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Ich kann das nicht. Ich bin zu jung. Oder: Ich bin zu alt. Ich bin nicht kräftig genug. Ich habe keine Zeit dafür. Ich bin die Falsche. - Es gibt genug Gründe, die einem einfallen können, eine Aufgabe nicht zu übernehmen.
Ich bin zu jung - so antwortet Jeremia auf seine Berufung zum Propheten. Das Volk Israel war geradewegs auf die Katastrophe des Exils zugegangen. Alle hatten recht gehabt, die das Unheil prophezeit und gesagt hatten: Wer von Gottes Geboten abweicht, geht ins Verderben. Im Jeremiabuch wird versucht, die Erfahrungen von Kriegschaos und Widerstand, Niederlagen und Überleben im Alltag zu deuten und ihnen Sinn abzugewinnen. Der Anfang des Buches erzählt von der Berufung Jeremias in diese Aufgabe, in der er von allen angefeindet und bedrängt wird. Jeremia hört die Stimme Gottes, die ihm sagt: Im Mutterleib schon habe ich dich für dafür ausgewählt. Nein, schreit der Prophet, ich kann das nicht. Doch Gott bleibt dabei: Es ist deine Aufgabe. Ich bin mit dir. Gott berührt seinen Mund, gibt ihm Sprache für das, was er zu sagen hat. (Jer.1,1-4)
Ich hatte neulich die Gelegenheit, eine Pfarrerin, besser gesagt: eine Gemeinde zu erleben, die so eine Berufung erlebt hat. Die erlebt haben, dass sie nicht zu jung, zu schwach, zu unvermögend sind. Sondern die an ihrer Aufgabe wachsen. Sie sagen: Gott gibt uns Sprache für das, was wir zu sagen haben.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen war ich bei einer Begegnungsreise mit der protestantischen Kirche in Frankreich. In Frankreich sind nur 2% der Bevölkerung evangelisch, die Verfolgung in der Hugenottenzeit hat ihre Spuren hinterlassen. Dennoch sind es oft die kleinen protestantischen Gemeinden, die sich bei sozialen Problemen öffentlich einmischen.
Wir haben eine für hiesige Verhältnis wirklich winzige und dennoch sozial hoch engagierte Gemeinde in einer der Vorstädte von Paris besucht. In diesen banlieues haben vor einigen Jahren Autos gebrannt, der soziale Friede war ernsthaft gefährdet. So eine Vorstadt ist auch Aubervilliers. Dort jedoch sorgt die kleine aber hoch geachtete protestantische Gemeinde dafür, dass das soziale Miteinander in den politischen Entscheidungen eine Rolle spielt.
Diese Gemeinde lebt von den Gottesdiensten am Sonntag und guten Taten im Alltag. Kurz nach dem Krieg gegründet, ist aus ihren ersten sozialen Programmen ein mittlerweile vielfältiges Angebot mit Hilfen zur Alltagsbewältigung für die Menschen im Stadtteil hervor gegangen. Zu den ersten Sozialprogrammen gehörten Ferienerholungsprogramme für Kinder an der Loire und in den Cevennen. Bis irgendwann der Bürgermeister zu dem Pfarrer sagte: Die Kinder brauchen euch auch im Alltag, nicht nur in den Ferien. Irgendwann waren dafür 12 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beschäftigt, da übernahm dann die Stadt die Verantwortung. Eine Kleiderkammer gehört dazu, eine Suppenküche. Heute werden die Gemeindevertreter mit an den Runden Tisch der Stadt geholt, wenn es zum Beispiel um den geplanten Bau einer Moschee und die Frage des sozialen Friedens in der Nachbarschaft dort geht.
Die Gemeinde besteht heute zu zwei Dritteln aus Christen aus afrikanischen und asiatischen Ländern und zu einem Drittel aus Christen, deren Wurzeln schon lange in Frankreich sind. Immer wieder müssen die Grenzen von Hautfarbe und Kultur, von Herkunft und Bildung überwunden werden. Das gelingt im Gottesdienst, im gemeinsamen Beten und Singen, im vorsichtigen Kennenlernen anderer musikalischer und geistlicher Traditionen, im Abendmahl-Feiern und im Gespräch über die Bibel.
Diese Begegnung habe ich vor Augen, wenn ich von der Berufung Jeremias höre. Auch jene kleine Gemeinde hat sich ihre Aufgabe nicht ausgesucht. Sie hat sie angenommen, trotz ihrer geringen Ressourcen. Nicht stöhnend oder mit Leidensmiene. Vielmehr strahlt die Gemeinde eine ansteckende Lebensfreude und Energie aus. Sie sagen: Uns erwächst aus dem Evangelium die Kraft für all diese Aufgaben.
Ein gutes Vorbild, wenn mir der Satz auf der Zunge liegt: Ich? Nein, ich kann das nicht. - Vielleicht ja doch?

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Nach den vielen Belastungen des Alltags schenkt uns die beginnende Urlaubszeit die Möglichkeit, in ruhigere Fahrwasser zu kommen. Wir können Durchatmen und Abstand gewinnen. So kann das Zentrale und Wesentliche unseres Lebens wieder in den Blick rücken. Der Urlaub kann also eine gute Gelegenheit sein, auch für Gott wieder einmal Raum zu schaffen. Hat dieser Gott denn überhaupt etwas mit dem Leben und dem politischen Handeln in unserer Gesellschaft zu tun? Ein gemeinsamer gedanklicher Ausflug kann deutlich machen, dass es ein ursprüngliches und positives Verhältnis von Christ und Politik gibt, was auch für unser Verständnis des Kontinents, auf dem wir leben - Europa - grundlegend ist.
Begeben wir uns in Gedanken daher heute einmal auf eine sommerliche Reise und besuchen mit der Akropolis in Athen, dem Kapitol in Rom und Golgotha in Jerusalem zentrale Stätten der abendländischen Geschichte, von denen der frühere Bundespräsident Theodor Heuss einmal sagte, das Abendland ruhe gleichsam auf diesen drei Hügeln.
Die Akropolis. Sie ist so etwas wie die Wiege unserer modernen Gesellschaft. Denn der Begriff der Politik ist ein spezifisch abendländischer, oder modern gesagt:  ein europäischer Begriff. Die alten Griechen bezeichneten mit dem Begriff der „polis" den Stadtstaat - einen Wohn- und Lebensraum verschiedener Menschen. Diese unterschiedlichen Personen verstanden sich jedoch nicht mehr einfach als Sippe oder Großfamilie. Sie fühlten sich verbunden durch eine gemeinsame Vorstellung davon, was das Ziel eines guten und gemeinschaftlichen Lebens sein solle. Der griechische Begriff, der dafür steht, ist die „eudaimonia", das umfassende Glück.  Es ist nicht mehr abhängig vom Schicksal, sondern kann durch die Tugend, also durch ethisches Bemühen, eingeübt werden.

Geglücktes Leben in Gemeinschaft - eine Aufgabe, die uns  jeden Tag neu aufgetragen ist.

Das Kapitol. In der Antike war der Kapitolshügel das politische und geistige Zentrum des römischen Weltreiches. Auch wenn er der kleinste der sieben römischen Hügel ist, so hat er für die Gedankenwelt Europas eine große Bedeutung. Von hier aus nahm unsere Rechtstradition ihren Ausgang, die auf die Gerechtigkeit als Vorstufe des Guten abzielt. Gesetze alleine können noch kein Recht begründen und bewirken. Dazu braucht es Menschen, die von der Gerechtigkeit als Tugend, als Lebensaufgabe durchdrungen sind.
Umfassende Gerechtigkeit - wie oft bleiben wir, auch heute, hinter diesem Anspruch zurück?

Golgotha - der Kreuzigungsort Jesu. Das Gute, das wir erfahren und tun, wird nach christlicher Überzeugung möglich durch die unbedingte Liebe Gottes. Für diese vollkommene Liebe steht in der christlichen Überlieferung das Zeichen des Kreuzes. Zeichen der Ohnmacht und des größten Sieges über den Kreislauf der Gewalt zugleich. Zeichen der Liebe Gottes zum Menschen und zum Leben. Ohne Hingabe, ohne treues Einstehen füreinander kann keine Gemeinschaft auf Dauer bestehen.

Die Liebe als höchste Form des Zusammenlebens - das ist ein hoher Anspruch, zu dem uns Gott selbst  ermutigt.

Zusammen gefasst und auf das Heute bezogen, heißt das: Aus christlicher Sicht ist das letzte Ziel einer jeden gerechten Politik eine auf Liebe gegründete Gemeinschaft von Menschen untereinander. Der hl. Augustinus hat Liebe einmal in den Satz „volo ut sis" gefasst. Jemanden lieben heißt, mit ganzem Herzen zu wollen, dass er „ist". Ich wünsche Ihnen und uns, dass wir die Zeit des Urlaubs dazu nutzen, uns gegenseitig diese liebende Anerkennung wieder einmal ganz bewusst zuzusprechen. Dem Anderen deutlich zu machen: Es ist gut, dass es dich gibt. Es ist schön, dass du da bist!  Dann schaffen wir nicht nur den Raum für Gottes Wirken in unserer Gesellschaft. Wir schenken uns auch gegenseitig eine tiefe, innere Erholung.

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22JUL2012
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Demut

von

Heute möchte ich ein Plädoyer für eine Tugend halten, die scheinbar gar nicht in unsere Zeit passt: Die Tugend der Demut. Zugegeben: ich musste die Qualitäten dieser Tugend für mich erst langsam herausfinden, sie macht es einem nicht einfach. Ich glaube, sie ist keine Tugend für Jugendliche. Junge Menschen sollen ja auch erst einmal die Welt entdecken und für sich erobern. Sie dürfen ruhig glauben, sie könnten alles mit ihren Kräften erreichen - da passt nicht das „In die Knie gehen", das der Demut zu Eigen ist. Interessanterweise positioniert die evangelischen Kirche die erste Erfahrung für junge Menschen in dieser Tugend an die Schwelle zum Erwachsen-Werden, beim Fest der Konfirmation. Die Jugendlichen knien vor Gott, während sie gesegnet werden. Offenbar meint die kirchliche Tradition: Wenn Menschen erwachsen werden, sind sie reif genug, die Demut kennen zu lernen. Zumindest stehen ihnen Erfahrungen bevor, die sie demütig werden lassen. Das zweite Mal knien - jedenfalls in der Evangelischen Kirche - die Menschen bei ihrer Hochzeit, auch hier vor Gott in der Kirche, um um seinen Segen zu bitten. Möglicherweise haben sie schon zuvor eine Ahnung davon gewonnen, dass es alles andere als selbstverständlich ist, einen Menschen zu finden, der einen liebt und der mit einem das Leben teilen möchte. Möglicherweise sind sie sogar beim Heiratsantrag in die Knie gegangen, vor der Angebeteten, die Liebe liefert sich aus ohne zu wissen, ob sie Antwort findet. Ein liebender Mensch schenkt sich selbst und ist ein Gottesgeschenk. Es gibt Dinge im Leben, die kann ich mir nicht kaufen oder erarbeiten. Die sind, ganz und gar, Geschenk. Und solche Lebens-Geschenke machen demütig - jedenfalls, so finde ich, wenn es gut geht. Denn was zu ganz jungen Menschen passt, wirkt bei Erwachsenen aufgeblasen und auch etwas dumm: diese Haltung: Ich kann alles, schaffe alles, habe mein Leben völlig in der Hand. Zudem ist es eine sehr selbstbezogene Haltung. Wenn Jugendliche egoistisch sind, dann mag das ein notwendiger Schritt in ihrer Entwicklung sein. Bei Erwachsenen ist es bedenklich. Einerseits, weil sie wissen müssten, dass sie nicht alleine auf dieser Welt sind, andererseits, weil einen fehlende Demut völlig überlastet. Sicher - ich kann mir einbilden, dass ohne mich nichts läuft. Entlastender finde ich es (ehrlicher übrigens auch), wenn ich mir meine eigenen Grenzen eingestehen kann.
Sicher: Es gibt auch diese falsche Demut. Wenn Menschen zu schnell in die Knie gehen wenn sie Druck bekommen, oder ihre eigene Trägheit als Demut verkaufen. Wahrscheinlich ist deshalb diese Tugend, zu Unrecht, wie ich finde, aus der Mode gekommen. Denn es braucht innere Stärke zur Demut. Mut zum Dienen, das steckt auch in ihr. Ein erwachsener, stolzer Mut, der sich selbst auch einmal zurückstellen kann. Der Mut, sich sozial für Menschen zu engagieren, der Mut, das eigene Leben in Gottes Hand zu geben und es anzunehmen von Gott.
Für den Apostel Paulus war Jesus selbst das beste Beispiel für Demut.
Jesus hat sich auf seinen göttlichen Privilegien nicht ausgeruht, sondern sich im Gegenteil mitten unter die Menschen begeben, mit allen Konsequenzen.
Wenn ich in der Bibel über Jesus lese, dann sehe ich jemanden, der auf eine besondere Art und Weise demütig ist. Er lebt eine kämpferische Demut. Den Mächtigen seiner Zeit begegnet er alles andere als ergeben, da ist er ein unbequemer Gegner, kein Wunder, dass sie ihn letztlich loswerden wollten. Die Mächtigen seiner Zeit  hätten sich schon gewünscht, dass er vor ihnen in die Knie geht - das tat er jedoch nie! Allerdings war er demütig gegenüber Gott und seinem göttlichen Auftrag, den Menschen zu dienen. Dafür nahm er, so spitzt es der Apostel Paulus zu, sogar Knechtsgestalt an. Die Geschichte, die seine Demut am Besten zum Ausdruck bringt, ist die von der Fußwaschung. Jesus geht vor seinen Jüngern in die Knie und wäscht ihnen vor dem Abendessen die Füße - eine Aufgabe, die sonst Sklaven hatten.
Heute will ich ein Plädoyer für sie halten: Für die kämpferische Demut, so wie Jesus sie uns vorgelebt hat. Ich möchte nicht vor den falschen Leuten in die Knie gehen und den Mut haben, für andere das Not-wendige zu tun. Ich möchte mein eigenes Leben als kostbares Geschenk begreifen, genauso wie die Menschen, die mir Gott an die Seite stellt. So stelle ich mir Demut vor. Ich glaube: Damit kann man aufrecht knien.

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Mehr als eine Million Menschen aus allen Erdteilen sind Anfang Juni zum Weltfamilientreffen in Mailand zusammengekommen. Als Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz habe ich an diesem Treffen teilgenommen und bin tief beeindruckt zurückgekehrt. In Mailand wurde spürbar, welche Kraft und Lebensfreude aus den Familien für Kirche und Gesellschaft erwachsen. Die Teilnehmer dieses Glaubensfests strahlten aus, dass die Familie als Ort gelebter lebenslanger Treue und gegenseitiger Liebe auch auf Zukunft hin die unverwechselbare und unverzichtbare Keimzelle von Kirche und Gesellschaft ist.
Beim gemeinsamen Abschlussgottesdienst appellierte Papst Benedikt XVI. an die Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft in aller Welt, durch sichere und familienfreundliche Arbeitsbedingungen zur Förderung der Familien beizutragen. Diese Wegweisung gibt uns auch in Deutschland Orientierung - besonders in der gegenwärtigen Auseinandersetzung, wie man Kinder nachhaltig fördern und Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen kann.
Wo Familie den Gesetzen von Ökonomie und Arbeitsmarkt unterworfen wird, geschieht faktisch eine Relativierung ihrer Bedeutung für unsere Gesellschaft. Familie ist Keimzelle der Gesellschaft. Familie steht für die Vermittlung von Verlässlichkeit und Verbundenheit und einer daraus erwachsenden Verbindlichkeit.
Darum muss auch unser Staat ein echtes Interesse daran haben, Familie so zu unterstützen, dass die Eltern ihre Erstverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder wahrnehmen können. Ganz in diesem Sinn hat sich der Bischof von Eichstätt, Dr. Gregor Maria Hanke OSB, deutlich für das geplante Betreuungsgeld ausgesprochen und vor falschen Einseitigkeiten gewarnt. Es geht um Ermöglichung, Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsverantwortung. Die eigenen Kinder zu erziehen, hat nach unserem Grundgesetz einen politischen Vorrang und entspricht der Verantwortung der Eltern. Beides gehört auch zum Kern der katholischen Soziallehre. Die Kirche tritt dafür ein, dass Familie - als Ort gelebter Liebe und Treue - der erste Erfahrungsraum und Bildungsort der Kinder ist. Diese Priorität ist mehr als ein Privileg. Wenn die wirtschaftliche Situation es heutzutage für viele Familien notwendig macht, dass beide Elternteile erwerbstätig sein müssen, können die Familien nur schwer ihrer kirchlichen Berufung und gesellschaftlichen Bedeutung gerecht werden. In der gegenwärtigen Debatte um das Betreuungsgeld entsteht oft der Eindruck, dass das Wohl der Kinder wenig Fürsprecher hat. Manche Argumentation dagegen bemüht den Fachkräftemangel, ein einseitiges Emanzipationsverständnis oder auch das Interesse an der künftigen Auslastung bestehender Kindertagesstätten.
Christen setzten auf die Gesinnung Jesu, wenn sie den Wert von Eigenverantwortung und Gemeinsinn bedenken. In seinem Brief an die Kolosser spricht der Apostel Paulus vom Geist der Kindschaft und Geschwisterlichkeit, den junge Menschen in der Familie erlernen können, wo sie in der Zuwendung der Eltern Gott vor Augen bekommen: „Ihr seid von Gott geliebt (...). Darum bekleidet euch mit aufrichtigem Erbarmen, mit Güte, Demut, Milde, Geduld! Ertragt euch gegenseitig und vergebt einander, wenn einer dem andern etwas vorzuwerfen hat" (Kol 3,12f.). Diese Pädagogik gewinnt durch das Profil des Glaubens eine Priorität für unsere Gesellschaft. Die unterstützte Möglichkeit der Eltern, die Erstverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder übernehmen zu können, macht die Familie zu Biotopen von Wertebildung und Sinnvermittlung. Wo Eltern in dieser Verantwortung an Grenzen stoßen, brauchen sie zugleich die Hilfe der Kirche und des Staates. Hier kommt in den Blick, was wir nach einem Wort des französischen Dichters Antoine de Saint-Exupéry als Gesellschaft noch zu lernen haben: „Eine Gemeinschaft ist nicht die Summe an Interessen, sondern an Hingabe."

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Erasmus von Rotterdam hasste den Fanatismus. Er wandte sich offen und mit Humor gegen vieles, was in der Kirche schief lief. Er nannte den Krieg den „Schiffbruch aller guten Dinge".  Aber Martin Luther, sein Zeitgenosse, nannte ihn den „grimmigsten Feind Christi", „einen listigen, tückischen Mann" und den „größten Feind Gottes". Heute werden nach Erasmus Schulen benannt und ein renommiertes Stipendium für Auslandsstudien. Sein Name steht für den Gedanken, dass die ganze Welt ein Vaterland aller Menschen sein sollte Europa ein Ort der Friedens und der Freiheit.
Griechische Weisheit und christliche Frömmigkeit, Sokrates und Jesus, gehörten für ihn zusammen.  Und da, wo andere nur das Trennende zwischen evangelischer und katholischer Kirche sahen, erkannte er: die Hauptsache bleibt doch, dass Christen auch als Christen leben. Aber die katholische Kirche setzte seine Bücher lange Zeit auf den Index, und Martin Luther beschimpfte ihn wüst.
Geboren wurde Erasmus er 1466 - als Kind eines katholischen Priesters. Später wird er selbst Mönch, dann Priester. Doch nach ein paar Jahren verabschiedet er sich still und leise von diesem Leben als Geistlicher. Sein Freiheitsdrang erträgt Klostermauern genauso wenig wie geistige Borniertheit. Erasmus wird einer der führenden Gelehrten Europas - und dazu braucht er Ruhe für seine Arbeit.
Christus, so schrieb er, war sanftmütig, geduldig, und verachtete alles Irdische. Daran müsse man seine Stellvertreter auf Erden messen. Die bräuchten keine Kleider mit geräumigen Taschen, und nur ein einziges Schwert dürften sie führen, das des Geistes. „Die Quintessenz unserer Religion ist Friede und Einmütigkeit." Christen sollten Freunde der Wahrheit sein, gerade wie die antiken Philosophen. Wo immer man Wahrheit erkenne, dürfe man sie als christlich betrachten. Christ sein ist für ihn nur ein anderes Wort für Mensch sein im besten Sinne.
Der Name Christi sollte die Menschen vereinen, nicht trennen. Diese einfache Einsicht  will er vermitteln. Darum auch sein Einsatz für den Frieden und gegen den Krieg. Er setzte sich ein für die Abschaffung des Krieges, unter anderem in einem Aufsatz mit dem Titel: „Nur denen, die ihn nicht erfahren haben, scheint der Krieg schön." Dass Tiere übereinander herfallen,  könne man verstehen. Aber Menschen? Vernünftige Wesen? Krieg könne niemals gerecht sein und treffe immer die Unschuldigen.
Spätere Zeiten nannten Erasmus einen „Stubenidealisten", dessen Gedanken der Wirklichkeit nicht standhielten. Sie warfen ihm „Kulturoptimismus" vor. Aber was für einen Sinn hat die Pflege von Kultur, wenn man sie nicht mit Optimismus betreibt und mit dem Ziel, dass sie dem friedlichen Zusammenleben der Menschen dient?
Zudem machte der Optimismus Erasmus nicht blind. Im Gegenteil. „Alle haben sie diese fünf Worte im Munde: Evangelium, Gottes Wort, Glaube, Christus und Geist, und doch sehe ich viele von ihnen sich so aufführen, als seien sie vom Teufel besessen", urteilte er. Er wusste, wie viel leichter es ist, die Menschen gegeneinander aufzubringen als sie zu beschwichtigen. Er erkannte, „wie dunkel alle menschlichen Angelegenheiten sind."  Und doch blieb er dabei, die Freiheit und den freien Willen der Menschen zu unterstreichen.  Gerne hätte er eine Welt erlebt, in der Menschen ihre Ideale nicht dazu benutzen, um mit beruhigtem Gewissen übereinander herzufallen.
Die Kardinalswürde, die ihm später  angeboten wurde, reiche Pfründe vom Papst , lehnte Erasmus ab. Luther, der ihn als Atheisten und Gottesleugner beschimpft hatte,  bemühte sich, einzulenken. Aber Erasmus ließ ihn wissen: Was zwischen ihnen geschehen ist, sei für ihn nicht mehr wichtig, da er bald sterben werde. Ein friedliches Europa, eine friedliche Welt, das blieb sein Lebenstraum. Und ein Christentum, das überzeugt, weil es Gerechtigkeit und Frieden fördert.

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01JUL2012
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Aus sechs wurden siebenundzwanzig. Als heute auf den Tag genau vor 45 Jahren Montanunion, Wirtschaftsgemeinschaft und Euratom zur „EG", zur Europäischen Gemeinschaft, zusammengeführt wurden, waren nur sechs Staaten Mitglied dieses neuen Bündnisses: Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und Deutschland. Mittlerweile hat sich diese Zahl fast verfünffacht; die Warteliste der Aufnahmekandidaten und derer, die es gerne wären, nicht mitgerechnet. Die Gründerväter waren beseelt vom faszinierenden Gedanken der europäischen Idee. Sie hofften durch diesen völkerübergreifenden Zusammenschluss den Frieden auf Dauer sichern zu können. Die leidvollen Erfahrungen der Weltkriege auf europäischem Boden waren Motivation genug. Zu bitter war die Lehre, dass Krieg keine Lösung war und nie eine sein würde. „Er ist immer", wie es später Papst Johannes Paul II. formulieren sollte, „eine Niederlage für die Menschheit". Doch je weiter wir uns von den grausamen geschichtlichen Einschnitten unseres Kontinents entfernen, je mehr scheint die europäische Idee an Tempo zu verlieren und sich von der großen Idee einer Völkergemeinschaft auf ein pragmatisch-wirtschaftliches Zweckbündnis zu reduzieren. Das mag überspitzt klingen, aber wer stellt sich bei Auslandsbesuchen in den USA oder in Asien mit den Worten vor: „Ich bin Europäer?"
In diesen für Europa schwierigen Wochen und Monaten, die geprägt sind von der Sorge um die wirtschaftliche Stabilität einiger Mitgliedstaaten und der damit verbundenen Krise unserer gemeinsamen Währung, scheint es mir wichtig, den Grundimpuls der europäischen Idee neu in den Blick zu nehmen. Nicht als romantische Vertröstung und Ausflucht. Keineswegs. Sondern als Antrieb und Motivation. Dies befreit nicht davon, die zu lösenden wirtschaftlichen Probleme ohne Zögern und verbindlich anzupacken. 
Doch ist es nicht erschreckend, wie leicht offensichtlich gegenseitige Ressentiments und Vorurteile unter den Völkern Europas wieder in Umlauf geraten? Da tönt es auf der einen Seite, die Griechen seien faul, und auf der anderen Seite tauchen Nazikarikaturen gegen die deutsche Bundesregierung auf. Gegen das Schüren solch dumpfer Emotionen müssen wir uns mit Entschiedenheit wehren.
Dazu hilft der Blick auf unser gemeinsames europäisches Erbe. Erzbischof Zollitsch von Freiburg, der Vorsitzende unserer Bischofskonferenz, hat kürzlich in einem Vortrag in Anspielung auf die sieben Gründungshügel Roms gesagt: „Im Bild gesprochen, sind es vier Hügel, auf denen unsere europäische Identität wurzelt: Der Areopag in Athen mit den griechischen Idealen von Freiheit und Demokratie; das Kapitol in Rom mit dem klassischen Ideal von Recht und Gerechtigkeit; der Sinai mit dem Dekalog und der Bundesweisung Gottes; und schließlich der Berg Kalvaria in Jerusalem, auf dem Jesus Christus für uns in den Tod ging und bis heute zeigt, dass Liebe und Solidarität größer sind als alles, was wir uns ausdenken und erfinden können. Unsere abendländisch christliche Kultur hat die tragenden Ideen und Werte der Antike aufgenommen und integriert. Durch Jesus Christus und sein Evangelium erhielten sie ein neues Vorzeichen. Solidarität und Nächstenliebe machen Freiheit, Recht und Gerechtigkeit zu wahrhaft menschlichen Werten." 
Wenn das stimmt, dann ist die bewusste Feier des Sonntags nicht bloß ein Akt privater Frömmigkeit und Innerlichkeit, sondern ein sozialer Beitrag, um uns auf die Fundamente zu besinnen, aus denen wir in Europa wesentlich leben, und um sie tragfähig zu halten. Als Christen beziehen wir unsere primäre Identität nicht aus dem Blick in den Pass, sondern aus dem Bewusstsein, von Gott geschaffen zu sein, aus dessen Blickwinkel wir alle ein Volk sind. Sein Volk. Mit dem Reichtum unterschiedlicher Kulturen und Traditionen, mit der Gefahr, unsere Freiheit zu missbrauchen, mit der Fähigkeit, Unterschiede auszuhalten, ja sie zu wertschätzen, und der unglaublichen Chance, Konflikte zu überwinden und sich zu versöhnen. „Gott gibt dazu die Kraft" (2 Tim 1,8). 
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen, Ihren Familien und allen, die Ihnen verbunden sind, eine bewusste und gesegnete Feier des Sonntags!

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24. Juni: In einem halben Jahr ist Heiligabend. Und so wie der christliche Kalender am 24. Dezember an Jesu Geburt erinnert, so erinnert der heutige 24. Juni an die Geburt Johannes des Täufers. Im christlichen Kalender ist heute Johannestag.
Ich gebe zu, so klar war mir diese kirchliche Wertschätzung für Johannes lange nicht. Man kann Johannes den Täufer unterschätzen. Auch darin, wie wichtig er für Jesus gewesen ist.
Außer dem Johannes-Tag gibt es noch weitere Hinweise, die seine Bedeutung signalisieren. In der christlichen Kunst z.B. ist Johannes wohl nach Jesus und Maria die eigenständigste und am häufigsten dargestellte Figur. Immer wieder hat eine Szene die Künstler beschäftigt: Johannes im Jordan - meistens trägt er nur einen einfachen Umhang - gießt Jesus Wasser über den Kopf. Johannes bei der Tätigkeit, die sein Kennzeichen geworden ist: „Der Täufer".
Auf den meisten Darstellungen fließt das Taufwasser eher spärlich. In Wirklichkeit hat Johannes Jesus wohl untergetaucht. Johannes war gründlich und radikal.
Seine Taufe hat tief eingegriffen in das Leben der Menschen.
Lukas zitiert ihn: "Ihr Schlangen! Wie kommt ihr darauf, dass ihr dem bevorstehenden Gericht Gottes entgeht? Zeigt durch euer Verhalten, dass ihr euer Leben wirklich ändern wollt!" (Luk 3,7f). Er warnt die Menschen vor religiöser Selbstzufriedenheit, fordert sie auf, ihr Leben neu auszurichten. Sich der Zukunft anders zu stellen und zu öffnen. Menschen, die sich von ihm haben taufen lassen, gestehen sichtbar ein: „Ich kann nicht so weiter leben wie bisher."
Und Aufbruch signalisiert auch die Taufe Jesu. Jesus hat Johannes wohl gezielt gesucht. Angezogen von seiner radikalen Kritik am Jerusalemer Tempel. Aus Galiläa, dem Norden Israels, ist Jesus nach Judäa, nach Süden, gekommen. Immerhin eine Entfernung von gut 100 km. Später haben ihre Wege sich wieder getrennt.
Trotzdem zeigt mir diese Taufe: Johannes und Jesus gehören zusammen. Und Johannes hat Jesus wohl auch geprägt. Beide haben sich abgewandt von der religiösen Omnipräsenz des Tempels in Jerusalem und den Lehren der dortigen Religionsbeamten.
In der Bibel wird das bereits hinein erzählt in die Geburt des Johannes. Eigentlich lag eine ordentliche Laufbahn am Tempel in Johannes Familie. Auch sein Vater war Priester. Aber es kommt anders. Der Evangelist Lukas erzählt:
Für Elisabet, seine Mutter, kam die Zeit der Geburt und sie brachte einen Sohn zur Welt. Ihre Nachbarn und Verwandten hörten, dass der Herr ihr so große Barmherzigkeit erwiesen hatte. Sie freuten sich mit ihr. Als das Kind acht Tage alt war, kamen sie zur Beschneidung. Sie wollten ihm den Namen seines Vaters Zacharias geben.
Aber Elisabet widersprach: "Nein, er soll Johannes heißen!" Die Verwandten hielten ihr entgegen: "Es gibt niemanden in deiner Verwandtschaft, der so heißt."
(Lk. 1, 57-66)
Aber als der Vater dann auch bestätigt, dass er mit der Familientradition brechen will, wird aus dem kleinen Mann „Johannes". Zu deutsch: „Gott ist gnädig." So weit die Erzählung bei Lukas.
Erstaunlich modern finde ich diese Geschichte: Mutter und Vater zeigen: Wir befrachten unser Kind nicht mit unseren Vorstellungen und Hoffnungen. Wir öffnen uns und sein Leben den Möglichkeiten Gottes. Erstaunlich.
Mir gibt dieser Johannestag zu denken:
Wenn Johannes und Jesus so zusammengehören, dann gehört zum Christentum immer auch dieser radikale Geist, der nach Veränderung ruft. Nach Kritik an Verkrustung. Auch in den Kirchen.
Eines kann man von Johannes jedenfalls nicht lernen: Dass Tradition und Ruhe erste Christen- und Bürgerpflicht seien. Im Gegenteil. Johannes strahlt vielmehr radikale Unruhe, Zukunfts- und Gottesorientierung aus. Und Jesus hat genauso gelebt mit seiner ganzen Existenz.

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Ich möchte Sie heute in die Welt biblischer Bilder mitnehmen - genauer gesagt: in die Welt der Gleichnisse. Gleichnisse sind Bilder der Sprache. Sie sprechen von Gott in einer Weise, wie sie Gottes angemessen ist - nicht erklärend und rational, sondern in Geschichten, die die Menschen verstehen und die sie in der Tiefe ansprechen, ohne den unsagbaren Gott in ein System von Argumenten einzusperren. Jesus, so sagt der Bibeltext zum heutigen Sonntag, habe zu der „Volksmenge" so gesprochen, wie diese es verstehen konnten - einfache Leute vermutlich, die mit ihm gegangen sind und ihm zugehört haben. Er habe nie ohne Gleichnisse zu ihnen gesprochen, heißt es. Die Gleichnisse, die Jesus den Menschen erzählt hat, sind Bilder, die Erfahrungen ihres Alltags aufgreifen und die dennoch überraschen; Bilder, die auf die Wunder der Natur und der Schöpfung zu sprechen kommen und dabei die verborgene Tiefe allen Lebens aufleuchten lassen. Das erste der beiden Gleichnisse zum heutigen Sonntag lautet so: „Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Mann, der Samen auf seinen Acker sät. Er schläft und steht wieder auf; es wird Tag und es wird Nacht, der Same keimt und wächst, und der Mann weiß nicht wie. Von selbst bringt die Erde ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da." (Markus 4,26-29) Vom „Reich Gottes" ist in diesen Bildworten die Rede. Und es wird deutlich, dass damit keine Institution gemeint ist, kein Reich im Sinne einer politischen Macht oder einer sozialen Organisation. Gott selbst ist mit seinem Handeln gegenwärtig; darum geht es. Und Menschen können über Gottes Handeln nicht verfügen oder es erzwingen; schon gar nicht ist es das Ergebnis eines Fortschrittsprozesses, zu dem sie mit ihren Aktivitäten und Strategien etwas beitragen könnten. Im Gegenteil: sie können gelassen sein, sie können es geschehen lassen, ohne zu wissen wie. Und sie können sich davon überraschen lassen, wie aus unscheinbaren und unspektakulären Anfängen etwas Wunderbares entsteht. Das „Reich Gottes", sagt Jesus in diesem Gleichnis, ist das unfassbare Wunder, dass Gott in unserem Leben handelt - auch dort wo wir es gar nicht ahnen. In Ereignissen vielleicht sogar, denen wir keinerlei Bedeutung zumessen. In Menschen vielleicht, von denen wir es überhaupt nicht erwarten würden. Vielleicht sogar dort, wo alles so aussieht, als gäbe es keinen Gott. Und einmal, so dieses Gleichnis weiter, werden wir staunend vor einer unfassbaren Fülle stehen. Um den Gegensatz zwischen dem unscheinbaren Anfang und der überraschenden Fülle geht es auch im zweiten Gleichnis, im zweiten Bildwort des heutigen Bibeltextes: „Jesus sagte: Wie sollen wir das Reich Gottes schildern, wie sollen wir es beschreiben? Es gleicht einem Senfkorn: Es ist das kleinste unter den Samenkörnern, die man in die Erde sät. Ist es aber gesät, dann geht es auf und wird größer als alle anderen Sträucher und treibt große Zweige, so dass in seinem Schatten die Vögel des Himmels wohnen können." (Markus 4,30-32) Ein weiteres Bild ist in diesem Gleichnis noch enthalten: die Vögel des Himmels können im Schatten des großen Baumes wohnen. Ich denke, dieses Bild will sagen, dass der Lebensraum Gottes allen Menschen Platz und Geborgenheit schenkt - nicht nur einigen wenigen Auserwählten, sondern allen: Großen und scheinbar Geringen, Wichtigen und scheinbar Unwichtigen; solchen, die „drinnen" sind und solchen, die „draußen" zu sein scheinen. Menschen, die im Glück leben und auch solchen, die leiden oder deren Lebensentwürfe vielleicht sogar gescheitert sind. Platz und Heimat auch für Menschen über alle Grenzen der Herkunft, des Denkens und Glaubens, der Kultur oder der Weltanschauung hinweg. Und schließlich: dass die ganze Schöpfung ihren Platz in der Liebe Gottes hat. Und wie könnte man diese Lebensfülle Gottes anders beschreiben als in Bildern?

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Warum gibt es Neid, Hass und Gewalt? Warum gibt es das Böse?
Viele Menschen stellen sich immer wieder diese Fragen. In der Erzählung von Kain und Abel aus dem 1. Buch Mose haben diese Fragen über alle Zeiten hinweg ihren bildhaften Ausdruck in der Geschichte vom Brudermord gefunden. Kain erschlägt seinen Bruder Abel aus Neid und Missgunst. Der Bruder erschlägt den Bruder. Kain muss mit dieser Tat leben, muss sich der Frage Gottes stellen: Wo ist dein Bruder?
Kain lehnt die Antwort auf diese Frage ab. Soll ich meines Bruders Hüter sein?Ja, sagt Gott, du bist der Hüter des anderen.
Es ist eine Geschichte, die Sie und mich anspricht: Wir alle sind Nachkommen Kains. Menschen werden schuldig, überall dort, wo ein Mensch einem anderen Gewalt antut.
Was wäre, wenn Kain heute anders antworten könnte? Wenn er sagen könnte: Steh auf, Abel, ich bin dein Hüter. Ich bin für dich verantwortlich.
Hilde Domin, deutsche Lyrikerin jüdischer Herkunft, sagt aus der Erfahrung ihrer Geschichte in einem Gedicht, das sie für ihr wichtigstes gehalten hat:

Abel steh auf / es muss neu gespielt werden / täglich muss es neu gespielt werden / täglich muss die Antwort noch vor uns sein / die Antwort muss ja sein können / wenn du nicht aufstehst Abel / wie soll die Antwort / diese einzig wichtige Antwort / sich je verändern /.../ steh auf / damit Kain sagt / damit er sagen kann / Ich bin dein Hüter / Bruder / wie sollte ich nicht dein Hüter sein /.../ Abel steh auf / damit es anders anfängt / zwischen uns allen...

Dies ist ein atemloses Gedicht, ohne Punkt und Komma, ohne ein einziges Satzzeichen. Also: gehetzt zu sprechen. Warum? Ist es die Angst der Dichterin, es könnte die Kain-Abel-Situation, das heißt: der eine schlägt den anderen tot, das Grundmodell unseres Zusammenlebens sein? Weil das nicht sein darf, heißt es fast programmatisch: Abel steh auf. Abel, sei nicht tot. Abel, bleib am Leben.
Dieser Grundzug wird im Gedicht mehrfach variiert. Der Ausgangspunkt dafür ist: Die alte Geschichte darf nicht das letzte Wort behalten, vielmehr:
täglich muss es neu gespielt werden, täglich muss die Antwort noch vor uns sein.
Warum? Weil die Gewaltlösung - Kain erschlägt Abel - nicht das letzte Wort für alle Kommenden haben darf.
Wenn Menschen heute lernen könnten, eine andere Antwort auf die Frage:

Woist dein Bruder? als Kain zu geben - dann, ja dann sähe die Weltgeschichte anders aus.
Abel steh auf.
Stünde Abel auf, könnte Kain sagen:
Ich bin dein Hüter / Bruder / wie sollte ich nicht dein Hüter sein.
Friede sei mit dir, Bruder!
Dann bräuchten die Kinder Abels / sich nicht mehr fürchten, weil Kain ein Hüter seines Bruders wird.
So lange aber die Frage offen bleibt, gilt die Strophe:
Abel steh auf / damit es anders anfängt / zwischen uns allen

Was ist zu tun, damit die Geschichte von Kain und Abel heute anders verläuft?
Jeder von uns müsste begreifen: Wer tötet, tötet seinen Bruder, tötet seine Schwester.
Die Geschichte von Kain und Abel ermahnt mich zu begreifen: Gewalt soll nicht das letzte Wort sein. Dieser Aufruf, es anders zu machen als Kain, heißt: Verlier den Glauben an den Mitmenschen nicht, sei du deines Bruders Hüter, sei du nicht sein Täter. Leb keine Gewalt, sondern brüderliches und schwesterliches Miteinander. Dann besteht die Hoffnung, dass es anders anfängt zwischen uns allen.

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Zweimal in einem Monat hat die hl. Hildegard von Bingen Schlagzeilen gemacht. Am 10. Mai 2012 hat der Vatikan eine Erklärung veröffentlicht, dass die hl. Hildegard von Bingen in den Gesamtkalender der Heiligen aufgenommen und damit in der ganzen Weltkirche verehrt werden kann. Es gab bald nach ihrem Tod im Jahr 1179 verschiedene Formen ihrer Verehrung, zuerst mehr im lokalen und regionalen Umkreis, schließlich in allen deutschen Diözesen. Aber ein förmliches Verfahren zur Heiligsprechung, wie es sich im Mittelalter immer stärker herausbildete, und erst recht einen rechtlich strukturierten Prozess mit Abschluss in Rom, dies vor allem ab dem 16. Jahrhundert, gab es für Hildegard aus sehr verschiedenen Gründen nicht. Die Erklärung vom 10. Mai 2012, ihre Verehrung gelte in der ganzen Weltkirche, hat nun endgültig Klarheit geschaffen. Der Papst selbst hat ihre Heiligkeit erklärt, ohne dass ein eigener Prozess dafür aufgerollt werden musste.
Der ganze Hintergrund dieser Erklärung weltweiter Verehrung vom 10. Mai 2012 ist aber nun erst an Pfingsten, also am 27. Mai 2012, deutlich geworden, als Papst Benedikt XVI. die hl. Hildegard von Bingen zur Kirchenlehrerin erhoben hat. Denn die Erhebung eines Heiligen in den Rang eines Kirchenlehrers hat nach der gegenwärtigen Regelung in der Kirche eine förmliche Heiligsprechung zur Voraussetzung, die ja nur durch den Papst selbst und heute in der Regel durch einen förmlichen Prozess erfolgen kann. So ist durch die an Pfingsten erfolgte Mitteilung des Papstes selbst erst vollends klar geworden, warum am 10. Mai die Verehrungswürdigkeit der hl. Hildegard für die Weltkirche eigens festgestellt worden war. Eine eigene Auszeichnung besonders von Theologen gibt es in der Kirche des Westens und des Ostens schon in früher Zeit. Große Heilige, die auch eine hohe theologische Autorität darstellen, waren besonders die Heiligen Augustinus, Ambrosius, Gregor der Große und Hieronymus im Westen, Basilius der Große, Gregor von Nazianz, Johannes Chrysostomus und Athanasius im Osten. Aber der Begriff des Kirchenlehrers ging allmählich über die Grenzen des Altertums und damit der „Kirchenväter" hinaus, vor allem durch das Ansehen der großen Theologen des Mittelalters: Anselm von Canterbury, besonders Thomas von Aquin, Bonaventura u. a. So zählte man bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil gut dreißig Kirchenlehrer.
Im Jahr 1970 kam es jedoch zu einem großen Einschnitt, als nämlich Ende des Jahres zuerst die hl. Katharina von Siena und dann die „große" Teresa (von Avila) durch Papst Paul VI. als erste Frauen zu Kirchenlehrerinnen erhoben worden sind. Das Eis war gebrochen. Im Jahr 1998 fügte Papst Johannes Paul II. die sogenannte „kleine" Theresia vom Kinde Jesu (von Lisieux) als dritte Frauengestalt unter den Kirchenlehrern hinzu. Die hl. Hildegard von Bingen ist nun die vierte Frau unter den Kirchenlehrern, eine wahre Kirchenlehrerin, die als einzige aus dem mitteleuropäischen, ja germanischen Sprach- und Kulturraum stammt.
Im Übrigen wird Benedikt XVI. am 7. Oktober 2012, wenn er die Erhebung feierlich in Rom vornimmt, auch einen spanischen Theologen als Kirchenlehrer verkünden, nämlich den „Apostel Andalusiens", Juan d'Ávila, Johannes von Avila, der ganz anders als Hildegard zu Beginn der Neuzeit (1499-1569) lebte. Der Papst sieht in beiden Heiligen besondere Lichtgestalten für eine „Neuevangelisierung" durch das Zeugnis eines lebendigen Glaubens. Der 7. Oktober ist gewählt, weil an diesem Tag die Weltbischofssynode zum Thema dieser Neuevangelisierung in Rom beginnt und wenige Tage später, am 11. Oktober, das vom Papst ausgerufene „Jahr des Glaubens" seinen Anfang nimmt.
Nach dieser seit Monaten durch viele Gerüchte zu vermutenden, jetzt aber geklärten Entscheidung wird es in nächster Zeit besonders darauf ankommen zu zeigen, warum vor allem die hl. Hildegard, die bald auch Prophetin aus Deutschland oder vom Rhein genannt wurde, auch für uns heute eine „Kirchenlehrerin" ist.

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