SWR2 Wort zum Sonntag

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22JUL2012
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Demut

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Heute möchte ich ein Plädoyer für eine Tugend halten, die scheinbar gar nicht in unsere Zeit passt: Die Tugend der Demut. Zugegeben: ich musste die Qualitäten dieser Tugend für mich erst langsam herausfinden, sie macht es einem nicht einfach. Ich glaube, sie ist keine Tugend für Jugendliche. Junge Menschen sollen ja auch erst einmal die Welt entdecken und für sich erobern. Sie dürfen ruhig glauben, sie könnten alles mit ihren Kräften erreichen - da passt nicht das „In die Knie gehen", das der Demut zu Eigen ist. Interessanterweise positioniert die evangelischen Kirche die erste Erfahrung für junge Menschen in dieser Tugend an die Schwelle zum Erwachsen-Werden, beim Fest der Konfirmation. Die Jugendlichen knien vor Gott, während sie gesegnet werden. Offenbar meint die kirchliche Tradition: Wenn Menschen erwachsen werden, sind sie reif genug, die Demut kennen zu lernen. Zumindest stehen ihnen Erfahrungen bevor, die sie demütig werden lassen. Das zweite Mal knien - jedenfalls in der Evangelischen Kirche - die Menschen bei ihrer Hochzeit, auch hier vor Gott in der Kirche, um um seinen Segen zu bitten. Möglicherweise haben sie schon zuvor eine Ahnung davon gewonnen, dass es alles andere als selbstverständlich ist, einen Menschen zu finden, der einen liebt und der mit einem das Leben teilen möchte. Möglicherweise sind sie sogar beim Heiratsantrag in die Knie gegangen, vor der Angebeteten, die Liebe liefert sich aus ohne zu wissen, ob sie Antwort findet. Ein liebender Mensch schenkt sich selbst und ist ein Gottesgeschenk. Es gibt Dinge im Leben, die kann ich mir nicht kaufen oder erarbeiten. Die sind, ganz und gar, Geschenk. Und solche Lebens-Geschenke machen demütig - jedenfalls, so finde ich, wenn es gut geht. Denn was zu ganz jungen Menschen passt, wirkt bei Erwachsenen aufgeblasen und auch etwas dumm: diese Haltung: Ich kann alles, schaffe alles, habe mein Leben völlig in der Hand. Zudem ist es eine sehr selbstbezogene Haltung. Wenn Jugendliche egoistisch sind, dann mag das ein notwendiger Schritt in ihrer Entwicklung sein. Bei Erwachsenen ist es bedenklich. Einerseits, weil sie wissen müssten, dass sie nicht alleine auf dieser Welt sind, andererseits, weil einen fehlende Demut völlig überlastet. Sicher - ich kann mir einbilden, dass ohne mich nichts läuft. Entlastender finde ich es (ehrlicher übrigens auch), wenn ich mir meine eigenen Grenzen eingestehen kann.
Sicher: Es gibt auch diese falsche Demut. Wenn Menschen zu schnell in die Knie gehen wenn sie Druck bekommen, oder ihre eigene Trägheit als Demut verkaufen. Wahrscheinlich ist deshalb diese Tugend, zu Unrecht, wie ich finde, aus der Mode gekommen. Denn es braucht innere Stärke zur Demut. Mut zum Dienen, das steckt auch in ihr. Ein erwachsener, stolzer Mut, der sich selbst auch einmal zurückstellen kann. Der Mut, sich sozial für Menschen zu engagieren, der Mut, das eigene Leben in Gottes Hand zu geben und es anzunehmen von Gott.
Für den Apostel Paulus war Jesus selbst das beste Beispiel für Demut.
Jesus hat sich auf seinen göttlichen Privilegien nicht ausgeruht, sondern sich im Gegenteil mitten unter die Menschen begeben, mit allen Konsequenzen.
Wenn ich in der Bibel über Jesus lese, dann sehe ich jemanden, der auf eine besondere Art und Weise demütig ist. Er lebt eine kämpferische Demut. Den Mächtigen seiner Zeit begegnet er alles andere als ergeben, da ist er ein unbequemer Gegner, kein Wunder, dass sie ihn letztlich loswerden wollten. Die Mächtigen seiner Zeit  hätten sich schon gewünscht, dass er vor ihnen in die Knie geht - das tat er jedoch nie! Allerdings war er demütig gegenüber Gott und seinem göttlichen Auftrag, den Menschen zu dienen. Dafür nahm er, so spitzt es der Apostel Paulus zu, sogar Knechtsgestalt an. Die Geschichte, die seine Demut am Besten zum Ausdruck bringt, ist die von der Fußwaschung. Jesus geht vor seinen Jüngern in die Knie und wäscht ihnen vor dem Abendessen die Füße - eine Aufgabe, die sonst Sklaven hatten.
Heute will ich ein Plädoyer für sie halten: Für die kämpferische Demut, so wie Jesus sie uns vorgelebt hat. Ich möchte nicht vor den falschen Leuten in die Knie gehen und den Mut haben, für andere das Not-wendige zu tun. Ich möchte mein eigenes Leben als kostbares Geschenk begreifen, genauso wie die Menschen, die mir Gott an die Seite stellt. So stelle ich mir Demut vor. Ich glaube: Damit kann man aufrecht knien.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13470
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