SWR2 Wort zum Tag

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19AUG2023
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Mir kamen die Tränen, als das Flugzeug wieder abhob in Richtung der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba.

Ich hatte mich zuvor an einer kleinen Mission versucht, die mich mit zwei Begleitern in das Kriegsgebiet von Tigray im Norden Äthiopiens geführt hat. Seit kurzem erst ist dieses Gebiet wieder für Menschen von außen zugänglich, können sich auch Journalisten oder Besucher wieder ein Bild von der Lage vor Ort machen. In Europa gibt es wenig Bewusstsein für diesen Krieg, der zwischen 600.000 und einer Million Tote gefordert hat. Die Kirchenmänner vor Ort haben zumindest versucht, Buch zu führen über die grausamen Taten und die Opfer. Überhaupt waren die Strukturen und Vertreter der katholischen Kirche schon vor dem Konflikt wichtig. Sie haben während des Konflikts ausgehalten und sind jetzt an der Seite der Menschen, da der Konflikt hoffentlich abklingt.

Bei meiner kleinen Mission als Vertreter einer katholischen Organisation, die in Äthiopien tätig ist, wollte ich gegenüber dem Bischof von Adigrat meine Solidarität ausdrücken. Ich wollte seinen Mitarbeitern und den Menschen dort mein Mitgefühl bekunden für das Leid und das Unrecht, das Ihnen widerfahren ist. Eine wichtige Komponente war dabei, dass meine beiden Begleiter aus dem Teil Äthiopiens stammten, der auf der anderen Seite des Konfliktes liegt. Gegen den Besuch der beiden gab es zunächst Vorbehalte. Die lösten sich erst auf, als sie ebenso wie ich den Menschen zuhörten und mit ihnen fühlten. Es war ein kleines, aber wichtiges Zeichen, dass wir diesen Schritt gegangen sind. Groß ist nämlich die Angst, dass „die Anderen“ gar nicht glauben, was alles an Kriegsgräueln verübt wurde und was die Opfer erleiden mussten.

Zurück in Addis Abeba versuchten wir dann, von unseren Erfahrungen zu erzählen, ernteten aber viel Misstrauen und Gegenfragen: Wer von denen erkennt denn das Leid an, das deren Truppen bei uns verursacht haben? Wer hat überhaupt den Krieg angefangen? Was werden die von uns wollen, wenn wir anerkennen, dass auch sie Leid erlitten haben?

„Whataboutism“ ist ein moderner Ausdruck für diese Haltung: Was ist mit uns und mit diesem und mit jenem? Versöhnung wird aber nie gelingen, wenn ein Mensch das Leid des anderen erst dann sehen will, wenn der auch sein eigenes Unrecht eingestanden hat. Schritte zur Versöhnung sind deshalb immer eine Vorleistung – und ein Wagnis – außerhalb und innerhalb der Kirche.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38188
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