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SWR4 Sonntagsgedanken

24MRZ2024
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Mit einem lebendigen Esel beginnt heute am Palmsonntag der Gottesdienst bei uns. Auf dem Marktplatz von Blieskastel im Saarland wird er auf seinen großen Auftritt warten. Bis zur Kirche wird er von den Kommunionkindern und ihren Eltern begleitet. Alle tragen bunte Palmsträuße. Mehr oder weniger geduldig wird der Esel mitgehen. Geführt vom Pfarrer an einer Leine. Seit dem 10. Jahrhundert gibt es diese Tradition. Die Pfarrer ritten am Palmsonntag auf einem Esel durch die Stadt zur Kirche. Sie spielten einfach nach, wie es Jesus damals erlebt hatte. Wie er begrüßt wurde von jubelnden Menschen auf den Straßen von Jerusalem. Bis zur Kirche war es weit und der Esel nicht selten störrisch. So mussten die Prozessionen öfters so lange anhalten, bis der Esel wieder bereit war weiterzugehen.

Irgendwann hatte man es satt mit den Launen des eigensinnigen Tiers. Die Lösung war ein sogenannter „Palmesel“ mitsamt einer Jesusfigur aus Holz. Auf Rädern montiert ging alles seinen geordneten Weg, ohne das ungebührlich störrische Verhalten eines Esels.

Nach altem Brauch wurde früher am Palmsonntagsmorgen so mancher Langschläfer mit den Worten „Du bist der Palmesel“ begrüßt. Das hatte seinen guten Grund. So störrisch wie ein Esel erschienen auch die Spätaufsteher. Sie kamen nicht voran, oder in diesem Fall, aus ihrem Bett.

Der Esel ist zwar ein Nebendarsteller in der Geschichte vom Palmsonntag. Aber ein wichtiger. Erzählt er doch viel von dem, den er trägt. Von diesem Jesus, denn auch der geht seinen eigenen Weg. Unbeirrt. So ganz anders, als all die andern es wollen. 

Heute beginnt für Christen die wichtigste Woche im Jahr. In den Gottesdiensten werden dramatische und emotionale Geschichten erzählt. Vom letzten Mahl Jesu mit seinen Freunden kurz vor seiner Gefangennahme. Von seinem Prozess und dem brutalen Mord am Kreuz. Aber auch von einer glücklichen Wende an Ostern. Alles beginnt heute, mit dem Palmsonntag. Wie bei einem Event. Es ist ganz großes Kino. Voller lebendiger Bilder.

In der Geschichte vom Palmsonntag wechselt Jesus sein Fortbewegungsmittel. Nicht mehr zu Fuß ist er unterwegs, sondern auf dem Rücken eines Esels kommt er daher.

Am Rand der Straße jubeln ihm die Menschen zu. Sie kennen all die uralten Prophezeiungen. Die erzählen davon, wie ein König kommen wird. Sanftmütig sei er, erzählt man sich. Nicht hoch zu Ross. Auf einem Esel werde er reiten. Nicht Krone und Schwert trägt er. Bewaffnete Begleiter an seiner Seite braucht er nicht. Es sind einfache Leute in seinem Freundeskreis. Jetzt ist es so weit, sagen sich die Menschen in der jubelnden Menge. Dieser Jesus wird Frieden bringen im von den Römern besetzen Land. Im Eselreiter kommt der lang ersehnte König zu uns.

Und es kommt, wie es so oft kommt. Erst hören wir, dass Jesus unter lautem Jubel durch Jerusalems Straßen zieht. Wie er als der lang ersehnte Retter gefeiert wird. Und dann kurz darauf brüllt man: „Ans Kreuz mit ihm.“ Die Menschen, die ihm erst nachlaufen und zujubeln, stehen Tage später schweigend am Kreuz, oder verfolgen das grausame Geschehen aus Angst von der Ferne.

Die Stimmung der Öffentlichkeit ist wankelmütig. Bis heute ist das so. Nicht nur in den sozialen Medien. Erst viele Likes und dann ein tödlicher Shitstorm. Daumen hoch. Daumen runter. Von jetzt auf nachher. Was für ein krasser Umbruch. Jubel und Hass, Leben und Tod sind ganz nah beieinander. All das erleben auch wir. Wir freuen uns an der Wärme des Frühlings. Der Natur, die endlich wiedererwacht. Und sehen die bedrückenden Bilder des Krieges. Die Menschen auf der Flucht. Das Sterben der Kinder. Wir freuen uns auf das Osterfest und betrauern die Toten.

Sanftmütig kommt er daher, steht in den uralten Prophezeiungen. So ganz anders als erwartet. Kann uns der Mann auf dem Esel heute noch Vorbild sein? Unzählige machen es so wie er. Sie gehen ihren Weg entschieden. Ganz anders, als die Mächtigen es wollen. Sanftmütig. Ohne Gewalt. Der Liebe und der Menschenwürde verpflichtet. All die Frauen, die jetzt im Krieg das Leben ihrer Kinder retten wollen. Sie tragen keine Waffen. Wurden unschuldig hineingezogen in den Wahn des Krieges. Ich denke an mutige Menschen, die irgendwo auf der weiten Welt auf die Straßen gehen und für den Frieden demonstrieren. Selbst auf die Gefahr hin festgenommen und verhaftet zu werden. All die Jüdinnen und Juden, die noch immer auf Freiheit warten. Ihre Familien, die seit dem 7. Oktober sehnlichst erwarten, sie wieder in den Arm nehmen zu können. Ich denke an den mutigen Alexei Nawalny. Seinen Kreuzweg. Entschieden und unbeirrt ging er seinen Weg. Das Ende einer mörderischen Diktatur war seine Vision. Das bezahlte er mit seinem Leben.

Mit dem Palmsonntag beginnt die wichtigste Woche der Christen. Der Mann auf dem Esel hat der Welt keinen Frieden gebracht. Aber eine Botschaft, die nicht totzukriegen ist.

Mitten im Leid bleibt er ihr treu. Es ist die Botschaft der Liebe und der Gerechtigkeit. Die Botschaft von der Würde eines jeden Menschenkindes. Ich will ihn mir zum Vorbild nehmen.

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SWR4 Feiertagsgedanken

01JAN2024
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Vor Tagen blätterte ich in einem ganz besonderer Buch. Es liegt am Eingang unserer Krankenhauskapelle auf einem Stehpult. Patientinnen und Patienten schreiben darin ihre Sorgen und Bitten auf. Das Fürbittbuch erzählt von Gesundheit und Krankheit. Von der glücklichen Geburt und dem langen Sterben. Von der Angst vor der OP ist darin zu lesen, aber auch von der Erleichterung nach einer Untersuchung. Ein mit zittriger Hand geschriebener Eintrag fällt mir auf. Er ist so schön und schlicht. Irgendwie auch geschrieben für diesen Neujahrsmorgen:

 

Gott achte auf mich und hülle alle Menschen in deinen Frieden.

 

Das ist ein Segensgebet für 2024.  Heute am Neujahrsmorgen an dem wir uns alle nur Gutes wünschen. Mit dem Sektglas in der Hand. Mit guten Worten und Umarmungen.

 

Gott achte auf mich und hülle alle Menschen in deinen Frieden.

 

Segenswünsche am Neujahrsmorgen tun gut. Mit welchen Worten auch immer sie gesprochen werden. Denn die Tage, die vor uns liegen, liegen nicht in unserer Hand. Sie sind unverfügbar. Nur begrenzt planbar. Das wissen wir allzu gut. Das lehrt uns die Vergangenheit. Was wir in den kommenden 365 Tagen erleben werden, bleibt ungewiss. Dass Gott auf uns achten möge und uns Frieden schenkt, wie die zittrige Hand schreibt, bleibt unsere Hoffnung und Sehnsucht.  Auch 2024.

Meine Mutter war früher für den Segen zuständig. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Wie ich da mit dem Schulranzen in der Küche stand. Kurz vor dem Weg zur Schule. Ein Kreuzzeichen hat sie mir auf die Stirn gemacht. Manchmal glaube ich sogar mit Weihwasser. Kalt fühlte sich das an und doch war es ganz besonders. Einen Moment nur. Was und ob sie überhaupt dabei etwas gesagt hat, weiß ich nicht mehr. Vielleicht dass ich aufpassen soll und schon alles gut werden wird in der Schule. Der Segen mit dem kleinen Kreuzzeichen hat einfach dazugehört. Wie das Frühstück. Oder wie der Gute Nacht Kuss. Gut hat es mir getan. Beruhigend hat es auf mich gewirkt. Der Segen meiner Mutter. Vor dem Lärm im Bus, der mich zur Schule brachte. Vor der Klassenarbeit gleich in der ersten Stunde. 

 

Segenswünsche am Neujahrsmorgen. Obwohl wir nicht wissen, was auf uns zukommt, erhoffen wir nur Gutes.  Im Namen Gottes. Ist das nicht irrational? Was tun wir da eigentlich? Und warum? Der Theologe Fulbert Steffensky erzählt in einem Erlebnis, was Segen für ihn bedeutet:

 

Ein Freund von mir erlitt vor kurzem einen Herzinfarkt. Einer der Krankenpfleger, die ihn versorgten, ein junger Mann von erfrischender Respektlosigkeit, sagte zu dem Kranken: „Du alter Graukopf, du machst jetzt gar nichts. Du denkst nicht, du bewegst dich nicht, du sorgst dich nicht.“ Der Freund sagte später: „Die Aufforderung des Pflegers empfand ich in diesem Moment der Gefahr wie einen großen Segen“.

 

Warum hat der Kranke die Bemerkung Krankenpflegers wie einen Segen empfunden?

Wenn wir gesegnet werden, sind wir passiv. Tun nichts. Der Pfleger hat es dem Kranken ziemlich deutlich zu verstehen gegeben. Das ist ganz schön schwer. Wer sich segnen lässt muss lernen loszulassen. Gibt zu nicht alles im Griff zu haben. Stellt sich der ungewissen Zukunft. Lässt sich anschauen. Berühren. Trösten. Ansprechen mit guten Worten. Aber auch der Segnende hat nichts in der Hand. Auch der Krankenpfleger weiß nicht, wie das ausgeht mit dem Herzinfarkt. Er gibt nur ein Versprechen. Jetzt da zu sein. Wer segnet geht aufs Ganze. Gibt Gott als Versprechen. Nicht viel ist das. Und Steffensky hat Recht, wenn er schreibt:

 

Der Segen ist die dichteste und dramatischste Stelle des Glaubens. Wer Segen empfängt stürzt in den Abgrund des Schoßes Gottes.

 

In einem Text aus der Bibel, der heute am Neujahrstag im katholischen Gottesdienst vorgelesen wird, steht auch ein Segen.  Es ist der älteste überlieferte Segensspruch der Bibel. Jüdinnen und Juden beten ihn bis heute. Segnen einander mit diesen Worten. Oft wird an einer Stelle dieses Segens ein weibliches Pronomen für Gott verwendet. Das ist gut so. Denn bei mir war es ja auch meine Mutter, die mich treu gesegnet hat. Morgen für Morgen. Und eben nicht mein Vater. Sie hat mir gezeigt was Segen bewirken kann.

Ich wünsche Ihnen mit diesem Segen der Bibel nur Gutes am Neujahrsmorgen.  Dass wir alle dem Geheimnis unseres Lebens trauen. Einem Gott der unverfügbar bleibt. Der uns nahe ist wie der Krankenpfleger. Treu wie damals meine Mutter. Auf uns achtgibt und uns umhüllt wie es im Fürbittbuch mit der zittrigen Hand aufgeschrieben ist. Seien Sie gesegnet mit den Worten der Bibel:

 

G*tt segne dich und behüte dich
G*tt lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Go*tt erhebe ihr Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.

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SWR4 Sonntagsgedanken

29OKT2023
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Es ist fast schon zum Ritual geworden. Im Krankenhaus, in dem ich als Seelsorger arbeite. Bevor ich am Abend nach Hause fahre. Mein Besuch bei einer alten Frau.

Im Auf und ab ihrer Altersschwäche begegnen wir uns seit Wochen. Immer will die Patientin nach unserem Gespräch ihr Lied hören. Singen kann sie es schon lange nicht mehr. Die Luft fehlt. Doch das Lied ist tief drinnen in ihrem Herzen. Seit Kindheitstagen ist es ihr vertraut. Es ist das Lied vom Mond. Der aufgegangen ist. Den Sternen und dem Himmel. Hell und klar. Von den Menschenkindern, dem kranken Nachbarn und den Luftgespinsten. Das Lied das dazu einlädt sich am Abend in Gottes Namen zum Schlafen niederzulegen. Mein Handy kann ihren Wunsch erfüllen. Ein großer Chor singt das Lied unüberhörbar. Nur für uns beide. Fremde Klänge sind das im eher lauten Krankenhaus. Jetzt am Abend kommt es etwas zur Ruhe.

Ich schaue in das faltige Gesicht der Frau. Letzte Sonnenstrahlen streifen es. Entspannt hört sie zu. Zufrieden. Mit halb geschlossenen Augen. Irgendwie daheim. Bis zur letzten Strophe. Dann lächeln wir beide uns an, sprechen ein kurzes Gebet und verabschieden uns. Bis morgen. Schlafen sie gut, sage ich. Das genügt ihr.

Wer ist eigentlich glücklicher nach unseren Begegnungen. Sie oder ich!? Ich glaube wir beide sind es gleichermaßen. Und was ist das Besondere an der Begegnung zwischen der alten Frau und mir?

Mein Besuch bei ihr tut mir gut. Das Lied vom Mond der aufgegangen ist gefällt auch mir. Ohne viele Worte findet mein Tag im Krankenhaus ein gutes Ende. Zufrieden und dankbar bin ich.

Ich und Du. So lautet der Titel eines 1923 erschienen Buches des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber. Im Anfang ist für Buber, den gläubigen Juden, nicht etwa Gott, oder das Wort, oder der Urknall. Im Anfang ist für ihn allein die Beziehung. Wirkliches Leben ist bei ihm immer Beziehung und Begegnung von ICH und DU, wie er sagt. In Abgrenzung zu einer distanzierten Haltung, die Martin Buber ICH und ES nennt. Denn wenn wir einem Menschen begegnen, können wir ihn auch für eigene egoistische Zwecke benutzen. Wir benutzen dann eine Beziehung nur, um etwas zu erreichen. All das beschreibt Buber als die ICH-Es Haltung.

Die ICH-DU Beziehung dagegen ist sehr anspruchsvoll. In dieser Beziehung begegnen sich Menschen unmittelbar. Hier will ich kein Ziel erreichen. Und verfolge auch keinen Zweck. Immer geht es um den Anderen in seiner Gesamtheit. Um seine Würde. Immer bleibt der Andere mir ein Geheimnis. Ohne Vorbehalt versuche ich mich in ihn hineinzuversetzen. In seinen Augen entdecke ich mich irgendwie selbst. Meine eigene Würde. Meine Sehnsucht nach Gesundheit. Nach dem Freund und der Freundin, die einfach nur da sind.

Immer wenn ich das Krankenzimmer der alten Frau verlasse bin ich dankbar und beschenkt. Das war so eine ICH-DU Begegnung, sage ich mir dann.

Mein Krankenbesuch am Abend. Seit Wochen schon. Fast ein Ritual. Die Begegnung mit der alten Frau. Heute wird im katholischen Gottesdienst ein Text aus der Bibel vorgelesen, der vielen Christen sehr vertraut ist. Auch dort geht es um Begegnung zum Nächsten. Um die Frage wie Beziehungen gelingen.  Erzählt wird wie ein frommer Schriftgelehrter zu Jesus kommt und ihm eine Frage stellt:  Welches Gebot bei all den vielen Gesetzen ist das Wichtigste? Jesus antwortet souverän: "Du sollst deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

Gottesliebe und Nächstenliebe lassen sich bei Jesus nicht voneinander trennen. Sie sind für ihn zwei Seiten einer Medaille. Davon erzählt sein Leben uns Christen bis heute. Und auch für Martin Buber ist alles wirkliche Leben Begegnung. Begegnung zwischen Menschen und genau darin auch Begegnung mit Gott. Denn Gott ist für ihn, wie er sagt, das ewige DU. Gott, wie Buber ihn versteht, ist in allen liebevollen und wertschätzenden Begegnungen nämlich immer schon da. Er ist so etwas wie der Ursprung aller guten Begegnungen zwischen Menschen.

Vielleicht macht uns das im Krankenzimmer ja so dankbar und glücklich. Ohne es zu wissen, oder auszusprechen. In der allabendlichen Begegnung kommen wir uns nahe. Beim Lied. Im Gespräch. Beim Gebet zum Abschied. Uns und damit auch Gott. Dem ewigen Du.

Haben Sie viel Zeit für gute Begegnungen heute am Sonntag. Gott und Menschen nahe.

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SWR4 Sonntagsgedanken

13AUG2023
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Was wir Menschen doch so alles können? Träumen zum Beispiel. Faszinierend was da abläuft. Nacht für Nacht ganz großes Kino im Unterbewusstsein. Auch wenn wir uns nicht immer daran erinnern können. Träumen ist eine wunderbare Fähigkeit. Eine so ganz andere Welt taucht da auf, während wir tief schlafen. Eine Welt die dennoch unsere ist. Aber mit ihrer eigenen Logik. Nicht selten schweißgebadet werden wir mit all den Bildern der Angst konfrontiert. Viel schlimmer noch als am Tag geht es da oft zu. Aber auch Wunderbares widerfährt uns in den Tiefen unserer Seele. Wir können fliegen. Gehen über das Wasser. Verlieben uns wie nie zu vor. Begegnen längst Verstorbenen.

Der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann sieht in den Träumen den Versuch das Leben zu erweitern. Träume so sagt er helfen uns unsere alltäglichen Erfahrungen zu deuten. Man gehe mit den Träumen Hand in Hand durch eine imaginäre Unterwelt.

Vielleicht ist die Geschichte von einem Sturm auf dem See Genezareth und dem schwankenden Boot mit den verängstigten Jüngern Jesu, die heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgelesen wird, auch wie ein Traum zu verstehen. Ein Traum, der das Leben deutet und erweitert.  Ein Traum, der davon erzählt was uns Angst macht und vertrauen lässt.

Zu einfach wäre es, diese Seesturmgeschichte nur zu lesen als ein Erlebnis der Jünger Jesu in einer stürmischen Nacht von vor 2000 Jahren. Wer tief in diese Geschichte der Bibel eintaucht kann darin auch sein eigenes Leben entdecken. Mit all seinen Gefahren und Ängsten und der Sehnsucht nach Halt und Sicherheit.

Die Geschichte erzählt, wie Jesus sich nach der Begegnung mit vielen Menschen allein auf einen Berg zurückzieht. Um auszuruhen und zu beten. Auch seine Freunde schickt er weg und fordert sie auf, ihm im Boot an das gegenüberliegende Ufer vorauszufahren. Mitten auf dem See -so heißt es- wurden die dann plötzlich von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten heftigen Gegenwind. Das ist nicht ungewöhnlich dort. Der See Genezareth ist teilweise von Gebirgsausläufern umgeben. Völlig unvermittelt stürzen Fallwinde von den Berghöhen auf den See herab und wirbeln das Wasser zu hohen Wellen auf.

Vielleicht kennen sie auch diese nächtlichen Albträume, in denen es so zugeht wie in unserer Geschichte. Nach einem langen Tag oft. Wir müssen bei der Arbeit funktionieren. Trotz all dem was uns privat womöglich auch noch belastet. Die Krankheit, die sich abzeichnet. Die Beziehung vielleicht, die schon bessere Zeiten erlebt hat. Oder die Probleme in der Schule beim Jüngsten. Dann endlich am Abend gehen wir schlafen. Sehnen uns nach Ruhe. Ein paar Stunden nur. Doch von Schlaf kann keine Rede sein. Die Fallwinde des Lebens brechen über uns herein. Immer wieder werden wir wach von Träumen, die uns das Fürchten lehren. Die Zeit dehnt sich bis zum Morgengrauen. Angefüllt mit all den bedrohlichen Traumbildern. Vom Wasser, das uns verschlingt. Dem Boot das kentert. Und wir mittendrin im Sturm des Lebens.

Ganz wundersam geht die biblische Traumgeschichte vom Sturm auf dem See weiter. Im Morgengrauen, so steht da, kam Jesus zu ihnen. Er ging auf dem See. Als ihn die Jünger kommen sahen, erschraken sie und schrien vor Angst. Doch Jesus sagte: Habt Vertrauen. Ich bin es. Fürchtet euch nicht. Dort wo er ist, wird mir die Angst genommen. Darf ich aufatmen. Werde ich gesund. Das war die wichtigste Erfahrung für die Frauen und Männer die damals ihrem Jesus nachgelaufen sind.

Aber kann das wahr sein? Wo er doch so oft nicht antwortet. Schweigt. Mir Antworten schuldig bleibt. Weit weg auf dem Berg, um seine Ruhe zu haben, wie in der Geschichte der Bibel. So oft. Zu oft. Wo ist er denn? Beim Kranken, der in der Nacht vor Schmerzen schreit? Bei all den von Gott Verlassenen, die trotz allem nicht aufgeben zu rufen: Wo bist du Gott? Warum hast Du mich verlassen im Bombenhagel über die Stadt. Beim viel zu frühen Tod des Geliebten. Wo warst du, als ich zu dir gerufen habe. In schlaflosen Nächten. Was wird da alles verarbeitet in unserer biblischen Geschichte. In den Bildern vom Sturm und den Wellen. Mein Glaube. Aber auch mein zweifelnder Schrei in die Nacht hinein.

Noch in der Angst zu kentern, bleibt Jesus für seine Jünger die Antwort. Habt Vertrauen. Fürchtet euch nicht.Klammert euch nicht noch mehr im Boot fest. Vergesst alles, was nur scheinbar Halt gibt. Vertraut Euch mir an. Ungeschützt. Wellen und Wind und Meer zum Trotz. Petrus macht es vor und nimmt Jesus beim Wort. Er steigt aus dem Boot. Wagt es und versucht über das Wasser dem Freund entgegenzugehen. Dieser Petrus ist so schnell nicht unterzukriegen. Doch je mehr ihm sein Gottvertrauen schwindet, desto mehr versinkt er in den Fluten. Er ruft in seiner Todesangst. Jesus rette mich. Und spürt die rettende Hand des Freundes. Kann ich das auch wagen? Wie Petrus. Mich Gott völlig anvertrauen in den Stürmen meines Lebens. Vernünftig gedacht auf gar keinen Fall. In der Botschaft meiner Träume unbedingt. Selbst dort noch wo das Meer meines Lebens keine Balken mehr hat, die mich halten.

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SWR4 Feiertagsgedanken

29MAI2023
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San Gimignano ist eine Kleinstadt in der Toskana. Der Ort wird auch „Mittelalterliches Manhattan“ oder die „Stadt der Türme“ genannt. Denn San Gimignano besitzt noch einige der mittelalterlichen Türme, die in anderen Städten nur als Stümpfe erhalten blieben. Im Mittelalter versuchten die reichen Familien dort, sich in der Höhe ihres Turmes zu übertreffen, obwohl ein luxuriöses Leben darin nicht möglich war. Hauptsache hoch hinaus. Das war alleiniges Ziel der Bewohner dieser Stadt.

Auch die Bibel kennt eine Geschichte vom Größenwahn der Menschen. Zum Pfingstfest wird sie in den Gottesdiensten vorgelesen. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel.

Dieser Turm steht für alle großspurigen und maßlosen Projekte. Für die Anmaßung von Menschen sich zum Gott aufzuspielen. Die Wahnsinnigen sprechen das sogar offen aus:

 

Auf, bauen wir uns eine Stadtund einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel und machen wir uns damit einen Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen.

 

Das eint die babylonischen Turmbauer. Von ihrem monumentalen Werk erwarten sie sich Macht und Ruhm. Einen Namen wollen sie sich machen und sich selbst wichtigmachen. Vor Gott und den angrenzenden Völkern. Die gemeinsamen Ziele sind bis heute bei solchen Vorhaben klar: Immer größer. Immer höher hinaus. Koste es was es wolle. Zur Not auch über Leichen. Auf Teufel komm raus. Doch Größenwahn treibt in den Wahnsinn. Alles eigenmächtig selbst in die Hand zu nehmen und machen zu wollen geht auf Dauer nicht gut. Immer höher müssen die Türme gebaut werden, um im Wettbewerb zu bestehen.

Gott so erzählt die Bibel sieht nicht tatenlos zu und zerstört die eitlen Pläne der Himmelsstürmer. Um Schlimmeres zu verhindern, steigt er hinab und macht aus der einen gemeinsamen Sprache der eitlen Turmbauer eine verwirrende Sprachenvielfalt. Das Turmbauunternehmen der Bibel platzt.

So ist es doch immer, wenn Menschen maßlos und überheblich werden. Sich zu Göttern machen. Am Ende steht nur selten der Friede, sondern Streit. Konfrontation und Krieg.

Die Erzählung vom Turmbau ist Symbol für die Hybris der Menschen, die meinen, aus eigener Kraft den Himmel berühren zu können. Immer im Wahn sich selbst größer machen zu müssen. Bis heute erzählt die Geschichte von solchen Projekten. Im Großen wie im Kleinen. In der Weltpolitik, zwischen Gartenzäunen und in den eigenen vier Wänden. Wo Menschen sich nicht mehr verstehen, aneinander vorbeireden und Kontakte abbrechen, dort hat Babel gesiegt. Muss das so weitergehen? Gibt es Alternativen? Wege heraus aus der babylonischen Selbstzerstörung und Sprachenverwirrung.

 

 

Die Pfingstgeschichte ist eine Gegengeschichte zu Babylon. Denn in Jerusalem sitzen, nach dem Trauma der Kreuzigung, Jesu Freundinnen und Freunde verängstigt hinter verschlossenen Türen und Fenstern beisammen. Ihr Haus ist kein Turm. Perspektiven wie die eitlen Turmbauer Babylons haben sie sowieso nicht. Denn alles, was mit ihrem Freund Jesus so verheißungsvoll begann, scheint für sie am Ende zu sein. Kraftlos und wie gelähmt sind sie. Buchstäblich die Sprache hat es ihnen verschlagen. Doch am Pfingsttag geschieht für sie das Unerwartete. Die Gegengeschichte zum Turmbau nimmt ihren Lauf. Niemand von ihnen hat damit gerechnet. Denn während sich in Babylon die Menschen selbst zu Gott machen wollen und alles für machbar halten, setzen sie in der Pfingstgeschichte all ihre Hoffnung nur noch auf Gott. Sie bauen keine Himmelstürme, um nach den Sternen greifen zu können und gebärden sich nicht wie Herrgötter. Sie sind bereit zu empfangen, was sie nicht machen können. Menschen eben, die noch mehr erwarten als ihre selbstgemachten Turmbauprojekte. Mehr als sich selbst. Mit Gott rechnen sie noch. Seinem Geschenk aus dem Himmel. Gottes heiligen Geist.

 

Da kam plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt, und erfüllte das ganze Haus, in dem sie waren. Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich auf jeden und jede von ihnen verteilten.

 

So erzählt es der Evangelist Lukas. Wie verwandelt beginnen die Verängstigten auf allen Plätzen der Stadt zu predigen. Wundersamerweise so, dass jeder Mensch in der bunt durcheinander gewürfelten multikulturellen Menge sie in seiner eigenen Sprache sprechen hört und verstehen kann. Ein neuer Geist weht durch die Stadt. Kein Geist der Spaltung, der Zerstreuung und Gegnerschaft. Da sind Menschen, die zulassen, dass der Himmel auf die Erde kommt und Gott im Menschen wohnen kann.

Pfingsten und Babylon. Das Pfingstwunder heilt die babylonische Sprachenverwirrung. Nicht in dem es die babylonische Vielsprachigkeit zurücknimmt. Sondern sie versöhnt mit sich selbst. Es erinnert uns daran, dass eine Botschaft verstanden wird, wenn ich sie in der Sprache derjenigen spreche, von denen ich verstanden werden möchte. Überall dort wird Pfingsten gelebt, wo Menschen in ihrer Vielfalt solidarisch zusammenstehen. Überall dort wo Menschen keine Türme bauen, um sich voreinander zu beweisen. Überall dort, wo Gott Raum gegeben wird.

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SWR4 Sonntagsgedanken

12MRZ2023
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Seit einigen Monaten arbeite ich als Seelsorger im Krankenhaus. Ein Patient bittet mich darum ein Glas Wasser einzuschenken und zu ihm ans Bett zu bringen.  Mein "Aber gerne doch" zaubert ein Lächeln in sein Gesicht. Er hat Durst und mit einem Zug ist das Glas Wasser leer. „Wie ausgetrocknet sind meine Lippen“, meint er und beginnt dann zu erzählen von seinem ganz anderen Durst. Endlich wieder daheim bei der Familie zu sein nach den wochenlangen Durststrecken seiner Krankheit. Das ist sein Herzenswunsch. Wieder etwas Normalität haben. So wie früher.

Unser Gespräch, ausgelöst durch ein Glas Wasser, bekommt Tiefe. Der Mann erzählt mir von denen, die ihn bis jetzt begleitet haben in der langen Zeit der Krankheit. Dankbar berichtet er vom Personal im Krankenhaus, das ihm immer wieder Hoffnung gibt, wenn er ganz unten ist. Nicht auszuhalten sei all das hier gewesen ohne Menschen an seiner Seite, die einfach nur für ihn da waren. Kurz vor seiner Operation war da das Lächeln einer Schwester und ihr „Zusammen schaffen wir das“. Das habe ihm in all seiner Angst so was von gutgetan, erzählt er mir dankbar.

Und dann sprudelt so Vieles aus ihm heraus. Sein ganzes Leben sei getragen und gehalten, von Menschen, die es so gut mit ihm gemeint haben. Trotz all dem Vielen, das ihm zugemutet wurde. Der Tod seines Kindes vor Jahren. Die lebensbedrohliche Krankheit seiner Frau. Seine Arbeitslosigkeit ganz zu Beginn seines Berufslebens.

Wie in einen Brunnenschacht steigt er hinab in sein Leben. Nachdenklich, aber auch dankbar. All die Menschen, die mich bis heute begleitet haben, sind wie Engel für mich, sagt er mir noch - mit Tränen in den Augen. 

 

Heute wird im katholischen Gottesdienst auch eine Geschichte vom Durst erzählt. Sie bekommt eine ähnliche Wende wie mein Gespräch im Krankenhaus. Die Bibel erzählt darin von einer Frau aus der Stadt Sychar in Samaria. Allein der Name der Stadt ist schon bezeichnend. Sychar heißt nämlich übersetzt: Es ist etwas verstopft. Die Frau, die in der brütenden Mittagshitze allein an einem Brunnen Wasser schöpft, hat schon so Einiges mitgemacht. Trotz vieler Beziehungsgeschichten, die sie schon hinter sich hat, ist ihr Durst nach Liebe und Anerkennung noch immer nicht gestillt. Wie verstopft fühlt sich ihr Leben an. Durstig ist sie nach Nähe zu Menschen, die sie verstehen und die es gut mit ihr meinen.

Jesus kommt dazu und bittet sie um einen Schluck Wasser. Allein das ist schon mehr als ungewöhnlich für einen jüdischen Rabbi wie ihn. Als Mann eine Frau anzusprechen und anzuschauen das geht damals schon gar nicht. Bei dieser Frau kommt noch erschwerend so Vieles hinzu. In den Augen der Rabbiner ist sie eine ungläubige Ausländerin und gilt nach all ihren Beziehungsgeschichten als eine stadtbekannte Sünderin. Nicht von ungefähr geht sie in der Hitze des Mittags an den Brunnen, um ja niemandem zu begegnen zu müssen. Jesus lässt all das kalt, was Andere über die Frau denken. Und die kommt aus dem Staunen nicht heraus, als er es wagt sie überhaupt anzusprechen. Was er ihr dann sagt, ist mehr als verheißungsvoll. Nicht genug kann sie davon bekommen. Auch wenn es vordergründig nur ums Wasser geht, merkt die Frau schnell, dass Jesus auf etwas anderes hinauswill. Ihren gefüllten Krug mit Wasser hat er angeschaut und gesagt:

Wer von diesem Wasser trinkt, der bekommt wieder Durst. Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben.

All das klingt für Sie mehr als verlockend. Niemals mehr Durst haben. Nicht nur nach Wasser. Mehr noch nach Nähe. Nach Jemandem, der mitgeht. Der Künstler Sieger Köder hat ein Bild zu unserer Geschichte gemalt. Oben am Brunnenrand steht die Frau aus Samaria mit rotem Kleid und langen roten Haaren. Sie beugt sich über den gemauerten Rand und schaut hinab in den dunklen Brunnenschacht. Ganz unten auf der Wasseroberfläche des Brunnens sieht die Frau ihr Spiegelbild. Neben ihr ist Jesus zu erkennen, als wolle er zu ihr sagen:

Ich kenne deinen Durst nach Liebe. Deine Sehnsucht nach Leben. Vertrau mir. Du bist nicht allein. Und vergiss alles, was andere über dich sagen. Du bist wertvoll.

Der Mann im Krankenhaus hat genau das erlebt. Er mag das nicht mit Gott, oder Jesus in Verbindung bringen und auch nicht mit der biblischen Geschichte im Gottesdienst heute.

Aber er hat erfahren dürfen: Ich bin nicht allein. Ich bin geliebt. Engel nennt er dankbar all die, die seinen Durst nach Leben bis heute gestillt haben. In all dem Schweren, das ihm zugemutet wurde. Und er hat doch Recht.

Vielleicht ist es manchmal nur ein Gespräch, ein Glas Wasser oder ein gutes Wort, das uns hilft zu glauben, dass es diesen Brunnen gibt. Eine lebendige Quelle. Ein Mensch und ein Gott, der einfach mitgeht und da ist auf den Durststrecken des Lebens.

Bleiben sie behütet und haben Sie einen guten Sonntag.

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SWR4 Sonntagsgedanken

18DEZ2022
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Wenn es einen biblischen Text gibt, der meine Art zu Glauben in Frage stellt, dann ist es der, der heute in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen wird. Von Josef und seiner geliebten Maria wird darin erzählt. Schwanger ist sie geworden, aber eben nicht von ihm.

Was für ein Dilemma! Ein gerechter Mann wie er es ist kann doch nicht eine Frau lieben, die noch vor der Hochzeit von einem andern schwanger wird. Wäre all das bekannt, man würde sie, wie es damals üblich war, steinigen. Nein, leicht hat er es nicht mit seiner Maria. Wie sehr liebt er sie. Heiraten möchte er sie und doch fühlt er sich verletzt und betrogen von ihr. Er schimpft im Stillen und möchte den Skandal in der Öffentlichkeit vermeiden. Sein Herz und sein Verstand kommen einfach nicht zusammen.

Sein Gefühl will dieser Frau, die er liebt, einfach nicht zutrauen, was sein Verstand und sein Denken aber bestätigen. Sie ist schwanger. Ein Engel Gottes erscheint ihm im da Traum und fordert ihn auf, seine Maria auf keinen Fall zu verlassen.

Uns aufgeklärten Zeitgenossen ist so etwas vollkommen fremd. Wenn wir mit Gott in Beziehung treten wollen, dann doch nicht so. Im Traum lassen wir uns selten Ratschläge geben, die unser Leben verändern. Auf Anregung eines wundersamen Engels, von dem wir nachts träumen, den Verstand ausschalten? Schwer vorstellbar!

Wir schreiben das Jahr 1856. Damals soll ein Indianerhäuptling im Gebiet vom heutigen New York das Land seiner Vorfahren verkaufen und hält eine bis heute berühmte Rede. Darin vergleicht er die Wesensart der Indianer mit der des weißen Mannes. Den Hauptunterschied sieht er in der Religion.

Eure Religion, sagt der Häuptling, wurde von einem zornigen Gott mit dem eisernen Finger auf Steintafeln geschrieben, damit ihr sie nicht vergesst. Das ist uns fremd.

Unsere Religion besteht aus den Traditionen und Visionen unserer Vorfahren und aus den Träumen unserer alten Männer, ihnen eingegeben vom Großen Geist in den feierlichen Stunden der Nacht. All das ist in die Herzen unseres Volkes geschrieben.

Religion wird in der Rede des Indianerhäuptlings nicht von außen bestimmt. Mit Geboten und Verboten, oder mit Lehrschreiben. Sie wird im Herzen gelebt. Träume und Visionen allein sind entscheidend. So lehrte man die Indianerkinder schon von früh an von Gott zu träumen. In der Einsamkeit wurden sie darauf vorbereitet um dann irgendwo in den Bergen vom Großen Geist einen Traum gesandt zu bekommen.

Wie weit sind wir heute entfernt von den träumenden Indianerkindern und unserem Josef in der Bibel. Unser Josef schweigt. Er träumt und vertraut seinem Traum blind.

 

Die Geschichte hat es in sich und stellt auch mir Fragen. Hat vielleicht die Sprache meines Herzens mehr Gewicht als all das, was ich augenscheinlich sehe und was von außen mir zugetragen wird. Was ändert sich bei mir, wenn ich der Sprache der Träume und dem wundersamen Engel an meiner Seite mehr Beachtung schenke als der Logik meiner Vernunft? Der Benediktinermönch Anselm Grün meint:

Viele Menschen haben die Ahnung, dass sie jemand begleitet in ihrem Bemühen, "recht" zu leben. Dieser Begleiter ist ein Engel. Er kommt als Bote Gottes in mein Leben, in mein Herz: das heißt in jene Lebensmitte, in der sich die Richtung meines Lebens entscheidet. Jeder Mensch hat seinen Engel. Niemand ist nur auf sich gestellt.“

Jeder Mensch hat seinen Engel. Was Anselm Grün schreibt ist entlastend.

Den Engeln in meinem Leben darf ich vertrauen. Sie begegnen mir in Menschen und in meinen in Träumen. Im Denken und in guten Ideen.  Und doch bleiben sie unverfügbar. Ihre Flügel erinnern daran. Engel beflügeln und machen meine Seele leicht.

Josef tut, was der Engel ihm im Traum sagt. Er bleibt bei seiner Geliebten und seinem Kind. Jesus werden sie es nennen.

Der schweigende Josef lehrt mich neu zu glauben. Es ist ein Glaube an einen Gott, der keine steinernen Gesetzestafeln und keine Gesetze und Gebote braucht. Nur die Liebe zählt. Im Innern, im Herzen können wir Gott erspüren. Buchstäblich im Traum. Der Sprache meines Herzens darf ich trauen. Ich darf mich vom wundersamen Engel an meiner Seite führen lassen. Dann geschieht das Wunder von Weihnachten. Auch heute noch.

 

 

 

Zitat Anselm Grün:

Perlen der Weisheit. Die schönsten Texte von Anselm Grün, hrsg. Von Rudolf Walter. Herder Verlag Freiburg Basel Wien 2010.

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SWR4 Sonntagsgedanken

11SEP2022
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Theaterbesuche faszinieren mich. Dort kann ich abschalten und meinen Alltag zurücklassen. Eintauchen in all die Geschichten von der Liebe, den Tragödien und Intrigen. Mit allen Mitteln der Kunst werden sie auf die Bühne gebracht. Musikalisch umgesetzt von den Musikern im Orchestergraben. Von Sängerinnen und Sängern. Kreativ inszeniert mit wechselnden Kulissen und Bildern. Immer in anderem Licht. Alles ist im Theater möglich.

Die Drehbühnen haben mir es besonders angetan. Ständig hat man neue Einblicke. In Zimmer. Auf Häuser. Plätze und Hinterbühnen. Menschen kann ich durchs Fenster beobachten und gleichzeitig sehen was andere nicht sehen können.

Die Geschichte aus der Bibel, die heute im katholischen Gottesdienst vorgelesen wird, könnte sich auf einer Drehbühne abspielen. Der Evangelist Lukas erzählt darin von einem Vater und seinen beiden Söhnen.

Szene 1 ist schnell erzählt. Der Jüngste will seinen eigenen Weg gehen. Er hat genug vom engen Elternhaus, lässt sich sein Erbe auszahlen, macht sich vom Acker und zieht in ein anderes Land. Nachdem er dort sein Erbe verschleudert hat, bricht eine Hungersnot aus. Es ist eine Geschichte vom Abstieg in die extreme Armut. Ganz unten als Schweinehirt angekommen, sieht er nur noch einen Ausweg. Mit Lumpen auf dem Leib will er ins Elternhaus zurückkehren.

Szene 2 beschreibt den Vater bei seiner Rückkehr. Der sieht seinen Sohn, wie er schutzlos und dem Verhungern nahe daher kommt. Er läuft ihm entgegen und umarmt und küsst ihn. Der Verlorene soll nicht nur das Notwendigste von ihm bekommen. Mehr noch. Ein Fest mit Tanz. Und ein Essen, das sich sehen lassen kann finden statt.  

Szene 3 zeigt den älteren Sohn Wie er treu und brav daheim bleibt. Pflichtbewusst kümmert er sich um die Arbeit auf dem Feld. Er dient dem Vater und stellt keine Forderungen wie sein Bruder. Nie wurde für ihn so ein Fest organisiert. Für ihn ist das was sich bei der Rückkehr seines Bruders abspielt, unfair und unangemessen. Auch wenn der Vater, nachdem der seiner Bitterkeit Luft gemacht hat, noch so sehr betont: Ich liebe dich.

Die drei Szenen bieten Stoff genug für neue Räume, Perspektiven und Geschichten, die das Leben schreibt.

Meine Drehbühne kommt in Bewegung. Zu sehen ist nun ein Zimmer mit überglücklichen Eltern. Sie freuen sich über die Geburt ihres ersten Kindes. Doch ihr Kind wird größer. Die Bühne macht es möglich. Die Zeit vergeht wie im Zeitraffer. Das Kind wird erwachsen. Entwickelt sich. Sucht sich Freunde. Es verlässt den engen Raum der Eltern. In der Ecke steht noch die Wiege. Die Eltern müssen nun das Loslassen lernen. Schmerzhaft akzeptieren, dass ihr Kind seine eigenen Wege geht.

Meine Drehbühne bewegt sich aufs Neue. Macht den Blick frei, hinein in ein anderes Zimmer. Eine alte Frau feiert ihren Geburtstag. Sie sitzt an der Kaffeetafel. Viele sind gekommen. Aber eben nicht alle. Ihr Jüngster fehlt. Bei aller Freude schaut sie traurig in die Runde. Es ist eine Geschichte der Liebe, die da erzählt wird. Zu dem der fehlt.

Die Bühne dreht sich wieder ein Stück weiter. Es betreten nun Menschen den Raum, die einfach nur da sind. Verfügbar. Rund um die Uhr. Denen selten gedankt wird. Sie tragen grüne OP-Kittel, haben Kinder auf dem Arm, schieben Rollstühle. Einige sitzen am Krankenbett. Doch sie verschwinden im Dunkel der Bühne. Fast lautlos.

Die Szenen die sich anschließen folgen in raschem Wechsel. Ohne Worte drücken sie aus was in der Erzählung des Lukas und seiner Geschichte vom verlorenen Sohn an menschlichen Erfahrungen steckt.

Zu sehen sind Menschen, die sich herzlich umarmen. Aber auch Menschen, die sich aus Umarmungen befreien. Abschiede am Bahnsteig. Rauschende Feste und Menschen, die ausgelassen tanzen. Ein stummer Betrachter am Rand taucht im Licht kurz auf. Da sind aber auch Menschen zu sehen, die aus großer Distanz aufeinander zugehen. Und solche die fast leblos und abgemagert am Straßenrand sitzen. Flaschen einsammeln und irgendwie ganz unten sind.

Die Geschichte des Lukas. Es ist eine Geschichte, die sich bis heute abspielt. An unzähligen Orten, in vielen Facetten. Eine Geschichte vom sich verloren fühlen. Vom Neuanfang, der einfach nur nach vorne schaut und nicht immer wieder mit alten Geschichten belastet wird. Vom Wieder nach Hause kommen. Von einer Umarmung nach langer Trennung. Eine Geschichte voller Bitterkeit und Enttäuschung, immer wieder zu kurz zu kommen. Und von der Liebe, die einfach nur verzeiht. Was für eine Geschichte!

Genau so ist der Vater im Himmel, will Lukas uns damit sagen. Der Verlorene wird nicht gedemütigt. Gott läuft ihm entgegen. Seine Umarmung braucht keine Beichte. Belehrungen wie: „Ich hab es Dir ja gleich gesagt. Jetzt siehst Du, was dabei herauskommt!“ - die sind ihm so was von fremd.

In unserem gedachten Theater wird am Ende applaudiert. Es gibt aber auch Buhrufe und Pfiffe. Ja es ist unerhört, wie in dieser Geschichte von Gott erzählt wird. Niemand geht verloren. Gottes Liebe ist grenzenlos.

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SWR4 Sonntagsgedanken

19JUN2022
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Wenn am kommenden Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, wie würden dann die einzelnen Parteien abschneiden? Die Sendung "Politbarometer“ stellt genau diese Frage Monat für Monat im Zweiten Deutschen Fernsehen. Aufgrund von repräsentativen Umfragen werden die Meinungen der Deutschen zu Parteien, Politikerinnen und Politikern, sowie zu aktuellen Themen präsentiert. Auf bunten Balken und Kuchendiagramen kann man dann ablesen wie viele Prozentpunkte eine Partei erreichen würde, oder wie beliebt unsere Regierungsmitglieder sind. Immer geht es dabei, um die momentane Stimmung im Land.

Auch ich kenne das bei mir. Wie nehmen andere Menschen mich eigentlich wahr? Was denken sie über mich? Bloß nicht negativ auffallen. Bei meinen Kindern. Im Freundeskreis. Am Arbeitsplatz. Sich gar blamieren vor den Anderen. Was kommt an und wie komme ich an? Wenn ich in der Öffentlichkeit spreche. Muss ich mich vielleicht verändern, oder mehr anpassen, um besser anzukommen? Um in der Gunst der Mehrheit zu bleiben.

Heute wird im katholischen Gottesdienst berichtet, wie Jesus genau diese Frage seinen Freunden stellt: Für wen halten mich die Leute eigentlich? Wer bin ich in ihren Augen? Wie beurteilen sie das, was ich sage und tue? Für seine Jünger war es ein leichtes Spiel sich hinter der Meinung der anderen verstecken zu können. Sie brauchten ja nicht selbst Farbe zu bekennen. Die einen, meinen sie, halten dich für Johannes den Täufer, wieder andere für einen Propheten. Manche meinen sogar in dir sei der Prophet Elija, oder Jeremia wiedergeboren. Vielleicht wollen ihm seine Anhänger nur schmeicheln. Wir wissen es nicht. Aber sie nennen Jesus die ganz großen und bekannten Namen. Diejenigen, die damals auf der Beliebtheitsskala ganz oben standen. Jesus, alles bestens! Mach dir keine Sorgen. Die öffentliche Meinung über dich ist hervorragend!

Und was macht Jesus mit der Antwort seiner Freunde? Sehr schnell zeigt sich was die eigentliche Absicht seiner Umfrage ist. Gezielt und konkret wendet er sich mit seiner zweiten zugespitzten Frage direkt an seine Schmeichler. Ihr aber, sagt mir, für wen haltet ihr mich?Was sagst Du, oder Du, oder Du … wer ich bin für Dich?

Im 19. Jahrhundert versuchten Theologen herauszufinden, wie der Mensch Jesus eigentlich war. Ziel war es, ein möglichst objektives Bild von ihm zu bekommen. Ein prominenter Vertreter war der berühmte Arzt und Theologe Albert Schweizer.

Doch all die Versuche herauszubekommen, wer dieser Jesus wirklich zu Lebzeiten war, führten zu keinem brauchbaren Ergebnis.

Für meinen Glauben brauche ich sowieso nicht die Rekonstruktion eines Jesus, wie er vor 2000 Jahren einmal war. Jesu Frage an mich an diesem Morgen bleibt.

Wer bin ich für dich ganz persönlich? Nicht was andere Menschen über mich denken interessiert mich. Nein was hältst Du von mir? Hier und Jetzt! In unserer biblischen Geschichte hat einer der Jünger ganz schnell eine Antwort parat. Du Jesus, du bist der Messias, meint Petrus. Das war damals der, auf den man alle Hoffnung setzte. Der Held, wenn nicht gar der Feldherr, auf den die Menschen im von den Römern besetzten Israel voller Sehnsucht warteten. Nichts war für ihn unmöglich.

Ich persönlich tue mir schwer mit dieser Antwort. Auf die Frage wer dieser Jesus und sein Gott für mich ist hilft mir der Schriftsteller Max Frisch weiter. Eine Beziehung zu einem anderen Menschen durfte für ihn nie auf Kosten der Lebendigkeit gehen. Den Appell der Bibel „Du sollst dir kein Bildnis machen“ war ihm wichtig. Und ich meine, was er über die Beziehung zu anderen Menschen schreibt, gilt auch für Jesus aus Nazareth.

Max Frisch wörtlich: Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben am wenigsten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. … Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis. Das ist das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. So wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, aller Geheimnisse voll, so unfassbar ist der Mensch, den man liebt. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe.

Ja das stimmt. Seit ich diesen Jesus und seinem Gott vertraue und in meinem Leben suche, komme ich an kein Ende. Keine Antwort auf Jesu Frage kann beschreiben, was mich trägt und hält im Glauben. Es ist wie bei den Menschen, die ich liebe.

Meine Lieben und mein Gott bleiben mir Geheimnis. Weil ich sie liebe, darf ich mir kein Bild von ihnen machen. Das wäre lieblos. Ja, sogar Verrat - meint Max Frisch.

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SWR4 Sonntagsgedanken

06MRZ2022
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Endlich wieder Sonntag. Freie Zeit für mich. Wenigstens einen Tag lang. Ein Tag. Ist das nicht zu wenig? Bei all den vielen Herausforderungen und dem Stress momentan. Den immer wieder neuen weltpolitischen Schreckensmeldungen.

Hand aufs Herz. Wann haben sie sich zum letzten Mal sogar mehr als fünf Wochen lang nur von ihren Gedanken treiben lassen? Wann waren sie einfach mal für längere Zeit weg? Nicht erreichbar? Offline! Oder andersherum gefragt: Wann hat man Ihnen gestattet, sich so lange vom Alltag und all seinen Verpflichtungen abzuseilen? Heute wird im katholischen Gottesdienst ein Text aus der Bibel vorgelesen, der erzählt wie Jesus sich das einmal so richtig genehmigt hat. Viel freie Zeit. Die Geschichte erzählt von 40 Tagen seiner Auszeit in der Wüste.

Jesu Auszeit hatte Tradition. Im Alten Testament wird oft erzählt wie fromme Menschen alleine in die Wüste gehen, um mit Gott in Kontakt zu kommen. Um sich vorzubereiten auf wichtige Entscheidungen. Immer ging es ihnen darum, in der Stille hören zu können, was Gott ihnen zu sagen hat. Weil wir es eben nicht immer allein und selber wissen, was gut für uns ist. Doch Jesu Wüstenzeit war eine echte Herausforderung. Vierzig Tage und vierzig Nächte ohne Nahrung. In der faden und leblosen Wüste. Isoliert. Wie in Quarantäne. Die Begegnungen, die er da hatte, waren so ganz anders, als von ihm erwartet. Es war eine Zeit voller Versuchungen für ihn, meint die Bibel.

Was fällt ihnen eigentlich alles bei dem Wort „Versuchung“ ein, liebe Hörerinnen und Hörer. Sicher doch mehr als eine Schokoladenmarke, die lange Zeit als die zarteste Versuchung seit es Schokolade gibt, beworben wurde. Bei einer Versuchung ist irgendetwas faul, obwohl sie durchaus attraktiv und verlockend daherkommt. Doch im Grunde widerspricht sie dem was ich, wenn ich ehrlich bin, wirklich möchte. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schrieb einmal, Versuchungen des Bösen erscheinen immer „in der Gestalt des Lichtes, der Wohltat, der Treue … und des Gerechten“ und sie seien für die Menschen, die sie durchschauen, „Bestätigung einer abgründigen Bosheit.“ So abgründig, dass sie als etwas erlebt werden, das nicht zu mir gehört. Etwas, das mir wie eine fremde Person gegenübersteht.

In den Sonntagsgedanken geht es heute um einen 40 tägigen Aufenthalt Jesu in der Wüste. Die Bibel erzählt davon und meint es sei eine Zeit voller Versuchungen für Jesus gewesen. So versucht es der Versucher bei Jesus mit allen Mitteln seiner boshaften Kunst. Er fordert Jesus auf seinen Anspruch und seine Beziehung zu Gott radikal zu hinterfragen. Er spielt mit lukrativen Verlockungen und begründet sie noch scheinheilig mit Zitaten aus der Bibel. So soll sich Jesus doch einmal als Wundertäter so richtig in Szene setzen. Steine soll er zu Brot verwandeln. Das könne er doch. Weltliche Macht könne er haben. Die einzige Bedingung sei, vor ihm, dem Versucher, in die Knie zu gehen und ihn anzubeten. Der Gipfel ist dann die Aufforderung des Versuchers, Gott mal so richtig zu provozieren und zu prüfen. Von der hohen Tempelmauer in Jerusalem soll er springen. Gott werde ihn schon retten.

In unserer Geschichte ist buchstäblich der Teufel los. Doch Jesus hat sein böses Spiel durchschaut. Die abgründige Bosheit. Jesus weiß tief in seinem Herzen was er will. All diese Verlockungen machen ihn eher entschiedener, wenn es ihm um seinen Gott und seine Treue zu ihm geht. 40 Tage. Durchquerung einer Wüste. Die Wüste ist wie ein innerer Weg, den auch ich immer wieder einschlagen muss.

Endlose Wüstenzeiten haben wir alle schon erlebt und erlitten. Sie sind kein Honigschlecken. Wenn sich Sicherheiten verflüchtigen und mir nichts mehr Halt bietet. Die Isolation der Corona Jahre zum Beispiel. Die Wüstenzeiten einer langen Erkrankung. Eine gescheiterte Beziehung und die Folgen der Einsamkeit. Die Jahre einer nicht enden wollenden Depression. In Wüstenzeiten werde ich zwangsläufig mit mir selbst konfrontiert. Bin alleine. Mit meinen Gedanken. Suche nach Halt und Orientierung. Werde geprüft von fadenscheinigen Versprechungen und Verlockungen, die so attraktiv daherkommen und die, wenn ich sie nicht durchschaue, nur böse Überraschungen bereithalten.

Auch die jetzt beginnende Fastenzeit bis Ostern ist eine Chance einen inneren Weg zu gehen, um meine Beziehung zu meinen Mitmenschen und meinem Gott neu auszuloten. Um all die vielen Verlockungen des Lebens, die so vielversprechend daherkommen, zu durchschauen, zu bewerten und zu überprüfen. Jesus hat diese Zeit überstanden. Innerlich gefestigt und entschieden ging er seinen Weg. Immer seinem Gott und den Menschen verbunden. Ganz treu. 

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit der Vorbereitung auf Ostern zu. Auch durch Wüsten hindurch. Aber jetzt erstmals einen gesegneten Sonntag.

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