SWR2 Wort zum Sonntag

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Nach den vielen Belastungen des Alltags schenkt uns die beginnende Urlaubszeit die Möglichkeit, in ruhigere Fahrwasser zu kommen. Wir können Durchatmen und Abstand gewinnen. So kann das Zentrale und Wesentliche unseres Lebens wieder in den Blick rücken. Der Urlaub kann also eine gute Gelegenheit sein, auch für Gott wieder einmal Raum zu schaffen. Hat dieser Gott denn überhaupt etwas mit dem Leben und dem politischen Handeln in unserer Gesellschaft zu tun? Ein gemeinsamer gedanklicher Ausflug kann deutlich machen, dass es ein ursprüngliches und positives Verhältnis von Christ und Politik gibt, was auch für unser Verständnis des Kontinents, auf dem wir leben - Europa - grundlegend ist.
Begeben wir uns in Gedanken daher heute einmal auf eine sommerliche Reise und besuchen mit der Akropolis in Athen, dem Kapitol in Rom und Golgotha in Jerusalem zentrale Stätten der abendländischen Geschichte, von denen der frühere Bundespräsident Theodor Heuss einmal sagte, das Abendland ruhe gleichsam auf diesen drei Hügeln.
Die Akropolis. Sie ist so etwas wie die Wiege unserer modernen Gesellschaft. Denn der Begriff der Politik ist ein spezifisch abendländischer, oder modern gesagt:  ein europäischer Begriff. Die alten Griechen bezeichneten mit dem Begriff der „polis" den Stadtstaat - einen Wohn- und Lebensraum verschiedener Menschen. Diese unterschiedlichen Personen verstanden sich jedoch nicht mehr einfach als Sippe oder Großfamilie. Sie fühlten sich verbunden durch eine gemeinsame Vorstellung davon, was das Ziel eines guten und gemeinschaftlichen Lebens sein solle. Der griechische Begriff, der dafür steht, ist die „eudaimonia", das umfassende Glück.  Es ist nicht mehr abhängig vom Schicksal, sondern kann durch die Tugend, also durch ethisches Bemühen, eingeübt werden.

Geglücktes Leben in Gemeinschaft - eine Aufgabe, die uns  jeden Tag neu aufgetragen ist.

Das Kapitol. In der Antike war der Kapitolshügel das politische und geistige Zentrum des römischen Weltreiches. Auch wenn er der kleinste der sieben römischen Hügel ist, so hat er für die Gedankenwelt Europas eine große Bedeutung. Von hier aus nahm unsere Rechtstradition ihren Ausgang, die auf die Gerechtigkeit als Vorstufe des Guten abzielt. Gesetze alleine können noch kein Recht begründen und bewirken. Dazu braucht es Menschen, die von der Gerechtigkeit als Tugend, als Lebensaufgabe durchdrungen sind.
Umfassende Gerechtigkeit - wie oft bleiben wir, auch heute, hinter diesem Anspruch zurück?

Golgotha - der Kreuzigungsort Jesu. Das Gute, das wir erfahren und tun, wird nach christlicher Überzeugung möglich durch die unbedingte Liebe Gottes. Für diese vollkommene Liebe steht in der christlichen Überlieferung das Zeichen des Kreuzes. Zeichen der Ohnmacht und des größten Sieges über den Kreislauf der Gewalt zugleich. Zeichen der Liebe Gottes zum Menschen und zum Leben. Ohne Hingabe, ohne treues Einstehen füreinander kann keine Gemeinschaft auf Dauer bestehen.

Die Liebe als höchste Form des Zusammenlebens - das ist ein hoher Anspruch, zu dem uns Gott selbst  ermutigt.

Zusammen gefasst und auf das Heute bezogen, heißt das: Aus christlicher Sicht ist das letzte Ziel einer jeden gerechten Politik eine auf Liebe gegründete Gemeinschaft von Menschen untereinander. Der hl. Augustinus hat Liebe einmal in den Satz „volo ut sis" gefasst. Jemanden lieben heißt, mit ganzem Herzen zu wollen, dass er „ist". Ich wünsche Ihnen und uns, dass wir die Zeit des Urlaubs dazu nutzen, uns gegenseitig diese liebende Anerkennung wieder einmal ganz bewusst zuzusprechen. Dem Anderen deutlich zu machen: Es ist gut, dass es dich gibt. Es ist schön, dass du da bist!  Dann schaffen wir nicht nur den Raum für Gottes Wirken in unserer Gesellschaft. Wir schenken uns auch gegenseitig eine tiefe, innere Erholung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13507
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