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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

29JUN2022
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Spontan sein ist manchmal alles andere als gut. Bei meinem Friseur bekomme ich mit, dass eine Kundin kurzfristig einen Termin absagt. Sehr kurzfristig und leider hat sie das schon mehrmals gemacht.

Beim ersten Mal war mein Friseur noch nachsichtig, jetzt aber, als es sich wiederholt hat, ist er sehr verärgert. Er hat sich die Zeit freigehalten und jetzt hat er einen Arbeitsausfall. Waschen, Färben, Stylen - mindestens zwei, drei Stunden fallen weg, die nicht ganz so einfach ersetzt werden können. Er hat zwar eine Warteliste, aber nicht jedem gelingt es, spontan vorbeischauen. Vor allem nicht, wenn der Termin zwei Stunden vorher abgesagt wird. Und wer keinen Kunden hat, kann nicht arbeiten und entsprechend auch nichts verdienen. Er ist verärgert und ich fühle mit ihm. So lässt sich schlecht arbeiten.

Ich verstehe mich gut mit meinem Friseur.  Und so erzählt er mir, was ihn noch mehr verärgert: Nämlich, dass die Kundin etwas unbedarft ist. Sie sieht nämlich keinen Fehler bei sich selbst. Diverse Umstände machen es ihr einfach nicht möglich vorbeizukommen. Sie sieht nur sich, denkt nur an die eigenen Probleme. Nicht die des anderen. Deshalb gibt es auch keine Entschuldigung von ihr, nur Ausreden.

Ich versuche ihn zu beruhigen und versuche mich in die Kundin hineinzuversetzen. Denn manchmal kommt ja wirklich viel zusammen, und man muss Termine absagen. Man hat Stress und muss sich um sich selbst kümmern. Da vergisst man leicht den anderen und denkt auch nicht immer daran, sich zu entschuldigen. Vielleicht hat so die Kundin gedacht.

Mein Friseur gesteht, dass er das ja auch nachvollziehen kann: Jeder kann mal schlechte Zeiten haben. Aber das ist nicht der Punkt. Es hätte ihm geholfen, wenn sie einfach „Hey sorry, mir geht’s grad echt nicht gut. Können wir verschieben“ gesagt hätte. Die langen Ausreden sind für ihn das Schlimme gewesen.

Und wieder einmal nehme ich von meinem Friseur mehr mit als einen neuen Haarschnitt: Nämlich, dass das Zusammenleben in unserer Gesellschaft besser abläuft, wenn ich in solchen Fällen nicht nach Ausreden suche, sondern mich einfach entschuldige. Und ich dann danach mit meinem Gegenüber gemeinsam schaue, wie wir zusammen weitermachen können.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28JUN2022
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Aus dem Alltag raus und ein paar Minuten fürs Paar. Diese Idee steckt hinter den sogenannten „PAAR-Minuten“. Das ist ein kleines Karten-Spiel für Paare, um sich mal wieder gegenseitig etwas Gutes oder Spaßiges zu gönnen. Einfach so und zwischendurch. Auf so einer Karte steht dann beispielsweise: „Das hat mich von Anfang an an dir begeistert!“ und dann können sich beide Partner etwas schmeicheln. Und auf einer anderen Karte steht die Frage: „Was ist für dich das Schönste an unserer Liebesgeschichte?“

Die Karten sind mir wegen des Titels aufgefallen: „PAAR Minuten“, ein netter Wortwitz. Das Paar bezieht sich auf das Pärchen, aber eben auch auf die Zeit, ein paar Minuten. Und die Idee dahinter mittels Karten kleine auffrischende Impulse für meine Beziehung zu erhalten, gefällt mir. Von immer mehr Leuten bekomme ich nämlich mit, dass ihre Beziehung nicht mehr das ist, was sie mal war. Der Lack ist ab…

Auch ich merke: Mein Tagesablauf ist von Kind und Arbeit ziemlich getaktet. Und wenn dann noch ein bisschen Zeit für mich bleibt: Hurra! Und Zeit mit meinem Partner? Als Familie mit Kleinkind machen wir viel zusammen. Aber traute Zweisamkeit, ohne dass irgendwas noch organisiert oder im Haushalt gemacht werden muss, diese Zeit ist schon sehr rar.

Und ich spüre, ich brauche auch Paar-Minuten. Zeit für mich und meinen Partner, damit wir uns nicht verkanten oder uns plötzlich nichts mehr zu sagen haben und zu bloßen Gegenständen unseres Alltags werden. Was da eben helfen kann, ist den Blick zu weiten und Impulse von außen zu sammeln. Um aus einem Trott rauszukommen braucht es manchmal eben auch Hilfe von auswärts. Warum also nicht auch in Form solcher Karten für zwischendurch? Anhand von Fragen einfach kurz über Dinge quatschen, auf die wir von alleine nicht gekommen wären.

Zum Beispiel nochmal über unsere Anfangszeit und das Kennenlernen plaudern und dann mal die Frage stellen, welchem Freund oder welcher Freundin hat man damals am meisten davon erzählt?

Oder sich an vergangene schöne Erlebnisse erinnern. Wir denken da gerne an unsere Reisen zurück und versuchen dann eine Liste zu erstellen, welches die schönsten Momente oder Erlebnisse waren, was lustig war oder was so richtig unschön gewesen ist. Manchmal ist das besser als Urlaubsfotos anzuschauen.

Mir ist jedenfalls wichtig, dass wir uns in unserer Beziehung umeinander bemühen. Und uns immer wieder bewusst machen, dass der Andere nicht selbstverständlich ist und ja auch gehen könnte. Beziehung ist Arbeit. Ja. Aber dafür sind PAAR-Minuten die schönste Arbeitszeit.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27JUN2022
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Meine Freundin Eva ruft an und fragt mich hastig: „Hast du Platz in deiner Kühltruhe?“. Ich sage ihr: „Nur bedingt“, und schon erzählt sie weiter, dass in einem Supermarkt eine Kühltruhe ausgelaufen ist und dass sie mir in einer Stunde ein paar Tiefkühl-Sachen vorbeibringt.

Eva ist nämlich „Lebensmittelretterin“ und macht bei einem Foodsharing-Programm mit. Das heißt, gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten sammelt sie Lebensmittel bei Betrieben oder Unternehmen ein, die aussortiert werden oder nicht mehr verkäuflich sind. Sie machen das mit dem Ziel, dass die Sachen nicht weggeworfen werden müssen, wenn sie noch genießbar sind. Und wie der Name Foodsharing, also Essen-Teilen, schon verrät, werden die Lebensmittel dann mit anderen geteilt beziehungsweise an Freunde und Bekannte weitergegeben.

Ihre Gruppe hat sich organisiert und ist inzwischen bei Restaurants, Bäckereien, Supermärkten und anderen Einrichtungen bekannt. Sie dürfen regelmäßig vorbeischauen und einsammeln. Und da kommt ganz schön was zusammen. Mich macht das immer wieder stutzig, was meine Freundin da so alles zusammensammelt und was sonst auf dem Müll landen würde.

Zuhause habe ich es tatsächlich geschafft, dass ich nur noch sehr sehr selten etwas wegwerfen muss. Mal eine gekippte Milch oder ein versteckt gelegener Apfel, der matschig geworden ist. Ich bemühe mich darum, nur so viel dazuhaben, wie ich auch brauche. Und Essensreste stelle ich in den Kühlschrank und esse sie am nächsten Tag auf.

Meiner Freundin nehme ich dennoch gerne etwas ab, auch wenn das bedeutet, dass ich meinen Essensplan für die nächsten Tage umstellen muss.

Für mich haben Lebensmittel einen Wert. Gott hat uns eine reichlich bestückte Erde geschenkt mit dem Auftrag „füllt die Erde … und waltet“ (Gen 1,28). So steht es in der Schöpfungsgeschichte, deshalb gehört es für mich eben auch dazu, dass mit diesem Geschenk sorgsam und nachhaltig umgegangen wird (Gen 2,15). Lebensmittel wegzuwerfen, weil sie übrig sind, kann deshalb keine Option sein. Ein vorbildliches Verhalten gerade für Christen wäre doch, mit den Gaben der Natur so umzugehen, dass nichts unnötig zerstört und weggeworfen werden muss.

Ich unterstütze also meine Freundin gern. Wünsche mir aber auch, dass die Unternehmen und Betriebe es gar nicht so weit kommen lassen müssen. Also, dass ein Bäcker beispielsweise am Ende des Tages nicht einen Haufen Brötchen loswerden muss. Weil die Nachfrage nach etwas Frischgebackenem auch um 17 Uhr noch da ist. Es hilft, wenn ich mich selbst da ein bisschen zurücknehme. Eben auch mal verzichte, wenn es nicht unbedingt nötig ist.

Und wenn das hilft, dass mit der Erde, die uns Gott geschenkt hat, sorgsamer umgegangen wird, mach ich es gerne. Hauptsache sie bleibt uns erhalten.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

26JUN2022
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Ein Glockenschlag sagt manchmal mehr als tausend Worte! Immer wieder habe ich diesen Gedanken, wenn ich die Chance habe, mich ganz auf den Klang einer Glocke einzulassen. Etwa wenn ich ihn bei einer Schweigeminute höre. Oder wenn ich nach einem Wochenende in der Natur, am Sonntag nach Hause komme und dann als erste laute Töne die Kirchenglocken höre. Schon ein Glockenschlag wirkt dann einfach. Ich fühl mich begrüßt und wieder zu Hause.

Die Töne verschiedener Glocken lösen unterschiedliche Gefühle in mir aus: Nachdenkliche bei einer Schweigeminute, glückliche bei einer Hochzeit oder beruhigende am Abend, wenn ich entspanne. Sie vermitteln mir einfach mehr, als mir ein Mensch in einer Botschaft vermitteln kann.

Sehr anregend finde ich deshalb das Glocken-Kunstprojekt des Musikers Michael Patrick Kelly. Bekannter ist er den meisten wahrscheinlich als „Paddy“ Kelly von der Kelly Family.

2018 hat er damit begonnen aus alten Waffen und Munition Glocken zu gießen. Er hatte nämlich gelesen, dass zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg etwa 150.000 Glocken beschlagnahmt wurden, um sie einzuschmelzen und daraus Waffen zu fertigen.

„Paddy“ Kelly macht es nun umgekehrt: Aus Waffen lässt er wieder Glocken entstehen. Eine trägt den folgenden Bibelvers als Aufschrift: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden … und sie erlernen nicht mehr den Krieg“ (vgl. Micha 4,3).

Kelly nennt seine Glocken „Peacebells“, also Friedensglocken. Sie sollen sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt symbolisieren. Und ihr Klang soll dazu ermutigen Positives zu bewirken. Auf seinen Konzerten hat er inzwischen immer auch eine Peacebell dabei und läutet dann eine Schweigeminute für den Frieden ein.

Ich kann diesem Kunstprojekt viel abgewinnen. Eine Waffe verletzt einen Menschen wenn sie ihn durchdringt. Eine Glocke ist anders. Ihr Klang kann mein Innenleben bewegen. Ich kann mit ihr mitschwingen und runterkommen, Frieden finden.

Glockenschläge können aber auch unser Innenleben ausdrücken und weitertragen, was gerade bewegt, etwa bei einer Hochzeit, wenn allen nach Jubeln zu Mute ist.

Und sie können mahnen und erinnern. Dass wir als Menschen vergänglich sind. Dass es wichtig ist zusammenzuhalten und Frieden zu schaffen. So wie es sich Michael Patrick Kelly wünscht. Und so wie ich es mir für die Kriege und Probleme unserer Zeit wünsche.

Manchmal schwingt in einem Glockenschlag so viel Frieden mit, der nicht extra in Worte gegossen werden muss.

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SWR1 Begegnungen

19JUN2022
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David Bošnjak und Sabine WInkler

Mein Gesprächspartner ist der Deutsch-Rapper David Bošnjak, auch besser unter dem Namen HAZE bekannt. HAZE bekennt sich als Kroate, und das, obwohl er in Deutschland geboren und aufgewachsen ist. Man merkt das auch daran, wie er spricht, da ist ein gewisser kroatischer Zungenschlag nicht zu leugnen, gepaart mit badischen Einflüssen.
Das Deutsche und Kroatische in ihm findet auch immer wieder rein in seine Songs. Für mich klingt das nach zwei Heimaten in einer Seele. Und tatsächlich ist das etwas, das David sehr beschäftigt: Heimat und Identität.

Meine Eltern haben sehr viel Wert daraufgelegt, dass wir oft in die Heimat gefahren sind. Und dass wir die Sprache beherrschen, dass das unsere Muttersprache ist, dass wir zu Hause nur Kroatisch sprechen. Als zweite und dritte Generation ist es halt immer schwieriger. Ich bin heut auch Vater von zwei Kindern und ich merke, wie schwer das ist, den Kindern klarzumachen, was Muttersprache ist, weil sie halt in Deutschland geboren und aufgewachsen.

David Bošnjak hat sich als HAZE in der deutschen Rap-Szene einen Namen gemacht. Seine Songs weisen zum Teil 7-stellige Klickzahlen auf. Sein Still ist geprägt vom amerikanischen Rapper Eminem und eher „alte Schule“, verknüpft mit kroatischen Einflüssen.
Bošnjak ist ein Vollblut-Musiker, spielt Gitarre und produziert viele seiner Sounds selbst. In der Familie wurde ihm da viel mitgegeben, Vater und Tante sind ebenfalls Musiker. Thematisch greift er auf, was ihn beschäftigt und versucht es dann von allen Seiten zu beleuchten. Dabei wird er nicht selten tiefgründig. So auch in dem Song „Alpha und Omega“:

Es geht da um, ganz plump gesagt, um Gut und Böse und den Kampf zwischen den beiden auf dieser Welt. Es geht um die Vergangenheit, die einen nicht ruhen lässt und immer wieder zurückzieht und auch... im Endeffekt trotzdem einfach der Glaube, der die Hoffnung verspricht, dass du all die Sünden wieder loswerden kannst, im Prinzip…

Sünde, Reue, Hoffnung, Neuanfang – David buchstabiert es in dieser Single aus, auf seine Art. Dort heißt es beispielsweise:

Auf einmal sagt ne Stimme mir: „Was tust du? Vergebung verlangt nach Buße. In dir schlummert noch viel Gutes und Geduld ist eine Tugend.

Denn es ist noch nicht getan mit all den Sünden deiner Jugend.“  

Man muss halt zwischen den Zeilen lesen. Es ist immer sehr zwiegespalten: Identität, Heimat, Glaube, Gut und Böse (also, es ist echt immer so.) Es gibt einfach immer zwei Seiten der Medaille, und ich versuche auch beide Seiten immer darzustellen.

Nicht jeder Song beschäftigt sich so explizit mit religiösen Themen. Allerdings hat es die Frage „Wie umgehen mit Schuld“ David angetan.

Ich bin der Meinung, dass wir hier auf der Erde schon Buße tun, für das, was wir in der Vergangenheit falsch gemacht haben. Wir müssen hier schon vieles wieder gutmachen, was schiefgelaufen ist, bevor wir überhaupt ins Antlitz Gottes schauen, glaub ich. Weil jeder macht Fehler, aber man muss halt auch mal um Verzeihung bitten, ne? Ohne das gib‘s, keine Veränderung, einfach. Ist auch voll das schwierige Thema eigentlich für Rap-Musik.

David scheut sich nicht von eigenen negativen Erfahrungen in seinen Songs zu berichten. Auch, wenn er für Manches nicht selbst die Schuld trägt. Aber gerade deshalb hat er eine Botschaft:

Man muss lernen, dass Positive im Negativen zu sehen, weil das Negative wird immer um dich herum sein. Nur wenn du dich davon so sehr einnehmen lässt, dass du die ganze Zeit denkst, fuck, jetzt geht’s nicht weiter … Man muss auch wissen, wie man damit umgeht, halt.

David Bošnjak ist Deutsch-Rapper mit kroatischen Wurzeln. Etwas, das ihn sehr geprägt hat. Nicht nur musikalisch, sondern auch thematisch. 
Seine Songs sind keine Gute-Laune-Songs, eher melancholisch und düster. Er thematisiert soziale Ungerechtigkeiten, das, was für ihn Heimat ist und auch, wie er sich identifiziert. Klischée-Rap-Themen wie sexualisierte Frauenbilder und Gewaltverherrlichung sind bei ihm fehl am Platz:

Ich versuche, diese typischen Klischees einfach auf Herz und Nieren zu prüfen lassen und zu gucken. Wo könnte des herkommen? Ich sehe das, glaube ich, viel komplexer als die meisten anderen Rapper oder meine Kollegen, sage ich mal.

Stattdessen berichtet er aus dem eigenen Leben, komplex und tiefsinnig. Außerdem haben ihn seine kroatischen Wurzeln geprägt und dazu zählt auch der katholische Glaube.

Ich glaube, mein Glauben hat sich erst gefestigt, als ich angefangen habe, diese Sachen in Musik zu schreiben. Ich habe auch auf den Weg einfach noch ein paar andere Sachen mitbekommen, die sich mit Glauben so gar nicht vereinbaren lassen. Aber die existieren, und ich kann mir nur Gedanken machen dazu und meinen Beitrag dazu geben.

Und ein Beitrag ist eben auch, dass er seinen Glauben an seine Kinder weitergibt. Vor dem Essen wird zum Beispiel gebetet. Er verrät mir, dass viele seiner Kollegen auch sehr gläubig sind und teilweise sogar fünfmal am Tag beten. Allerdings ist die Rap-Szene hart und nicht einfach.
Eigentlich ist sie ein Ort künstlerischen Ausdruckes. Wer bin ich? Und wie kann ich mich behaupten? Das sind zentrale Fragen, die zu einem wetteifern von Sprayern, Breakdancern, DJs und Rappern führen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist allerdings in Deutschland thematisch noch etwas hinzugekommen: Eine Faszination für kriminelle Handlungen und Gewalt.  Und die Musik ist nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Darunter geht es anders zu und man muss sich entscheiden, wie man handeln möchte. Fällt man in den Sumpf oder nicht.

Man achtet schon auf seine unsterbliche Seele in dieser Szene, weil die Szene ist, ein kleiner Bruchteil von etwas… Das ist das, was diese ganze Welt nach außen trägt, in Form von ein paar Liedern und tollen Videos. Was die Jugend wiederum verführt, das auch nachzumachen, ohne den klarzumachen, was Ursprung ist, und was Konsequenzen sind. Und das beißt sich.

Müsste man nicht mehr auf Konsequenzen und derlei hinweisen frage ich.

Normalerweise schon, aber des verkauft sich nicht so gut.

Eine harte Welt, der Bošnjak da angehört. Dennoch hat er das für sich reflektiert und einen Weg gefunden:  

Man muss sich die Frage stellen, wofür mache ich diese Sache? Ist es der Traum, den ich hier lebe? Und will ich den Ruhm ziehen und berühmt werden, koste es, was es wolle oder sich erden und zurückbesinnen auf das, wo man angefangen hat, damit man einfach nicht vergisst, wo man herkommt.

 

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SWR1 Begegnungen

26MAI2022
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Fabian Neidhardt Foto: Daniel Gebhardt-Fodor

Sabine Winkler trifft Fabian Neidhardt, Schriftsteller

TEIL 1

Wenn Fabian Neidhardt keine Texte oder Bücher schreibt, dann spricht er im Radio, hält Vorträge, macht Poetry Slams… oder er wird gebucht, um mit Menschen zusammenzuarbeiten, z.B. mit Schulklassen. Was würde denn so ein Teilnehmer über ihn sagen?

Lebendig und zugewandt, schweift manchmal ab und überzieht. Ich habe viel gelernt, manchmal aber nicht so konzentriert, wie es sein könnte. (Lacht.)

Fabian Neidhardt ist zielstrebig, aber der Weg zu seinem Ziel kann sich auch mal ändern. Er ist genau und hinterfragt sich kritisch, ist aber nicht verbissen und lacht auch gerne mal über sich selbst. So erlebe ich ihn und so habe ich ihn auch schon vor Jahren kennengelernt. Er ist eigentlich immer gut gelaunt und sprudelt nur so vor Ideen.

Das, was ich kann, das ist Geschichtenerzählen. Also helfe ich Menschen entweder damit, dass ich ihre Geschichte erzähle oder ihnen eine Geschichte erzähle. Oder ich arbeite mit ihnen daran, dass sie ihre Geschichten besser erzählen können.

Als ich ihn treffe, kommt er gerade von einem Schreib-Workshop zurück, den er im Rahmen einer Ausstellung über Gefühle gegeben hat. Und da ist seine Kreativität auf Andere übergesprungen:

Wer wollte, konnte mit Feder und Tinte schreiben, konnte per Schreibmaschine schreiben. Und dann haben wir später Liebesbriefe an den Frühling, an die Schwester, an den roten Mantel der besten Freundin, wo auch immer man Liebe hinschicken kann, geschrieben.

Fabian Neidhardts Themen-Repertoire ist breit gefächert und alles andere als alltäglich. So handelt sein letztes Buch „Immernoch wach“ von Alex, der Krebs diagnostiziert bekommt und in ein Hospiz möchte, sich von seinem bisherigen Leben verabschiedet und dann aber doch nochmal eine Wende erlebt. Normalerweise beschäftigt man sich mit dem Tod im Alltag nicht. Fabian schon, weil ihn Randthemen sehr bewegen.

Ich glaube, wir haben ein Problem, dass wir Dinge, die eigentlich normal sind, dadurch unnormal machen, dass wir nicht darüber reden. Ein Drittel aller Geburten werden Fehlgeburten sein. Das heißt nämlich, dass neben dieser normalen Erzählung von „das ist Schwangerschaft“ liegen unfassbar viele andere Varianten. Und das sind Themen, die sind da und die sind Teil unserer Realität. Und das ist das, was ich daran so problematisch finde, dass es eigentlich viel mehr Dinge gibt, die normal sind, aber wir reden nicht darüber und deswegen werden sie unnormal.

Es gibt mehr als Plus und Minus, das ist ihm wichtig zu vermitteln.

Vielleicht hat zur Faszination für Randthemen auch beigetragen, dass er auf einem Friedhof aufgewachsen ist. Genauer gesagt haben seine Eltern auf einem ehemaligen Friedhofsgelände ein Haus gebaut. Für ihn hat das jedenfalls ausgemacht,

Dass der Ort ganz anders konnotiert ist, dass ein Friedhof plötzlich ein Raum ist, auf dem man lebt. Und dass es natürlich auch Spaß macht, Menschen mit Themen zu konfrontieren, die sie erst mal ein bisschen komisch finden und dann aber merken, da ist eben mehr als das, was in deinem Kopf gerade mit diesem Thema verbandelt ist.

Hashtag Stehaufmännchen – das ist seins, sagt er mir. Er probiert sich in Vielem aus, stolpert, fällt hin und steht wieder auf. Seit er Teenager ist, will er ein Buch veröffentlichen, doch es dauert knapp 20 Jahre, bis ein Verlag ihm den Wunsch erfüllt. Und obwohl er schon viele Niederlagen erlebt hat, ist das Glas bei ihm immer voll.

Also selbst wenn, wenn ich gefeuert werde oder so, dass … natürlich ist das Scheiße und trotzdem fast durchweg, gab es immer den Moment von ja okay, dann stehen wir jetzt auf und machen weiter.

 

TEIL 2

Für Fabian Neidhardt zählt der Blick aufs Positive. Er ist ein Stehaufmännchen und lächelt gern. Und er versucht Menschen etwas davon abzugeben.

Ich habe für mich beschlossen, dass ich diese Welt besser verlassen möchte, als ich sie vorgefunden habe. Das bestimmt tatsächlich relativ viel in meinem Leben, also von meiner Art der Ernährung, meiner Art, wie ich einkauf, aber halt auch in der Art, wie ich mit Menschen begegne. Ich freue mich, wenn Menschen mich anlächeln. Ich freue mich, wenn Menschen mir freundlich begegnen. Also begegne ich erst mal den Menschen freundlich, so.

Und das funktioniert für ihn ziemlich gut. Als Jugendlicher hat er zudem erfahren, dass man auch offen neuen Themen begegnen kann. Das war in der katholischen Kirche:

Mein Pfarrer war großartig, weil ich sagte irgendwann: „Herr Eckstein, dieses Ding mit meiner großen Schuld - ich fühle mich ehrlich gesagt, nicht schuldig!“ Und der sagte nur: „Ist doch gut, dann sprichst du das nicht mit.“ Und so bin ich groß geworden mit so einer Offenheit, wo ich gedacht habe: „Okay, das ist möglich. Dann können wir uns länger damit beschäftigen.“  

Der katholische Glaube hat ihn geprägt und viele Werte und Aspekte begleiten ihn zum Teil noch heute.

Aber es gibt eben Aspekte, die von Menschen, die sich dem gleichen Glauben, zugehörig fühlen, vertreten werden, wo ich sage, das sind nicht meine Werte.

Weil es „mehr“ gibt als die eine Meinung oder Haltung, weil Gott eben „mehr“ ist. Und da ist es wieder, dieses Offensein für „mehr“, das Fabian so wichtig ist.

Für seinen neuen Roman hat er über Männer recherchiert, die unfruchtbar sind. Im Gespräch mit einem Urologen hat er über Spermien erfahren:

Biologisch gesehen startet das Leben als Teamarbeit, als Team Event, und wenn sie nicht zusammenarbeiten, dann wird niemand über diese Linie kommen, und es gäbe kein Leben. Was machen wir? Warum erzählen wir die ganze Zeit, dieses Bild von dem Stärkeren, der sich gegen alle durchsetzt? und nicht die Geschichte von: Wenn wir gemeinsam arbeiten, schaffen wir es! Warum erzählen wir nicht die Geschichte von: Leben beginnt, mit Teamwork?

Eine neue Variante, die erzählt werden möchte – genau sein Ding. Und dann ist da noch dieses Lächeln-Ding:

Jeden Tag postet Fabian auf Instagram sein Lächeln des Tages. Er nennt sich „Botschafter des Lächelns“ seit er vor Jahren einmal Visitenkarten bedruckt hat, mit Gutscheinen für „ein mal Lächeln“. Ein kleines Kärtchen und wenn ich es sehe, muss ich auch lächeln. Fabian hat es verinnerlicht. Während ich meine Mails mit „freundlichen Grüßen“ unterschreibe, steht bei ihm: „Lächeln, Fabian“.

Ich glaube, der Aspekt von „der Welt erst mal mit Freundlichkeit und positivem Gefühl zu begegnen“ und ganz viel davon von der Welt zurückzubekommen, macht, dass ich merke: Ja okay, das funktioniert! Warum sollte ich das ändern?

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SWR1 Begegnungen

06MRZ2022
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Ildiko Reiser Credit: Lukas Wahl/Greenpeace

Mit Ildiko habe ich studiert und bin überrascht, was aus ihr geworden ist. Sie hat ein Kinderbuch geschrieben und arbeitet als Pressesprecherin für Greenpeace. Ihr Themengebiet ist der Frieden. Das macht mich neugierig und ich rufe bei ihr an und sie erzählt mir, wie es dazu kommt:

„Ich hab ja Medienwissenschaft studiert und dann noch interkulturelle Kommunikation und deswegen war es mir wichtig dann in meinem Beruf beide Bereiche zu vereinen. Und deswegen habe ich grundsätzlich nach dem Studium erst mal bei einer Menschenrechts- und Hilfsorganisation angefangen und bin da viel gereist auch…“

Diese Reisen haben sie nachhaltig geprägt. Unter anderem ist Ildiko auch in der Region Bergkarabach gewesen, zwischen Armenien und Aserbaidschan. Dort bricht immer wieder Krieg aus.

„Mich hat das damals total berührt, als ich dort war, zu sehen, wie die Menschen da leben. Dann dachte ich irgendwie okay, Frieden, das ist irgendwo so wichtig. Und das ist so der Bestandteil von allem. Und dann hat mich das einfach angesprochen in so einem neuen Friedensteam zu arbeiten.“  

Wie Ildiko von ihren Reisen erzählt, wird mir klar, dass Ildiko ein Mensch ist, der andere unterstützen möchte. Und es scheint so, als ob das schon früh bei ihr angefangen hat:

„Also ich bin früh in die Kinderkirche gegangen. Für meine Mutter war irgendwie klar, dass man andere Menschen unterstützt. Ich habe als kleines Kind mit meiner Cousine, haben wir so Stofftiere genäht und die dann verkauft und dann den Erlös an Tierheime gespendet. Für mich war dann irgendwie recht schnell klar, dass ich auch beruflich eben in die Richtung gehen möchte, was Sinnvolles anzufangen und ich glaub, das ist ja auch recht typisch für unsere Generation, so diese Sinnfrage sich zu stellen und einfach ein bisschen was mitgeben zu wollen.“

Typisch? Vielleicht. Wir sind uns beide jedenfalls einig, dass wir nicht um des Geldes Willen arbeiten möchten. Deshalb bedeutet sinnvolle Arbeit für uns, sich zum Beispiel für ein menschliches Miteinander einzusetzen oder die Natur zu erhalten. Also auf praktische Art und Weise christlich zu sein. Ich erlebe Ildiko als jemanden mit einer klaren Haltung und Meinung auch in Sachen fremde Kulturen. Und das hat damit zu tun:

„Einerseits war es so, dass ich selber einfach nicht typisch deutsch aussehe und in der Kindheit, in so einem schwäbischen Dorf doch öfters mal angesprochen wurde. Dann hab ich noch einen recht merkwürdigen Vornamen für viele, der auf jeden Fall nicht Deutsch ist. Als Kind findet man das ja grundsätzlich erstmal blöd, wenn man anders ist und wenn man irgendwie auffällt oder wenn die Leute sagen: Ich kann deinen Namen nicht aussprechen. So und dieses Anderssein oder ja darauf angesprochen werden, war einfach, was mich dazu bewegt hat, mich mehr mit meinen Wurzeln auch auseinanderzusetzen.“      

Und die liegen zum Teil in Ungarn. Deswegen auch ihr ungarischer Vorname. Das Anderssein hat sie nachhaltig geprägt und sensibilisiert. Deshalb begreife ich immer mehr: Ildiko ist wichtig, dass sich Menschen verstehen, und dafür setzt sie sich eben ein. Dafür braucht es Offenheit. Sie findet es wichtig offen zu sein und sich nicht zu verschließen. Offen für Neues das anders ist, wie man es kennt.

 

Ildiko Reiser ist Anfang 30 und hauptberuflich Pressesprecherin bei Greenpeace für das Themengebiet Frieden. In ihrer Freizeit schreibt sie aber auch für eine ganz junge Zielgruppe: Sie hat ein Kinderbuch geschrieben. Der Titel: „Wie Igel Kunibert die Angst verlor“ und darum geht’s: Kunibert ist ein kleiner Igel, dem die kalten und nassen Tage zu schaffen machen. So sehr, dass er Angst hat, nie wieder glücklich zu werden, aber dann begegnet ihm eine Maus.

Dadurch, dass bei mir in der Familie einfach jemand ne schlimme Krankheit dann noch hatte, hab ich halt selber gemerkt, wie mir das so zusetzt und hab dann mit vielen Leuten gesprochen und daraufhin ist dann irgendwie so dieser Igel Kunibert zu mir gekommen… sag ich mal.“

Ildiko Reiser ist ein Mensch, der sich nicht unterkriegen lässt. Sich „einzuigeln“ ist deshalb für sie keine Option. Deswegen trifft Igel Kunibert auch Maus Milla. Und diese versucht ihm mit seiner Angst zu helfen.

Und ich glaub, das ist auch was, was man lernen kann. Wir sind ja auch in der Gesellschaft so geprägt zu sagen: Ich weiß schon alles, oder ich darf keine Schwäche zeigen. Und das lernt Kunibert ja dann doch. Das, wenn es ihm nicht gut geht, wenn man vielleicht Ängste hat, wenn man verzweifelt ist. Das es da ganz viele Hilfsmittel gibt. Und es war auch so was, was ich so die letzten Jahre lernen durfte durch die Corona-Krise,… dass man da auch auf sich achten muss, und dass man auch Hilfe annehmen darf von anderen. Und dass es ganz wichtig ist, dass man auch offen dafür ist.

Im Prinzip beschreibt das das christliche Menschenbild ganz gut: Ich bin nicht perfekt, ich bin ein Mensch und mache Fehler und das darf ich auch. Viel wichtiger ist, dass wir uns als Menschen gegenseitig helfen können.  Mich fasziniert, wie Ildiko Reiser mit schwierigen Situationen umgeht. Und es dann sogar noch schafft über ein Kinderbuch ihre Erfahrungen und Einsichten weiterzugeben, um etwas Positives zu bewirken. Und dann ist da auch noch ihr Job bei Greenpeace, in dem sie ja ständig als Pressesprecherin mit Problemen zu tun hat. Das stelle ich mir zermürbend vor. Und doch erlebe ich sie als einen sehr positiv eingestimmten Menschen. Ich frage mich, woher sie die Kraft und Zuversicht nimmt?

„Ich sehe unglaublich viele Ehrenamtliche, die sich engagieren. Ich sehe, wie man politisch was erreichen kann. Ich sehe, wie Leute zusammenhalten. Und das gibt mir eigentlich Hoffnung, dass es mehr Menschen gibt, die an das Gute glauben und die für andere da sein wollen und die Herzenswärme in sich tragen, als die, die eigentlich genau das Gegenteil wollen und Zerstörung wollen. Die sind zwar manchmal lauter, aber die sind nicht erfolgreicher.“

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15JAN2022
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Es gibt eine Sache, da werde ich immer wieder komisch angeschaut. Nämlich dann, wenn ich sage, dass ich kein Auto besitze, und zwar aus Prinzip. Meine Antwort wird zwar toleriert, aber die Augen meines Gegenübers verraten mir dann meistens doch, dass dem nicht ganz so ist.

Und ich kann es ja auch verstehen, dass es schwierig zu verstehen ist. Vor allem wenn ich dann noch sage, dass ich Autofahren eigentlich liebe. Aber ich habe für mich beschlossen, auf ein eigenes Auto zu verzichten. Aus mehreren Gründen.

Zum einen nervt mich das Parkplatzproblem in der Großstadt. Man findet nie einen, wenn man einen braucht. Als Fußgänger bin ich mit den Öffentlichen einfach schneller an meinem Ziel.

Und dann sehe ich an diesem Punkt auch nicht ein, dass ich nur für ein paar Minuten fahre, womöglich noch im Stau stehe und das Auto dann im Anschluss für eine wesentlich längere Zeit an einem Platz steht. Die Zeit, die ich im Auto verbringe, ist einfach viel zu gering, im Vergleich zu der Zeit, die es nur rumsteht. Für mich rechnet sich das nicht.

Ich bin deshalb im Team ÖPNV beziehungsweise mit dem Fahrrad unterwegs. Gut, ich habe jetzt auch den Vorteil, dass ich vieles fußläufig erreichen und erledigen kann. Und einen guten ÖPNV hat meine Stadt auch.

Wenn ich in meine Heimat, in den Schwarzwald fahre, sieht das schon anders aus, auf dem Land sind die Entfernungen einfach größer, da braucht man eine andere Mobilität. Verstehe ich. Wäre für mich aber immer noch kein Grund, mir ein eigenes anzuschaffen. Ich kann immer noch ein Auto ausleihen.

Mir geht es einfach bei der ganzen Thematik darum, gut hauszuhalten, mit den Dingen, die ich wirklich für mich brauche oder nicht. Es gibt vieles, was ich mir mit anderen teilen kann. Für mich ist die Welt ohnehin mehr als gut gefüllt, mit vielen Konsumgütern, die wir kaum oder gar nicht benötigen, wenn es auch anders geht. Tut mir leid, wenn das keine schönen Worte sind für das Land, in dem das „Heiligs Blechle“ beheimatet ist. Ich sehe das aber wirklich so, weil wir auf dieser einen Welt, die wir haben, gut haushalten sollten. Die ist mir nämlich heiliger als das Blechle.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14JAN2022
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Vor einem Jahr habe ich eine Tochter zur Welt gebracht. Ein Ereignis, dass ich so nie vergessen werde. Es grenzt für mich an ein Wunder, wenn so ein kleiner Mensch geboren wird. Ich hab die Kleine zwar die ganzen Monate vorher in meinem Bauch gespürt, aber so ganz fassen konnte ich dann doch nicht, was da passiert. Bis zur Geburt, als wir uns dann das erste Mal gesehen und angefangen haben kennenzulernen.

Ich habe zwar zugesehen, wie mein Bauch wächst und gespürt, dass da was kommt. Aber eine Schwangere, die jetzt nur so vor Vorfreude strotzt, bin ich nicht gewesen. Wie denn auch? Ich hab ja nicht gewusst, wie es ist Mutter zu sein.

Mich hat es eher geärgert, wenn ich in Zeitschriften nur von glücklichen werdenden Eltern gelesen habe. Und es ist auch anstrengend gewesen, als mir in der Familie alle mitgeteilt haben, wie sehr sie sich aufs Kind freuen. Für schlechte Laune, Bedenken oder unangenehme Themen ist kein Platz gewesen. Es wurde erwartet, dass ich glücklich bin.

Für so ein Verhalten gibt es sogar einen wissenschaftlichen Begriff. Er heißt: toxische Positivität. Gemeint ist, dass gutes Leben nur an positiven Gefühlen gemessen wird. Für mich ist das ein Unding. Als Mensch bestehe ich aus ganz vielen und unterschiedlichen Gefühlen. Und die können mal angenehm und mal weniger angenehm sein. Unangenehmes begleitet uns sogar schon von Geburt an, nicht umsonst kommen wir schreiend zur Welt. Wenn es so existentiell ist, warum sollten wir also das Mutter- oder Vaterwerden nur schönreden?

Dass ein kleines Wesen zur Welt kommt, ist das eine und dass damit ein Leben beginnt. Für mich, wie gesagt ein Wunder. Darüber kann ich mich freuen, ja.

Aber, dass für mein bisheriges Leben eine neue Rolle beginnt, ist das andere. Ich werde nicht als Mutter geboren. Deshalb darf ich am Anfang Fehler machen und ich darf auch Bedenken haben. Ich darf mich selbst in Frage stellen: Bin ich eine gute Mutter, nur weil ich jetzt nicht überschwänglich glücklich unterwegs bin? Es  dürfen auch andere Gefühle sein. Mutter- oder Vaterwerden ist eine neue Rolle, in die ich erst hineinwachsen darf, mit allem was dazugehört. Und das geht eben erst, wenn ich als Mutter mein Kind kennenlerne, nach der Geburt. Dafür braucht es Zeit und kann dann auch gut und schön werden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13JAN2022
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Fürs neue Jahr habe ich eine große Bitte: Hören Sie mehr zu! Denn ich kann es nicht mehr aushalten, wie einander nicht mehr zugehört wird. Ich erlebe, dass es fast nicht mehr möglich ist, Diskussionen miteinander zu führen. Statt echter Gespräche nehme ich viele Monologe wahr, die in Einbahnstraßen münden. Es wird nicht mehr zugehört und miteinander geredet.

Die letzten Talkshows, die ich gesehen haben, sind immer nach Schema F verlaufen: Eine Person sagt ihre Meinung, eine zweite vertritt die gegenteilige Position. Dann schießen sich die Person, die eigentlich durchs Gespräch führen soll und die erste Person auf die zweite ein. Und dann geschieht Folgendes: Beide Parteien verharren bis zum geht nicht mehr auf ihrer Seite. Schlimmstenfalls wird dem jeweils anderen bisweilen sogar die Kompetenz abgesprochen. Und ich als Zuschauerin habe das Gefühl, den Personen geht es gar nicht um ein Gespräch miteinander, sondern sie wollen nur sich und ihre Positionen vertreten. Mehr nicht. Ein tristes Bild. Weil scheinbar die eigene Meinung viel wichtiger ist, als die der anderen.

Für mich hat das nichts mehr mit Dialogführen zu tun. Was ich so sehr vermisse, ist: Dass wir uns zuhören, wenn wir diskutieren, dass wir aufeinander eingehen und versuchen uns die Position des anderen zu eigen zu machen, uns in den anderen hineindenken. Ich will verstehen, was der andere meint, um dann vielleicht auch gemeinsam ein Thema von allen Seiten zu beleuchten. Ich vermisse eine Art der Diskussion, in der es wirklich um die Sache geht.

Denn wenn ich eine Sache von allen Seiten gut beleuchtet habe, kann ich mir doch einen Standpunkt bilden, weil ich dann erst verstanden habe, worum es den anderen geht und was mir daran wichtig ist.

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber wusste, dass man erst am Du zum Ich wird. Erst wenn ich mich mit meinem Gegenüber auseinandersetze, kann ich meinen eigenen Standpunkt finden.

Und das meint eben nicht, dass ich mein Gegenüber fertig machen und auseinandernehmen muss.

Sondern es meint, dass ich mich wirklich auf das Du einlasse und eben seine Ansichten mit meinen abgleiche. Auch mal geduldig rückfrage, z.B. „Wie meinst du das?“ Es geht eben nicht darum, mit einer vorgefertigten Meinung in die Diskussion zu gehen, sondern durch das Gespräch zu einer eigenen Meinung zu kommen.  

Und wenn ich das wirklich mache, dann kann ich auch etwas für mich gewinnen. Und dann entsteht ein echter Dialog. Dann ist es kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander. Und das beginnt eben immer … mit dem Hören.

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