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SWR1 3vor8

10DEZ2023
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Der Kopf geht runter. Das Kinn runter bis auf die Brust. Wenn einem unterwegs der nasskalte Wind ins Gesicht schlägt. Wenn man im Gehen noch schnell die Nachrichten auf dem Handy checkt. Oder wenn man’s eilig hat, und keine Zeit für ein Schwätzchen mit dem Nachbarn, der gerade auf der anderen Straßenseite aufgetaucht ist. Der redet eh immer das gleiche: „Sauwetter heute…“  - „Ja, ja…“ – „Ob’s dieses Jahr weiße Weihnachten geben wird…“ – immer das gleiche, kennt man schon.

Kopf runter. Das Kinn runter bis auf die Brust. Das ist eine Körperhaltung zum Schutz: vor Wind und Wetter und vor allem, was man gerade nicht brauchen kann in der eigenen Geschäftigkeit. Wie eine unsichtbare Mauer, hinter die man sich notfalls verkriechen kann.

Allerdings sieht man dann auch so aus, finde ich: in sich verkrochen, klein und weggeduckt. Man sieht jedenfalls nicht danach aus, als könnte man den Stürmen des Lebens trotzen. Und es stürmt gewaltig in unserer Welt, mit ihren Kriegen und Krisen. Manchmal kann man da einfach nicht mehr hinsehen. Dann mag man nicht mal mehr ein paar Worte mit dem Nachbarn wechseln. Es ist eh alles immer dasselbe und nicht zu ändern. Und dann geht der Kopf runter und das Kinn runter bis auf die Brust.

Das Kinn hat auf der Brust aber nichts verloren – eine ungesunde Körperhaltung. Viel besser, wenn man sich aufrichtet, weil der Blick jetzt an den Lichtern der Weihnachtsbäume hängen bleibt, die jetzt im Advent in den Vorgärten stehen, auf den Marktplätzen oder auf dem Weihnachtsmarkt. Und da – an den Fressbuden und Glühweinständen - hat man plötzlich auch wieder Lust auf ein Schwätzchen mit dem Nachbarn. „Ob’s weiße Weihnachten gibt? Schau'n wir mal. Wäre ja toll für die Kinder…“ – „Haben Sie heute die Nachrichten gehört?“ „Ja, da war schon wieder so ein schwerer Unfall. Und die Regierung…“

Ja, es ist immer noch dasselbe. Die Stürme in der Welt werden sich nicht einfach mal eben so legen – bloß, weil es Weihnachten wird. Aber vielleicht ja doch? Wenigstens ein paar – die Hoffnung besteht doch. Sie ist nur leider so leicht zu übersehen, wenn man Kopf und Blick senkt, sich einigelt und gar nicht mehr hinschaut.

Auch Weihnachten 2023 wird die Welt nicht heil machen. Weihnachten wird wieder „nur“ Hoffnung bringen. Aber von wegen „nur“. Ich sage: Hoffnung ist eine göttliche Kraft. Dass es nicht aussichtslos ist und auch nicht immer dasselbe, bis in alle Ewigkeit. Gott herrscht in Ewigkeit. Das Gute herrscht in Ewigkeit. Darauf zu warten lohnt sich, davon erzählt der Advent. Und in den evangelischen Gottesdiensten und aus den Kirchen ist heute laut der Ruf zu hören: „Seht auf! Erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28) Hoch mit dem Blick! Das Kinn hat auf der Brust nichts verloren! Eine Geburt steht bevor. Ein Neuanfang, und es wird sich alles verändern.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25NOV2023
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Von manchen Leuten sagt man: Die gehen zum Lachen in den Keller. Leute, die kaum mal eine Miene verziehen, auch nicht bei einem kleinen Witz oder einer spaßigen Bemerkung. Gar nicht leicht, so jemanden einzuschätzen.

Mein Eindruck ist aber, dass noch viel mehr Menschen zum Weinen in den Keller gehen und ihre Gefühle verstecken, wenn sie traurig sind. Wer traurig ist, ist verletzlich. Wahrscheinlich ist das der Grund. Wer weiß schon, wie die Umgebung darauf reagiert? Hilflos vielleicht, vielleicht sogar verständnislos. Oder irgendwer versucht krampfhaft, Trost zu spenden oder macht ein paar aufmunternde Sprüche… Dann doch lieber die Fassade aufrechterhalten, möglichst unbeschwert wirken – und zum Weinen später in den Keller gehen.

Anfang dieses Jahres ist mein Vater gestorben. Auch ich werde seither von Traurigkeit begleitet. Und seither geht es mir ganz ähnlich: Ich fühle mich verletzlich. Und ich jemandem von meinem Verlust erzähle, merke ich, wie schwierig es für mein Gegenüber sein kann, darauf zu reagieren. Also versuche auch ich, so „normal“ wie möglich rüberzukommen. Nicht nur, weil ich verletzlich bin, sondern auch, weil ich ja Erwartungen habe. Ich möchte so gerne, dass die anderen verstehen, was in mir vor sich geht. Aber ist das nicht ein bisschen viel verlangt? Ich trauere schließlich auf meine Weise – und mein Gegenüber ist vielleicht ganz anders gestrickt. Manche Menschen trauern mit Tränen – andere ohne. Die eine möchten gerne viel erzählen, andere ziehen sich lieber ein wenig zurück. Schon meine Geschwister trauern anders als ich – und anders als meine Mutter. Wir reagieren völlig unterschiedlich. Das macht es für unsere Umgebung nicht leichter. Innerhalb meiner Familie, aber auch nicht – unter uns.

Also doch besser zum Weinen in den Keller gehen? Nicht riskieren, den anderen zu verletzten? Ich denke: Nein. Denn dann würden wir allein unserer Trauer verstummen. Dann wäre jeder von uns allein. Ich möchte lieber das Risiko eingehen und etwas von dem zeigen, was in mir vorgeht. Ich möchte das Risiko eingehen, und es nicht übel nehmen, wenn jemand anders reagiert, als ich das vielleicht gerne hätte.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23NOV2023
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Am kommenden Sonntag ist Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt. Ich werde an diesem Tag wieder einmal in meinem alten Heimatort in die Kirche gehen, denn dieser Sonntag gehört dem Gedenken an die Verstorbenen. Ich möchte hören, wie der Name meines Vaters im Gottesdienst vorgelesen wird. Mein Vater ist im Januar gestorben. Deshalb wird sein Name verlesen werden, zusammen mit den Namen all der anderen Gemeindemitglieder, die dieses Jahr gestorben sind.

Ich habe mich selbst gefragt, warum das für mich so wichtig ist: in diesen Gedenkgottesdienst zu gehen, den Namen meines Vaters selbst zu hören und zu sehen, wie der Pfarrer eine Kerze für ihn anzünden wird. Das letzte Mal, dass mein Vater in einem Gottesdienst genannt wurde, das war bei seiner Beerdigung, begleitet von den Worten: Gott hat Dich bei Deiner Taufe zu neuem Leben berufen. Einige Jahre davor hat ihn der Pfarrer zusammen mit dem Namen meiner Mutter genannt: beim Gottesdienst zu ihrer Goldenen Hochzeit. Er hat den beiden damals ganz persönlich Gottes Segen zugesprochen, wie auch schon 50 Jahre davor, als sie kirchlich geheiratet haben. Bei seiner Konfirmation hat mein Vater seinen eigenen Namen in der Kirche gehört, zusammen mit dem Versprechen Gottes, dass er ihn auch als Jugendlichen und Erwachsenen immer begleiten wird, so wie er es von Anfang an getan hat. Wie er es schon bei seiner Taufe versprochen hat.

Mein Vater war ein Mann, der viel nach Gott gefragt hat, der gebetet hat, dem aber auch Glaubenszweifel nicht fremd gewesen sind. Aber er hat immer gewusst, dass er getauft ist – auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Dass Gott ihn begleitet, das ganze Leben hindurch und zu ihm sagt: Ich habe Dich bei Deinem Namen gerufen – du gehörst zu mir.

Ich denke, deshalb ist es mir so wichtig, am Sonntag den Namen meines Vaters im Gottesdienst zu hören. Und zu sehen, wie der Pfarrer eine Kerze für ihn anzünden wird und auf den Taufstein stellen wird. Meinen Vater, und all die anderen, für die Morgen eine Kerze angezündet werden wird, hat Gott selbst mit ihrem Namen gerufen. Sie gehören zu ihm, von Anfang an, das ganze Leben hindurch und darüber hinaus. Das Licht der Kerzen erinnert daran. Von diesem Licht möchte ich morgen etwas mitnehmen. Einen Hoffnungsschimmer, ein wenig wärmenden Trost. 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22NOV2023
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Ich habe es schon ein paar Mal erwähnt: manchmal geht mir mein Glaube ein Stück weit verloren. Liebe Hörerinnen und Hörer, von Ihnen habe ich manchmal schon die Rückmeldung bekommen, dass man das merkt. Und auch, dass manche von Ihnen irritiert sind, dass eine Pfarrerin das sagt. Was - hat man mich schon gefragt - hat das in einer kirchlichen Radioandacht zu suchen?

Ich kann das verstehen. Andererseits weiß ich genau, dass ich mit meinen Zweifeln nicht allein bin. Ich bin nicht die einzige, der es schwerfällt, Gottes Spuren im Leben zu finden, selbst wenn ich noch so sehr danach suche. Ich fühle mich mit einem Mann aus der Bibel verbunden, der einmal zu Jesus gekommen war auf der verzweifelten Suche nach Hilfe. Ein Vater mit seinem schwer kranken Kind . Er selbst war hilflos. Alle, die er gefragt hatte, waren hilflos. Und nun hat der Vater vor Jesus gestanden, hat gefleht: „Hilf meinem Sohn, wenn Du kannst.“ – „Was soll das heißen, wenn du kannst?“ Hat Jesus ihn gefragt. „Alle Dinge sind möglich, dem, der glaubt.“

Glaube an mich, vertraue mir – sagt Jesus zu dem Mann – dann wird dein Kind gesund. Es liegt bei dir. „Ich glaube“ hat der verzweifelte Vater darauf hin gerufen. Und weiter: „Hilf meinem Unglauben.“ Er wollte glauben – so gerne – und konnte einfach nicht.

Ich fühle mich diesem Menschen sehr nah. Wie er da steht, voller Verzweiflung und Hoffnung. Gefangen zwischen Hoffen und Zweifeln. Wie es aus ihm herausbricht: „Ich glaube – hilf meinem Unglauben.“ Und Jesus hilft. Das Kind ist gesund geworden.

Wie erleichtert der Vater gewesen sein muss: Dass Gottes Gnade eben doch nicht an ihm und seiner Glaubensstärke hängt. Dass Gott hilft, und dass Gott da ist für ihn – selbst, wenn er daran zweifelt.

Ich fühle mich diesem Mann aus der Bibel sehr nah. Und ich weiß, dass er und ich, dass wir nicht die einzigen sind, denen manchmal der Glaube ein Stück weit verloren geht. Zu glauben und zu vertrauen ist schwer, wenn das eigene Kind krank ist oder man selbst. Oder wenn man mit den schweren Seiten des Lebens einfach nicht zurechtkommt. Manchmal ist man zerrissen zwischen Vertrauen und Zweifel. Zum Glück lässt Gott sich davon nicht abschrecken. Er ist trotzdem da – selbst, wenn das manchmal kaum zu glauben ist.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21NOV2023
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Der November kann einem zu schaffen machen. Dem einen mehr, dem andern weniger … die Nächte sind lang, und die Tage oft grau und trüb… Trübe Zeiten, wie gemacht für trübe Gedanken.

Es ist etwas zerbrochen dieses Jahr, finde ich. Noch ein Krieg, noch mehr Unzufriedenheit bei uns und noch mehr Gewalt auch auf unseren Straßen. Ich denke, die Zuversicht ist zerbrochen, dass wir auf baldige Lösungen zusteuern, und dass das Leben in absehbarer Zeit wieder „normal“ werden wird: Wissen wir überhaupt noch, was das ist, „normal“? Die Gewissheit darüber? – ist weg. Sichere Zukunftsaussichten? – zerbrochen.

Der November ist auch der Monat des Gedenkens. Vorgestern, am Volkstrauertag das Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt. Und in ein paar Tagen ist dann Totensonntag: Gedenken an die Verstorbenen. Ich sehe mich in Gedanken an den vielen Grabsteinen und Gedenktafeln vorbeigehen, die ich schon auf Friedhöfen oder bei Kriegsdenkmälern gesehen habe. Und gedacht habe: So jung ist da jemand gestorben? Oder so weit weg von der Heimat? Und ich frage mich, ob das womöglich normal ist. Und nicht das Leben in Sicherheit, das ich bisher kennengelernt habe. So gut wie alle Menschen, die vor mir gelebt haben, hatten mit Krankheiten zu kämpfen, mit Hunger, mit Krieg und Naturkatastrophen. Das war ihre Normalität.

Trübe Gedanken für trübe Novembertage – ich weiß. Aber wenn ich jetzt gerade abends über den Friedhof gehe, um eine Kerze am Grab meines im letzten Jahr verstorbenen Vaters anzuzünden, dann sehe ich auch auf vielen anderen Gräbern Kerzen brennen: zum Gedenken und als Zeichen der Hoffnung. Denn dass es noch etwas anderes als diese erschreckende Normalität geben muss, dass das Leben mehr ist als Krieg und Katastrophen, das haben auch die Menschen vor mir gehofft. Auch, wenn der Friede und die eigene Sicherheit immer wieder zerbrochen sind, gab es immer auch die Hoffnung: Dass es wieder besser werden würde. Und dass kein Mensch umsonst gelebt hat, selbst, wenn er durch Krankheit oder Gewalt hat sterben müssen. Oder fern der Heimat. Auf einem Grabstein habe ich im Kerzenschein ein Zitat aus der Bibel gelesen: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein. (Offenbarung 21)

Erstaunlich, wie viel Licht Friedhofskerzen in einen trüben November-Abend bringen können. Leuchtend helle Hoffnungslichter – fast so schön wie die Kerzen auf dem Adventskranz.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20NOV2023
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Der berühmte englische Komiker Charlie Chaplin hat mitten im Zweiten Weltkrieg seine komischen Filmrollen hinter sich gelassen und einen Film gedreht, in dem er den Kriegstreibern von damals den Spiegel vorgehalten hat: „Der große Diktator“.

Am Ende des Films hält Chaplin eine Rede, die übers Radio in die ganze Welt gesendet wird. Seine Worte jagen mir einen Schauer über den Rücken. Denn Chaplins Rede aus dem Jahr 1940 klingt, als wäre sie für uns heute geschrieben. Für jetzt – für all die Sorgen und Nöte, die uns gerade heimsuchen. Aber hören Sie selbst. Ich zitiere Chaplin aus seinem Film:

„Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann. Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt. Wir sollten am Glück des andern teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher. Auf dieser Welt ist Platz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen.

(…)

Im siebzehnten Kapitel des Evangelisten Lukas steht: Gott wohnt in jedem Menschen. Also nicht nur in einem oder in einer Gruppe von Menschen. Vergesst nie, Gott liegt in euch allen. Und ihr als Volk habt allein die Macht. Die Macht, Kanonen zu fabrizieren, aber auch die Macht, Glück zu spenden. Ihr als Volk habt es in der Hand, dieses Leben einmalig kostbar zu machen, es mit wunderbarem Freiheitsgeist zu durchdringen. Daher im Namen der Demokratie: Lasst und diese Macht nutzen! Lasst uns zusammenstehen! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine anständige Welt! Die jedermann gleiche Chancen gibt, die der Jugend eine Zukunft und den Alten Sicherheit gewährt.“

Chaplins über 70 Jahre alte Rede ist beängstigend aktuell. Sein Appell ist aktuell, für Frieden und Freiheit zu kämpfen. Etwas zu tun gegen Hass und Gewalt auch in unserem Land. Wegsehen und Wegducken kommt nicht in Frage. Chaplin beendet seine Rede mit diesem Appell:

„Nieder mit der Unterdrückung, dem Hass und der Intoleranz! Lasst uns kämpfen für eine Welt der Sauberkeit. In der die Vernunft siegt, in der uns Fortschritt und Wissenschaft uns allen zum Segen gereicht. Kameraden, im Namen der Demokratie: Dafür lasst uns streiten!“

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SWR4 Feiertagsgedanken

01NOV2023
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Warm leuchtend, reich verziert mit Gold und Silber und beschienen von Kerzen in goldenen Leuchtern, die von der Decke herabhingen.  Das war die Atmosphäre, in die ich in einer Kirche in Griechenland – irgendwann diesen Herbst – eintauchen durfte. In ein warmes Leuchten. Ganz leicht hat es nach Weihrauch gerochen, und überall an den Wänden: Ikonen, die traditionell gemalten Bilder von Heiligen, die in der orthodoxen Kirche verehrt werden. Eine Ikone - ich glaube, es war die des Heiligen Nikolaus - stand frei auf einer Art Staffelei. Eine ganze Weile habe ich in der Kirche auf meinem geflochtenen Stuhl gesessen und beobachtet, wie immer wieder jemand hereinkam, einen kleinen Knicks vor dem Heiligen Nikolaus machte und vorsichtig seine Ikone küsste. Ich konnte sehen, wie die Lippen der Menschen sich bewegt haben. Wahrscheinlich ein leise gemurmeltes Gebet. Eine Bitte an den Heiligen vielleicht– vielleicht auch Dank…

Es war eine heilige Atmosphäre an diesem Ort. Und heute, am Feiertag „Allerheiligen“ merke ich, wie diese Atmosphäre in mir noch nachklingt. Ein Gefühl, dem Heiligen ganz nah zu sein, vielleicht sogar Gott selbst ganz nah zu sein. Obwohl - Gott ist so unvorstellbar groß, dass die Vorstellung auch beängstigend sein kann. Aber zum Glück sind da ja auch noch die Bilder der Heiligen. Vorbilder für den christlichen Glauben, die sich durch nichts haben abbringen lassen, von ihrem Vertrauen auf Gott. Warm leuchten ihre Gesichter auf den reich verzierten Ikonen. Wie das des Heiligen Nikolaus auf der Staffelei: Nikolaus war Bischof in einer Zeit, als Christen vom römischen Staat noch verfolgt wurden – auch er selbst. Aber trotzdem war er da für die Menschen seiner Gemeinde. Der Legende nach hat er sich vor allem um Kinder gekümmert, und sein ererbtes Vermögen hat er denen gegeben, die Unterstützung bitter nötig hatten.

Streng – und gleichzeitig gütig blickt Nikolaus heute den Menschen entgegen: auf seiner Ikone in der kleinen Kirche irgendwo in Griechenland.

Bei einer Frau, die kam, um zu beten, meine ich, Tränen in den Augen gesehen zu haben. Irgendetwas hat sie geplagt und ihr vielleicht Angst gemacht. Sicher hat sie Trost gesucht beim Heiligen Nikolaus in der heiligen Atmosphäre ihrer Kirche. Die Frau hatte vielleicht ihr Vertrauen zu Gott verloren. Aber der Glaube und das Vertrauen des Heiligen Nikolaus waren so groß, dass es sicher auch für die Frau gereicht hat. Bei ihm hat sie deshalb Kraft gesucht – und hoffentlich auch gefunden.

Wenn ich heute, an Allerheiligen, an die Frau und an meinen Besuch in der griechischen Kirche denke, dann sehne ich mich ein wenig nach dieser besonderen Atmosphäre des Heiligen. Der November beginnt, die Tage sind kurz und oft neblig und verregnet. Sie erinnern daran, dass das Jahr langsam zu Ende geht. Und wieder ein Jahr meines eigenen Lebens vergangen ist, und dass wir Menschen sterblich sind. Und dann sind da ja auch noch die Fragen nach dem, was kommen wird und was uns vielleicht Angst macht oder Sorgen bereitet. Manchmal verliere auch ich da mein Gottvertrauen.

Deshalb sehne ich mich nach etwas Trost und danach, mich dem Heiligen nah zu fühlen. Gott nah zu fühlen und der leuchtenden Wärme seiner Liebe zu uns Menschen. Genau wie die Frau in der Kirche in Griechenland. Ich fand damals, dass sie ein wenig besser ausgesehen hat, als sie schließlich die Kirche verlassen hat. Sie konnte von dem Heiligen etwas mitnehmen, was sie selbst verloren hatte.

Als sie damals ging, hat sie noch eine Kerze angezündet. Das habe ich auch getan. Und heute werde ich genau das wieder machen: in meiner Kirche eine Kerze anzünden, damit sie warm leuchtet und mir – und vielleicht auch ein paar anderen Besuchern – die heilige Nähe Gottes wieder nahebringt.

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SWR1 3vor8

22OKT2023
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„Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ heißt es in der Bibel einmal. Und ich denke: stimmt. Von klein auf bringt man uns bei und bekommen wir gesagt, was gut ist, und wie man sich anständig benimmt – freundlich, fair und gerecht. Aber… trotzdem gehen wir Menschen immer wieder aufeinander los. Tun wir Dinge, von denen wir genau wissen, dass sie weder fair noch in Ordnung sind. Warum ist das so, frage ich mich. Warum streiten sich zum Beispiel Nachbarn? Über den Baum, den der eine zu nah am Zaun gepflanzt hat und dessen Äste dem anderen die Sonne nehmen. Der, der den Baum gesetzt hat, weiß doch, dass die Äste schnell zu lang werden und über den Zaun rüberhängen. Und der andere weiß doch eigentlich ebenfalls ganz genau, dass es sich nicht gehört, diese langen Äste ungefragt einfach abzusägen.

Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist. Und trotzdem: Wir Menschen wischen dem frechen Nachbarn eins aus, lästern über Arbeitskollegen und wollen selbst glänzen. Wir lenken von unseren Schwächen ab und zerren die der anderen ans Licht. Das alles gehört sich nicht. Wir vergiften uns gegenseitig das Leben. Und wieder frage ich mich, warum das so ist.

Ich denke, eine Antwort findet sich in dem Satz aus der Bibel: „Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist“ Heute steht er wie eine Überschrift über vielen evangelischen Gottesdiensten und über der kommenden Woche. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was Gott, der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. (Micha 6,8)

Demütig sein gegenüber Gott. Ich soll mich also zurücknehmen. Meine Grenzen akzeptieren, auch, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle oder mich wegen irgendwas über meinen Nachbarn ärgere. Eigentlich würde ich mich gegen den Nachbarn lieber wehren. Oder dafür sorgen, dass ich vor dem Chef gut dastehe und nicht untergebuttert werde. Aber Gottes Gebot, friedlich miteinander auszukommen, ist wichtiger. Ich kann meinem Nachbarn, meinem Chef oder meinen Kollegen trotzdem sagen, was mir nicht passt. Ich darf mich wehren oder bemerkbar machen. Aber bitte mit Respekt. Liebe üben – wie es die Bibel ausdrückt – und nicht dem anderen eine reinwürgen und stärker sein wollen.

„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was Gott, der Herr von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott. Gar nicht leicht, was ich da von Gott in dem Bibelzitat gesagt bekomme – aber – gut!

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SWR1 Begegnungen

17SEP2023
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Steffen Kern

Ich bin mit meinem Kollegen Steffen Kern zu einem Online-Gespräch am Bildschirm des Computers verabredet, denn ich möchte von ihm wissen, was es mit dem Titel seines neuen Buches auf sich hat, das gerade erschienen ist: „Hoffnungsmensch“. Wie kommt er auf dieses Thema?

Das Buch ist bei mir in den letzten Jahren gereift (…) Wenn ich an Leiderfahrung denke, auch in der Familie, schwere Krankheiten, die ich im engeren Kreis miterlebt habe. Die Frage, was gibt einem Menschen eigentlich Hoffnung.

Dazu kommen die Krisen unserer Zeit: Krieg, Inflation, Umweltzerstörung. Junge Menschen sprechen von sich selbst als der „letzten Generation“, meint Steffen Kern. Hoffnung zu haben ist also nicht mehr selbstverständlich. Und das meint nicht nur er.

Herbert Grönemeyer hat in seinem neuen Album – ich bin ein bisschen Grönemeyer-Fan – als seinen ersten Satz (…) „Hoffnung ist gerade schwer zu finden. Ich suche sie.“ Und genau das empfinde ich auch.

Aber sie ist zu finden, sagt Steffen Kern. Man kann sie zu spüren bekommen, wenn man „Hoffnungsmenschen“ begegnet. Von denen erzählt er in seinem Buch. Zum Beispiel von Wilbirg Rossrucker, die mit Anfang 50 ihren Beruf aufgegeben hat, nach Stuttgart ins Rotlichtviertel gezogen ist und dort das „Hoffnungshaus“, eine Anlaufstelle für Prostituierte leitet.

Warum macht jemand das? Wieso nimmt sie so etwas auf sich und geht in eine Arbeit, in einen Stadtbezirk, wo es wirklich wenig Hoffnungsvolles gib? (...) Sie geht aber da rein und stellt sich dem und ist für die Frauen da und erlebt sehr viel Schlimmes, Schreckliches und auch Frustrierendes und trotzdem auch wertvolle Begegnungen. Sie kann Menschen helfen, so ein Stück weit durch ihren Tag zu kommen.

Ein Beispiel für einen Menschen, für den Hoffnung eine Lebenshaltung, eine Herzenshaltung ist – und nicht einfach ein fest formulierter christlicher Glaubenssatz. Eine Herzenshaltung, die sich traut, Altes hinter sich zu lassen. Gerade das, was scheinbar nicht zu ändern ist.

 (…) Ich find’s persönlich wichtig, dass wir als einzelne Menschen sagen: Hey, Heute fang ich was Neues an. Vielleicht was ganz Neues. Wer legt mich denn fest auf das, was war? Ich kann doch neu beginnen. Und das kann man mit Mitte 50, mit Mitte 60 sagen, das kannst du mit Anfang 20 sagen. 

Das kann man von Hoffnungsmenschen lernen, sagt Steffen Kern. Fürs persönliche Leben. Das kann aber auch die Kirche, die Institution Kirche lernen.
Mit „Kirche“ kennt er sich bestens aus – und mit ihren Nöten, den rückläufigen Mitgliederzahlen, dem nötigen Strukturwandel usw. Aber davon sollte sich die Kirche nicht lähmen lassen, findet Steffen Kern. Lieber sich inspirieren lassen von Hoffungsmenschen und ihrer Herzenshaltung. 

Wir sind nicht festgelegt auf die letzten Jahrhunderte. Wir sind nicht gebunden an unsere Privilegien und auch nicht an unsere institutionelle Stärke, sondern wir können eine Hoffnungsgemeinschaft sein, die heute neu beginnt. Kirche mit leichtem Gepäck.

Und die dann vielleicht auch nicht so schwer und sorgenvoll daher kommt, sondern der man lebendige Hoffnung abspüren kann. Steffen Kern lässt Hoffnungsmenschen zu Wort kommen: in seinem Buch und auch in seinem neuen Podcast „Hoffnungsmensch“. Zu Gast sein werden z.B. Kira Geiß, die amtierende Miss Germany oder auch der württembergischen Landesbischof Gohl. Ihre Hoffnungsquelle ist ihr christlicher Glaube. Und deshalb findet Steffen Kern es auch so passend, dass das hebräische Wort der Bibel für „hoffen“ noch eine weitere Bedeutung hat:

Das hebräische Wort für Hoffen ist ja kiwa. Und Kiwa bedeutet ja zugleich: ein Seil spannen – eine Schnur spannen. Und für mich ist das ein Bild für Hoffnung, dass sehr, sehr anschaulich ist, Das eine Ende der Schnur, das ist bei mir, das ist da, wo ich bin. Wo ich stehe, wo ich lebe, mit meinen Empfindungen und wie es mir gerade geht. Und das andere, das ist dort, worauf ich hinlebe, das ist in der Zukunft, was uns versprochen ist, das ist so ein Bild für Hoffnung.

Hoffnung, die will Steffen Kern spürbar werden lassen. Aber nicht als einen festen christlichen Glaubenssatz. Für ihn ist Hoffnung eine Haltung des Herzens.

Jedem Anfang wohnt ein Glaube inne. Frei nach Hermann Hesse, der ja bekanntlich gedichtet hat: Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und mir geht es um diese Anfangshaltung, diesen Anfängerglauben zu vermitteln. Und ich glaube tatsächlich, dass jedem Neustart jeder Haltung, Neues anzufangen, ein gewisses Grundvertrauen innewohnt. Ein Glaube, dass es gut gehen kann, dass wir begleitet sind, dass es einen Gott gibt, der mit uns geht und der Gelingen schenkt.

 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

02SEP2023
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Letzte Woche hatte ich einen kleinen Moment, an dem ich aufatmen konnte, als würde ein Druck von meinem Brustkorb weichen. Einmal tief Luft holen - trotz der Flut schrecklicher Nachrichten von Krieg und Zerstörung. Vor mir, auf dem Schreibtisch, lagen Worte aus einem alten biblischen Gebet, aus Psalm 34. Und da heißt es:

„Die Augen Gottes schauen freundlich, wenn sein Blick auf die Gerechten fällt. Seine Ohren sind offen für ihre Hilfeschreie.“ (Ps 34,16 Basisbibel)

Gottes Augen sehen hin, und er hört, wenn jemand um Hilfe schreit. Das zu lesen war für mich ein Moment der Hoffnung.

Natürlich haben mich die Zweifel dann sofort wieder eingeholt: Warum hilft Gott nicht? Warum hört die Gewalt nicht endlich auf? Trotzdem hat mich dieser Moment des Aufatmens - dieser Hoffnungsschimmer - nicht ganz verlassen. Es bleibt die Hoffnung, dass Gott das Schicksal jedes einzelnen Menschen nicht egal ist.

Ich bin froh, dass mich dieser kleine Hoffnungsschimmer erreicht hat - wie ich so dasaß an meinem Schreibtisch, mit eingeschnürtem Atem und den Kopf in Papieren. Der Moment des Aufatmens hat mich nämlich selbst wieder aufsehen lassen. Es ist ja nicht so einfach immer hinzusehen, wenn von der Not und den Katastrophen dieser Welt berichtet wird. Und man das Gefühl hat, nichts dagegen machen zu können.

Wer kann da schon immer hinsehen? Die eigene Hilflosigkeit aushalten? Mir gelingt es gerade nur, weil mich dieser kleine Hoffnungsschimmer erreicht hat, dass Gott hinsieht. Dass da eine Macht ist, die die Welt trägt und die das Gute will. Kein Schicksal bleibt ungesehen und kein Leiden anonym. Selbst dann nicht, wenn wir Menschen nicht mehr hinsehen.

Gott sieht hin. Er sieht das Gute und das Schlechte und jeden einzelnen Menschen. Und im Psalm heißt es weiter:

Der HERR ist ganz nahe bei den Menschen, die im Herzen verzweifelt sind. Er hilft denen, die ihren Lebensmut verloren. (Ps 34,19 Basisbibel)

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