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11MAI2024
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Melanie hat entschieden, dass sie die Sache mit den Geburtstagsgeschenken mal ein Jahr lang grundsätzlich anders macht.

Also steht Melanie vor meinem Mann und gratuliert ihm. Sie übergibt ihm eine selbstgebastelte Karte. Vorne ist eine Foto-Collage drauf und hinten hat sie buntes Tonpapier aufgeklebt. Dazu sagt Melanie: „Lies mal. Ich hoffe du freust dich!“

Mein Mann liest vor: „In einer Zeit, in der wir alles haben und kaufen können, viel Zeug und wenig Zeit haben, ist das Schenken schwierig geworden. Womit kann ich noch Freude bereiten? Nichts zu schenken ist keine Alternative für mich, denn geteilte Freude ist doppelte Freude. In deinem Namen spende ich für ein soziales Projekt in Tansania. Betrag: 15 Euro.“

Mein Mann findet das gut, er freut sich. Und dann kommen wir natürlich ins Gespräch. Melanie erzählt, dass sie bei einem 50. Geburtstag eingeladen war und so ein typisches Sammelgeschenk mitfinanziert hat. Am Ende hat sie das große Geschenk fürs Geburtstagskind einfach nur Panne gefunden. So was will sie jetzt nicht mehr unterstützen. Zumindest mal ein Jahr lang nicht. So lang will sie nicht mehr rumüberlegen müssen, was sie wem schenkt, sie verschenkt einfach immer ihre persönliche Spende.

Von Melanie erfahre ich: man kann sich ganz bewusst entscheiden, und sich selbst dabei sogar noch schonen. Man kann einen guten Zweck unterstützen und gleichzeitig Freude schenken.

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10MAI2024
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Ich stehe in unserer Dorfmetzgerei in der Schlange und bin gleich dran. Nur noch der eine Mann in Handwerkerkluft vor mir.

Christine ist die Chefin im Laden. Sie begrüßt ihn gleich herzlich und ruft: „Ah, da ist wieder der Helfer fürs Ahrtal!“ Ich denke sofort: „Hä, das ist doch schon so lange her. Brauchen sie da immer noch Hilfe?“ Währenddessen reden Christine und der Mann weiter. Es ist ein großes Hallo. Der Mann lacht und Christine packt ihm schnell einen Stapel Dosenwurst gratis ein. Dazu meint sie: „Die kannst du brauchen, oder? Verteil sie einfach und sag Grüße von uns.“

Als der Mann aus dem Laden draußen ist, frage ich Christine: „Fährt der echt immer noch ins Ahrtal und hilft?“ Christine erklärt mir, dass der Mann Michael heißt und dass er Zimmerer ist. Am Wochenende fährt er regelmäßig als freiwilliger Helfer ins Ahrtal, und ab und zu schaut er vorher noch bei ihnen ihm Metzgerladen vorbei.

Christine erklärt: „Michael hat mir schon Geschichten erzählt. Unglaublich. Dass so viele Hilfen dort jetzt gekürzt sind, dass es schon lange keine organisierten Übernachtungsmöglichkeiten für die Helfer mehr gibt, und dass er das alles jetzt auf eigene Faust macht. Er hat sich jetzt einen Camper gekauft und fährt einfach weiter hin. Die Häuser sind ja trotzdem noch nicht alle wieder aufgebaut.“

Ich gehe aus dem Laden raus und denke: Mein Gott, was brauchen wir Leute, die an einer guten Sache dran bleiben und nicht aufgeben. Auch dann nicht, wenn andere schön längst vergessen haben, was noch alles zu tun ist.

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09MAI2024
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Müssen Freundschaften für immer halten? Ich finde nicht. Das gibt es zwar ab und zu mal, aber oft hat man Freundinnen oder Freunde nur für ein paar Jahre oder Monate.

Jedenfalls kann ich mich gut an Marius erinnern, mit dem ich während meines Auslandsemesters jeden freien Abend verbracht habe. Und kaum war ich wieder zuhause, ist der Kontakt abgebrochen.

Oder meine Freundin Elena aus der Schulzeit. Wir waren jahrelang jeden Tag zusammen und nach der Schulzeit ist jede ihren eigenen Weg gegangen. 

Ich bin überzeugt: Freunde muss man loslassen können! Man darf sie niemals festhalten. Denn auch Freundschaften, die ein Ende haben, sind ja wertvoll.

Der heutige Feiertag Christi Himmelfahrt hat auch damit zu tun, Freunde loszulassen. Genau das hat Jesus nämlich an diesem Tag gemacht. Nach Ostern ist er seinen Jüngern und Jüngerinnen ja immer wieder erschienen, um ihnen zu zeigen, dass er auferstanden ist, und um ihnen Mut zu machen. Und dann nach 40 Tagen ist er ihnen ein letztes Mal erschienen, um sich endgültig zu verabschieden. Da hat er gesagt: „Ihr Lieben, wir hatten unsere Zeit zusammen. Ihr und ich, wir haben eine Menge mitgenommen. Jetzt schafft ihr es ohne mich, und trotzdem bleiben wir für immer verbunden.“

So ist es auch mit Marius. Er hat mir ein halbes Jahr lang einen ganz besonders sensiblen Blick auf die Welt mitgegeben. Daran denke ich noch oft. Und mit meiner Freundin Elena bleibe ich auch verbunden. Denn dank ihr weiß ich wie viel Halt das geben kann, wenn eine alles mit dir durchsteht.

Freunde müssen nicht für alle Zeiten im Leben bleiben. Freunde geben dir was mit, und das ist einfach wunderbar.

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08MAI2024
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Wenn ich ein Problem lösen muss, stelle ich mir oft vor, ich würde mit Jesus drüber reden. So hab ich es auch gemacht, als ich mich gefragt habe, ob meine Tochter ein Smartphone bekommen soll. Mir ist schon klar, dass Jesus nicht der Experte für das Thema „Smartphones und Kinder“ ist.

Meine Tochter will am liebsten jetzt sofort eins, und spätestens zur 5. Klasse. Wir Eltern sind unentschlossen. Pädagoginnen und Psychologen sind dagegen ziemlich klar: Handy so spät wie möglich.

Und der Ratschlag von Jesus? Er hat ja Kinder in den Mittelpunkt gestellt und sich darüber geärgert, wenn sie einfach übersehen wurden. Vermutlich würde er zur mir sagen: „Lass deine Tochter mitreden!“ Gut, das kann ich machen, aber trotzdem kann sie bestimmte Gefahren nicht überblicken, das muss schon ich abschätzen.

Und weil Jesus sich immer für die Freiheit jedes Einzelnen eingesetzt hat, höre ich, wie er mir gleich noch etwas Zweites zuraunt: „Vertrau deiner Tochter! Lass sie los.“

Da muss ich erstmal überlegen, was das heißen soll. Ich kenne genug Eltern, die ihren Kindern ständig hinterher telefonieren, oder die das Handy ihres Kindes einfach tracken, wenn sie wissen wollen, ob der Bus Verspätung hat. In so ein Fahrwasser will ich auf keinen Fall kommen.

Je mehr ich nachdenke, umso klarer wird mir: die Sache ist komplizierter als ein ja oder nein.

Von Jesus nehme ich auf jeden Fall zwei Sachen mit. Erstens: dass ich meine Tochter mitreden lasse. Und zweitens: dass ich meiner Tochter vertraue. Mit oder ohne Handy. Aber vermutlich besser so lange wie möglich: ohne.   

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07MAI2024
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Meine Freundin Lena sagt: „Urlaub im Kinderhospiz?! Das ist genau das Richtige für uns!“

Lena lebt mit ihrer Familie auf dem Land, aber Urlaub macht sie in Stuttgart, mitten in der Stadt. Denn dort ist Lenas Tochter Mathilde im Kinderhospiz gut versorgt, weil sie sehr viel Pflege braucht. Und der Rest der Familie kann endlich ausspannen. Ausschlafen, in Ruhe shoppen gehen und abends noch ins Kino.

Mathilde ist fünfzehn Jahre alt und meistens gut drauf. Wenn ich Lena frage wie es Mathilde geht, sagt sie: „Für ihre Verhältnisse geht es ihr echt gut, ich glaube sie ist glücklich. Trotzdem hat sie viele Baustellen.“

Immer wenn ich bei Lena und ihrer Familie zu Besuch bin, ist das eine Riesenfreude. Weil sie viel Humor haben und so bodenständig sind. Gleichzeitig machen mich die Besuche dort auch traurig. Denn Lena muss so kämpfen! Für ein Mindestmaß an Betreuung, so dass Mathilde zumindest jeden Tag zur Schule kann. Bei ihrem Pflegedienst fehlen einfach immer Leute, und dann muss Mathilde daheim bleiben und Lena ran.

Mathilde hat eine schwere mehrfache Behinderung. Keiner weiß wie alt sie wird. Ihr Papa Max hat nach dem letzten Urlaub im Stuttgarter Kinderhospiz erzählt: „Es war schön, Mathilde hat voll Party gemacht. Aber es war auch hart. In unserer Woche sind gleich zwei Kinder gestorben. Eins davon war auch nur zum Urlaub dort, so wie wir. Und als ich den Kindersarg gesehen hab, ist mir echt viel durch den Kopf gegangen.“

Wer ein Kind mit komplexen Beeinträchtigungen begleitet, der beackert eine Mammutaufgabe. Womöglich schafft das nicht jeder, und auf keinen Fall schafft man das alleine.

Familien mit so besonderen Kindern müssen deswegen einfach überall willkommen sein. Zum Urlaub im Kinderhospiz sind sie das auf jeden Fall.

Und sonst hoffentlich auch überall!

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06MAI2024
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Alex will ein nagelneues Pflegeheim bauen und knapp dreißig Anwohner sind dagegen. Die gehen gegen Alex und sein Vorhaben mit einem Anwalt vor.

Ich treffe Alex alle paar Wochen. Er leitet gleich mehrere Einrichtungen: Pflegeheime, Wohngruppen und auch ein Hospiz. Er versteht seinen Job, und er brennt für ihn.

Ich frage Alex: „Mein Gott, wie schaffst du das? Bei so viel Gegenwind trotzdem dieses Heim zu bauen!“ Darauf Alex: „Das ist in Ordnung. Wenn sie dagegen sind, sollen sie dagegen sein. Wir haben uns getroffen und alles besprochen. Jetzt ist es so. Ich bin ja auch gegen manche Sachen, und ich bin froh, dass ich das in unserem Land sein darf. Also dürfen sie das auch.“

Das hört sich weise an, was Alex mir da erzählt, aber so konkret muss das doch anstrengend und auch ärgerlich sein. Das denke ich auch, als Alex noch ein bisschen weiter erzählt: „Die Anwohner haben Angst vor Lärm. Also erstellen wir gerade ein Lärmgutachten. Das hab ich bisher noch nie gemacht, ganz schön interessant.“ „Ernsthaft?“, frage ich zurück. „Ein Pflegeheim ist doch nicht laut.“ „Naja“ sagt Alex. „ Da kommen LKWs und da donnert dann immer die Laderampe auf den Asphalt, es knallen jede Menge Autotüren auf dem Parkplatz und bestimmt ruft auch mal jemand, der sich nicht mehr so gut orientieren kann.“

Alex kann mir viel erklären, ich finde es immer noch befremdlich, dass Nachbarinnen und Nachbarn gegen ein Pflegeheim sein können. Jeder von uns möchte alt werden. Und jeder von uns braucht dann irgendwo einen guten Platz zum Leben.

Alex bleibt ganz gelassen. Ich bewundere ihn dafür und ich weiß auch warum er so gelassen ist: Alex ist überzeugt davon, dass in einer Demokratie alle Menschen ihre Meinung haben und diese auch äußern dürfen. 

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05MAI2024
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Dieser Truck ist wirklich riesig! Genau genommen ist er knapp 20 Meter lang. Und für Leute, die sich auskennen: es ist ein 18-Tonner.

Dieser Riesen-LWK macht heute noch Halt in Remshalden in der Nähe von Stuttgart, und am nächsten Wochenende ist er in Mainz. Kein Wunder, denn dieser Truck ist auf Deutschlandtournee.

Er fährt keine schweren Waren rum, sondern nur eine einzige Botschaft. Die steht auch groß auf dem Sattelanhänger geschrieben: „Eine Welt. Keine Sklaverei.“ In dem Truck verbirgt sich eine Ausstellung. Da sieht man Installationen, die zeigen wie Menschen heute noch ausgebeutet werden. Wer also in Remshalden den LKW betritt, läuft durch fünf verschiedene Räume. Der virtuelle Ausstellungsbegleiter heißt „Chris“ und überhaupt ist alles digital durchdacht. So dass man in weniger als einer halben Stunde eine Menge begreifen kann.

Das ist auch das Anliegen des Hilfswerks „missio“. Missio finanziert den Truck und will seine Message durch ganz Deutschland transportieren. Sie heißt „Beenden wir die Sklaverei.“ Leider ist dieses Thema riesig. Denn für alle möglichen billigen Produkte werden überall auf der Welt Kinder und Erwachsene ausgebeutet. Sie leben wie Sklaven.

Wer durch die Ausstellung im Truck geht, dem kann schnell klar werden: so wie ich lebe und was ich konsumiere, das begünstigt moderne Sklaverei. Deswegen ist ein Raum im LKW auch wie ein Wohnzimmer eingerichtet. Auf dem Tisch steht ein Glas Orangensaft. Das soll auf die unmenschlichen Bedingungen auf den Orangenplantagen hinweisen. Genauso ist es mit der Teetasse, die noch daneben steht. Ach so, und wer näht eigentlich den Fußball, der da im Netz an der Wand hängt?

Der missio-Truck hält dieses Jahr in allen möglichen Städten. Wer ihn sieht, braucht nur reingehen und sich umschauen. Und wer rausgeht, kann dann wirklich was verändern!

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04MAI2024
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„Achtung, Wespe!“ Kaum hat man sein Eis in der Hand oder die Limo steht vor einem, sind sie schon da: Wespen. Jetzt nicht panisch werden, sonst stechen sie. Und so ein Wespenstich tut echt weh.

Ich bin im vergangenen Winter über dieses Buch gestolpert: „Why we should love Wasps“ – warum wir Wespen lieben sollten. Und seither liebe ich diese kleinen Flieger!

Unsere manchmal etwas anstrengende „Picknickwespe“ ist dabei nur eine von vielen Arten. Wespen gibt es überall auf der Welt in verschiedenen Formen und Farben. Jede Region hat ihre eigene Wespenart. Manche stechen, manche nicht. Manche leben allein, manche in Schwärmen.

Die Autorin des Buches nennt Wespen „Musterbeispiele der Evolution“: ganz am Anfang gab es Wespen - und aus dem Grundmodell Wespe entwickelten sich andere Insekten: Bienen sind vegetarische Wespen, Ameisen sind Wespen, die zu Fuß unterwegs sind.

Während ich durch das Buch also ein Haufen spannende Dinge über Wespen lernte, musste ich öfter an einen Ausspruch aus der Bibel denken: „Ich danke dir, Gott, dass du alles so wunderbar gemacht hast; wunderbar sind deine Werke, und meine Seele erkennt das wohl“ (nach Psalm 139,14). Bei den Wespen habe ich ein bisschen gebraucht, um das zu erkennen. Aber ich habe gelernt: Wespen sind ein wichtiger Teil der Natur. Und sie leisten mehr, als man denkt. Zum Beispiel helfen sie im Garten: Wespen vertilgen Unmengen an Blattläusen und anderes „Ungeziefer“. Wir sollten wieder mehr anerkennen, dass Wespen ein wunderbarer Teil unserer Natur sind! Sie sind einfach wunderbar gemacht!

→ “Endless Forms: Why we should love Wasps” von Seiran Summer, William Collins 2023. Auch auf Deutsch erhältlich: “Wespen. Eine Versöhnung.”

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03MAI2024
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„Wir haben eine Urne gewählt. Ist ja sehr viel billiger.“ „Ja“, fügt seine Frau hinzu, „die kommt in eine Stele, dann brauchen wir uns auch nicht ums Grab kümmern.“ Die beiden sitzen vor mir, damit wir, ich, die Pfarrerin, er, der Sohn plus seine Frau, die Beerdigung der Mutter organisieren. Die Mutter hatte sich eine evangelische Beerdigung gewünscht. „Und wir brauchen keine Musik“, sagt der Sohn. Ich frage: „Auch keine abgespielte?“ „Nein, sowas brauchen wir nicht“, er beugt sich vor: „Und bitte alles kurz halten, ja!“

„Die Bestattungskultur ist immer ein Spiegelbild der jeweiligen Gesellschaft“ – das habe ich in meiner Ausbildung zur Pfarrerin gelernt. Und ich habe den Eindruck, das stimmt. Der Wunsch wird immer häufiger, die Beerdigung soll möglichst billig sein, mit möglichst wenig Leuten, Hauptsache keine aufwendige Grabpflege.

Was sagt das über uns, über unsere Gesellschaft aus? Ich habe den Eindruck, Menschen tun sich immer schwerer damit, Sterben, Trauer und Tod Platz im Leben einzuräumen. Weil das unbequem ist – und auch dazu herausfordert, sich mit manchen tieferen Fragen zu beschäftigen?    

Da wo Menschen es wagen, sich ein wenig mit diesen Themen auseinandersetzen, wird es schnell bewegend:

Wenn ich als Pfarrerin Kinder und vor allen Dingen Enkel und Urenkel bitte, mir ein, zwei Sätze zu schreiben über verstorbene Opas und Omas: eine Erinnerung, ein Dank, letzte Worte… dann erlebe ich so viel! Wenn ich diese Worte dann auf der Beerdigung vorlese, kommen mir manchmal selbst die Tränen.

Ich glaube es lohnt sich, dem Tod wieder mehr Raum im Leben zu geben: Zeit und Erinnerungen, Musik und Tränen.

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02MAI2024
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„Magst du mitkommen?“ frage ich meinen Neffen. Mein Neffe ist 18 Jahre und gerade bei mir zu Besuch. „Dann siehst du mal, was Pfarrerinnen so machen.“ Also sind wir zu unserem Seniorenzentrum. Es ist neu und hell. Wir wollen Herrn S. besuchen. Herr S. sitzt in seinem aufgeräumten Zimmer und liest Zeitung. Wir unterhalten uns, ein freundliches Gespräch.

„Er wusste nicht, wer du bist“, sagt mir mein Neffe, als wir wieder draußen sind. „Er hat dir drei Mal das Gleiche erzählt und du hast ihn jedes Mal ernst genommen“, sagt mein Neffe mit einer Mischung aus Irritation und Faszination in der Stimme. „Ist das dir aufgefallen?“, frage ich ihn, „Ihm fehlten auch einige Worte.“ Mein Neffe guckt mich an: „Er hat ganz schön Demenz, oder?“

Demenz ist nicht schön, weder für die Betroffenen noch für die Angehörigen. Ab irgendeinem Zeitpunkt geht es nicht mehr ohne Hilfe. Und doch können uns demenzkranke Menschen auf das eigentlich Wichtige im Leben hinweisen.

Wenn wir mit einem demenzkranken Menschen reden, müssen wir loslassen. Das Gefühl, alles im Griff haben zu müssen - loslassen. Den Anspruch, dass bei Gesprächen immer etwas herauskommen muss - loslassen. Die Überzeugung, dass Zeit Geld sei - loslassen.

Weil die gegenwärtige Lebenszeit unbezahlbar ist, unwiederholbar und unwiederbringlich. An diese kostbare Einsicht können uns Menschen mit Demenz erinnern: loslassen.

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