SWR2 Wort zum Sonntag

SWR2 Wort zum Sonntag

Ich kann das nicht. Ich bin zu jung. Oder: Ich bin zu alt. Ich bin nicht kräftig genug. Ich habe keine Zeit dafür. Ich bin die Falsche. - Es gibt genug Gründe, die einem einfallen können, eine Aufgabe nicht zu übernehmen.
Ich bin zu jung - so antwortet Jeremia auf seine Berufung zum Propheten. Das Volk Israel war geradewegs auf die Katastrophe des Exils zugegangen. Alle hatten recht gehabt, die das Unheil prophezeit und gesagt hatten: Wer von Gottes Geboten abweicht, geht ins Verderben. Im Jeremiabuch wird versucht, die Erfahrungen von Kriegschaos und Widerstand, Niederlagen und Überleben im Alltag zu deuten und ihnen Sinn abzugewinnen. Der Anfang des Buches erzählt von der Berufung Jeremias in diese Aufgabe, in der er von allen angefeindet und bedrängt wird. Jeremia hört die Stimme Gottes, die ihm sagt: Im Mutterleib schon habe ich dich für dafür ausgewählt. Nein, schreit der Prophet, ich kann das nicht. Doch Gott bleibt dabei: Es ist deine Aufgabe. Ich bin mit dir. Gott berührt seinen Mund, gibt ihm Sprache für das, was er zu sagen hat. (Jer.1,1-4)
Ich hatte neulich die Gelegenheit, eine Pfarrerin, besser gesagt: eine Gemeinde zu erleben, die so eine Berufung erlebt hat. Die erlebt haben, dass sie nicht zu jung, zu schwach, zu unvermögend sind. Sondern die an ihrer Aufgabe wachsen. Sie sagen: Gott gibt uns Sprache für das, was wir zu sagen haben.
Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen war ich bei einer Begegnungsreise mit der protestantischen Kirche in Frankreich. In Frankreich sind nur 2% der Bevölkerung evangelisch, die Verfolgung in der Hugenottenzeit hat ihre Spuren hinterlassen. Dennoch sind es oft die kleinen protestantischen Gemeinden, die sich bei sozialen Problemen öffentlich einmischen.
Wir haben eine für hiesige Verhältnis wirklich winzige und dennoch sozial hoch engagierte Gemeinde in einer der Vorstädte von Paris besucht. In diesen banlieues haben vor einigen Jahren Autos gebrannt, der soziale Friede war ernsthaft gefährdet. So eine Vorstadt ist auch Aubervilliers. Dort jedoch sorgt die kleine aber hoch geachtete protestantische Gemeinde dafür, dass das soziale Miteinander in den politischen Entscheidungen eine Rolle spielt.
Diese Gemeinde lebt von den Gottesdiensten am Sonntag und guten Taten im Alltag. Kurz nach dem Krieg gegründet, ist aus ihren ersten sozialen Programmen ein mittlerweile vielfältiges Angebot mit Hilfen zur Alltagsbewältigung für die Menschen im Stadtteil hervor gegangen. Zu den ersten Sozialprogrammen gehörten Ferienerholungsprogramme für Kinder an der Loire und in den Cevennen. Bis irgendwann der Bürgermeister zu dem Pfarrer sagte: Die Kinder brauchen euch auch im Alltag, nicht nur in den Ferien. Irgendwann waren dafür 12 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter beschäftigt, da übernahm dann die Stadt die Verantwortung. Eine Kleiderkammer gehört dazu, eine Suppenküche. Heute werden die Gemeindevertreter mit an den Runden Tisch der Stadt geholt, wenn es zum Beispiel um den geplanten Bau einer Moschee und die Frage des sozialen Friedens in der Nachbarschaft dort geht.
Die Gemeinde besteht heute zu zwei Dritteln aus Christen aus afrikanischen und asiatischen Ländern und zu einem Drittel aus Christen, deren Wurzeln schon lange in Frankreich sind. Immer wieder müssen die Grenzen von Hautfarbe und Kultur, von Herkunft und Bildung überwunden werden. Das gelingt im Gottesdienst, im gemeinsamen Beten und Singen, im vorsichtigen Kennenlernen anderer musikalischer und geistlicher Traditionen, im Abendmahl-Feiern und im Gespräch über die Bibel.
Diese Begegnung habe ich vor Augen, wenn ich von der Berufung Jeremias höre. Auch jene kleine Gemeinde hat sich ihre Aufgabe nicht ausgesucht. Sie hat sie angenommen, trotz ihrer geringen Ressourcen. Nicht stöhnend oder mit Leidensmiene. Vielmehr strahlt die Gemeinde eine ansteckende Lebensfreude und Energie aus. Sie sagen: Uns erwächst aus dem Evangelium die Kraft für all diese Aufgaben.
Ein gutes Vorbild, wenn mir der Satz auf der Zunge liegt: Ich? Nein, ich kann das nicht. - Vielleicht ja doch?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13565
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