SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

18DEZ2022
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wenn es einen biblischen Text gibt, der meine Art zu Glauben in Frage stellt, dann ist es der, der heute in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen wird. Von Josef und seiner geliebten Maria wird darin erzählt. Schwanger ist sie geworden, aber eben nicht von ihm.

Was für ein Dilemma! Ein gerechter Mann wie er es ist kann doch nicht eine Frau lieben, die noch vor der Hochzeit von einem andern schwanger wird. Wäre all das bekannt, man würde sie, wie es damals üblich war, steinigen. Nein, leicht hat er es nicht mit seiner Maria. Wie sehr liebt er sie. Heiraten möchte er sie und doch fühlt er sich verletzt und betrogen von ihr. Er schimpft im Stillen und möchte den Skandal in der Öffentlichkeit vermeiden. Sein Herz und sein Verstand kommen einfach nicht zusammen.

Sein Gefühl will dieser Frau, die er liebt, einfach nicht zutrauen, was sein Verstand und sein Denken aber bestätigen. Sie ist schwanger. Ein Engel Gottes erscheint ihm im da Traum und fordert ihn auf, seine Maria auf keinen Fall zu verlassen.

Uns aufgeklärten Zeitgenossen ist so etwas vollkommen fremd. Wenn wir mit Gott in Beziehung treten wollen, dann doch nicht so. Im Traum lassen wir uns selten Ratschläge geben, die unser Leben verändern. Auf Anregung eines wundersamen Engels, von dem wir nachts träumen, den Verstand ausschalten? Schwer vorstellbar!

Wir schreiben das Jahr 1856. Damals soll ein Indianerhäuptling im Gebiet vom heutigen New York das Land seiner Vorfahren verkaufen und hält eine bis heute berühmte Rede. Darin vergleicht er die Wesensart der Indianer mit der des weißen Mannes. Den Hauptunterschied sieht er in der Religion.

Eure Religion, sagt der Häuptling, wurde von einem zornigen Gott mit dem eisernen Finger auf Steintafeln geschrieben, damit ihr sie nicht vergesst. Das ist uns fremd.

Unsere Religion besteht aus den Traditionen und Visionen unserer Vorfahren und aus den Träumen unserer alten Männer, ihnen eingegeben vom Großen Geist in den feierlichen Stunden der Nacht. All das ist in die Herzen unseres Volkes geschrieben.

Religion wird in der Rede des Indianerhäuptlings nicht von außen bestimmt. Mit Geboten und Verboten, oder mit Lehrschreiben. Sie wird im Herzen gelebt. Träume und Visionen allein sind entscheidend. So lehrte man die Indianerkinder schon von früh an von Gott zu träumen. In der Einsamkeit wurden sie darauf vorbereitet um dann irgendwo in den Bergen vom Großen Geist einen Traum gesandt zu bekommen.

Wie weit sind wir heute entfernt von den träumenden Indianerkindern und unserem Josef in der Bibel. Unser Josef schweigt. Er träumt und vertraut seinem Traum blind.

 

Die Geschichte hat es in sich und stellt auch mir Fragen. Hat vielleicht die Sprache meines Herzens mehr Gewicht als all das, was ich augenscheinlich sehe und was von außen mir zugetragen wird. Was ändert sich bei mir, wenn ich der Sprache der Träume und dem wundersamen Engel an meiner Seite mehr Beachtung schenke als der Logik meiner Vernunft? Der Benediktinermönch Anselm Grün meint:

Viele Menschen haben die Ahnung, dass sie jemand begleitet in ihrem Bemühen, "recht" zu leben. Dieser Begleiter ist ein Engel. Er kommt als Bote Gottes in mein Leben, in mein Herz: das heißt in jene Lebensmitte, in der sich die Richtung meines Lebens entscheidet. Jeder Mensch hat seinen Engel. Niemand ist nur auf sich gestellt.“

Jeder Mensch hat seinen Engel. Was Anselm Grün schreibt ist entlastend.

Den Engeln in meinem Leben darf ich vertrauen. Sie begegnen mir in Menschen und in meinen in Träumen. Im Denken und in guten Ideen.  Und doch bleiben sie unverfügbar. Ihre Flügel erinnern daran. Engel beflügeln und machen meine Seele leicht.

Josef tut, was der Engel ihm im Traum sagt. Er bleibt bei seiner Geliebten und seinem Kind. Jesus werden sie es nennen.

Der schweigende Josef lehrt mich neu zu glauben. Es ist ein Glaube an einen Gott, der keine steinernen Gesetzestafeln und keine Gesetze und Gebote braucht. Nur die Liebe zählt. Im Innern, im Herzen können wir Gott erspüren. Buchstäblich im Traum. Der Sprache meines Herzens darf ich trauen. Ich darf mich vom wundersamen Engel an meiner Seite führen lassen. Dann geschieht das Wunder von Weihnachten. Auch heute noch.

 

 

 

Zitat Anselm Grün:

Perlen der Weisheit. Die schönsten Texte von Anselm Grün, hrsg. Von Rudolf Walter. Herder Verlag Freiburg Basel Wien 2010.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=36765
weiterlesen...