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SWR1 3vor8

31DEZ2023
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Was für ein Titel: Fest der „Heiligen Familie“. In diesem Jahr fällt in der Katholischen Kirche der letzte Tag des Jahres mit diesem Fest zusammen. Und die Pfarrer, die predigen müssen, haben ein Problem, weil von dem nicht mehr viel übrig ist, was man traditionell so unter Familie und heilig versteht. Ehen werden geschieden, Paare heiraten erst gar nicht - kirchlich sowieso kaum noch. Mit der Autorität der Eltern ist es nicht mehr weit her. Viele Menschen bleiben lieber Singles. Und auch, dass die Rollen und Geschlechter klar in Mann und Frau eingeteilt sind, kann man beileibe nicht mehr behaupten. Wer also nach dem bürgerlichen Ideal von Familie sucht und meint, das sei heilig, der wird enttäuscht sein. Auch von mir, weil ich etwas in der Art auch in der Bibel so nicht finde. Obwohl die Auswahl der Texte, die an diesem Sonntag im Gottesdienst vorgetragen werden, zumindest den braven Schein aufrecht erhalten wollen. In einer Lesung heißt es nämlich: Ihr Frauen, ordnet euch den Männern unter, wie es sich im Herrn geziemt![1] So einen Gedanken findet inzwischen sogar meine Mutter komisch; und die ist über achtzig und in ziemlich traditionellen Rollenmustern aufgewachsen.

Was steckt aber dann an Familie und Heiligkeit in so einem Satz? Und was bringt das für heute? Dass Frauen sich unterordnen, ist vorbei. Gottlob! Aber es bleiben Situationen, wo in einer Familie eine das Sagen hat und der andere folgen muss. Hoffentlich sind die Aufgaben dabei gut verteilt und die Rollen wechseln. Hoffentlich gibt es dann neben dem Sagen und Unterordnen, auch das einander Respektieren und Lieben. Das war schon in der Familie so, die dem Fest heute seinen Namen gibt. Maria wird unter seltsamen Umständen schwanger und setzt sich trotzdem ihrem Verlobten gegenüber durch. Der, Josef, muss sich erst in seine Vaterrolle hineinfinden. Und das Kind interessiert sich bald mehr für Dinge außerhalb seiner Familie, was den Eltern einiges an Kopfzerbrechen bereitet hat.

Familie ist heute anders als früher, komplizierter und vielfältiger, als viele das wahrhaben wollen. Aber im Grunde ist es ganz einfach. Familie ist dort, wo Menschen Leben weitergeben, ein gutes Vorbild und Begleitung sind für die, die nachkommen. Und heilig ist Familie überall da, wo in ihr etwas von Gottes Liebe aufblitzt.

 

[1] Kolosserbrief 3,18

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

30DEZ2023
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Etwas ist „Matthäi am Letzten“. Die alte Redewendung meint, dass eine Sache nicht mehr zu retten ist, aus und vorbei damit. Pech gehabt. Fast immer ist es gut, wenn das nicht so ist.

Weil es meistens gut ist, wenn noch ein letztes Türchen offen bleibt, man eine Sache nochmal anpacken kann. Vielleicht geht es manchen so, wenn sie daran denken, dass morgen das Jahr zu Ende geht, und sie vieles nicht erledigt haben, das wichtig gewesen wäre.

Ich krame da auch bei mir ein bisschen.

Ich hätte gerne noch eine Freundin besucht, bevor sie gestorben ist. Nur wusste ich zuletzt nicht mal mehr, wo sie wohnt. Und richtig darum gekümmert, das herauszufinden, habe ich mich nicht. Jetzt ist es zu spät.

Da liegt ein Buch auf einem Stapel. Ich habe es auch deshalb geschenkt bekommen, weil der meine Meinung dazu hören will, der mir’s geschenkt hat. Es liegt jetzt schon ein paar Monate da, obwohl es gar nicht so viele Seiten hat. Aber solange ich’s nicht gelesen habe, will ich mich auch nicht beim Schenker melden.

Es könnte also sein, dass ich mich heute noch hinsetze und mir eine kleine Liste mache, was alles liegengeblieben ist und was davon ich ins neue Jahr mitnehmen will. Wo das nicht mehr geht, da war dann tatsächlich Matthäi am letzten. Wie bei der inzwischen gestorbenen Freundin.

Wobei das so nicht stimmt. Die Redewendung „Matthäi am Letzten“ bezieht sich auf die Bibel. Eben auf das Evangelium des Matthäus und was dort ganz am Ende steht. Der letzte Vers im letzten Kapitel lautet nämlich: Ich bin bei euch alle Tage bis an Ende der Welt. Dann geht es eben nicht um Ende schlecht, alles schlecht, sondern Matthäus öffnet eine Türe, die mich hoffen lässt. Sogar wenn ich etwas nicht schaffe, wenn ich zu schwach bin oder vergesslich oder sogar zu faul – Gott hat ganz andere Möglichkeiten. Und im letzten hängt es nicht nur an mir, wie eine Sache ausgeht.

Ich leite daraus jetzt nicht die Chance ab, meine Hände in den Schoß zu legen. Aber es entlastet mich zu wissen, dass ich manches nicht zu Ende bringen muss. Bevor dann morgen das Jahr zu Ende geht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28DEZ2023
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Bischöfin gesucht - Maria 2.0

„Wir suchen eine Bischöfin, einen Bischof, Klammer auf: m/w/d, Klammer zu, für die Diözese Rottenburg-Stuttgart.“ Eine Gruppe von Maria 2.0 hat diese Stellenanzeige im Umlauf gebracht. Bewerbungen sind direkt an den Vatikan zu richten. Das ist lustig, weil nur allzu bekannt ist, dass Frauen das in der Katholischen Kirche nicht dürfen: Bischöfin werden. Aber das Lachen vergeht einem auch gleich wieder, wenn man den Zusatz auf der Anzeige liest: „Leider dürfen wir nicht mitbestimmen; alles wird hinter verschlossenen Türen entschieden!“

Warum eigentlich nicht, warum eigentlich keine Frau als nächster Bischof in meiner Diözese? Die dann Bischöfin hieße. Bischöfin Manuela. Bischöfin Katharina. Bischöfin Ute. Bischöfin Juliane. Ich hätte damit überhaupt kein Problem. Frauen können nicht alles tun, was Männer tun. Und umgekehrt: Ich kann keine Kinder auf die Welt bringen, weil ich das biologisch nicht kann. Aber mit dem Argument, Jesus sei nun mal ein Mann gewesen, zu begründen, weshalb Frauen in der Katholischen Kirche kein Amt ausüben dürfen, das ist mir dann doch zu wenig. Kein ernstzunehmender Theologe, den ich kenne, würde erlauben, allein von der Biologie her zu denken. Der Mensch ist doch viel mehr. Frauen können natürlich Eigenschaften mitbringen, die sie eine gute Bischöfin sein ließen. Und wer wollte behaupten, sie könnten nicht genauso von Gott berufen sein wie ein Mann? Wo doch Gott nach dem, was Jesus gelebt und verkündet hat, gerade diese Rollenmuster überwunden sehen wollte.

Was von der künftigen Hirtin, dem künftigen Hirten in der Kirche erwartet wird, ist enorm. Das Kirchenrecht macht da klare Vorgaben. Aber viel wichtiger scheinen mir die Eigenschaften zu sein, die die eingangs genannte Stellenanzeige anführt.

Wer künftig an der Spitze der Diözese Rottenburg-Stuttgart steht – und das wird wieder ein Mann sein -, soll mit den Menschen so sprechen, als wäre er einer von ihnen. Große Offenheit ist wünschenswert, besonders für alle, die anders an Gott glauben. Der Neue soll bereit sein, Geld, Macht und Ansehen zu teilen – wie es der Heilige Martin als Patron des Bistums vorgelebt hat. Wo es schwierige Entscheidungen zu treffen gilt, soll das Gewissen des Bischofs die oberste Instanz sein, weil er dort Gott unmittelbar begegnet.

Das ist ein stolzer Katalog an Erwartungen. Kaum zu erwarten, dass das ohne Weiteres gelingt. Aber ob ein Bischof es gut macht oder ob er versagt. Er ist eben auch nur ein Mensch, und es ist egal, ob er ein Mann ist oder eine Frau.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27DEZ2023
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Friede auf Erden. Das ist ein Zitat aus dem Evangelium zu Weihnachten, jenem Fest, das gerade vorbei ist. Friede auf Erden – das haben die Hirten gespürt, als sie von ihrem Feld bei Betlehem zu dem Stall gelaufen sind, wo Jesus geboren wurde. Das Kind in der Krippe kommt von Gott und hat den Auftrag, Friede auf die Erde zu bringen. Dazu kommt Gott in diese Welt, dazu wird er Mensch, damit wir Menschen verstehen: Darum geht es. Wir werden nur überleben, wenn wir uns für den Frieden einsetzen, wenn wir Frieden schaffen, wenn wir friedlich zusammenleben.

Friede auf Erden. Das habe ich mir dieses Jahr an Weihnachten so sehr gewünscht, wie schon lange nicht mehr. Weil Krieg herrscht und weil es auch kleine Kriege in unserer Gesellschaft gibt. Sie werden mehr. Die kleinen Kriege des Hasses auf Juden, die Bosheiten bei Facebook und Instagram, das Gehässige, wenn einer einen Fehler macht. Das immer wieder zu erleben, spornt mich an, dem etwas entgegenzusetzen. Ich will so oft wie möglich vom Frieden sprechen. Damit nicht verloren geht, was damit gemeint ist. Darin sehe ich eine meiner Hauptaufgaben als Christ, der hier im Radio reden darf. Friede auf Erden. Das geht. Wir können das. Wenn wir nur wollen.

Um so mehr schmerzt es mich, wenn Bundesverteidigungsminister Pistorius von „Kriegstüchtigkeit“ spricht und sich das Wort trotz Kritik auch nicht verbieten lassen will. Ich verstehe, was er damit sagen will, und weiß auch, dass er keinen Krieg anzetteln will, der von deutschem Boden ausgeht. Er will die Bundeswehr fit machen, damit sie unser Land und seine Werte schützen und in den Kriegsgebieten unserer Welt ihren Dienst tun kann. Pistorius will die Armee ertüchtigen und Männer und Frauen haben, die tüchtig sind im Kriegsfall.

Das will ich nicht. Und als Christ kann ich das auch nicht wollen, weil es fundamental dem widerspricht, was der an Weihnachten geborene Christus gewollt hat. Er wollte die Menschen für den Frieden ertüchtigen, wollte, dass Kinder, Frauen und Männer diese Eigenschaft üben, die oftmals vernachlässigt und vergessen wird.

Für den Frieden tüchtig zu sein, ist schwieriger als für den Krieg. Wenn die Spirale der Gewalt sich dreht, ist die Hand schnell am Drücker. Friedlich zu bleiben, ist mit das Schwerste, das es überhaupt gibt. Aber fürs Leben gibt es keine Alternative.

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SWR1 3vor8

03DEZ2023
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Wenn es Gott gibt, woher dann das viele Unglück? Die Frage ist alt, oft gestellt und unbeantwortet geblieben. Sie treibt mich aber trotzdem um. Ein Erdbeben, das tausende Menschen verschlingt. Fanatiker, die hasserfüllt und brutal morden. Schüler, die aufeinander losgehen, weil sie verzweifelt sind. Ich weiß: Gott hat uns Freiheit gegeben, zu tun und zu lassen, was wir wollen. Und dass die Welt, in der wir leben, nicht perfekt ist, sondern Grenzen hat, das weiß ich auch. Trotzdem frage ich mich, ob das nicht alles auch anders sein könnte, besser. Ich sehne mich nach ein bisschen mehr heile Welt. Ich will leuchtende Kinderaugen sehen. Und im Fernsehen Attentäter, die sich schämen und bereuen, was sie getan haben. Politiker, die aus Überzeugung barmherzig sind und sagen: „Das schaffen wir mit den vielen Fremden, die zu uns kommen. Und am Geld soll’s nicht liegen.“

Ich kenne meine Sehnsucht, und ich weiß, dass es Dinge gibt, an denen ich nichts ändern kann. Um so weniger will ich das Böse hinnehmen, das im Kopf von Menschen entsteht und eben doch in unserer Hand liegt. Und ich will auch nicht die Hoffnung aufgeben, dass Gott dabei einen Beitrag leisten könnte. Daran glaube ich nämlich. Ich glaube, dass es so ist, wie es der Prophet Jesaja an einer Stelle in seinem Buch formuliert: Wir sind der Ton und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.[1] Mit diesem Satz endet ein Bibeltext, der heute am Ersten Advent in den Katholischen Gottesdiensten gelesen wird. Der Prophet spricht mehr als deutlich aus, dass viele seiner Zeitgenossen ihre Freiheit missbrauchen. Dass vor allem eine Haltung vorherrscht: Gottvergessenheit. Wer keinen Gott kennt, dem gegenüber er sich verantwortlich fühlt, der macht, was er will. Er ist am Ende nur sich selbst verantwortlich. Wer nicht (mehr) nach dem tieferen Plan in dieser Welt sucht, dem ist es egal, ob es gerecht zugeht oder nicht. Dann gilt das fatale Recht des Stärkeren.

Gibt es Gott? Kümmert ihn, was passiert? Jesaja sagt, wir sind aus Ton. Weich und formbar. Gott hat eine Vorstellung, davon, wie wir aussehen und sein sollen. Und selbst dem, der wirkt, als wäre er aus Stein traut er zu, die eine Stelle zu finden, wo er sich ändern kann, wandeln zum Guten. Das Bild, das Gott von jedem Menschen hat, ist für ihn nie ganz endgültig. Das zu wissen, das tut mir gut, stillt meine Sehnsucht ein bisschen, trägt mich durch diesen Advent.

 

 

[1] Jesaja 64,7b

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SWR2 Lied zum Sonntag

19NOV2023
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Der Choral aus Mendelssohns Elias, den ich Ihnen heute vorstelle, besteht nur aus einem einzigen kurzen Satz. Er heißt: „Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig.“ Das klingt kurz und knackig. Aber die Botschaft, die damit verbunden ist, die hat’s in sich. Nicht zuletzt, weil sie nicht so eindeutig zu entschlüsseln ist.

Wer bis an das Ende beharrt… Ist das die Parole eines Einpeitschers, der unser Durchhaltevermögen auf die Probe stellen will? Für mich eine unangenehme Vorstellung, weil ich gleich an Krieg denken muss. An Schlachten, wo man ohne Rücksicht auf Verluste Menschen in den Tod geschickt hat. Nur um durchzuhalten? So kann es nicht gemeint sein, weil das der Botschaft des christlichen Glaubens so entgegen steht wie kaum etwas anderes.

Der Text des Chorals steht wörtlich im Matthäusevangelium, also an einem Ort, wo aufbewahrt wird, wie Jesus gedacht und gelebt hat. Dort, im 24. Kapitel bei Matthäus geht es um das Ende der Welt, und dabei ist auch von Krieg die Rede. Er ist dort ein Indiz dafür, dass die Welt aus den Fugen geraten ist, dass sie auf ihr Ende zusteuert. Das haben die Menschen damals, vor zweitausend Jahren erwartet. So kann es nicht weitergehen. So unmenschlich, so böse, so brutal wie die römischen Besatzer vorgehen. Das Ende der Welt erwarte ich heute nicht. Obwohl sich gar nicht sehr unterscheidet, wie es bei uns zugeht. Ich hoffe trotzdem, dass die Menschheit noch eine große Zukunft vor sich hat. Und dabei will ich beharrlich bleiben. Bis an ein Ende, von dem ich nicht weiß, wann es kommen wird.

Ist das womöglich blauäugig und ich übersehe die klaren Hinweise auf eine Katastrophe? Der Himmel hat sich wieder verdunkelt. Menschen gehen in sinnlosen Kriegen aufeinander los. Abertausende Menschen sind heimatlos und ziehen in großen Strömen umher, um endlich den Platz zu finden, wo sie in Ruhe schlafen können. Wir leben zu oft so, als hätten wir alles unbegrenzt zur Verfügung.

Trotzdem kündige ich hier nicht den Untergang der Welt an. So wenig wie Mendelssohn in den zarten Tönen seines Oratoriums über den Propheten Elija. Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig. Das verlangt Ruhe und Geduld. Zumal, wenn man nicht weiß, wie lange man aushalten muss. Gleichzeitig nütze ich die Gelegenheit, um den Zeigefinger zu heben. Wie Elija es einst getan hat. Wie ich auch den Satz des Matthäus verstehe: Mensch, bedenke das Ende! Und halte dich an das, was gut ist – für dich und andere. Verlass dich darauf, was dir Halt gibt. Lass dich nicht hineinziehen in den Strudel von Hass und Gier und Neid. Bleibe beharrlich, halte durch mit dem, was du als gut und menschlich erkannt hast. Dann wirst du selig sein, so sein, wie Gott dich gewollt hat.

 

Musikaufnahme

Felix Mendelssohn-Bartholdy, ELIAS, op. 70
N°32 Wer bis an das Ende beharrt, der wird selig

La Chapelle Royale | Collegium Vocale | Orchestre des Champs Élysées
Philippe Herreweghe

Harmonia mundi  France 1993   |   HMC 901463.64

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SWR1 3vor8

29OKT2023
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Alles, wirklich alles hängt davon ab: Du sollst lieben, Gott und den Nächsten lieben – wie dich selbst[1]. Katholiken bekommen dieses sogenannte Doppelgebot heute in ihren Gottesdiensten aus der Bibel vorgetragen. Und Jesus fügt ausdrücklich an: An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten[2]. Also alles, worauf die Frommen zu seiner Zeit besonders Wert gelegt haben, alles, was sonst in der Bibel steht. Über allem, was Menschen bestimmen und tun, steht die Liebe.

Wenn das Reden von der Liebe nur nicht so abgedroschen klingen würde. Sie wird zumal in der Kirche ständig bemüht. Bei der Taufe, einer Hochzeit, auch bei einer Bestattung – immer wird die Liebe als das Größte angeführt. Und wenn ich als Christ bei einem heiklen Thema argumentiere, dann lande ich auch nicht selten am Ende bei der Liebe.

Zwei Streithähne sollten sich versöhnen. Warum und wie? In und aus Liebe. Einer soll eine neue Chance bekommen, obwohl er schon zum wiederholten Mal Mist gebaut hat. Die vielen Geflüchteten, die zu uns kommen, wie sollen wir das schaffen. Ja, zumindest es versuchen, immer und immer wieder. Warum und wie? In und aus Liebe!

Auch beim aktuellen Konflikt in Israel bin ich versucht, mit der Liebe zu argumentieren. Zumal die Rede davon dort ihren Ursprung hat. Im Heiligen Land, das so durchzogen ist von Blut und Hass, dass die Sehnsucht nach Liebe dort buchstäblich zum Himmel schreit. Das Gebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten gilt gleichermaßen für alle, die sich auf den Gott Abrahams berufen[3]. Egal, ob er Allah oder Jahwe genannt wird oder ob es der Gott Jesu Christi ist. Aber die Erinnerung daran scheint in den Bombenkratern und angesichts der vielen, vielen unschuldigen Toten verloren gegangen zu sein. Es beschleicht mich jedenfalls ein ungutes Gefühl, wenn ich mir vorstelle, darauf zu hoffen, dass Liebe die Lösung sein, dass sie etwas verändern könnte.

Von der Liebe zu sprechen, klingt vielleicht abgenutzt. Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass sie es ist, die etwas bewirken kann. Gerade im Nahen Osten, in dieser so gebeutelten Region unserer Welt. Denn es war ja gerade dort, wo damals die Menschen glasklar verstanden haben, dass immer die Liebe entscheidet. Die Liebe ist das Größte, was in uns Menschen steckt. Und sie verbindet uns unmittelbar mit Gott. Wer sich auf Gott berufen will, muss lieben.

 

[1] Vgl. Matthäus 22,37-39

[2] Matthäus 22,40

[3] Das Gebot der Nächstenliebe hat seine Wurzeln in dem alttestamentlichen Buch Levitikus: „Sei nicht rachsüchtig noch trag deinem Stammesgenossen etwas nach, sondern liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Ich bin der Herr.“ (Levitukus 19,18).

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SWR4 Abendgedanken

27OKT2023
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Gibt es etwas, dass Sie zu Ende bringen sollten? Vielleicht einen Brief oder ein Fotoalbum, eine Handarbeit – oder gar eine Freundschaft, die schon lange nicht mehr das ist, was sie mal war? Bei mir zu Hause liegen genügend Dinge herum, die ich einmal angefangen, aber nie fertig gemacht habe. Ich sollte zum Beispiel Ordnung in mein Bücherregal bringen. Aber weil ich ständig ein neues Buch kaufe, stapeln sich die Neuanschaffungen inzwischen auf dem Boden, weil‘s im Regal gar keinen Platz mehr hat. Ich müsste also zuerst ausmisten. Und da gäbe es so einige Bücher, die ich seit Jahren nicht mehr in der Hand hatte. Dann schleiche ich um sie herum und wäge ab, ob ich sie vielleicht doch irgendwann nochmals brauchen könnte. Sehr unwahrscheinlich! Und wenn doch, gibt’s eine große Bibliothek in meiner Nähe, wo ich alles finden kann.  Warum bloß mach ich’s nicht? Weil mir der letzte Antrieb fehlt. Etwas blockiert mich und verhindert, dass ich den einen entscheidenden Schritt tue. Wie ein Zahnrädchen, das immer wieder durchrutscht und nicht ins nächste Rädchen greift. Vielleicht scheue ich die Anstrengung, weil’s immer schwerer wird, eine Sache abzuschließen, wenn es aufs Ende zugeht.

Wenn es nur um die Ordnung in meiner Wohnung geht, ist das keine große Geschichte. Aber es gibt auch Angelegenheiten, die existenziell werden können, sozusagen: überlebenswichtig. Was ich vor seinem Tod regeln sollte, gehört unbedingt dazu. Ich weiß, wie lange ich das vor mir hergeschoben habe. Und ich weiß auch noch, was den Ausschlag gegeben hat, es endlich anzupacken. Als ein Freund überraschend sehr krank wurde und dann in Eile alles regeln musste. Da hat’s bei mir „Klick“ gemacht. Ich habe mich hingesetzt und überlegt: Was gibt mir zu Lebzeiten ein gutes Gefühl, wenn ich weiß, dass ich es fertig gemacht habe, und was hilft denen, die es irgendwann mal umsetzen müssen? Dann habe ich mich informiert und eine Liste gemacht, was ich alles wissen muss, bevor ich es festlegen kann. Der Rest lief fast von allein. Ich habe inzwischen eine Patientenverfügung und eine Generalvollmacht, und ein Testament habe ich auch geschrieben. Alle Dokumente, die im Falle des Falles gebraucht werden, liegen zusammengefasst an einem Ort. Einen Organspendeausweis habe ich auch. Hin und wieder spreche ich sogar darüber, was mir für meine Beerdigung wichtig ist. Aber nicht zu sehr im Detail. Ich finde, ein bisschen was darf ruhig offen bleiben. Denn so hilfreich es ist, Dinge abzuschließen: Ganz fertig wird man im Leben nie. Das muss dann am Ende ein anderer machen.

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SWR4 Abendgedanken

26OKT2023
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Größere Reisen unternehme ich gerne mit der Bahn. Zur Zeit ist das ein bisschen schwierig, weil die Züge oft zu spät kommen oder ganz ausfallen. Es klappt dann fast nie so wie geplant. Wie die meisten ärgert mich das auch, vor allem, wenn ich darauf angewiesen bin, nicht zu spät zu kommen. Aber keine Sorge, ich werde jetzt nicht über die Bahn meckern. Denn – und darauf kommt es mir an – ganz oft ergibt sich in der Zwischenzeit, beim Warten auf den Zug, etwas Schönes. Und hinterher denke ich mir: Die Zeit war gar nicht umsonst. Wenn alles wie am Schnürchen geklappt hätte, wäre ich zwar zielstrebig von A nach B gekommen. Aber dazwischen hätte es nichts gegeben. Keine ältere Dame, der ich weiterhelfen konnte, weil sie den Weg nicht richtig gewusst hat. Auch nicht die beiden Buben, die mit dem Papa eine Reise nach München unternommen haben und ganz aufgeregt waren, wann denn der Zug endlich kommt und es losgeht mit ihrem Ausflug in die große weite Welt. Besonders schön war letztens die Stunde mit einem jungen Pärchen, die wie ich in der Bahnhofshalle warten mussten. Sie waren aus Kanada und für zweieinhalb Wochen in Ferien unterwegs. Und zum ersten Mal in Europa. Ich konnte ihnen gleich weiterhelfen mit ein paar praktischen Tipps, nach denen sie mich gefragt hatten. Und ziemlich schnell haben wir uns dann erzählt, wie es in unseren Heimatländern zugeht, was uns gerade beschäftigt in der Politik und im Zusammenleben der Gesellschaft. Am Ende waren wir in kurzer Zeit so vertraut miteinander geworden, dass wir ein Selfie gemacht und uns herzlich verabschiedet haben. So etwas, so ein Zufall, so eine schöne Begegnung, das ergibt sich nicht, wenn man es eilig und einen festen Zeitplan hat. So etwas kann man nicht planen. Es entsteht zufällig, spontan. Was erst schwierig ausgesehen hat, hat sich im Nachhinein als positiv herausgestellt. Glückliche Umstände! Weil ich dann gute Laune hatte und zufrieden war. Ohne die Verspätung bei der Deutschen Bahn wäre das nicht passiert. Und das hat meinen Ärger übers Zuspätkommen fast ganz vertrieben.

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SWR4 Abendgedanken

25OKT2023
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Meine Sehnsucht nach Frieden… Am Abend wird die immer größer. Ich will dann am liebsten alles aus meinen Gedanken vertreiben, was mich den Tag über beschäftigt hat und noch nicht loslässt. *Ein Freund hat Corona, und am liebsten wäre ich nicht im gleichen Zimmer wie er. Weil ich das jetzt einfach nicht auch nochmal kriegen will. Aber dass ich so auf Distanz gehe, das belastet mich auch, macht mich nachdenklich und unruhig, weil er doch mein Freund ist. *Ein alter Streit ist wieder hochgekommen. Eigentlich wollte ich den ganz vergessen, verdrängt haben. Aber so einfach geht das eben nicht. Und die dunkle Wolke in meinem Kopf, die dazu gehört, will einfach nicht verschwinden. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit dem Unfrieden zu arrangieren, damit er mir nicht den Schlaf raubt oder mich so überwältigt, dass ich die Kontrolle über mein Leben verliere.

Der neue Krieg in Israel, der Krieg in der Ukraine, dass der Frieden in unserer Welt so sehr bedroht ist, wie schon lange nicht mehr, das ist so ein Thema, das mich gar nicht mehr loslässt im Moment. Da spüre ich die Sehnsucht nach Frieden besonders stark. Tagsüber, wenn ich arbeite und von vielem abgelenkt bin, wird diese Sehnsucht meistens überlagert. Sogar dann, wenn ich mit Kolleginnen und Freunden darüber spreche. Dabei geht es zwar manchmal heftig zu, weil der Konflikt in Nahost natürlich ein emotionales Thema ist. Aber jenes Gefühl, das ganz tief in mir drin steckt, das mein Herz erfüllt, weil es dabei um Leben und Tod von Menschen geht, das kommt erst so richtig nach vorne, wenn es Abend wird. So wie jetzt.

Dann ziehe ich mich manchmal in eine Ecke meiner Wohnung zurück, um Ruhe zu finden und meine Gedanken zu ordnen. Dabei trennt sich schon ein bisschen die Spreu vom Weizen. Die persönlichen Probleme relativieren sich schnell, wenn ich an die Not der Israelis und Palästinenser denke, an die Familien in der Ukraine und die Soldaten auf beiden Seiten. Es ist immer eine Schande und furchtbar, wenn Menschen aufeinander losgehen, eine menschliche Katastrophe. Ich weiß dann ganz genau, wonach ich mich sehne: dass jeder einzelne Blick, den ein Mensch tut, wenn er einen anderen anschaut, dass das ein liebevoller, zärtlicher Blick ist. Ein Blick, der signalisiert: „Ich werde dir nichts tun, weil du gleich viel Wert bist wie ich. Ich weiß, dass Du genauso leben willst wie ich.“ Zum Schluss sage ich Gott auch noch etwas: „Du, mein Gott, mache mein Herz weich, und alle harten Herzen auf der ganzen Welt.“

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