SWR4 Sonntagsgedanken

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19JUN2022
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Wenn am kommenden Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, wie würden dann die einzelnen Parteien abschneiden? Die Sendung "Politbarometer“ stellt genau diese Frage Monat für Monat im Zweiten Deutschen Fernsehen. Aufgrund von repräsentativen Umfragen werden die Meinungen der Deutschen zu Parteien, Politikerinnen und Politikern, sowie zu aktuellen Themen präsentiert. Auf bunten Balken und Kuchendiagramen kann man dann ablesen wie viele Prozentpunkte eine Partei erreichen würde, oder wie beliebt unsere Regierungsmitglieder sind. Immer geht es dabei, um die momentane Stimmung im Land.

Auch ich kenne das bei mir. Wie nehmen andere Menschen mich eigentlich wahr? Was denken sie über mich? Bloß nicht negativ auffallen. Bei meinen Kindern. Im Freundeskreis. Am Arbeitsplatz. Sich gar blamieren vor den Anderen. Was kommt an und wie komme ich an? Wenn ich in der Öffentlichkeit spreche. Muss ich mich vielleicht verändern, oder mehr anpassen, um besser anzukommen? Um in der Gunst der Mehrheit zu bleiben.

Heute wird im katholischen Gottesdienst berichtet, wie Jesus genau diese Frage seinen Freunden stellt: Für wen halten mich die Leute eigentlich? Wer bin ich in ihren Augen? Wie beurteilen sie das, was ich sage und tue? Für seine Jünger war es ein leichtes Spiel sich hinter der Meinung der anderen verstecken zu können. Sie brauchten ja nicht selbst Farbe zu bekennen. Die einen, meinen sie, halten dich für Johannes den Täufer, wieder andere für einen Propheten. Manche meinen sogar in dir sei der Prophet Elija, oder Jeremia wiedergeboren. Vielleicht wollen ihm seine Anhänger nur schmeicheln. Wir wissen es nicht. Aber sie nennen Jesus die ganz großen und bekannten Namen. Diejenigen, die damals auf der Beliebtheitsskala ganz oben standen. Jesus, alles bestens! Mach dir keine Sorgen. Die öffentliche Meinung über dich ist hervorragend!

Und was macht Jesus mit der Antwort seiner Freunde? Sehr schnell zeigt sich was die eigentliche Absicht seiner Umfrage ist. Gezielt und konkret wendet er sich mit seiner zweiten zugespitzten Frage direkt an seine Schmeichler. Ihr aber, sagt mir, für wen haltet ihr mich?Was sagst Du, oder Du, oder Du … wer ich bin für Dich?

Im 19. Jahrhundert versuchten Theologen herauszufinden, wie der Mensch Jesus eigentlich war. Ziel war es, ein möglichst objektives Bild von ihm zu bekommen. Ein prominenter Vertreter war der berühmte Arzt und Theologe Albert Schweizer.

Doch all die Versuche herauszubekommen, wer dieser Jesus wirklich zu Lebzeiten war, führten zu keinem brauchbaren Ergebnis.

Für meinen Glauben brauche ich sowieso nicht die Rekonstruktion eines Jesus, wie er vor 2000 Jahren einmal war. Jesu Frage an mich an diesem Morgen bleibt.

Wer bin ich für dich ganz persönlich? Nicht was andere Menschen über mich denken interessiert mich. Nein was hältst Du von mir? Hier und Jetzt! In unserer biblischen Geschichte hat einer der Jünger ganz schnell eine Antwort parat. Du Jesus, du bist der Messias, meint Petrus. Das war damals der, auf den man alle Hoffnung setzte. Der Held, wenn nicht gar der Feldherr, auf den die Menschen im von den Römern besetzten Israel voller Sehnsucht warteten. Nichts war für ihn unmöglich.

Ich persönlich tue mir schwer mit dieser Antwort. Auf die Frage wer dieser Jesus und sein Gott für mich ist hilft mir der Schriftsteller Max Frisch weiter. Eine Beziehung zu einem anderen Menschen durfte für ihn nie auf Kosten der Lebendigkeit gehen. Den Appell der Bibel „Du sollst dir kein Bildnis machen“ war ihm wichtig. Und ich meine, was er über die Beziehung zu anderen Menschen schreibt, gilt auch für Jesus aus Nazareth.

Max Frisch wörtlich: Es ist bemerkenswert, dass wir gerade von dem Menschen, den wir lieben am wenigsten aussagen können, wie er sei. Wir lieben ihn einfach. … Die Liebe befreit aus jeglichem Bildnis. Das ist das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. So wie Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit, aller Geheimnisse voll, so unfassbar ist der Mensch, den man liebt. Unsere Meinung, dass wir andere Menschen kennen, ist das Ende der Liebe.

Ja das stimmt. Seit ich diesen Jesus und seinem Gott vertraue und in meinem Leben suche, komme ich an kein Ende. Keine Antwort auf Jesu Frage kann beschreiben, was mich trägt und hält im Glauben. Es ist wie bei den Menschen, die ich liebe.

Meine Lieben und mein Gott bleiben mir Geheimnis. Weil ich sie liebe, darf ich mir kein Bild von ihnen machen. Das wäre lieblos. Ja, sogar Verrat - meint Max Frisch.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35603
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