SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

13AUG2023
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Was wir Menschen doch so alles können? Träumen zum Beispiel. Faszinierend was da abläuft. Nacht für Nacht ganz großes Kino im Unterbewusstsein. Auch wenn wir uns nicht immer daran erinnern können. Träumen ist eine wunderbare Fähigkeit. Eine so ganz andere Welt taucht da auf, während wir tief schlafen. Eine Welt die dennoch unsere ist. Aber mit ihrer eigenen Logik. Nicht selten schweißgebadet werden wir mit all den Bildern der Angst konfrontiert. Viel schlimmer noch als am Tag geht es da oft zu. Aber auch Wunderbares widerfährt uns in den Tiefen unserer Seele. Wir können fliegen. Gehen über das Wasser. Verlieben uns wie nie zu vor. Begegnen längst Verstorbenen.

Der Theologe und Psychotherapeut Eugen Drewermann sieht in den Träumen den Versuch das Leben zu erweitern. Träume so sagt er helfen uns unsere alltäglichen Erfahrungen zu deuten. Man gehe mit den Träumen Hand in Hand durch eine imaginäre Unterwelt.

Vielleicht ist die Geschichte von einem Sturm auf dem See Genezareth und dem schwankenden Boot mit den verängstigten Jüngern Jesu, die heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgelesen wird, auch wie ein Traum zu verstehen. Ein Traum, der das Leben deutet und erweitert.  Ein Traum, der davon erzählt was uns Angst macht und vertrauen lässt.

Zu einfach wäre es, diese Seesturmgeschichte nur zu lesen als ein Erlebnis der Jünger Jesu in einer stürmischen Nacht von vor 2000 Jahren. Wer tief in diese Geschichte der Bibel eintaucht kann darin auch sein eigenes Leben entdecken. Mit all seinen Gefahren und Ängsten und der Sehnsucht nach Halt und Sicherheit.

Die Geschichte erzählt, wie Jesus sich nach der Begegnung mit vielen Menschen allein auf einen Berg zurückzieht. Um auszuruhen und zu beten. Auch seine Freunde schickt er weg und fordert sie auf, ihm im Boot an das gegenüberliegende Ufer vorauszufahren. Mitten auf dem See -so heißt es- wurden die dann plötzlich von den Wellen hin und her geworfen; denn sie hatten heftigen Gegenwind. Das ist nicht ungewöhnlich dort. Der See Genezareth ist teilweise von Gebirgsausläufern umgeben. Völlig unvermittelt stürzen Fallwinde von den Berghöhen auf den See herab und wirbeln das Wasser zu hohen Wellen auf.

Vielleicht kennen sie auch diese nächtlichen Albträume, in denen es so zugeht wie in unserer Geschichte. Nach einem langen Tag oft. Wir müssen bei der Arbeit funktionieren. Trotz all dem was uns privat womöglich auch noch belastet. Die Krankheit, die sich abzeichnet. Die Beziehung vielleicht, die schon bessere Zeiten erlebt hat. Oder die Probleme in der Schule beim Jüngsten. Dann endlich am Abend gehen wir schlafen. Sehnen uns nach Ruhe. Ein paar Stunden nur. Doch von Schlaf kann keine Rede sein. Die Fallwinde des Lebens brechen über uns herein. Immer wieder werden wir wach von Träumen, die uns das Fürchten lehren. Die Zeit dehnt sich bis zum Morgengrauen. Angefüllt mit all den bedrohlichen Traumbildern. Vom Wasser, das uns verschlingt. Dem Boot das kentert. Und wir mittendrin im Sturm des Lebens.

Ganz wundersam geht die biblische Traumgeschichte vom Sturm auf dem See weiter. Im Morgengrauen, so steht da, kam Jesus zu ihnen. Er ging auf dem See. Als ihn die Jünger kommen sahen, erschraken sie und schrien vor Angst. Doch Jesus sagte: Habt Vertrauen. Ich bin es. Fürchtet euch nicht. Dort wo er ist, wird mir die Angst genommen. Darf ich aufatmen. Werde ich gesund. Das war die wichtigste Erfahrung für die Frauen und Männer die damals ihrem Jesus nachgelaufen sind.

Aber kann das wahr sein? Wo er doch so oft nicht antwortet. Schweigt. Mir Antworten schuldig bleibt. Weit weg auf dem Berg, um seine Ruhe zu haben, wie in der Geschichte der Bibel. So oft. Zu oft. Wo ist er denn? Beim Kranken, der in der Nacht vor Schmerzen schreit? Bei all den von Gott Verlassenen, die trotz allem nicht aufgeben zu rufen: Wo bist du Gott? Warum hast Du mich verlassen im Bombenhagel über die Stadt. Beim viel zu frühen Tod des Geliebten. Wo warst du, als ich zu dir gerufen habe. In schlaflosen Nächten. Was wird da alles verarbeitet in unserer biblischen Geschichte. In den Bildern vom Sturm und den Wellen. Mein Glaube. Aber auch mein zweifelnder Schrei in die Nacht hinein.

Noch in der Angst zu kentern, bleibt Jesus für seine Jünger die Antwort. Habt Vertrauen. Fürchtet euch nicht.Klammert euch nicht noch mehr im Boot fest. Vergesst alles, was nur scheinbar Halt gibt. Vertraut Euch mir an. Ungeschützt. Wellen und Wind und Meer zum Trotz. Petrus macht es vor und nimmt Jesus beim Wort. Er steigt aus dem Boot. Wagt es und versucht über das Wasser dem Freund entgegenzugehen. Dieser Petrus ist so schnell nicht unterzukriegen. Doch je mehr ihm sein Gottvertrauen schwindet, desto mehr versinkt er in den Fluten. Er ruft in seiner Todesangst. Jesus rette mich. Und spürt die rettende Hand des Freundes. Kann ich das auch wagen? Wie Petrus. Mich Gott völlig anvertrauen in den Stürmen meines Lebens. Vernünftig gedacht auf gar keinen Fall. In der Botschaft meiner Träume unbedingt. Selbst dort noch wo das Meer meines Lebens keine Balken mehr hat, die mich halten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38192
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