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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22MRZ2023
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Jedes Jahr am 22. März ist der Internationale Tag des Wassers. Er soll uns daran erinnern, dass mindestens eine Milliarde Menschen auf der Erde keinen sicheren Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Und dementsprechend mit den Folgen kämpfen.

Ich habe Glück und lebe in Baden-Württemberg in einer Region, in der es noch genug Wasser gibt. Mich macht aber auch nachdenklich, dass bisher nur relativ wenig Schnee in diesem Winter im Schwarzwald gefallen ist. Er wird nicht ausreichen, um die Grundwasserspiegel genügend aufzufüllen.

Vor einigen Tagen bin ich mit dem Zug durchs Rheintal nach Bonn gefahren. Erschreckend, wie wenig Wasser der deutsche Hauptfluss zurzeit führt.

Im Nahen Osten ist es der gut 250 Kilometer lange Jordan, der das Leben in Israel, Syrien, Jordanien und den Palästinensergebieten gewährleistet. Der Nahe Osten ist eine der regenärmsten Regionen der Welt. Vermutlich ist es schon in biblischer Zeit so gewesen.

 

 

Und weil mehr Menschen mit Wasser versorgt werden müssen, als der Jordan hergibt, gibt es bereits jetzt immer wieder Verteilungskämpfe. Manchmal wird im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser abgegraben.

Eins ist sicher: Es gibt für unser Leben nichts Elementareres als Wasser. Wasser ist „heilig“. Wer Wasser hat, hat Leben.

Man muss nicht einmal ein religiöser Mensch sein, um das zu verstehen. Ich glaube, dass wir ganz besonders behutsam mit Trinkwasser umgehen müssen. Um es nicht zu verschmutzen. Um es nicht zu verschwenden. Denn wenn kein Trinkwasser mehr da ist, ist auch unser Leben zu Ende.

Lassen wir es nicht so weit kommen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21MRZ2023
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Thor ist super-stark, Spiderman kann klettern und Fäden spinnen, Robin Hood verhilft Armen zu ihrem Recht.

Ach, manchmal wäre ich auch gern so ein Held. Am liebsten wie Harry Potter - Alohomora! und so. Zauberstab, Magie, das Gute gewinnt!

Oder wenn ich vielleicht ein bisschen Talent im Gedichte-Schreiben hätte, wie Amanda Gorman, die bei der Amtseinführung von Joe Biden gesprochen hat.

Oder wenn ich wenigstens so musikalisch wie Ed Sheeran wäre, der mitreißende Musik schreibt und damit Millionen begeistert.

Doch die Realität: die meisten von uns sind weder poetisch, noch musikalisch, noch Hexen oder Zauberer.

Obwohl? Doch, ich glaube, viele von uns sind es, auf ihre Weise.

Die Sozialarbeiterinnen zum Beispiel, mit denen ich neulich gesprochen habe. Sie kümmern sich zur Zeit hauptsächlich um geflüchtete Menschen. Und sie sorgen dafür, dass die Menschen in unserem, für sie fremden Land ankommen.  Ihr Zauberstab ist einfach ein Kugelschreiber, mit dem sie Formulare ausfüllen und Geld beantragen. Das wiederum ermöglicht vieles und öffnet Türen. Alohomora!

Ihre Magie ist ihr Einsatz für die Menschen. Und das machen sie jeden Tag. Unermüdlich.

Natürlich keineswegs so blauzauberhaft-schillernd wie der Patronus-Zauber bei Harry Potter - der aber auch schützt und Segen bringt. Und genau so empfinden es die Menschen, für die sie im Einsatz sind: Sie fühlen sich beschützt und sie spüren, dass es ein Segen für sie ist.

Das sind sie, meine Superhelden - die die Berge der Bürokratie bezwingen und Wege ebnen. Ganz ohne Magie. Dafür mit viel Entschlossenheit, ein bisschen Findigkeit, und oft einer guten Portion Gottvertrauen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20MRZ2023
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Marie und Timo gefielen sich auf den ersten Blick, Matthias und Lara kamen zufällig ins Gespräch, Lisa und Niels tauschten gleich die Handynummern ... Die Geschichten dieser Paare habe ich vor kurzem in einer Zeitschrift gelesen, die in den Fernzügen der Bahn ausliegt. Es hat gefunkt zwischen den Paaren, bei manchen im Zug, oder bei anderen auf dem Bahnsteig. Alle haben sie zueinander gefunden, trotz ganz unterschiedlicher Reisepläne.

Es hat mir große Freude gemacht, diese wunderbaren Geschichten zu lesen. Das freundliche, einladende Lächeln von Marie. Oder Lara, die vorsichtig gefragt hat, ob der Platz noch frei ist. Und dann haben sie die ganze Fahrt über miteinander gesprochen.

Wie im Film, habe ich mir gedacht. Nur da konzentriert sich die Kamera auf das Besondere. Da ist nicht nur das Lächeln, sondern auch die strahlend blauen Augen in Großeinstellung.

Und gerade dieser verschärfte Blick auf das Besondere ist etwas, das ich gerne für mein Leben übernehmen will. Wenn ich im Zug unterwegs bin, hoffe ich meistens, dass der Platz neben mir frei bleibt und ich in Ruhe aus dem Fenster schauen oder arbeiten kann.

Da hat sich neulich eine junge Frau neben mich gesetzt im Zug, die eigentlich ganz woanders ihren Platz hatte. Aber dort ist es wegen einer Gruppe nur laut gewesen. Und sie hat eine Maske getragen, obwohl man es nicht mehr braucht. Das hat mich zu der Annahme verleitet, dass sie eher kein Gespräch sucht. Doch es hat sich ein tolles Gespräch entwickelt über unsere Berufe und Religion. Echt kurzweilig. Und spannend.

Das habe ich als etwas ganz Besonderes empfunden. Und ich bin sehr froh gewesen, dass ich die Frage der jungen Frau nach dem Platz neben mir mit ja beantwortet habe.

Mir wird oft gar nicht bewusst, wie schnell ich besondere Momente verpasse. Und erst später frage ich mich, warum es mir so wichtig ist, alleine zu sitzen. Ob ich nicht viele tolle Begegnungen stattdessen haben könnte?

Wäre es nicht schön, wenn wir viel mehr besondere Momente wie den mit der jungen Frau im Zug oder von Marie und Timo, von Matthias und Lara, von Lisa und Niels erleben könnten?

Und wer weiß, welches Drehbuch Gott noch für uns geschrieben hat, welche Wunder noch auf uns warten?!

Halten wir die Augen offen, für die besonderen Momente in unserem Leben.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

19MRZ2023
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Gottesdienste sind voller alter Worte. Ich begegne immer wieder besonders jungen Menschen, die sich deshalb sehr schwertun, Gottesdienste zu besuchen. Sie sprechen mich nicht an, sagen sie mir oft.

Einerseits finde ich es spannend, dass Menschen seit Jahrhunderten in den alten Worten Trost und Halt finden. Andererseits gibt es auch viele Worte, die wir eigentlich nicht ehrlich mitsprechen können. Weil sie an unserer aktuellen Lebenssituation vorbeigehen. Weil uns zum Heulen zumute ist, und uns kein jubelndes Lob über die Lippen kommt. Wenn uns zum Beispiel eine Krankheit gefangen hält.

Da denke ich an Martin, er hat Multiple Sklerose, seine Muskeln werden immer schwächer. Mittlerweile kann er nur noch im Rollstuhl sitzen und nicht mehr laufen. Für einen Gottesdienst hatte ich das Lied „Lobe den Herren“ ausgesucht und mir eigentlich nichts dabei gedacht. Ist ja ein bekanntes Lied, das gerne gesungen wird.

Erst im Gottesdienst ist mir richtig bewusst geworden, dass der Text für Martin eigentlich nicht passt. Da heißt es: „Lobe den Herren, …der dich erhält, wie es dir selber gefällt ….“ Und in der nächsten Strophe: „Lobe den Herren, … der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!"

Nein, Flügel hat sein Rollstuhl definitiv nicht.

Martin hat mir erzählt, dass er Halt in einem anderen alten Vers, aus Psalm 23 findet: „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Denn Du, Gott, bist bei mir.“

Martin sagt, dass er davon singen mag. Nicht von Gesundheit, aber von Trost und Zuversicht im finsteren Tal. Gott ist das Licht - Seele, vergiss es ja nicht.

Wow. Ich sehe, wie Martin körperlich abbaut. Er braucht Hilfe bei vielen Dingen.

Aber: Er schreibt wunderbare Gebete. Eins hat er mir gegeben. Es spricht von Gott, bei dem er sich geborgen fühlt in all seiner Angst und Ungewissheit. Das gibt ihm Kraft, seine Krankheit auszuhalten und auch die Brüche, die sie mit sich bringt. Und noch einmal zitiert er den Psalm 23: Du deckst mir den Tisch, du salbst mein Haupt mit Öl. Und in deinem Haus, Gott, darf ich wohnen für lange Zeit

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19NOV2022
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Von Hoffnung zu sprechen, finde ich manchmal schwierig. Vor allem dann, wenn Menschen plötzlich etwas erleben, das ihnen viel abverlangt. So ist es mir einmal bei einem Trauerfall gegangen. EineMutter ist unerwartet gestorben, und der Vater ist mit zwei Kindern zurückgeblieben.

Meine Aufgabe ist es, die Frau zu beerdigen und dafür werde ich den Vater mit seinen Kindern zu Hause besuchen und mit ihnen sprechen. Die Beerdigung planen. Aber zuerst einmal werde ich zuhören, um etwas über die Ehefrau und Mutter zu erfahren. Und natürlich auch, wie es dem Vater mit seinen Kindern jetzt geht. Auch, wie das Leben dieser drei jetzt weitergehen kann.

Im Gepäck habe ich die christliche Botschaft, dass Jesus durch den Tod hindurch gegangen ist und uns dadurch das Leben über den Tod hinaus aufgeschlossen hat. Aber ich spüre natürlich, dass ich nicht einfach mit diesen Gedanken loslegen kann. Auch wenn sie für mich die christliche Hoffnung ausdrücken. Vielmehr muss ich schauen, in welcher Verfassung sie sind und welche Worte die richtigen sein werden.

Wie soll ich das Gespräch beginnen, dass es einerseits nicht hilflos wirkt und andererseits die Menschen in Trauer nicht überfordert. Auf jeden Fall spüre ich, dass offensichtlich das ganze Leben zerbrochen ist. Und die Frau scheint der Mittelpunkt des Familienlebens gewesen zu sein. Hoffnung schien mir hier zuerst einmal weit weg zu sein.

Aber dann sagt eines der Kinder, ein Mädchen: „Mama ist jetzt bei den Engeln.“ Jetzt erzählt sie von ihrer Mutter und ich spüre die Liebe in ihren leuchtenden Augen. Ich erlebe, wie Kinder ein solches Gespräch voranbringen können, wo uns Erwachsenen manchmal das Wort im Hals stecken bleibt.

Der Mann sagt noch: „Wir gehen nicht allein. Wir werden beschützt. Sagen Sie das bei dem Abschied.“

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18NOV2022
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Was koche ich heute? Ja manchmal stelle ich mir diese Frage schon morgens um sechs. Weil ich gerade Zeit habe und meine Frau und ich diese Frage sowieso stellen, bevor wir an unsere Arbeit gehen.

Ich esse gerne. Essen ist für mich mehr als nur Nahrungsaufnahme. Alleine essen finde ich nur halb so schön, da fehlt mir die Gemeinschaft.

Gemeinsam schmecken, erzählen und Zeit füreinander haben, ich finde, das ist ein hohes Gut. Meistens essen wir am Abend, wenn die Arbeit fertig ist. Da haben wir mehr Zeit und mehr Ruhe. Manchmal laden wir auch Freunde zum Essen ein, dann ist Gemeinschaft noch ein größeres Erleben.

Jesus hat oft mit anderen zusammen gegessen. Gerade auch mit denen, die sonst nicht an den Tischen saßen. Er hat mit ihnen gegessen, getrunken und geredet. Manchmal auch einfach draußen. Als fünftausend Menschen zusammen gewesen sind und Jesus alle satt gemacht hat. Da konnten die Menschen fühlen und schmecken, was es heißt, dass Gott für sie sorgt. Jesus hat sie dazu gebracht, miteinander zu teilen, damit alle satt werden.

Für mich ist das gemeinsame Essen ein wesentliches Element des Christ-seins. Schließlich hat Jesus den Jüngern aufgetragen, am gemeinsamen Essen festzuhalten, wann immer sie zusammenkommen. Das feiern wir an jedem Sonntag im Gottesdienst, wenn wir die Kommunion miteinander teilen. Und wir stehen dabei im Kreis um den Altar, da wird die Gemeinschaft des Essens und Trinkens deutlich sichtbar.

Was vielleicht etwas simpel zusammengefasst klingt, macht Sinn, wenn ich an den Psalmvers denke, den ich bei der Kommunion oft sage: „Kostet und seht, wie freundlich der Herr ist“. Nun bilden eine Oblate und ein Schluck Wein mit Sicherheit noch nicht die Freundlichkeit Gottes ab. Aber die Worte vom Leib und Blut Christi, die mir zugesprochen werden, die Gemeinschaft der Menschen, mit denen ich vor dem Altar stehe, der Segen, der mir gesagt wird, die Musik, die im Hintergrund spielt – das alles lässt mich schmecken und spüren, was es mit Gottes Freundlichkeit auf sich hat. Und das erfahre ich, wenn ich im Gottesdienst mit den anderen gemeinsam Brot breche.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

17NOV2022
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Ich gehöre auch zu den Nasenmenschen.

Nein, nicht zu denen mit einer besonders kleinen oder großen oder hübschen Nase. Sondern zu denen, die besonders gut riechen können. Für die sich vieles mit dem Geruch entscheidet. Nasenmenschen wie ich riechen einen Raum, bevor sie seine Einzelheiten wahrnehmen. Ich rieche einen Brief, bevor ich ihn öffne. Wenn ich Bücher lese, verbinde ich die Erzählung mit Gerüchen.

Wenn Nasenmenschen sich an etwas erinnern, dann immer auch daran, wie es damals gerochen hat. Bei meinen Großeltern etwa. Oder auch an Gottesdienste mit viel Weihrauch. Etwas Rotes riecht für manche Nasenmenschen intensiver als etwas Grünes. Etwas Blaues frischer als etwas Gelbes. Stinkendes nehmen sie stärker wahr als anderes, zu viel Parfum ist für sie eher eine Plage als ein Genuss. "Immer der Nase nach" ist für sie kein Spruch, sondern eher Alltag.

Ich habe mich gefragt, wie mag es anderen Nasenmenschen wohl gehen mit dem Neuen Testament?Darin ist nämlich auch von einer Duftnote die Rede.

„Wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi“ schreibt Paulus in seinem zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth. Christinnen und Christen tragen demnach ein Parfum der besonderen Art: „Wohlgeruch Christi“. Denn Christus riecht

nach Leben. Den Modergeruch des Vergänglichen hat er mit seiner Auferstehung hinter sich gelassen. Er strömt Zuversicht aus, Hoffnung, Frische und Aufbruch. Der Tod ist kein Ende. Nach dem Tod geht es weiter.

Ich liebe es, gerade jetzt, wo die Weihnachtszeit wieder vor der Tür steht, über Weihnachtsmärkte zu laufen und die vielen Gerüche in mich aufzunehmen. Oder eine Kirche zu betreten, und dabei riecht jede anders.

Wie wäre das, wenn ein solcher Duft, der Wohlgeruch Christi, der Geruch des Lebens, sich gerade im November mit den vielen Totengedenktagen unter uns ausbreitet? Wenn er sich nicht aufhalten lässt vom Gestank unseres Alltags? Wäre doch großartig, wenn Menschen dann nicht die Nase rümpfen und die Luft anhalten müssen, sondern merken: Das hat was! Das riecht nach mehr! Nach Leben. Das will ich auch!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

16NOV2022
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Lang, lang ist es her. Vor achtundzwanzig Jahren war der heutige Buß- und Bet-Tag noch ein staatlicher Feiertag. Ein Jahr später, 1995, hab ich dann an dem Tag das erste Mal gearbeitet - um die Pflegeversicherung zu finanzieren, wie die Politiker uns gesagt haben.

Aber geblieben ist er dennoch: Der Buß- und Bettag.

Bußtage haben eine lange Tradition, es gab sie bereits in der Antike. Bußtage sind dazu da, dass Menschen innehalten, einen Blick auf ihr Leben werfen, um zu schauen, ob es noch in den geplanten Bahnen läuft. Und festzustellen, ob es notwendig geworden ist, sich bei anderen Menschen zu entschuldigen, weil man ihnen Unrecht getan hat, ohne es überhaupt zu merken. Bußtage geben mir Gelegenheit, mir bewusst Zeit zu nehmen für einen Blick nach innen, auf mich selbst und mein Leben, und diesem Hineinblicken in mich nicht auszuweichen. Das kann anstrengend sein, weil ich mich dann wie in einem Spiegel anschaue. Vielleicht stelle ich dabei fest, dass ich gar nicht so toll bin, wie ich denke, weil ich auf Kosten von anderen lebe, weil manches schief läuft. Wenn ich das erkannt habe, bereue ich, nicht anders, bewusster gelebt zu haben. Das muss dann nicht so bleiben, denn ich kann ja jederzeit an meinem Lebensstil etwas verändern. Das ist Wartung für die Seele. Auch meine Beziehung zu Gott kommt dabei auf den Prüfstand. Gott hält mir meine Fehler zwar vor. Dann gibt er mir aber auch die Möglichkeit zu einem neuen Anfang. Das nennen Christen Gnade.

Buße hat auch eine soziale Dimension. Wenn beispielsweise zu einer Mahnwache eingeladen wird, ist das auch eine Bußübung. Gemeinsam wollen Menschen durch das Innehalten, durch das Zusammenstehen auf Missstände in der Gesellschaft hinweisen, etwa auf Menschen, die flüchten vor Krieg, auf die zunehmende Zerstörung der Erde oder darauf, dass in unserer Wirtschaftspolitik die hinten runterfallen, die sowieso schon zu wenig zum Leben haben.

Heute ist Buß- und Bettag.

Seit der Feiertag weggefallen und der Tag nicht mehr arbeitsfrei ist, begehen wir in Furtwangen diesen Tag mit einem gemeinsamen Gottesdienst in der evangelischen Kirche in ökumenischer Verbundenheit.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

15NOV2022
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Ich liebe Handschmeichler! Ich liebe es Dinge zu berühren, wie z.B. über Samtstoff streichen oder Sand durch meine Hände rieseln lassen - das ist wunderbar. Auch mag ich es, wenn etwas meinen Füßen schmeichelt, barfuß über warmes Holz gehen oder taufrisches Gras unter den Fußsohlen spüren - herrlich.

Ich spüre und fühle gerne über meine Haut. Meine Haut ist mit bis zu zwei Quadratmetern Oberfläche das größte Sinnesorgan und das sensibelste noch dazu, das ich habe. Und es ist das erste Sinnesorgan, das sich bei ungeborenen Kindern entwickelt, vor allen anderen Sinnen.

Kleinste Berührungen nehme ich wahr, selbst eine Fliege, die sich auf meinem Arm niederlässt. Ich liebe es, wenn meine Frau und ich uns umarmen und festhalten. Das macht mich freudig und glücklich. Manchmal erschrecke ich auch, etwa wenn ich im Garten wieder eine Brennessel erwischt habe.

Ein Film kann "unter die Haut" gehen, weil die Story mich berührt.

Trotzdem merke ich, dass Fühlen und Berühren mittlerweile im Alltag eine eher untergeordnete Rolle spielen. So winken wir uns im Gottesdienst beim Friedensgruß nur noch zu. Oft kommt es mir vor, als ob ich nur noch desinfiziere, statt berühre.

Zumal sich nicht jede Berührung gut anfühlt. Dem Christentum wird nachgesagt, dass es leibfeindlich sei. Für den Kirchenlehrer Augustinus war der Körper das Einfallstor der Sünde. Die katastrophalen Missbrauchsfälle in der Kirche pervertieren diesen Zusammenhang noch mehr und machen es nicht einfach, hier jetzt über Berühren und Fühlen zu sprechen. Es ist ein Skandal, wenn Menschen missbräuchlich berührt werden und es macht sprachlos.

Dabei ist in der Bibel so oft vom guten, hilfreichen Berühren und Fühlen die Rede. Jesus hat Menschen berührt. Und sie haben die Hände nach ihm ausgestreckt. Die Heilungsgeschichten im Neuen Testament sind vor allem Berührungsgeschichten. Sie erzählen, dass Jesus vor allem denen nahekommt, von denen alle anderen sich fernhalten. Heilend streckt er seine Hände nach den Menschen aus. Berührt und segnet sie. "Geh in Frieden", sagt er dann oft.

Das wünsche ich uns. Berührungen, die heilsam sind und nicht zerstören. Gutes, das spürbar ist. Und Frieden, auf den wir hoffen können.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14NOV2022
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Ich habe eine neue Brille. Gleitsichtgläser sollen mir helfen, in Nah und Fern gut zu sehen. Eigentlich eine gute Sache, aber seitdem ich sie habe, tapse ich Treppen hinunter, weil der Lesebereich in den Brillengläsern die Sicht auf die Treppenstufen verschwimmen lässt. "Sie müssen sich erst dran gewöhnen!", hat mir mein Optiker gesagt. Er hat gut reden. Im Moment ist vieles noch unscharf. Das macht mich unsicher.

Diese unscharfe Sicht kenne ich auch, wenn ich mich mit Gott beschäftige. Manchmal kann ich ihn kaum erkennen – da hilft auch keine neue Brille. Scheinbar hat er sich gut versteckt in unklaren Zeiten. Da frage ich mich, ob diese Pandemie nicht endlich in eine erträgliche Phase übergehen kann, die mir die Freiheit und die Leichtigkeit des Lebens zurückbringt? Und genauso frage ich mich, ob Gott nicht endlich durchgreifen und Frieden schaffen kann? Wo ist er überhaupt in all dem?

Der Schriftsteller Wolfgang Bochert hat sich am Ende des Zweiten Weltkriegs mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt. In seinem Drama „Draußen vor der Tür“ lässt er einen Soldaten fragen:

„Wir haben dich gesucht, Gott. Wir haben nach dir gebrüllt, geweint, geflucht. Wo warst du da, lieber Gott?“

Ich nehme wahr, dass diese Frage auch heute viele Menschen umtreibt, die Schlimmes erlebt haben und einen Halt für sich suchen. Menschen, die Hab und Gut verloren haben und auf der Flucht sind, Menschen, die in zerrütteten Familien leben oder denen ein medizinischer Befund eine tödliche Krankheit mitteilt. Wo ist Gott in all dem?

Ich sehe keinen Sinn im Leid und ich will mich nicht daran gewöhnen. Ich will auch nichts Frommes hineininterpretieren und Gott darin in irgendeiner Weise am Werk sehen.

Ich kann nur die Augen offenhalten, damit ich kein Leid übersehe. Sondern viel mehr danach schaue, wie ich helfen kann, Leiden zu lindern. Manchmal gelingt es, dass die Menschen wieder klarsehen können und einen Weg für sich finden.

Und manchmal gelingt es mir nur, mit und für die Menschen zu beten. Ich bin überzeugt davon und halte daran fest, dass die alten Worte aus Psalm 121 auch für uns gelten: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht."

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