mich schon erstaunen lassen und mir eine Gänsehaut machen. Diese Kraft gibt es definitiv. Diese Kraft gibt es, und sie ist für mich die göttliche Kraft, die wir anzapfen können, und wenn man sie anzapft, fließt sie. Wenn sie durch uns durchfließt, geben wir sie ab und kriegen sie zurück.

Etwas abzugeben von dem, was er bekommt, auch das ist für Christoph Sonntag wichtig. Sein gesellschaftliches Engagement könnte direkt aus der Bibel abgeleitet sein. Mit seiner Stiphtung, die sich wie sein Vorname mit ph in der Mitte schreibt, packt er Probleme dort an, wo sie ihm wie einst dem barmherzigen Samariter direkt vor die Füße fallen:

Wir kümmern uns um Obdachlose und Wohnsitzlose. Wir kümmern uns um ökologische Projekte. Wir machen im Prinzip Dinge, die wir sehen, und machen sie einfach. Also wir sind jetzt keine Stiftung, die zum Beispiel sagt, wir retten jetzt alle Straßenhunde dieser Welt. Aber wenn ein Kaninchen vorbeihoppelt, ist es uns egal, sondern wir kriegen halt mit, dass jemand in Not ist und versuchen, dann schnell zu helfen.

Und dann hat er zum Schluss noch dieses Wort vom Sonntag:

Ich hole mir meinen Kontakt zu der himmlischen Weisheit, indem ich ständig damit lebe. Indem ich ständig mit dem Wissen lebe, dass es etwas Höheres gibt, indem ich ständig mit dem Wissen lebe, dass mich das immer gemahnt, freundlich gemahnt, was ich auch richtig machen soll. Dann mache ich es falsch, dann liege ich im Bett. Und dann weiß ich, dass mir verziehen wird. Das ist geil.

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SWR1 3vor8

24DEZ2023
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Stimmt es eigentlich, dass Vorfreude die schönste Freude ist? Ich meine ja, denn jedes Jahr passiert es mir wieder: Wenn ein Urlaub näher rückt, freue ich mich wie ein Kind auf die bevorstehende Reise. Ich zähle die Tage, schaffe mir Urlaubslektüre an und sammle Rezepte aus der Küche des Urlaubslandes. Die Vorfreude wächst. Sie ist eine schöne Freude. Aber dann kommt immer auch dieser eine Augenblick, wenn wir endlich im Auto sitzen und es los gehen kann. Die Koffer gepackt und verstaut, nur noch wenige Stunden trennen uns vom sehnsüchtig erwarteten Reiseziel, und mich überkommt eine tiefe Traurigkeit, weil sich in diesem Moment das Blatt wendet: Ab jetzt sind die Urlaubstage nämlich gezählt und werden unweigerlich vorbei gehen. Die Vorfreude war riesig, die eigentliche Freude will sich nicht so recht einstellen. Verrückt, aber wahr.

Und an Weihnachten? Der vierte Advent ist der Sonntag im Kirchenjahr, der die Vorfreude bündelt und riesengroß macht. „Freut euch immerzu, weil ihr zu Gott gehört. Ich sage es noch einmal: Freut euch! Gott ist nahe! Macht euch keine Sorgen!“ So wird aus einem Brief des Paulus zitiert. Dazu singt Maria ein begeistertes Lied, außer sich vor Freude über das Kind in ihrem Bauch. Mit Blick auf die Umstände, die seine Geburt begleiten werden, könnte man auch sagen: Deine Vorfreude, Maria, ist die schönste Freude. Denn was dir bis zur Geburt noch bevorsteht, ist eine echte Zumutung: Du musst noch einen ellenlangen Weg zu Fuß nach Bethlehem zurücklegen. Dort wird es keine Unterkunft geben, und schließlich wirst du dein Kind in einem zugigen Stall zwischen Ochs und Esel zur Welt bringen müssen. Aber draußen auf den Feldern wird der Himmel aufreißen und ein Engel wird zu verschreckten Hirten sagen: „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude!“

So viel Freude liegt heute in der Luft. Nun liegt es an uns, dass wir sie hören, ins Herz lassen und spüren. Ich wünsche Ihnen, dass alle Vorfreude sich heute in große Freude verwandelt. Fröhliche, gesegnete Weihnachten!  

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23DEZ2023
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Ein fast hundert Jahre altes Chanson hat mich durch dieses ganze Jahr begleitet. In einer Fernsehserie habe ich es zuerst gehört. Die spielt Anfang der 30er Jahre in Berlin. Dort, wo Friedrich Hollaender das Lied 1931 komponiert und Marlene Dietrich es als erste gesungen hat. Dann, ganz unverhofft, bei einem Liederabend in Mainz. Und jetzt, kurz vor Weihnachten, geht es mir wieder durch den Kopf.

Das Lied beginnt mit einem Spaziergang. Es ist dunkel. Und die Sängerin schlendert allein durch die Straßen einer Großstadt. Dabei schaut sie absichtlich oder eher zufällig durch verschiedene Fenster in die hell erleuchteten Zimmer fremder Leute. Und fragt sich, ob die dort wohl glücklich sind? Oder ob sie nur so tun, als ob? Und dann singt sie: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, käm‘ ich in Verlegenheit, was ich mir denn wünschen sollte, eine schlimme oder gute Zeit. Wenn ich mir was wünschen dürfte, möcht ich etwas glücklich sein, denn wenn ich gar zu glücklich wär′, hätt' ich Heimweh nach dem Traurigsein.“

„Wenn ich mir was wünschen dürfte …“ Immer wieder bin ich in den letzten Wochen gefragt worden, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Und immer wieder habe ich andere bedrängt, mir doch bitte ihre Wünsche mitzuteilen. Erfüllbar sollen sie sein, das Portemonnaie nicht überfordern und dann auch noch hübsch verpackt untern Christbaum passen. Schließlich will ich niemand in Verlegenheit bringen, weder mit meinen Wünschen noch mit meinen Geschenken. Gar nicht so einfach. Ein bisschen Glück wünscht sich die Sängerin im Lied. Kein ganz Großes, das würde sie nur wieder traurig machen. Und sie fragt sich: Sind die schlimmen Zeiten in Wirklichkeit die guten? Womöglich sogar die besseren? Machen sie am Ende empfindsamer und empfänglicher für das Glück? Oder ist das eine falsche Bescheidenheit?

Jesus hat einmal gesagt: „Ich bin gekommen, um ihnen das wahre Leben zu bringen. Das Leben in seiner ganzen Fülle.“ Wenn ich Ihnen also etwas wünschen dürfte, so kurz vor Weihnachten, dann wäre es das: wahres Leben in einer schlimmen und in einer guten Zeit.   

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22DEZ2023
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Ich liebe die deutsche Sprache! Sie hat ungefähr 500 000 Wörter. Und obwohl ich in meinem aktiven Wortschatz höchstens einen Bruchteil davon benutze, könnten es von mir aus noch viel mehr sein. Zum Glück ist es im Deutschen ganz leicht, neue Wörter zu erfinden. Man muss nur frisch und munter ein Hauptwort ans andere reihen. Dann entstehen solche fantastischen Wortgebilde wie der Donaudampfschiffahrtsgesellschaft-Mannschaftskapitän. Oder der Eierschalensollbruchstellenverursacher. Ein irres Wort für einen Eierköpfer – aber es bringt auf den Punkt, wie so ein Ding funktioniert.

Andere Sprachen funktionieren genau andersherum: Die brauchen nur ein einziges Wort, um etwas auszudrücken, wofür im Deutschen ein ganzer langer Satz benötigt wird. Mein Lieblingswort für diesen Fall heißt Awumbuk. Das kommt aus Papua-Neuguinea nördlich von Australien. Die Menschen, die dort leben, sagen Awumbuk und meinen damit „ein Gefühl von Leere und Erleichterung, wenn die Gäste gegangen sind.“

Ein Gefühl von Leere und Erleichterung, wenn die Gäste gegangen sind. Das kenne ich gut: Ab morgen wird bei uns die Bude erst mal voll. Über die Feiertage kommt in Schüben die ganze Familie zusammen. Das wird zwar nicht stressfrei, aber irgendwie auch schön. Wir werden zusammenrücken. Wir werden gut und reichlich essen und trinken und bis tief in die Nacht reden, singen und spielen. Morgens wird man sich mit vielen ein Bad teilen und tapfer warten, bis die Dusche endlich frei ist. Und irgendwann werden nacheinander alle wieder abreisen. Wenn dann der letzte Gast die Tür hinter sich zugezogen hat, wird es still sein im Haus. Dann herrschen Erleichterung und eine seltsame Leere. Awumbuk eben. Gemischte Gefühle. Auf den Punkt gebracht.  

Ein Fest braucht Vorbereitungen. Das wissen wir, und wir geben ihnen in der Regel auch viel Raum. Ein Fest braucht aber auch Nachbereitung. Eine Nachbereitung, die mehr ist als Aufräumen und Abwaschen. Eine innere Nachbereitung. Ein Nachklingen und Ausschwingen von Begegnungen und Gesprächen, ein bisschen Wehmut mit Freude gemixt. Lassen Sie uns in diesem Jahr, wenn die Gäste dann wieder gegangen sind, doch alle ein bisschen Awumbuk sein!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21DEZ2023
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Ob es wohl eine weiße Weihnacht wird in diesem Jahr? Schon seit Wochen sind die Meteorologen damit beschäftigt, diese Frage zu beantworten. Inzwischen dürfte sich die Wettervorhersage wohl in einem recht zuverlässigen Bereich bewegen. Weiße Weihnacht? Wir werden ja sehen. Immerhin gab es Schnee in diesem Jahr schon vor dem ersten Advent. Das war ein Fest! Wir haben gleich die Feuerschale rausgeholt und ein paar Nachbarn im Garten ums knisternde Feuer versammelt. Aus den letzten viel zu milden Wintern hatte fast jeder noch eine Flasche Glühwein im Keller. Ja, Schnee ist etwas Wunderbares! Aber warum soll es ausgerechnet an Weihnachten schneien? Warum wünschen sich immer alle eine weiße Weihnacht? Es kann doch nicht nur daran liegen, dass bei Eis und Schnee der Glühwein besser schmeckt!  

Der Soziologe Hartmut Rosa hat dafür eine Erklärung gefunden, die mir sehr einleuchtet. Er meint: Wenn es schneit, dann ist das „wie der Einbruch einer anderen Realität. Etwas Scheues, Seltenes, das uns besuchen kommt, das sich herabsenkt und die Welt um uns herum verwandelt, ohne unser Zutun, als unerwartetes Geschenk.“ Schnee ist etwas, das wir nicht herstellen können, „nicht erzwingen, nicht einmal sicher vorher planen, jedenfalls nicht über einen längeren Zeitraum hinweg.“ Und wir können den Schnee auch nicht haltbar machen: „Wenn wir ihn in die Hand nehmen, zerrinnt er uns zwischen den Fingern, wenn wir ihn ins Haus holen, fließt er davon, und wenn wir ihn in die Tiefkühltruhe packen, hört er auf, Schnee zu sein.“

Mit all diesen Eigenschaften passt der Schnee daher perfekt zu dem, was wir an Weihnachten feiern: Gott kommt zur Welt. Und das war allein seine Idee, kein Mensch hat etwas dazu tun oder ihn daran hindern können. Der sanfte Einbruch einer anderen Realität. Wir können nur still werden und staunen über die Pracht und Herrlichkeit, die da vom Himmel auf die Erde gekommen ist. Der unverfügbare Gott kommt aus fernsten Fernen und stellt sich uns zur Seite. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen eine wunderweiße Weihnacht!  

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20DEZ2023
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Zwischen Karlsruhe Süd und Heimsheim ist die A8 in Fahrtrichtung Stuttgart gesperrt. Ein LKW hat in der Nacht Diesel verloren. Bei den winterlichen Temperaturen eine Riesensauerei. Die Räumungsarbeiten verzögern sich. Bis die Strecke wieder freigegeben ist, wird es noch dauern. Ich bin in entgegengesetzter Richtung unterwegs und heilfroh. Zum Glück sitze ich da nicht fest. Zum Glück muss ich keine Termine verschieben oder absagen, zum Glück muss ich nicht dringend aufs Klo und kann nicht austreten. Oder muss frieren, weil die Standheizung nicht funktioniert.  

Dann sehe ich die Räumfahrzeuge auf der anderen Seite. Es sind viele. Eine ganze Flotte. Wo kommen die jetzt eigentlich so schnell her? Wer koordiniert ihren Einsatz und wie funktioniert das eigentlich, Diesel beseitigen? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und plötzlich gesellt sich zu der Erleichterung, dass es mich diesmal nicht getroffen hat, eine tiefe Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Land lebe, das so gut organisiert ist. Ein Problem taucht auf, und – trotz Personalengpass oder anderer Schwierigkeiten - kümmert sich jemand um die Lösung. Sperrt Straßen, schildert Umleitungen aus, schafft Fachleute und das notwendige Gerät herbei. Und nach wenigen Stunden läuft der Verkehr wieder reibungslos.

Keine Spur von Dankbarkeit lese ich in den Gesichtern der Autofahrer, die hinter der Sperrung in einer endlosen Kolonne im Stau stehen. Und auch mir wäre auf der anderen Straßenseite wohl nicht nach Dankgebeten zumute. Aber auf meiner Seite kann ich sie sprechen. Stellvertretend für andere. Heute bete ich einmal so: „Danke, wenn ich im Stau eine Rettungsgasse bilden muss, weil es bedeutet, dass bald Hilfe kommt. Danke, dass ich Steuern zahlen muss, weil es bedeutet, dass ich eine Arbeit habe. Danke, dass ich keinen Parkplatz finde, weil es bedeutet, dass ich ein Auto besitze. Danke, dass die Heizkosten so hoch sind, weil es bedeutet, dass ich es warm habe. Und danke, lieber Gott, dass mich der Wecker heute Morgen aus meinen Träumen gerissen hat, weil es bedeutet, dass ich am Leben bin.“

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19DEZ2023
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Wenn im Winter die Laubbäume ihre kahlen Äste in den Himmel strecken, stechen sie mir ins Auge: fette Mistelbüsche, die sich wie dunkle Nester in den Bäumen festgesetzt haben. Sie erinnern mich immer an Krebsgeschwüre, die einen gesunden Baum befallen haben. Und sie sind ja auch wirklich Schmarotzer, die eine Wirtspflanze brauchen, um wachsen und gedeihen zu können. Aus dem Baum zieht die Mistel ihre Nährstoffe und alles, was sie zum Leben braucht. In manchen Bäumen hocken ganz viele dieser Parasiten, in anderen, auch wenn sie dicht an dicht stehen, kein einziger. Und die Frage, warum das so ist, bleibt unbeantwortet. Den Bäumen jedenfalls tut es gut, wenn man die Misteln ab und zu abschneidet, damit sie ihnen nicht zu viele Säfte und Kräfte rauben.

In der Adventszeit machen die bedrohlichen Gewächse dann sogar eine wundersame Wandlung durch: Die grünen, schönblättrigen Zweige mit den weißen Beeren dekorieren mit einer roten Samtschleife versehen Fenster und Türen. „Küss mich unterm Mistelzweig“ singt Andrea Berg und verspricht sich von so einem Kuss ewige Liebe. Und im Comic klettert der Druide Miraculix nachts im Mondenschein auf Eichenbäume, um die begehrten Misteln für seinen Zaubertrank zu besorgen, der seinen Galliern übermenschliche Kräfte verleiht. Misteln wurden schon immer auch als Heilpflanzen genutzt. Sie sind eben mehr als Schädlinge von Bäumen.

Was von weitem bedrohlich aussieht, verliert aus der Nähe betrachtet seinen Schrecken. Was fern liegt, rückt nah. Was Fragen aufwirft, wird fassbar. Das macht die Adventszeit mit uns: Sie bereitet uns auf große Verwandlungen vor, auf Wunder. Zum Beispiel auf dieses: Gott, für viele Menschen weit weg und eine große Unbekannte, kommt als kleines Kind zur Welt. Verliert seinen Schrecken. Hat menschliche Züge. Kommt uns ganz nah. Lässt sich herzen und bestaunen. Verspricht ewige Liebe und verleiht wunderbare Kräfte. Verwandlung ist möglich. Und Heilung. Und Wunder auch.    

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