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SWR2 Wort zum Tag

13FEB2024
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Kennen Sie Commander Data? Ich gehöre zu den „Trekkies“ also den Fans der Serie „Star Trek“ und dort kommt einer jener Maschinenmenschen vor, den man in dem Fall nicht Roboter, sondern „Android“ nennt. Er wird von künstlicher Intelligenz gesteuert, die zur Zeit der Erfindung seiner Rolle Ende der 80er Jahre noch Projektion in die Zukunft war. Inzwischen wissen wir, wie weit die Entwicklung künstlicher Intelligenz, kurz: KI, fortgeschritten ist und sie hat in den letzten Monaten sogar Quantensprünge gemacht. Durch das Programm „ChatGPT“ ist KI zum ersten Mal in großem Stil für alle im Internet zugänglich und wird dadurch alltagstauglich. Die Seite ist so beliebt, dass sie manchmal für einige Stunden abstürzt, weil sie von zu vielen Menschen gleichzeitig besucht wird. Wohin es führen könnte, wenn KI immer mehr unseren Alltag bestimmt, macht vielen von uns Angst, weil wir fürchten, dass das menschliche dabei unter die Räder kommen könnte.

Die Erzählung von Star Trek spielt aber nicht mit der Angst vor KI und dass Androiden die Herrschaft übernehmen, sondern vielmehr mit der Frage, was künstliche Intelligenz kann und was eben nicht. Da Commander Data keine Emotionen empfindet, versucht er im Laufe der Zeit, diese zu imitieren. Er zeigt sich neugierig darauf, was menschliches Empfinden, was Lachen, Schmerz, Liebe oder Langeweile ist und was es mit einem macht.

Star Trek macht daraus unterhaltsame Episoden, die mich schon damals zum Nachdenken gebracht haben. In ihnen kommen die großen Fragen unserer Existenz plötzlich wieder auf den Tisch, die eigentlich in den Hintergrund geraten waren in einer Welt, die zunehmend ohne Religion, ohne die Frage nach Gott auszukommen scheint. Wir erkennen, dass Menschsein eben genau dort weitergeht, wo künstliche Intelligenz stehen bleibt: beim Funktionieren. Wenn wir dieser Tage Karneval feiern, tun wir dies eben nicht vor allem deswegen, weil es für uns eine Funktion hat. Wir feiern das Leben, und zwar völlig zweckfrei. Feiern hat, wenn man es zu Ende denkt, keinen Zweck. Es verweist auf unseren göttlichen Schöpfer, der kein Funktionsgott ist sondern vielmehr Grund unserer ganzen Wirklichkeit. Und dadurch macht er uns frei. Mit ihm können wir den Funktionalismus überwinden, der die künstliche Intelligenz bestimmt. Mehr noch: In seinem Sohn ist er sogar ganz Mensch geworden – etwas, was Commander Data nie gelungen ist.

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SWR2 Wort zum Tag

12FEB2024
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Sind Sie heute auch im närrischen Kostüm unterwegs? Bei einem Rosenmontagsumzug vielleicht? Im Rheinland, in Rheinhessen und im schwäbisch-alemannischen Fastnachtsland kocht heute ja die karnevalistische Seele auf dem Siedepunkt. Bei meiner Arbeit habe ich viel mit internationalen Studierenden zu tun und versuche somit Jahr für Jahr, Menschen aus anderen Teilen der Welt zu erklären, was da eigentlich bei uns passiert in der fünften Jahreszeit. Das geht gar nicht anders, als auf die danach beginnende Fastenzeit zu verweisen und auf das Osterfest an deren Ende – also auf den religiösen Hintergrund, der das jecke Feiern erst ins Leben gerufen hat. Vor diesem scheint es dann auch einen Sinn zu ergeben, was da passiert – auch für jemand, dem das bisher völlig fremd war. Einmal noch so richtig das Leben feiern, bevor das Fasten beginnt. Unabhängig vom religiösen Kontext haben Karneval und Fastnacht natürlich ihre eigenen Bräuche und Dynamiken entwickelt und tun dies weiterhin.

Ich jedenfalls liebe es, mich mit Freunden zusammen in dieses Treiben hineinzustürzen, zu tanzen, zu feiern und Lieder zu singen, die gerade und eben auch nur in dieser Zeit ihren Platz haben. Aber: Geht das nur im Zusammenhang mit dem Aschermittwochsgottesdienst, bei dem ich mir nach den närrischen Tagen das Aschekreuz auf die Stirn zeichnen lasse? Ist Karneval auch noch in einer komplett säkularen Welt vorstellbar? Ich frage mich immer wieder, ob alle diese religiösen Bräuche, die unsere Kultur prägen und auch Feste wie Ostern und Weihnachten, auch dann noch prägend sein können, wenn die Bezüge zu Gott ganz wegfallen sind.

Als gläubiger Mensch bin ich aber froh, dass sich dieses Feiern und ausgelassen sein auf etwas bezieht, das über unser Tun und Machen hinausweist. Für mich gehört es zusammen: das bunte, verrückte Leben auf den Straßen, bei den Umzügen, in den Hallen und Kneipen und der Glaube daran, dass da einer ist, der wohlwollend darauf schaut und sich mit uns freut. Wenn wir das Leben feiern, feiern wir auch seinen Schöpfer. Und wenn wir das zusammen tun, zeigt sich seine schöpferische Kraft viel mehr, als wenn wir alleine sind.

Da ich der kölschen Sprache nur singend mächtig bin, will ich ins Hochdeutsche übersetzen, wie die Band Kasalla das ausdrückt, was mir in diesen Tagen aus der Seele spricht: „Auf die Liebe und das Leben, auf die Freiheit und den Tod. Komm wir trinken auch mit denen, die im Himmel sind. Alle Gläser hoch!“

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SWR2 Wort zum Tag

11NOV2023
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Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, mit einem Freund zusammen das Heilige Land zu besuchen. Es war faszinierend zu sehen, wie reich an Geschichte und Kultur dieser kleine Landstrich ist. Und gleichzeitig war es bedrückend, wieviel Gewalt und Hass fast überall zu spüren war. Welche Mauern, Zäune, Sicherheitschecks das Leben der Menschen dort prägen. Wir hatten das Glück, über Menschen, die in Friedensprojekten arbeiten, die rein touristischen Pfade an einigen Stellen verlassen zu können und zu erfahren, wie das Leben auf beiden Seiten des Konflikts aussieht. Einmal saßen wir in Tel Aviv im von Hipstern und alternativem Ambiente geprägtem Viertel Florentin und erzählten davon, dass wir in Bethlehem in Schatten der großen Mauer wohnten, die gebaut wurde, um Selbstmordattentäter aus der Westbank von Israel fernzuhalten. Wir sprachen von der Wucht dieser Anlage, von den Kontrolltürmen, dem Stacheldraht und den Videoüberwachungsanlagen. Unsere Gesprächspartner fragten uns verdutzt, von welcher Mauer wir eigentlich sprechen. Diese Frage hat sich mir tief eingeprägt und ich frage mich noch heute, wie es sein kann, dass diese jungen und gebildeten Leute so wenig von den Lebensumständen der anderen Seite wissen.

Im Flugzeug kam ich dann mit einer jungen Palästinenserin aus Ost-Jerusalem ins Gespräch, die sehr gebildet war, versiert englisch sprach. Im Lauf des Gesprächs machte sie mir klar, dass sie keinerlei Legitimität dafür sieht, dass der Staat Israel überhaupt besteht und jüdische Menschen hier leben. Sie sollten wissen, dass sie früher oder später alle verschwinden müssten oder aus dem Land vertrieben würden. Ich konnte damals nicht glauben, wie eine so offen und freundlich erscheinende junge Frau so verbohrt sein kann, ohne jeglichen Sinn für eine gemeinsame Lösung.

In diesen Tagen der totalen Gewalt und des Krieges in Israel und Gaza scheint mir, dass es oft gar nicht mehr legitim gilt, beide Seiten des Konfliktes zu sehen und sich nicht nur auf eine Seite zu stellen. Ich bin entsetzt über die Brutalität und den Vernichtungswillen, den Hamas-Terroristen bei ihren Überfällen am 07. Oktober gezeigt haben. Wie können Menschen so von Hass zerfressen sein? Ich habe aber auch gesehen, wie israelische Siedler ihre palästinensischen Nachbarn hassen und verachten und wie sie alles tun, um diese zu vertreiben.

Wie kann bei so viel Hass je eine Lösung gefunden werden, mit der beide Seiten leben können? Eine Hoffnung scheint mir darin zu liegen, dass es gar keine Alternative zum Frieden gibt. Niemals werden die Israelis sicher sein, wenn die Palästinenser nicht sicher sind, und umgekehrt. Beide Völker werden unmittelbare Nachbarn bleiben. Sie müssen zusammenarbeiten, um eine Lösung, für einen dauerhaften Frieden zu finden. Vielleicht kann diese schreckliche Eskalation des Konflikts Israelis und Palästinensern ja gleichermaßen zeigen, dass es anders nicht mehr gehen kann.

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SWR2 Wort zum Tag

10NOV2023
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Im Vatikan hat bis vor kurzem die erste Versammlung der Weltsynode der katholischen Kirche getagt. In einem insgesamt dreijährigen Prozess war dies das erste gemeinsame Treffen in Rom unter dem Motto „für eine synodale Kirche – Gemeinschaft, Teilhabe und Mission.“ Davor war schon in einer langen Phase der Befragung von Katholikinnen und Katholiken aller Kontinente die gesamte Breite der Weltkirche berücksichtigt worden.

Da ich beruflich viel in Afrika unterwegs bin und mit den Menschen dort zu tun habe, frage ich mich: Wie kann in Einklang gebracht werden, was die von der Postmoderne geprägten Pfarreien in West-Europa mitbringen und was dagegen den afrikanischen Gemeinden wichtig ist? Im dortigen Gemeindeleben spiegelt sich oft noch die Missionsgeschichte. Die Menschen suchen in ihrem katholischen Glauben oft eher einen Rückzugsort – eine Identität in ihren multiethnischen und multireligiösen Gesellschaften. Ich war deshalb positiv überrascht, wie enthusiastisch der von Rom angeregte „Synodale Prozess“ in afrikanischen Ländern aufgegriffen wurde. Kaum eine Kirche, in der das zugehörige Symbol nicht zu sehen war, in städtischen wie in ländlichen Pfarreien. Für verschiedene afrikanische Länder und Regionen kann ich jedenfalls bestätigen, was das Synodensekretariat in Rom eine „noch nie dagewesene Reaktion der örtlichen Kirchen!“ genannt hat.

Bei den Diskussionen in Deutschland stand ja vor allem die Reform der Sexuallehre, die Weihe von Frauen und die Frage nach dem priesterlichen Zölibat im Vordergrund. Diese Dinge kamen in den Diskussionen in Afrika zwar durchaus vor, standen aber nicht im Vordergrund. Was dort aber ebenfalls ganz oben auf der Agenda steht ist die Frage nach Teilhabe – Also wie die Gläubigen mitsprechen und mitgestalten können in der Pastoral, im Gottesdienst und im Leben der katholischen Gemeinden.

Im weiteren Prozess dieser Synode muss sich jetzt zeigen, ob es wirklich ein gemeinsamer Weg wird – wie der Ausdruck Synodos verheißt. Ob also Weggefährten wirklich bereit sind, den Argumenten des jeweils anderen zuzuhören. Ich glaube nämlich, dass diejenigen einen entscheidenden Fehler begehen, die den Kern des christlichen bedroht sehen, wenn von Macht und Einfluss gesprochen wird in der Kirche. Bei allen kirchlichen Reformdiskussionen geht es letztlich immer darum, ob die Menschen Zugang finden zur befreienden Botschaft des Evangeliums. Wenn ausbleibende Reformen diesen Zugang nämlich verstellen, werden auch die Menschen in Afrika früher oder später die Einladung des menschenfreundlichen Gottes nicht mehr hören und sein Heil erfahren können.

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SWR2 Wort zum Tag

19AUG2023
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Mir kamen die Tränen, als das Flugzeug wieder abhob in Richtung der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba.

Ich hatte mich zuvor an einer kleinen Mission versucht, die mich mit zwei Begleitern in das Kriegsgebiet von Tigray im Norden Äthiopiens geführt hat. Seit kurzem erst ist dieses Gebiet wieder für Menschen von außen zugänglich, können sich auch Journalisten oder Besucher wieder ein Bild von der Lage vor Ort machen. In Europa gibt es wenig Bewusstsein für diesen Krieg, der zwischen 600.000 und einer Million Tote gefordert hat. Die Kirchenmänner vor Ort haben zumindest versucht, Buch zu führen über die grausamen Taten und die Opfer. Überhaupt waren die Strukturen und Vertreter der katholischen Kirche schon vor dem Konflikt wichtig. Sie haben während des Konflikts ausgehalten und sind jetzt an der Seite der Menschen, da der Konflikt hoffentlich abklingt.

Bei meiner kleinen Mission als Vertreter einer katholischen Organisation, die in Äthiopien tätig ist, wollte ich gegenüber dem Bischof von Adigrat meine Solidarität ausdrücken. Ich wollte seinen Mitarbeitern und den Menschen dort mein Mitgefühl bekunden für das Leid und das Unrecht, das Ihnen widerfahren ist. Eine wichtige Komponente war dabei, dass meine beiden Begleiter aus dem Teil Äthiopiens stammten, der auf der anderen Seite des Konfliktes liegt. Gegen den Besuch der beiden gab es zunächst Vorbehalte. Die lösten sich erst auf, als sie ebenso wie ich den Menschen zuhörten und mit ihnen fühlten. Es war ein kleines, aber wichtiges Zeichen, dass wir diesen Schritt gegangen sind. Groß ist nämlich die Angst, dass „die Anderen“ gar nicht glauben, was alles an Kriegsgräueln verübt wurde und was die Opfer erleiden mussten.

Zurück in Addis Abeba versuchten wir dann, von unseren Erfahrungen zu erzählen, ernteten aber viel Misstrauen und Gegenfragen: Wer von denen erkennt denn das Leid an, das deren Truppen bei uns verursacht haben? Wer hat überhaupt den Krieg angefangen? Was werden die von uns wollen, wenn wir anerkennen, dass auch sie Leid erlitten haben?

„Whataboutism“ ist ein moderner Ausdruck für diese Haltung: Was ist mit uns und mit diesem und mit jenem? Versöhnung wird aber nie gelingen, wenn ein Mensch das Leid des anderen erst dann sehen will, wenn der auch sein eigenes Unrecht eingestanden hat. Schritte zur Versöhnung sind deshalb immer eine Vorleistung – und ein Wagnis – außerhalb und innerhalb der Kirche.

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SWR2 Wort zum Tag

18AUG2023
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„Willkommen in unserer Welt“ sagten mir viele afrikanische Freundinnen und Freunde, als im Februar letzten Jahres der Krieg Russlands gegen die Ukraine begann und wir in Deutschland unter tiefem Schock standen. „Diese Art von Konflikten gehören zu unserem traurigen Alltag und das gilt für viele Teile des globalen Südens. Jetzt wo so ein Konflikt nahe an Euch heranrückt wird es Euch auf einmal heiß unter dem Hintern und ihr spürt, was es heißt, Angst zu haben und betroffen zu sein.“ Und dann tauchten unerwartet Anfang Juli die Meldungen von einem umstrittenen Festival in Hessen auf – und tauchten schnell auch wieder ab. Plötzlich war für eine kurze Zeit ein Konflikt auf unseren Straßen, der vom eigentlich weit entfernten Horn von Afrika herrührt.

Dort, wo neben Äthiopien mit seinen über 110 Millionen Einwohner der Staat Eritrea liegt – eine der krassesten Diktaturen der Welt. Auch In Deutschland leben Anhänger des Diktators Isayas Afewerki und aus deren Reihen wurde das besagte Festival in Gießen organisiert – eine ungeheure Provokation für die vielen Menschen, die in den letzten Jahren aus dem Land geflohen sind, weil Meinungs- und Pressefreiheit stark eingeschränkt sind und es keine unabhängigen Gerichte und keine Zivilgesellschaft mehr gibt. Die meist jungen, männlichen Flüchtlinge fliehen vor einem brutalen Wehrdienst- und Zwangsarbeitssystem ohne zeitlichen Rahmen. Die Polizei in Hessen musste diesmal ausbaden, was es heißt, wenn solche Konflikte plötzlich bei uns ankommen, die scheinbar in eine ferne Region gehören.

Ich habe in meinem Alltag viel mit Menschen aus der Region zu tun, vor allem mit Studierenden aus der nord-äthiopischen Region Tigray, deren Familien viele Opfer zu beklagen haben, weil eritreische Truppen in ihr Gebiet einmarschiert sind und unsägliche Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten begangen haben. Beim erwähnten Festival in Gießen ist Presseberichten zufolge ein Lied gesungen worden, das zum Mord an den Bewohnern von Tigray aufrief. Ich war vor zwei Wochen in der Grenzregion von Tigray nach Eritrea und bis heute werden große Landstriche von eritreischen Truppen besetzt. Die Menschen dort sind täglicher Unterdrückung ausgesetzt und die Versorgungswege abgeschnitten. Es fehlt massiv an internationalem Druck, dieses Thema aufzugreifen. Solidarität von Seiten der Öffentlichkeit in Deutschland und der EU würde für die Menschen dort einen großen Unterschied machen – nicht erst und nicht nur dann, wenn wir die Hitze eines Krieges direkt spüren.

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SWR2 Wort zum Tag

17AUG2023
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Zwischen 600.000 und einer Million Tote – nackte, nüchterne Zahlen, die den Krieg in Tigray im Norden Äthiopiens beschreiben, von dem ein Großteil der Welt noch nicht einmal gehört hat. Bis zu 400.000 der Opfer waren Zivilisten – einfache Leute, die in ihren Dörfern und Häusern überrascht, überrannt und meist willkürlich herausgezerrt und erschossen wurden. Im Krieg gegen die Ukraine sind uns die Gräueltaten aus den Nachrichten gut bekannt – der Name Butscha steht stellvertretend dafür. Aus der Kriegsregion im Norden Äthiopiens drangen aber nur sehr spärliche Nachrichten über die systematischen Vergewaltigungen, Plünderungen und Erschießungen außerhalb von Kampfhandlungen. Dabei sind die Mechanismen hier dieselben, wie etwa in der Ukraine oder in den Balkankriegen der 1990er: Ethnische Identitätspolitik treibt in den Hass, Kriegsherren treiben ihr zynisches Spiel und wer leidet, sind die einfachen Menschen, die schutzlos der Gewalt ausgeliefert sind. Am Horn vom Afrika kommt aber noch eine weitere verheerende Komponente dazu: Der Hunger. Durch den Krieg wurde so viel Infrastruktur und Zugangswege für Nahrungsmittelhilfe zerstört, dass die Situation in der Provinz Tigray Ausmaße annimmt, wie bei der großen Hungersnot am gleichen Ort in den Jahren 1984/85. Damals wurde die internationale Gemeinschaft aufgerüttelt, alle zeigten sich solidarisch, das größte Benefizkonzert der Geschichte wurde aus dem Boden gestampft. Heute scheint es kaum jemanden zu interessieren, was dort in Nord-Äthiopien passiert.

Was das alles mit uns hier in Deutschland zu tun hat? Am Horn von Afrika liegen Äthiopien, das inzwischen über 110 Millionen Einwohner hat, und Eritrea, wo eine der schlimmsten Diktaturen der Welt herrscht. Nebenan finden sich der in seine kolonialen Bestandteile zerfallene „failed state“ Somalia und der Kleinstaat Dschibuti. Er beherbergt eine militärische Basis von Einheiten der internationalen Anti-Terror-Koalition, bis 2021 war auch die deutsche Marine dabei. Dies hat ganz viel mit der Lage am Roten Meer und dem Suezkanal zu tun. Spätestens jetzt sollte es bei uns klingeln, weil es nämlich um Waren aus aller Welt geht, die über diesen Wasserweg in unsere Regale gelangen.

Das Wort „Geopolitik“ zeigt, dass unsere Erde längst ein Dorf geworden ist und es mir als Bürger, aber auch als Christ nicht egal sein darf, was am Horn von Afrika passiert. Was dort nämlich eindeutig fehlt, ist der internationale Druck auf die Regime. Auch unsere politisch Verantwortlichen reagieren häufig erst dann, wenn wir als Wählerinnen und Wähler zeigen, dass wir über den Tellerrand unserer internen Probleme hinausschauen und andere uns nicht gleichgültig sind.

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SWR2 Wort zum Tag

23MAI2023
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Die Eucharistie, so betont es das II. Vatikanische Konzil, ist der „Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt.“ Ich habe mir über dieses Sakrament Gedanken gemacht, als ich kürzlich zu einer Erstkommunionfeier im Kreis der Familie eingeladen war. Dort konnte ich erfahren, was das im Jahr 2023 bedeutet. Der Pfarrer der Großstadtpfarrei sprach die Kinder direkt an in seiner Predigt und betonte, wie Jesus in ihrem Leben eine tragende Rolle spielen kann. Irgendwie hatte ich aber das Gefühl, dass sich hier einer bemüht, noch den letzten Rest der großen Tradition des Glaubens zu retten und dabei eine Sprache spricht, die nicht bei den Kindern ankommt. Bei den Erwachsenen übrigens auch nicht. Ich habe mich gefragt, wie ich von seiner Position aus zu den hier versammelten Menschen sprechen würde. „Bald werden auf Euch ganz andere Einflüsse einströmen“, so würde ich wohl sagen. „Nämlich dann, wenn Ihr alle eigene Handys habt und die Tiktok-App darauf läuft. Kaum davon loskommen werdet Ihr, weil es euch riesigen Spaß macht. Ihr könnt euch sehr schnell verlieren in dieser attraktiven, anderen Welt. Aber es wird euch etwas fehlen, was euch dauerhaft Halt und festen Boden unter den Füßen verleiht. Etwas, was eurem Leben wirklich einen Sinn gibt.“

Und zu den Erwachsenen, die bei der Feier da waren, hätte ich wohl gesagt: „Wir als Kirche sind zurzeit nicht gerade dabei, in der Gesellschaft zu punkten. Vor Tagen erst hat der Missbrauchsberichts im Erzbistum Freiburg klar gemacht, dass die Verantwortlichen bereit waren, sogar das eigene kirchliche Recht zugunsten von Tätern zu ignorieren. So ist es schwer, in der Kirche davon zu reden, wie Leben gelingen kann und welchen Sinn die Sakramente haben.“

Es stimmt: Viele kommen nur noch zu solchen festlichen Anlässen zu einem Gottesdienst. Man kommt kaum umhin, hier vom Versagen der Organisation Kirche zu sprechen. Weil sie viel zu lang damit beschäftigt war, mit dem Finger auf die Sünden anderer zu zeigen, während in ihren eigenen Mauern die schlimmsten Taten begangen wurden. Erst wenn dieses Versagen deutlich anerkannt ist, können wir vielleicht der Frage wieder nachgehen, was uns trägt und unserem Leben Sinn gibt. Darzustellen, was das gemeinsame Abendmahl, die Eucharistie damit zu tun hat und warum die Kommunion vor allem Begegnung und Kommunikation ist, wäre vielleicht ein Anfang. Er könnte dazu anregen, über den Glauben neu nachzudenken.

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SWR2 Wort zum Tag

22MAI2023
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Die Eucharistie ist nach Aussage des II. Vatikanischen Konzils „die Quelle, aus der alle Kraft der Kirche strömt“. Zehntausende von Kindern im Land, meist um die neun Jahre alt, haben in den letzten Wochen an diesem Sakrament zum ersten Mal selbst teilhaben können, das für uns Katholiken so zentral ist. Dieses Jahr war ich zu einer Erstkommunionfeier im Kreis der Familie eingeladen und konnte so selbst erfahren, was das im Jahr 2023 bedeutet. Mein Neffe beging seinen „Weißen Sonntag“ in einer Großstadtpfarrei in einer traditionell sehr katholischen Region. Eine Kirche, die beim selben Anlass vor einigen Jahren noch überfüllt gewesen wäre, war jetzt höchstens noch ‚gut besucht‘. Aus Jahrgängen, die früher geschlossen dieses Fest begingen, kam jetzt vielleicht nur noch die Hälfte der Kinder. Ob es hier wohl auch so sein wird, habe ich mich gefragt, dass in vielen Fällen die erste heilige Kommunion gleichzeitig auch die letzte ist? Oft begehen Familien ja dieses Fest, weil es für das betreffende Kind ein Anlass ist, einen Schritt in seiner Entwicklung zu feiern und das mit der Familie und den Verwandten zu tun. Ob dabei ein starkes religiöses Interesse vorliegt, ist eine andere Frage. Zwar sind Menschen heute insgesamt nicht weniger spirituell, aber die Art wie sie dies in ihrem Leben umsetzen, wird in unseren europäischen Gesellschaften immer individueller und mehr auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten. Oft kommen Kinder nach der Erstkommunion kaum noch mit kirchlicher Praxis in Berührung. Und wenn sie später vielleicht noch zur Firmung gehen, dann nicht selten, weil die Eltern oder Großeltern sie dazu drängen. „Okay, dann mache ich eben noch einmal mit“, so die Einstellung. Das Sakrament, das der Stärkung des Glaubens dienen soll, wird nicht selten zum Sakrament des Abschieds von der Kirche.

Ist das alles ein Verlust für uns Menschen und für unsere Gesellschaft? Die sogenannte „Weltwertestudie“, ein globales Forschungsprojekt zu sozialen, religiösen und kulturellen Werten kommt zum Ergebnis, dass die Menschheit sich auf dem Weg eines emanzipatorischen moralischen Fortschritts befindet und sich immer selbstbewusster ihre Werte sucht. Dies sei so, obwohl die Rolle von organisierter Religion tendenziell dort abnimmt, wo Menschen wirtschaftlich gesichert leben können.

Ich sehe das als eine Chance und Herausforderung für uns gläubige Menschen und für die Kirche: Weil niemand mehr mitmachen muss, sind wir gezwungen uns darauf zu besinnen, wie wir einen Glauben vermitteln können, der Menschen stärkt und stützt und auch dann noch relevant ist, wenn sie gelernt haben, für sich selbst zu denken und zu entscheiden.

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SWR2 Wort zum Tag

31JAN2023
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„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der euch nach dem Grund der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ Diese Stelle aus dem ersten Petrusbrief stand über der Todesanzeige meines kürzlich verstorbenen Theologieprofessors. Der Satz ist so etwas wie das Grundprogramm seines theologischen Schaffens und auch aller, die diese „Wissenschaft von Gott“ betreiben.

Immer weniger jungen Menschen wollen heute aber Theologie studieren. Während ich meinem Professor noch in einem fast vollbesetzten Hörsaal zu folgen versuchte, reicht heute für die Vorlesungen ein größerer Seminarraum – zumindest an den katholischen Fakultäten. Mich hat das Theologiestudium mit einer Vielzahl von relevanten Disziplinen konfrontiert und in verschiedenen Bereichen kompetent gemacht: Neben dem Verständnis von Philosophie und der Theologie im engeren Sinn lernte ich mit klassischen Sprachen umzugehen, Texte in ihrer Überlieferung zu erforschen, geschichtliche Zusammenhänge besser zu verstehen. Pädagogische Inhalte, juristisches Denken waren ebenso Teil davon wie gesellschaftliche Ethik und juristisches Denken im Kirchenrecht.

Für immer mehr Menschen heute spielen Religion und Kirche kaum noch eine Rolle. 2022 waren es mehrere Hunderttausend Menschen, die nicht mehr offiziell Teil der katholischen und evangelischen Kirche sein wollten. Auf katholischer Seite spielen dabei auch die lange Zeit vertuschten Skandale eine wesentliche Rolle. Aber machen massenhafte Kirchenaustritte auch die Theologen als „Experten für Religion“ überflüssig?

Der Freiburger Theologieprofessor Magnus Striet wundert sich, "was es für die kulturelle Gegenwart unseres Landes bedeutet, wenn es immer weniger Deutungskompetenz auf dem Feld des Religiösen geben sollte. Gerade weil sich die Gesellschaft immer weiter pluralisiert und Religion keineswegs verschwindet, braucht es Menschen, die gesprächsfähig sind.“

Ich selbst erlebe immer wieder, dass ich aus dem Freundes- und Bekanntenkreis angefragt werde, wenn es um Fragen von Religion und Frömmigkeit geht – und dies eben auch von Menschen, die mit der Kirche „nicht viel am Hut haben“, wie man so schön sagt. Spiritualität und Grundfragen des Lebens bleiben trotzdem und wir laufen Gefahr, dass dazu nur noch diejenige etwas sagen, die einfache religiöse Antworten vorziehen und vom kritischen Nachdenken über den Glauben wenig halten. Religiösen Fundamentalismus gibt es genug auf der Welt. Wer jedoch seinen Glauben verantworten und erklären möchte, muss stets bereit sein können, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach dem GRUND der Hoffnung fragt, die ihn erfüllt.

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