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SWR4 Abendgedanken

28JUN2024
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Vor wenigen Wochen ist eine langjährige Wegbegleiterin von mir verstorben. 95 Jahre alt ist sie geworden. Was für ein gesegnetes Alter! Ich hatte sie als Schülerin in der Kirche kennengelernt. Auch nach ihrem Ruhestand und meinem Umzug von der Nordsee nach Süddeutschland sind wir durch die Jahrzehnte in Kontakt geblieben. Wenn wir telefoniert haben, hat sie erst einmal zugehört und dann einfach ein paar Fragen gestellt. Sie war keine Frau fürs oberflächliche, ihr ging es um das Wesentliche, um das, was einen im Herzen umtreibt. Sie hat sich mit ihrer Meinung und ihrem Wissen nicht aufgedrängt, ihr ist es darum gegangen, dass ihr Gegenüber eigene Antworten findet.

Nun fehlt sie mir mit ihrer großen Lebenserfahrung als Ratgeberin. Manche Gedanken von ihr sitzen jedoch tief in mir. „Weißt du, manchmal lohnt es sich gar nicht, sich aufzuregen. Der neue Nachbar mit anderen Vorstellungen, die unfreundliche Verkäuferin, Stress auf der Arbeit? Das legt sich alles von selbst. Bleib einfach freundlich, wenn man dir unfreundlich kommt. Fertig.“

Als Jugendliche schien mir diese Haltung ein wenig schräg, Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit zu begegnen, aber sie hat recht. Energie und Einsatz braucht es an anderer Stelle, das war für meine Bekannte klar. Als junges Mädchen hatte sie erlebt, wie ihre jüdischen Freundinnen von einem auf den anderen Tag in Königsberg verschwunden waren, später auf der Flucht hat sie Dinge gesehen, die brutal waren. Den Schmerz darüber hat sie bis ins hohe Alter im Herzen bei sich getragen.

„Du musst, wenn Du Dich ärgerst, genau unterscheiden, ob etwas im Grunde albern ist und vorübergeht oder ob eine Grenze überschritten wird, die nicht überschritten werden darf. Frag dich das jedes Mal ganz genau!“ Antisemitismus und Machtgehabe waren für sie solche Grenzen. Wenn die überschritten wurden, war es ihr egal, wer vor ihr stand, auch als sie die 90 schon weit überschritten hatte. Da wurde Klartext gesprochen. „Weißt du, in der Bibel heißt es: ‚Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn aus ihm fließt das Leben‘ – das ist wichtig. Habe dein Herz bei allem, was Du tust, im Blick. Sei klar, was dir wichtig ist und was nicht.“ Ihr Herz hat nun aufgehört zu schlagen, aber, das spüre ich nun ganz genau, mein Herz schlägt weiter für das, was ihr in ihrem langen Leben wichtig geworden war.

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SWR4 Abendgedanken

27JUN2024
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„Sind Sie eigentlich auch mal richtig wütend?“, hat mich letzte Woche ein Mann aus meiner Nachbarschaft gefragt. „Ich habe mich gerade furchtbar aufgeregt und will das gar nicht. Sie wirken immer so ruhig.“ Dann haben wir einfach ein wenig miteinander über seine Wut gesprochen. Seine Frage habe ich für mich mitgenommen, um darüber nachzudenken.

Ja, auch ich bin manchmal wütend. Richtig wütend sogar. Aber ich lasse meine Wut selten so richtig raus. Ganz anders eine Freundin von mir. Sie lebt ihre Wut gerne auch einmal aus. Mich hat das zuerst irritiert, aber für meine Freundin scheint das etwas Gutes zu sein. Ich glaube fast, sie mag es sogar, wütend zu sein: „Probiere es doch einfach mal aus“, hat sie mir irgendwann gesagt, „lass sie raus! Für mich ist die Wut etwas Produktives!“ Vielleicht mache ich das irgendwann einmal. Allerdings denke ich, dass ich da doch etwas anders ticke: Wenn mich etwas ärgert, brauche ich erst einmal einen Kaffee und dann frische Luft und Musik.

Schon König Saul soll mit Musik beruhigt worden sein, steht in der Bibel. Bei mir muss die Musik am Anfang laut und wild sein, und wenn ich mich dann selbst in meiner Wut ein wenig gefunden habe, stelle ich sie wieder leiser. Irgendwann komme ich aus dem bloßen Gefühl ins Denken und überlege dann, was mich so geärgert hat und wie ich das angehen will. Das braucht manchmal auch ein paar Anläufe. Dieses „ins Denken kommen“ tut mir gut, und meistens bin ich dann so voller Energie, dass ich die Dinge, die mich verärgert haben, auch angehen will. Also hat Wut auch für mich tatsächlich etwas Produktives und sie ist gar nicht so schlecht wie man ihr nachsagt. Vielleicht hat ja auch hier die Bibel gar nicht so unrecht, wenn es heißt: „Lass die Sonne nicht über deinem Zorn untergehen.“ Gefährlich wird Wut oder auch Zorn aus meiner Sicht dann, wenn man sie einfach nur in sich hineinfrisst und sich nicht mit ihren Gründen auseinandersetzt. Dann platzt die Wut einfach nur aus einem heraus und ihre Energie verpufft, wenn sie nicht sogar andere ungewollt verletzt. Und das wäre doch schade.

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SWR4 Abendgedanken

26JUN2024
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Vor Kurzem war ich mit einer Reisegruppe in Ghana, und auf einem Stausee in einem Schiff sind wir völlig unerwartet in einen Sturm geraten. Ich habe auf einmal nur noch die dunklen Wolken heranziehen sehen, es windete wie aus dem Nichts und regnete aus allen Kübeln. Hohe Wellen brachten das Schiff ins Schwanken. Das Geschirr klapperte, die Musik verstummte, Panik brach aus. Und so habe ich auf einmal mit ein paar anderen unter einem Tisch auf dem Außendeck gesessen, damit wir vor den herumfliegenden Gegenständen geschützt waren. Eine Situation, die überhaupt nicht vorhersehbar gewesen war. Warum ist das Schiff überhaupt ausgelaufen? Warum hat niemand auf die Wetterapp geschaut? Fragen über Fragen. Mir kam die biblische Erzählung von der Sturmstillung in den Kopf. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragt Jesus seine Jünger darin. „Habt ihr keinen Glauben?“ Das war für mich wie ein Befreiungsschlag, ein wenig Gottvertrauen, dass mich in dem Moment aus meiner eigenen Angst und meiner Erstarrung befreit hat. Alle Fragen nach dem Warum sind doch egal, jetzt ist das Jetzt gefragt. Jetzt, in diesem Moment, hatte nicht nur die Frau mir gegenüber unsagbare Angst, jetzt flogen die Sachen herum und waren die Wellen hoch. Also festhalten und ruhig bleiben. D geholfen. Wir haben aufeinander geachtet und uns gegenseitig ermutigt. Über dieses Erlebnis haben wir in den Tagen danach intensiv gesprochen. „Ich bin mir so allein und verloren vorgekommen. Es brauchte etwas, bis ich Euch und die anderen gesehen habe“, so die eine. „Ich musste mich erst einmal auf die Situation einlassen“, ein anderer. Und das ist es vielleicht: Sich auf eine unerwartete Situation, sich auf das „Jetzt“ einzulassen, bringt einen aus der Schleife des „hätte“ oder „wäre doch“  hinein ins Handeln und damit ins Leben. Das gilt ja nicht nur in solch einer Ausnahmesituation wie einem Sturm, sondern grundsätzlich im Leben.  Ich bin nicht allein. Mir schenkt mein Glaube Halt, da sind   andere Menschen mit mir im Leben unterwegs. Ihnen geht es vielleicht so wie mir. Das will ich aus diesem Sturm mitnehmen. Beherzt miteinander das angehen, was jetzt dran ist.

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SWR4 Abendgedanken

25JUN2024
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„Akwaaba“ heißt „Hallo und Willkommen“ in der Sprache der Akanstämme in Ghana. Vor wenigen Wochen haben wir mit der Kirche unsere Partnergemeinde dort besucht. Das war ein echtes Abenteuer! Der lange Flug mit Turbulenzen, dann die Hitze und Luftfeuchtigkeit, als wir nach 18 Stunden angekommen sind. „Akwaaba!“ Alle Strapazen waren vergessen, als wir unsere Gastgeber am Flughafen erblickt haben, die uns hinter der Absperrung fröhlich zuwinkten. „Willkommen!“ Das waren wir in Westafrika wirklich.

Egal, an welchem Ort wir uns in den kommenden zehn Tagen aufgehalten haben, unter einem Blechdach am Straßenrand oder am Königshof des Stammes - immer wurden wir freundlich empfangen. „Akwaaba!“ Essen und Getränke wurden gereicht, ein echtes Gespräch gesucht, nachgefragt, wie sich das Leben bei uns von dem in Ghana unterscheidet, und unsere Gastgeber haben gebetet. Sie haben Gott gedankt, dass die Freunde aus Deutschland heil angekommen sind, dass die Partnerschaft nun schon über ein Jahrzehnt geht und wir so viel voneinander lernen dürfen.

Überhaupt haben die Menschen wie selbstverständlich für alles gedankt, was der Tag jeweils gebracht hat. Auch für Dinge, die uns hier gar nicht so in den Sinn kommen: Am Ende einer guten Autofahrt für das Erreichen des Ziels, am Abend nach dem Restaurantbesuch für die freundlichen Mitarbeiter und das gute Essen, für die Musik, ja, für das gute Wetter oder umgekehrt für die Bewahrung in einem Sturm. Diese Freundlichkeit und Dankbarkeit hat etwas mit mir – ja, ich denke, mit unserer ganzen Reisegruppe gemacht. Wir wurden im Laufe der Tage immer fröhlicher und irgendwie auch gelassener. Eine Autopanne, die uns hier einfach nur aufregen würde, wurde im Gebet am Abend als Pause interpretiert, als Gelegenheit, um neue Menschen kennenzulernen, denen man sonst nie begegnet wäre.

„Akwaaba – Hallo und Willkommen!“ Ein Ruf nicht nur zur Begrüßung von Menschen, sondern im Grunde genommen ein Ruf zu einer Lebenshaltung: jeder Moment in deinem Leben hat eine Bedeutung.

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SWR4 Abendgedanken

24JUN2024
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„Nun beginnt der Ernst des Lebens!“ Ich weiß noch, wie mein Vater das gesagt hat, als unser Sohn vor Jahren in die Schule gekommen ist. In wenigen Tagen endet seine Schulzeit. Und nun? Wird das Leben noch ernster? Auf eigene Weise stehen der jungen Generation alle Türen offen. Wohin man hört, überall werden Fachkräfte gesucht: im Handwerk, der Industrie, im Einzelhandel oder auch in der Wissenschaft. Die junge Generation hat im Grunde genommen freie Wahl, das zu tun, worauf sie Lust hat. Das klingt großartig; macht die Entscheidung, was es denn nun für eine Ausbildung oder ein Studiengang sein soll, aber nicht leichter. In früheren Jahrzehnten war vieles einfach gegeben. Mein Vater hat schlicht den elterlichen Betrieb übernehmen müssen, bei mir waren manche Ausbildungsgänge einfach überfüllt und kamen daher von vornherein nicht in Frage.

Ich hoffe, unser Sohn wird in den kommenden Jahren einen Beruf finden, der ihn erfüllt. Und ich wünsche mir, dass er sich dabei die notwendige Zeit nimmt. Denn meiner Erfahrung nach braucht es etwas Zeit, bis man bei sich selbst alle Gaben entdeckt, die Gott in einen gelegt hat. Da geht es ja nicht einfach um das, was man in der Schule gelernt hat.

Das eigene Talent, die Begabung oder Begeisterung für eine Sache spült das Leben - vielleicht auch durch einen Zufall - irgendwann auf eigene Weise hervor. Das kann eine Begegnung im Urlaub sein, ein erfahrener Meister, der einem ein neues Fachgebiet eröffnet oder ein Mensch, der einen einfach begeistert. In den vergangenen Jahren habe ich ein paar Menschen kennengelernt, die den Mut gefunden haben, sich mitten im Leben für einen anderen Beruf zu entscheiden. Sie wagen sich an etwas Neues. Warum nicht? Auch ich habe den Studiengang gewechselt, hatte vor der Theologie etwas anderes im Sinn.  Paulus, der große Apostel aus der Bibel, hat das auch getan. Der gelernte Zeltmacher hat auf einmal gespürt, dass in seinem Leben etwas ganz anderes dran war als das, was bisher sein Leben geprägt hatte. Paulus hat sich eines Tages entschieden, das Evangelium in der Welt auszubreiten und hat darin seine Erfüllung gefunden. Solch eine Erfüllung im Beruf wünsche ich unserem Sohn und all den anderen jungen Menschen, die sich jetzt auf den Weg ins Berufsleben machen, ebenso wie denen, die grade auf der Suche nach einem Neubeginn sind. Mit etwas Gottvertrauen und Geduld, da bin ich mir sicher, wird sich das finden, was das eigene Herz erfüllt.

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SWR4 Abendgedanken

08MRZ2024
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Um das Krankenhaus in unserer Stadt steht es schlecht. Wie auch bei anderen Kliniken in unserem Land heißt es, dass wohl nicht „wirtschaftlich genug“ gearbeitet wurde, und darum steht nun eine Schließung im Raum. Die Menschen unserer Region sorgen sich natürlich um den Bestand des Krankenhauses. Wo soll es hingehen, wenn ein Notfall vorliegt? Die nächsten Krankenhäuser sind eine halbe Stunde entfernt. Vor allem aber setzt die ganze Situation den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Krankenhauses zu. Denn sie haben nicht einfach einen Job, mit dem sie Geld verdienen, sondern sie haben einen Beruf und Arbeitsplatz gewählt, für den man, glaube ich, wirklich berufen sein muss. Und sie sind eine Gemeinschaft, die an ihrem Krankenhaus für die Menschen ihrer Region da sein wollen. Sie sind hier zu Hause. Ich bewundere die Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte, die in unserem Krankenhaus arbeiten. Wechselnde Patienten, Schichtarbeit, aufgeregte Angehörige. Da ist oft viel unausgesprochene Angst und Anspannung im Raum, die insbesondere die Schwestern und Pfleger auffangen. „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!“ (Röm 12,15) heißt es einmal in der Bibel - und Menschen mit diesen Berufen leben das meiner Erfahrung nach jeden Tag. Sie schenken den Patientinnen und Patienten Trost bei einer schweren Diagnose, geben Halt vor einer anstehenden Operation, freuen sich, wenn die Entlassung ansteht und es endlich nach Hause geht. Sie nehmen sich trotz großen Zeitdrucks Zeit für Ihr Gegenüber und müssen gleichzeitig auf sich selbst aufpassen und die nötige Distanz wahren. Und trotzdem arbeiten sie jeden Tag neu mit Geduld, Liebe und großer Fachlichkeit und stellen sich dem, was das Leben ihnen zuträgt und manchmal auch zumutet. Die größte Zumutung ist für mich aber die Diskussion über die Wirtschaftlichkeit. Sie führt zu einer enormen Anspannung unter den Mitarbeitern, die immer wieder ihr Bestes geben. Ja, ein Krankenhaus rechnet sich manchmal nicht, weil in den Strukturen etwas nicht stimmt. Aber damit ein Mensch gesund wird, braucht es Zeit, eine gute Umgebung und verlässliche Zuwendung. Das wusste auch schon der barmherzige Samariter, als er den unter die Räuber gefallenen Mann in biblischen Zeiten in einem Gasthaus zur Pflege gebracht hat und dafür dem Wirt gleich Geld hingelegt hat. Vielleicht sollten wir als Gesellschaft öfters miteinander überlegen, wo und wofür wir Geld investieren.

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07MRZ2024
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Im Garten meines Elternhauses steht eine mächtige Kastanie. Im Moment ist der Baum noch ganz kahl, es dauert noch ein paar Wochen, bis er ausschlägt. Und doch ist diese Kastanie für mich ein ganz besonderer Baum. Vor über vierzig Jahren bin ich in diesem Baum als Kind herumgeklettert. Ich habe mir in seinen ausladenden Ästen einen Platz gesucht, um von dort die Umgebung zu beobachten und über Gottes Schöpfung zu staunen: Die Vögel, die am Horizont ihre Kreise zogen, die vorbeifliegenden Wolken am Himmel, die unterschiedlichen Stimmen der Nachbarn und Fußgänger. Stundenlang habe ich hoch über der Erde zwischen den Zweigen gesessen und dabei so manches Mal die Zeit aus den Augen verloren. Wie viel Leben in diesem Baum steckte! Da waren verschiedene Insekten auf dem Stamm zu entdecken, es gab ein Vogelnest, in dem die Jungen versorgt wurden - ganz abzusehen von den vielen herrlichen Kastanien im Herbst. Was man daraus nicht alles basteln konnte! Männchen, Ketten, kleine Kunstwerke. Dieser Baum ist auf eigene Weise mein Zuhause, auch heute noch. Wenn wir nun mit unseren Kindern in den Ferien bei meinen Eltern sind, freut es mich zu erleben, dass sie diesen herrlichen Baum für sich genauso entdeckt haben, wie ich es einst getan hatte. „Hörst Du die Bienen, Mama? Das klingt wie ein großes Orchester! Schau, wie groß die Blätter sind!“ Bei jedem Besuch muss als Erstes der Baum besucht und begutachtet werden. „Opa, der Baum ist so groß wie ein Haus! Und auf jeder Etage ist Leben!“ Als mein Vater das hörte, hat er gelacht und sagte: „Ja, jetzt ist der Baum so groß wie ein Haus, mit ganz viel Leben darinnen. Gott hat ihn wachsen lassen, durch ihn ist er so groß geworden. Er war einmal so klein, dass ich ihn in meinem Rucksack von einer Klassenfahrt im Teutoburger Wald mit nach Hause gebracht habe. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass in diesem winzigen Bäumlein einmal meine Kinder und Enkelkinder sitzen würden.“ Es ist erstaunlich, was Gott uns in unserem Leben schenkt und was er wachsen lässt. Und darum freue ich mich schon jetzt darauf, wenn in wenigen Wochen die Kastanie nach den langen Wintermonaten wieder ausschlagen wird und auf ganz eigene Weise von Gottes Schöpfungskraft zeugt.

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SWR4 Abendgedanken

06MRZ2024
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In diesem Jahr wird das Evangelische Gesangbuch 500 Jahre alt. Das ist ein Grund zum Feiern! Mein erstes Gesangbuch war so ein kleines schwarzes Büchlein mit Goldschnitt, das beim ersten Regen gleich Flecken bekam. Ich habe es von meinen Eltern zur Konfirmation geschenkt bekommen, wie es damals Tradition war. Meine Großmutter meinte gleich, dass das mit den Regenflecken nicht schlimm sei, denn ein Gesangbuch sei ein „Lebensbuch“. Ich gebe zu, ich habe damals nicht verstanden, was sie gemeint hat. Ein Lebensbuch? Vielleicht, weil es im Laufe meines Lebens noch viele Gebrauchsspuren und Flecken bekommen würde? Heute denke ich, dass ich weiß, was meine Großmutter wirklich gemeint hat. Ich singe gern und das Singen gehört quasi zu meinem Beruf als Pfarrerin dazu. Für jeden Gottesdienst suche ich die Lieder passend zu den Bibeltexten heraus. Das macht mir große Freude, ich entdecke dabei immer wieder mal eine Strophe, die ich noch nicht gekannt habe. Schon Martin Luther hat auf die Auswahl der Lieder großen Wert gelegt und hier und da auch eigene geschrieben. Er wusste um die Kraft des Singens. Er war überzeugt davon, dass die Lieder die Botschaft der Bibel in das Herz der Menschen singen würden. Und so fühle ich es heute auch. Ich habe ein paar Lieder, die sich quasi in mein Herz hineingesungen haben. Dazu gehört zum Beispiel „Wer nur den lieben Gott lasst walten, den wird er wunderbar erhalten“ oder „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarte ich getrost, was kommen mag.“ Wenn ich diese Lieder singe, geben sie mir Trost, Halt und auch Zuversicht. Und hier und dort ertappe ich mich, dass ich bei einem Spaziergang durch die Natur auch ein Lied vor mich her summe: „Geh aus mein Herz und suche Freud!“ Tja, und manchmal habe ich selbst gar keine Kraft zum Singen. Da bleiben mir die Worte im Hals stecken und alles ist mir zu viel. Dann bin ich froh, dass es andere Menschen gibt, die für mich singen und mich mit ihrem Gesang tragen.

Das Gesangbuch: Im Laufe der Zeit hat meins ein paar Gebrauchsspuren abbekommen. Aber noch viel mehr Spuren hat es in meiner Seele hinterlassen. Es ist eben ein Lebensbuch! Vielleicht haben Sie auch noch ein altes Gesangbuch zu Hause rumstehen. Es gibt übrigens auch ganz neue. So oder so - vielleicht findet sich darin ein Lied, das für Ihr Herz bestimmt ist. Ein Klassiker oder auch etwas Modernes. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Ausprobieren. Wo auch immer: Zu Hause, im Wald oder unter der Dusche.

Ich verspreche es: Es wird Ihnen guttun.   

 

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SWR4 Abendgedanken

05MRZ2024
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Vor kurzem hat mir jemand halb im Spaß zugerufen: „Hallo, was ist denn los mit dir? Du guckst so mürrisch!“ Nichts war im Grunde los, ich war einfach in Gedanken gewesen. Aber anscheinend hatte ich „mürrisch“ geguckt – also etwas finster und brummig.   „Mürrisch“ – das Wort hört man heute selten. Schon sein Klang verrät, worum es geht. Wer murrt, drückt mehr oder weniger laut brummend seine Unzufriedenheit aus, und das mal nicht eben so, sondern immer wieder. So wie das Volk Israel, von dem in der Bibel im Alten Testament berichtet wird, dass es 40 Jahre lang in der Wüste auf der Suche nach einer neuen Heimat unterwegs gewesen ist. Mürrisch, brummend und unzufrieden mit sich und der Welt - und unzufrieden mit Gott. Nichts war ihm recht, an allem hatte es etwas auszusetzen. Der Weg war zu lang und zu beschwerlich, seine Führer planlos und auch das ewige Mannaessen hatte es satt. Anfangs waren die Israeliten noch begeistert gewesen und haben sich zu gerne aufgemacht – raus aus der Sklaverei in Ägypten. Aber diese Begeisterung war längst vergangen und vergessen. Sie waren im Hier und Jetzt angekommen, und das hat ihnen nicht gefallen. Warum und wieso? Keine Ahnung, es passte einfach alles nicht. Also wurde gemurrt und gemeckert. Gott hat sich dann immer wieder etwas ausgedacht, um das Volk bei Laune zu halten, aber in den allermeisten Fällen war der Erfolg von kurzer Dauer. Dann ist das Murren einfach wieder von vorne losgegangen.

Und nun hatte ich selbst anscheinend „mürrisch“ geguckt, was mir ganz und gar nicht gefällt. Denn selbst, wenn ich wirklich mal mit einer Sache unzufrieden bin oder mir irgendwas nicht passt, dann möchte ich eigentlich nicht in meinem Meckern und Murren verharren. Das bringt mir nicht wirklich etwas, außer schlechter Laune. Viel mehr möchte ich die Gründe finden und für mich verstehen, warum ich unzufrieden bin. Bin ich nur unausgeschlafen? Fühle ich mich nicht wahrgenommen? Was steckt dahinter? Und wie könnte ich aus diesem Hamster-Murr-und Meckerrad kommen? Denn eine Meckerrunde nach der anderen kostet mich nur unnötig Kraft und Zeit.

Was hilft mir raus? Ein Gespräch mit einer Freundin, um eine neue Perspektive einzunehmen? Manchmal reicht es zum Glück, wenn mir jemand zuruft: „Warum guckst Du denn so mürrisch?“ Und mich damit so zum Lachen bringt, dass ich von ganz von allein aus meinem Gedanken-Hamsterrad herausfalle.

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SWR4 Abendgedanken

04MRZ2024
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Ich liebe es, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Vor allen Dingen, wenn dies in einer schönen Atmosphäre passiert. Wir unterhalten uns und erzählen einander vom Leben. Im Grunde genommen kommt dabei immer etwas Schönes zutage. Irgendwo, an irgendeiner Stelle bleibt man hängen. Eine Erinnerung wird wach, ein schöner Moment aus der Vergangenheit füllt auf einmal den Raum. Er ist ganz und gar lebendig und kostbar. So habe ich es gerade erst bei einem Besuch bei einer Frau erlebt. Sie hatte Tee und Plätzchen für uns beide gerichtet, die mit roten Walnusskernen verziert waren. Solche leuchtenden roten Nüsse hatte ich noch nie gesehen und habe darum die Frau einfach fragen müssen, was es denn damit auf sich habe.

Da hat sie gestrahlt – und mir erzählt, dass diese roten Nüsse aus dem Garten ihres Vaters stammen würden. Es sei eine besondere österreichische Nusssorte, die lange braucht, bis sie Früchte trägt, und die Ernte sei jedes Jahr leider sehr klein. Darum waren diese Nüsse für ihren Vater ein besonderer Schatz, eine Gabe Gottes. Irgendwann habe sie dann dieses Plätzchenrezept mit der Walnuss als Dekoration entdeckt und ihren Vater damit überrascht. Und seine Freude darüber war riesig gewesen.  

Ihr Vater sei schon vor einigen Jahren gestorben, hat die Frau dann berichtet, aber jedes Mal, wenn die Nussernte kommt, backt sie diese Plätzchen und denkt dabei an ihn. Und während sie dies erzählte, hat es sich für mich so angefühlt, als ob ihr Vater auf eigene Weise mit uns am Tisch sitzt und uns zugehört hat. Als ich mich auf den Heimweg gemacht habe, hat mir die Tochter eine kleine Walnuss dieser seltenen Sorte in die Hand gelegt.  „Für Sie, mein Vater hätte sich gefreut!“

Seit ein paar Wochen trage ich nun diese Walnuss schon mit mir herum. Ihre riffellige, auf eigene Weise warme Schale fühlt sich gut in meiner Hand an. Manchmal - beim Spazierengehen – stecke ich die Hand zu ihr in die Hosentasche. Zurück zu Hause wandert sie raus aus der Hosentasche vor mich hin auf den Schreibtisch:  Eine kleine Nuss, innen drin so anderes als die anderen. Eine Gabe, ein Geschenk Gottes, ein kleiner Schatz. Das kleine Geschenk in meiner Hosentasche erinnert mich daran, wie wertvoll die Erinnerungen sind, die wir an die Menschen haben, die schon verstorben sind und uns lieb gewesen sind. Momente des Miteinanders, die intensiv waren, Momente, in denen man sich einander ganz und gar nah war und es im Erinnern auch wieder ist. Vielleicht tragen Sie ja auch so einen Schatz in ihrem Herzen? Eine Erinnerung an einen lieben Menschen, die Ihnen guttut und Sie spüren lässt, dass man durch alle Zeit hindurch auf eigene Weise verbunden bleibt.   

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