SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Gottesdienste sind voller alter Worte. Ich begegne immer wieder besonders jungen Menschen, die sich deshalb sehr schwertun, Gottesdienste zu besuchen. Sie sprechen mich nicht an, sagen sie mir oft.
Einerseits finde ich es spannend, dass Menschen seit Jahrhunderten in den alten Worten Trost und Halt finden. Andererseits gibt es auch viele Worte, die wir eigentlich nicht ehrlich mitsprechen können. Weil sie an unserer aktuellen Lebenssituation vorbeigehen. Weil uns zum Heulen zumute ist, und uns kein jubelndes Lob über die Lippen kommt. Wenn uns zum Beispiel eine Krankheit gefangen hält.
Da denke ich an Martin, er hat Multiple Sklerose, seine Muskeln werden immer schwächer. Mittlerweile kann er nur noch im Rollstuhl sitzen und nicht mehr laufen. Für einen Gottesdienst hatte ich das Lied „Lobe den Herren“ ausgesucht und mir eigentlich nichts dabei gedacht. Ist ja ein bekanntes Lied, das gerne gesungen wird.
Erst im Gottesdienst ist mir richtig bewusst geworden, dass der Text für Martin eigentlich nicht passt. Da heißt es: „Lobe den Herren, …der dich erhält, wie es dir selber gefällt ….“ Und in der nächsten Strophe: „Lobe den Herren, … der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet. In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet!"
Nein, Flügel hat sein Rollstuhl definitiv nicht.
Martin hat mir erzählt, dass er Halt in einem anderen alten Vers, aus Psalm 23 findet: „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil. Denn Du, Gott, bist bei mir.“
Martin sagt, dass er davon singen mag. Nicht von Gesundheit, aber von Trost und Zuversicht im finsteren Tal. Gott ist das Licht - Seele, vergiss es ja nicht.
Wow. Ich sehe, wie Martin körperlich abbaut. Er braucht Hilfe bei vielen Dingen.
Aber: Er schreibt wunderbare Gebete. Eins hat er mir gegeben. Es spricht von Gott, bei dem er sich geborgen fühlt in all seiner Angst und Ungewissheit. Das gibt ihm Kraft, seine Krankheit auszuhalten und auch die Brüche, die sie mit sich bringt. Und noch einmal zitiert er den Psalm 23: Du deckst mir den Tisch, du salbst mein Haupt mit Öl. Und in deinem Haus, Gott, darf ich wohnen für lange Zeit
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