SWR2 Wort zum Tag

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11NOV2023
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Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, mit einem Freund zusammen das Heilige Land zu besuchen. Es war faszinierend zu sehen, wie reich an Geschichte und Kultur dieser kleine Landstrich ist. Und gleichzeitig war es bedrückend, wieviel Gewalt und Hass fast überall zu spüren war. Welche Mauern, Zäune, Sicherheitschecks das Leben der Menschen dort prägen. Wir hatten das Glück, über Menschen, die in Friedensprojekten arbeiten, die rein touristischen Pfade an einigen Stellen verlassen zu können und zu erfahren, wie das Leben auf beiden Seiten des Konflikts aussieht. Einmal saßen wir in Tel Aviv im von Hipstern und alternativem Ambiente geprägtem Viertel Florentin und erzählten davon, dass wir in Bethlehem in Schatten der großen Mauer wohnten, die gebaut wurde, um Selbstmordattentäter aus der Westbank von Israel fernzuhalten. Wir sprachen von der Wucht dieser Anlage, von den Kontrolltürmen, dem Stacheldraht und den Videoüberwachungsanlagen. Unsere Gesprächspartner fragten uns verdutzt, von welcher Mauer wir eigentlich sprechen. Diese Frage hat sich mir tief eingeprägt und ich frage mich noch heute, wie es sein kann, dass diese jungen und gebildeten Leute so wenig von den Lebensumständen der anderen Seite wissen.

Im Flugzeug kam ich dann mit einer jungen Palästinenserin aus Ost-Jerusalem ins Gespräch, die sehr gebildet war, versiert englisch sprach. Im Lauf des Gesprächs machte sie mir klar, dass sie keinerlei Legitimität dafür sieht, dass der Staat Israel überhaupt besteht und jüdische Menschen hier leben. Sie sollten wissen, dass sie früher oder später alle verschwinden müssten oder aus dem Land vertrieben würden. Ich konnte damals nicht glauben, wie eine so offen und freundlich erscheinende junge Frau so verbohrt sein kann, ohne jeglichen Sinn für eine gemeinsame Lösung.

In diesen Tagen der totalen Gewalt und des Krieges in Israel und Gaza scheint mir, dass es oft gar nicht mehr legitim gilt, beide Seiten des Konfliktes zu sehen und sich nicht nur auf eine Seite zu stellen. Ich bin entsetzt über die Brutalität und den Vernichtungswillen, den Hamas-Terroristen bei ihren Überfällen am 07. Oktober gezeigt haben. Wie können Menschen so von Hass zerfressen sein? Ich habe aber auch gesehen, wie israelische Siedler ihre palästinensischen Nachbarn hassen und verachten und wie sie alles tun, um diese zu vertreiben.

Wie kann bei so viel Hass je eine Lösung gefunden werden, mit der beide Seiten leben können? Eine Hoffnung scheint mir darin zu liegen, dass es gar keine Alternative zum Frieden gibt. Niemals werden die Israelis sicher sein, wenn die Palästinenser nicht sicher sind, und umgekehrt. Beide Völker werden unmittelbare Nachbarn bleiben. Sie müssen zusammenarbeiten, um eine Lösung, für einen dauerhaften Frieden zu finden. Vielleicht kann diese schreckliche Eskalation des Konflikts Israelis und Palästinensern ja gleichermaßen zeigen, dass es anders nicht mehr gehen kann.

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