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SWR2 Wort zum Tag

29SEP2022
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Es fällt mir manchmal schwer, an das Gute im Menschen zu glauben. Wenn ich zum Beispiel an den Mord in Münster beim Christopher Street Day denke. Da hasst einer so sehr andere Menschen, dass er lesbische Frauen anpöbelt und einen transsexuellen Mann totschlägt, der ihnen zu Hilfe eilt. Oder wenn ich lese, wie barbarisch sich Soldaten in der Ukraine verhalten.

Diese Nachrichten machen mich wütend. Meine Wut führt eines Tages dazu, dass ich womöglich schlecht handle. Das löst bei anderen aber wieder Rachegedanken aus. Sie werden sich vermutlich stärker wehren. Und jedes Mal fällt die Reaktion heftiger und aggressiver aus.

Dieser Dynamik will ich mich entgegenstellen und mich am Guten orientieren. Es bringt mich ja auch nicht weiter, wenn ich an Rache denke oder mich vom Hass anstecken lasse. Als Christ schon gar nicht. Denn als Christ geht es mir ja auch darum, dass ich hoffe, dass Gott letzten Endes alles zum Guten führen wird. Das heißt, dass ich mich darauf verlasse, dass er als der Höchste über dem Guten und dem Bösen steht. Über beidem. Dass Menschen sich für das Böse entscheiden, ist Teil ihrer Freiheit. Und ich entscheide frei, ob ich meine Wut in den Griff bekomme oder ob ich sie auslebe.

In dieser Situation bitte ich Gott, dass er mich führt. So kann ich die Bitten im Vater Unser ja auch verstehen „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“. Ich bitte Gott, dass ich eben nicht von meinem Weg abkomme, wenn solche negativen Gefühle in mir aufkommen.

Mir hilft dazu ein altes Gebet, in dem der Erzengel Michael angerufen wird: „Heiliger Erzengel Michael, beschirme uns im Kampfe gegen die Bosheiten und Nachstellungen der bösen Feinde.“

In der christlichen Tradition ist der Erzengel Michael der, der im Auftrag Gottes das Böse überwindet. Wenn ich merke, dass meine Gedanken mehr um das Böse als um das Gute kreisen, und um das, was Menschen sich gegenseitig antun, dann bete ich dieses Gebet. So bekomme ich ein bisschen Abstand zu meiner Wut und zu diesen Leuten. Und ich bete dafür, dass sie sich zum Guten wenden. Das rückt meine Wut und meine Rachegedanken noch weiter in die Ferne. Und meine Gedanken sind bei Gott und der Vorstellung, dass das Gute über allem steht.

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SWR4 Abendgedanken

02SEP2022
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Ich habe einen Bekannten, den ich ab und zu im Pflegeheim besuche. Er ist schwer dement. Inzwischen spricht er kaum noch etwas, und das macht mich oft ratlos. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Mir fällt nichts ein, was ich sagen kann, selbst beim einfachsten Gespräch scheitere ich, weil es mir sinnlos erscheint. Ich weiß nicht, was er versteht und was überhaupt bei ihm ankommt. Manchmal bin ich da schon dankbar, wenn andere Patienten mich dann in ein Gespräch verwickeln. Aber weil sie auch dement sind, kommt das Gespräch meistens in eine Wiederholungsschleife. Wir reden dann zig-mal dasselbe. Eine Patientin fragt, ob sie bald nach Hause kann. Ich sage ihr, dass sie sich keine Sorgen über ihr zuhause machen muss. Es ist alles in Ordnung. Dann bedankt sie sich und fragt in der nächsten Sekunde, ob sie bald nach Hause kann. Und das Gespräch beginnt wieder von vorne.

Bei einer anderen Bekannten von mir ist die Demenz noch nicht so weit fortgeschritten. Sie hat gute Tage und Tage, an denen sie sehr verwirrt ist. Aber das Traurige ist, dass sie es merkt, dass etwas nicht stimmt. Manchmal erzählt sie Geschichten, die nicht stimmen können. Wenn ich sie dann schon korrigiert habe, war sie schnell tieftraurig und sehr unsicher. Ich kann mir vorstellen, dass das schwer ist, wenn ich dem nicht trauen kann, was ich sicher zu wissen glaube.

Ein Buch von Arno Geiger bringt das alles auf den Punkt. Es heißt: Der alte König in seinem Exil. Arno Geiger erzählt darin, wie er die Demenz seines Vaters erlebt und was er daraus gelernt hat. Ich finde, dass der Titel es schon auf den Punkt bringt. Ein Mensch mit Demenz lebt in einer anderen Welt, wie in einem Exil. Er ist nicht mehr bei sich zuhause und alle Kontakte, die er vorher hatte, sind in die Ferne gerückt. Wenn ich diesen Menschen in seiner Wirklichkeit besuche, bin ich zu Gast bei ihm. Es tut gut, wenn ich ihn dann wie einen König behandle. Zum einen, weil ich ihn respektiere, zum andern, weil ich anerkenne, dass er in dieser fremden Welt die Hoheit innehat. Das heißt, ich korrigiere ihn nicht, wenn er etwas sagt, was nicht sein kann, sondern ich frage nach und versuche mit ihm in seine Welt zu gehen.

Ich denke, dass ich auf diesem Gebiet noch viel lernen muss. Aber vielleicht ist das ja ein Anfang, wenn ich mit einem Menschen umgehe, der Demenz hat. Dass ich ihn wie einen König in einer Welt behandle, die mir fremd ist. Als sein Gast lasse ich mich aber darin von ihm führen. Ich habe es schon ausprobiert und manchmal sind es genau diese Momente, in denen ich so handle, in denen meine demente Bekannte wieder kurz zu sich selbst findet.

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SWR4 Abendgedanken

01SEP2022
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Irgendwie ist das Konzept „Urlaub“ seltsam. Das fängt schon damit an, dass ich merke, wie schwer es nach dem Urlaub ist, sich wieder auf den Alltag umzustellen. Da bin ich ja sicher nicht der einzige, dem es so geht. „Urlaub“ – Das Wort kommt von „Erlauben“ und hängt damit zusammen, warum ich gerne mehr davon hätte. Im Urlaub kann ich mir so vieles erlauben und genießen, was sonst nicht geht. Ich schlafe lange aus, lege meine Armbanduhr ab, weil ich keine Termine habe, und ich muss mich an keine Kleidungsordnung halten. Statt Hemd und Sakko trage ich nur T-Shirt und kurze Hosen und vor allem: keine Socken. Das ist für mich der Inbegriff dieser Freiheit, die ich im Urlaub erlebe.

Nach dem Urlaub ist erst mal Schluss mit diesen Erlaubnissen, mit dieser Freiheit. Dann geben mein Stundenplan und der Terminkalender den Takt vor. Und ich muss meine Zeit wieder effektiv einplanen, wo ich vorher sogar Langeweile als Erholungsmoment genießen konnte.

Ist Arbeit also etwas Starres, das mich total einschränkt? Und Urlaub der totale Gegensatz dazu, weil ich da völlig frei bin? In meinen Augen passt das nicht: Arbeit macht unfrei. Und ein kurzer Urlaub muss das ausgleichen. Es ist verkehrt, Arbeit und Urlaub so gegeneinander auszuspielen.

Für mich als Christ gehört die Arbeit zum Sinn meines Lebens. Sie macht mich auf eine andere Weise frei, weil ich mich bei der Arbeit verwirklichen kann, meine Fähigkeiten entdecke und erweitere. Und ich bin überzeugt, dass wir uns gegenseitig mit unserer Arbeit dienen. Ich habe ja etwas von der Arbeit der anderen – die Schuhe, die ich anziehe, habe ich ja nicht selbst gemacht. Und andere haben etwas von meiner Arbeit, weil ich als Lehrer dazu beitrage, dass es qualifizierte und kompetente Menschen in unserem Land gibt.

Wenn ich in den kommenden Tagen wieder an die Arbeit zurückkehre, will ich mich darauf freuen: Weil ich anderen Menschen mit meiner Arbeit einen Dienst erweisen und weil ich das mit anderen gemeinsam tun kann. Deshalb ist Arbeit ein Teil meines Lebens, der es wertvoll macht. Und ich will überlegen, wie ich die Freiheiten des Urlaubs so integriere, dass ich möglichst viel von meinem Urlaub im Alltag erlebe.

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SWR4 Abendgedanken

31AUG2022
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So nah und doch so fern. Wir sind nur ein paar Kilometer über die Grenze nach Salzburg gefahren und doch sind wir jetzt Gäste in einem anderen Land. Wir haben eine Freundin besucht, die mit ihrer Familie in Salzburg lebt. Ich habe das genossen. Freunde besuchen und Kurzurlaub in einem.

Dass es mir da so gefällt, liegt natürlich in erster Linie an dem Wiedersehen mit meiner Freundin und ihrer Familie. Aber ich habe auch genossen, dass ich im Ausland bin. Nach der langen Zeit, in der fast niemand reisen konnte, ahne ich jetzt, wie es für Menschen ist, die nie raus kommen.

In Salzburg war vieles so ähnlich wie zuhause. Und doch haben viele Kleinigkeiten gezeigt, dass ich im Ausland bin. Die andersfarbigen Straßenschilder oder die anderen Begriffe auf der Speisekarte im Café, wo ich Marillenkuchen mit „Schlagobers“ bestellen kann. So nah und doch so fern oder fremd eben.

Was mich beim Reisen anzieht, ist das Fremde, dem ich begegne. Wenn ich reise, will ich sehen, wie andere Menschen leben, wie sie reden, was sie essen, wie sie denken und wie sie zusammenleben. Ich lerne gerne andere Kulturen kennen. Und weg von zuhause erhole ich mich besser. Meistens komme ich bereichert zurück und denke, es wäre in vielen Situationen gut, wenn ich ein bisschen österreichischer, spanischer oder italienischer sein könnte. Ich lebe gerne in Deutschland und bin froh, dass ich hier zuhause bin. Aber es gibt Tage, da bin ich antriebslos und könnte einen Schuss spanisches Temperament vertragen, und Tage, da würde italienischer Chic meinen Alltag veredeln. Dieses Mal in Salzburg habe ich Menschen erlebt, die so freundlich waren, dass ich mich als Gast erhaben gefühlt habe. So galant und freundlich will ich meine Gäste künftig auch empfangen.

Wenn ich auf Reisen fremde Welten kennenlerne, habe ich noch etwas davon, wenn ich wieder zuhause ankomme. Ich übernehme davon gerne Impulse und Ideen in mein Leben und meinen Alltag. Deshalb bin ich dankbar, dass unsere Welt so viele unterschiedliche Kulturen hat und will offen sein, viele von ihnen kennenzulernen. Das geht ja nicht nur, wenn ich in andere Länder reise. Das geht auch umgekehrt. Wenn ich zuhause bin und auf Menschen treffe, die aus anderen Kulturen zu uns kommen. Da kann ich ihnen ja genauso mit offenem Interesse begegnen, ihre Lebensart kennenlernen und mich davon ansprechen lassen. Als ob ich auf Reisen wäre.

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SWR4 Abendgedanken

30AUG2022
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Als Jugendlicher habe ich ein Lied sehr gerne gesungen: „Do not be afraid“ – „Fürchte Dich nicht“. Es heißt dort weiter: „Fürchte Dich nicht, ich habe Dich erlöst.“ Ich habe Dich beim Namen gerufen, Du gehörst zu mir.“  Es geht in dem Lied darum, dass Gott alles dafür tut, dass es mir gut geht und dass ich bei ihm sein kann. Für mich ist das ein großer Trost. Und den brauche ich gerade besonders. Ich muss oft zum Arzt, weil ein Tumor kontrolliert werden muss. Jedes Mal sitze ich dann mit einem mulmigen Gefühl im Wartezimmer. Manchmal hab ich richtig Angst. Da hilft es mir, wenn ich in Gedanken dieses Lied singe.

Das Lied geht auf eine Bibelstelle aus dem Alten Testament zurück. Dort heißt es im Buch Jesaja, dass Gott mich tragen wird, selbst wenn ich durch Feuerqualen muss. Meine gesundheitlichen Sorgen sind für mich so eine Feuerprobe.

Als ich das Lied letztes Mal im Wartezimmer wieder so in Gedanken durchgegangen bin, ist es mir auch etwas seltsam vorgekommen. Ich bin ein erwachsener Mann. Und ich soll mich jetzt wieder wie ein kleines Kind tragen lassen, wenn es schwer wird? Ich habe mich gefragt, ob das nicht ein Zeichen ist, dass ich mich in kindliche Welten zurücksehne. Ich will mich ja der Realität stellen, wie es als Erwachsener angemessen wäre.

Psychologen sagen, dass beides möglich und richtig ist. Gerade wenn ich mich als Erwachsener der Realität stelle, gilt es auf das zu achten, was sie als das „innere Kind“ bezeichnen. Dieses „innere Kind“ steht nicht für eine Flucht in die Kindheit. Es geht eher darum, dass ich auch als Erwachsener Bedürfnisse habe wie ein Kind, vor allem in so einer Krise: Ich will getröstet werden und brauche jemanden, der mir sagt, dass alles gut wird. Die Vorstellung gefällt mir: Ich will dieses innere Kind bewusst dabei haben, wenn ich mich der Realität stelle. Wenn ich in Gedanken das innere Kind an der Hand nehme und auf seine Bedürfnisse eingehe, komme ich sogar besser mit der Realität klar. Konkret heißt das, dass ich meiner Familie und meinen Freunden zeige, dass ich Angst habe und Trost brauche. Wenn sie mich trösten, dann nehmen sie mein inneres Kind nicht nur an der Hand. Sie nehmen mein inneres Kind auf den Arm und tragen es.

Wie schön! Und wie gut mir das tut! Es zeigt, dass ich auch als Erwachsener in schwierigen Zeiten nicht alles selbst und mit kühlem Kopf leisten muss. Es gibt andere, die mich tragen. Dafür bin ich dankbar. Weil ich geborgen bin in einer familiären Liebe. Wie der Vater, der vom Sohn getragen wird, wenn er selbst nicht weiterkann. Wie Gott, der mit mir singt: Do not be afraid!

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SWR4 Abendgedanken

29AUG2022
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Verrate ich als Christ meine Religion, wenn Yoga mache? Abends nach der Arbeit genieße ich die Zeit, in der ich gemeinsam mit anderen diese Übungen mache, die mich immer wieder neu und anders herausfordern. Die Stunde folgt einem festen Ritual und hat irgendwie auch religiöse Züge.

Das fängt schon bei der Atmosphäre des Studios an: Im Hintergrund läuft eine ruhige Musik aus fernöstlicher Kultur, die Menschen dort wirken entspannt und freundlich. Vorne seht mit brennenden Duftkerzen eine Buddha-Statue. Ich mache meine Übungen vor dieser Buddha-Statue, obwohl ich kein Buddhist bin. Aber die Trainer, die die Anleitungen geben, sind so freundlich und strahlen eine innere Ruhe aus, dass ich mich wohlfühle und am richtigen Platz. Dazu kommt, dass sie so gelassen mit mir umgehen. Wenn ich meine Übungen so perfekt machen will, dass ich dabei beinahe verkrampfe, ermuntern sie mich, dass ich sie nur so machen soll, wie sie heute machbar sind für mich. Bei anderen Übungen helfen sie sanft mit einer Stütze nach, dass ich mich mehr dehnen und strecken kann. Insgesamt eine Atmosphäre, in der ich mich wohlfühle, weil ich gefordert bin, aber nicht gestresst, sondern entspannt. Das alles wirkt erlösend auf mich: Ich muss nicht perfekt sein.

Der religiöse Zug spitzt sich zu in der Atemmeditation am Ende. Spätestens bei diesem Schlussritual, wenn ich mich so richtig wohl und entspannt gefühlt habe, ist mir vor allem eines klar geworden: Ich bin überzeugt, dass es nicht die eine wahre Religion oder Weltanschauung gibt. Auch wenn ich daran glaube, dass Jesus für die Wahrheit steht. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es in allen Religionen und Weltanschauungen etwas Wahres gibt. So wie es dort immer auch etwas gibt, was ich kritisch finde. Zum Beispiel finde ich den buddhistischen Gedanken schwierig, dass die Menschen nach dem Tod so lange wiedergeboren werden, bis sie sich die Erlösung verdient haben. Da ist die Botschaft Jesu viel befreiender, dass Gott meine Erlösung will und sie mir schenkt. Aber daran wird auch deutlich. Es geht um das, was erlöst. Und wo ich das Erlösende finde, ist es im Sinne Jesu. Auch im Yoga bin ich ja nicht gegen Jesus, sondern mit ihm und bei dem, was er gewollt hat.

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SWR2 Wort zum Tag

20AUG2022
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„Yes we can“ – Barack Obama hat mit diesem kleinen Satz viele Menschen begeistert. Nicht nur in Amerika, sondern weltweit. Wenn ein Mensch so eine Begeisterung bei anderen Menschen auslöst und sie für sich oder für seine Sache begeistert, das ist beeindruckend.

Mich haben früher einzelne Lehrer an der Universität so fasziniert, dass ich ihre Thesen begeistert und vehement verteidigt habe, wenn ich in eine Diskussion gekommen bin. Aber so eine Faszination kann auch gefährlich sein. Bei Bernhard von Clairvaux ist das so. Heute ist sein Heiligengedenktag. Meine Begeisterung für ihn ist durchaus zwiespältig.

Bernhard von Clairvaux ist um 1090 geboren. Als er mit Mitte 20 ins Kloster eintritt, bringt er gleich dreißig Verwandte und Freunde mit, die auch Mönche werden wollen. Insgesamt hat er im Lauf seines Lebens über 200 neue Mönche gewonnen und 68 Klöster gegründet. Er muss sehr beliebt gewesen sein, mit einem starken Einfluss auf die Menschen, die ihn getroffen haben. Er hat sicherlich viele begeistert. Das zeigen für mich Texte, die er verfasst hat. Einem seiner Schüler, der später Papst wurde, schreibt er klug und lebensnah, dass er sich auch um sich selbst kümmern muss, wenn er sein Amt gut ausführen will.

Aus heutiger Sicht gibt es allerdings Aspekte, die ich bedenklich finde. Zum Beispiel hat Bernhard zu seiner Zeit die Leute für die Kreuzzüge begeistert und Soldaten und Kämpfer geworben. Dabei hat er die Idee entwickelt, dass ein Soldat für das Töten von andersgläubigen von Gott belohnt wird. Das klingt aus heutiger Sicht abstrus. Aber gerade, weil ich es heute mit Abstand betrachten kann, wird für mich deutlich, dass ich bei Menschen vorsichtig sein will, die mich schnell faszinieren.

Wenn ich begeistert bin, ist das eine schöne Sache. Ich fühle mich sehr lebendig und stark und ich freue mich an meiner Bereitschaft, mich für eine Sache einzusetzen und etwas zu verändern auf der Welt. Aber das ist nicht alles und womöglich nicht das, worauf es ankommt. Ich will versuchen, dass ich dabei immer auch kritisch hinterfrage.

Der Knackpunkt, um den es dabei in meinen Augen immer geht, ist die Sache, für die ich mich begeistere und einsetze. Sie muss für mich als Christ stets zu dem passen, was Jesus gesagt hat. Ihm ging es darum, dass alle Menschen ein gutes und gelingendes Leben führen können. Nicht auf Kosten der anderen, aber immer zur Entfaltung des Lebens für viele.

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SWR2 Wort zum Tag

19AUG2022
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Es ist schon über zwanzig Jahre her. Aber es beschäftigt mich immer noch, obwohl ich es nur aus der Distanz mitbekommen habe. In meiner Heimatstadt ist damals ein junger Mann an AIDS gestorben. Die Ärzte waren machtlos gegen diesen Krankheitskomplex. Die Menschen sind jämmerlich daran gestorben. Was aber noch dazu gekommen ist: die Scham. Bei dem jungen Mann war es für seine Familie so beschämend, dass sie offiziell nur von einer Infektionskrankheit gesprochen haben, mit der er sich bei einer Reise angesteckt hat.

Ich finde das traurig und ärgerlich. Es ist doch schon schlimm, wenn Menschen von einer Krankheit gequält sterben. Dass sie sich dann noch dafür schämen müssen, vervielfacht das Leid.

Dabei gab es immer solche Krankheiten, die von den Menschen so moralisch eingestuft wurden. Als ob der Erkrankte deshalb ein schlechter Mensch  ist, weil er sich angesteckt hat: Syphilis, Tuberkulose und HIV. Auch bei Covid habe ich diese Haltung teilweise beobachtet. Und die Affenpocken, die aktuell grassieren, haben auch das Potential dazu. Man redet dann oft davon, dass die Erkrankten sich die Krankheit „geholt“ haben. Dabei sind Krankheiten nichts, was man sich holt. Sie machen keinen moralischen Unterschied. Und gerade bei Covid habe ich es gemerkt. Ich kann mich zwar schützen. Aber ich habe keine hundertprozentige Garantie, ob ich mich nicht doch anstecke. Und die Krankenschwester erst recht nicht, die sich in ihrem Beruf ansteckt. Moral ist hier fehl am Platz.

Das alles war schon zur Zeit Jesu so. Damals haben die Menschen auch gedacht, dass Krankheiten wie Aussatz oder Lähmungen und Blindheit Leiden sind, die man sich „holt“. Man hat gedacht, die Menschen sind krank, weil sie gesündigt haben, und hat sie ausgestoßen und geächtet.

Jesus hat das ganz anders gemacht. Er hat die Nähe der kranken Menschen gesucht. Anstatt Körperkontakt zu vermeiden, berührt er z.B. die Augen eines Blinden oder bietet einem Gelähmten die Hand an. Und er hebelt die moralische Sicht auf die Krankheit aus und sagt den Kranken, dass ihre Sünden doch schon vergeben sind.

Daran will ich mich orientieren. Wenn es z.B. in der politischen Diskussion darum geht, ob bestimmte Krankheiten selbstverschuldet sind und die Erkrankten deshalb auch die Behandlung selbst bezahlen sollen. Ich finde, dass wir alle füreinander einstehen sollen, besonders für die Kranken. Ohne Unterschied, wie sie zu ihrer Krankheit gekommen sind. Keiner soll sich für seine Krankheit schämen müssen. Was kranke Menschen brauchen, ist nicht Moral, sondern Menschen, die bei ihnen sind, ihre Hand halten und sie trösten. 

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SWR2 Wort zum Tag

18AUG2022
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"Namaste“ – Wer Yoga macht, kennt diesen Gruß. Die Hände vor dem Herz gefaltet, verneigt man sich vor den anderen und sagt diesen Gruß: „Namaste“. Ich habe das oft mitgemacht. Ohne zu wissen, was es bedeutet. Bis einmal eine Kursleiterin die Übersetzung dazu gesagt hat: „Namaste – Das Höchste in mir neigt sich vor dem Höchsten in Dir“. Kaum zu glauben, dass ein Wort so viel bedeutet: „Das Höchste in mir neigt sich vor dem Höchsten in Dir.“

Das hat bei mir Klick gemacht. Und ich habe mich gefragt: „Was ist denn das Höchste in mir?“. Ich habe meine Stärken, aber wie jeder andere habe ich Schwächen und Fehler. Wenn es aber so ein „Höchstes in mir“ gibt, würde ich schon gerne wissen, was das ist.

Seit einigen Jahren beschäftige ich mich mit der Lehre von Meister Eckhart. Bei ihm habe ich etwas gefunden, das mir hilft, diese Frage zu beantworten. Meister Eckhart war Mönch und Theologe. Ihm ging es in erster Linie darum, einen Weg zu finden, wie er mit Gott vereinigt sein könnte. Für ihn war klar: Es muss für jeden Menschen so einen Weg geben. Wer ihn findet und sich mit Gott vereinigt, für den ist das das größte Glück. Also: Das Höchste. Für uns heute klingt das eigenartig, sehr fromm. Ich stelle mir unter dem größten Glück einen Zustand oder ein Erlebnis vor, wie ich es kenne, wenn ich total verliebt bin, oder wenn ich mich in meine Arbeit vertiefe und irgendwie alles rund läuft oder das Glück eines besonderen Urlaubserlebnisses.

Meister Eckhart hat seinen Weg zu diesem Glück gefunden. Das Schöne daran ist, dass das jeder Mensch erleben kann. Meister Eckhart sieht die Wurzel für dieses Glückserlebnis im Inneren jedes Menschen. Für ihn ist Gott wie ein Feuer, das Funken sprüht. Und er geht davon aus, dass in jedem Menschen so ein Funke brennt. Und weil jeder Mensch etwas von Gott in sich hat, ist er für Meister Eckhart ihm auch ähnlich.

Wenn das so ist, dann verbindet mich dieser Funke in meinen tiefsten Momenten mit Gott, aber auch mit jedem Menschen, da dieses Feuer in allen Menschen ist. Ich mag diesen Gedanken sehr. Wenn ich mich am Ende des Yogatrainings von den anderen verabschiede, denke ich an diesen Gottesfunken in jedem von uns. Und das verändert meinen Blick auf die anderen Menschen. Sie haben alles etwas Großes, Besonderes an sich.

Das gilt nicht nur im Yoga. Wenn ich eine Auseinandersetzung mit einem anderen habe, hilft es mir, zwischen der Sache und dem Menschen zu trennen. In der Sache können wir streiten. Als Person schulde ich ihm Respekt. Aber auch, wenn wir nicht streiten und gemeinsam an einem Projekt arbeiten, ein Fest planen z.B., und dann zusammen glückliche Momente erleben: Der Gottesfunke verbindet uns alle als das Höchste in uns. Namaste – Das Höchste in mir neigt sich vor dem Höchsten in Dir.

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SWR4 Abendgedanken

22JUL2022
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Ich habe sie schon fast vergessen. Erst als sie vor kurzem den Karlspreis der Stadt Aachen bekommen haben, habe ich mich wieder mit ihnen beschäftigt: Maria Kalesnikava, Swetlana Tichanowskaja und Veronica Tsepkalo. Die drei Frauen, die sich in Belarus in der Opposition kämpfen und verfolgt werden. Sie setzten sich dafür ein, dass ihr Volk von der Diktatur befreit wird und seine Regierung demokratisch wählen kann.

Maria Kalesnikava ist eigentlich Musikerin und hat in meiner Heimatstadt Stuttgart gelebt. Weil sie sich für ihr Volk eingesetzt hat, ist sie im Wahlkampf nach Belarus gegangen, wo sie verhaftet und zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Swetlana Tichanowskaja war Hausfrau und Mutter. Ihr Mann wollte für die Präsidentschaft kandidieren. Das Regime in Belarus hat ihm das verweigert und ihn verhaften lassen. Sein Urteil lautet auf 18 Jahre Haft. Seine Frau Swetlana hält weiter zu ihm und kämpft jetzt an seiner Stelle. Es hat mich betroffen gemacht, als ich gehört habe, wie sie ihren Kindern beibringen musste, dass ihr Vater im Gefängnis sitzt. Nachdem sie auch kurze Zeit in Haft war und ihre Kinder in ein Waisenhaus gebracht wurden, gelang ihr die Flucht nach Litauen. Sie konnte sogar ihre Kinder außer Landes bringen.

Auch die dritte unter ihnen, Veronica Tsepkalo, musste das Land verlassen, weil sie sich mit ihrem Mann für freie Wahlen einsetzt. Auch bei ihr wurde die ganze Familie von der Regierung unter Druck gesetzt. Ihre Mutter wurde, selbst als sie im Krankenhaus im Sterben lag, noch drangsaliert und durfte bis zuletzt fast keinen Besuch bekommen.

Ich finde diese drei Frauen beeindruckend. Sie wollen keine Rache, obwohl die Handlager des belarussischen Regimes ihnen und ihren Familien großes Leid zufügen. Sie wollen Freiheit für ihr Volk. Und das mit friedlichen Mitteln.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat sie als die drei mutigsten Frauen Europas bezeichnet. Ich finde sie aber nicht nur mutig, sie sind für mich nah dran an dem, was Jesus gewollt hat. Er hat auch von einer Gesellschaft gesprochen, von einem „Reich Gottes“, in dem jeder einzelne Mensch frei leben und sich entfalten kann. 

Nach dem Tod Jesu sind es auch drei Frauen, die an seinem Grab die Entdeckung machen, dass Gott stärker ist als die Gewalt derer, die scheinbar die Macht haben. Die drei Frauen in Belarus erinnern mich an diese drei Frauen: Sie stehen ein für das Leben.

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