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SWR2 Wort zum Tag

24JUN2023
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Mindestens Spargelesser wissen, dass heute Johannes zu feiern ist. Nun ist Schluß mit dem feinen Gemüse. Aber natürlich hat Johannes der Täufer noch eine ganz andere Bedeutung. Jesus hat ihn den Größten genannt, der je geboren wurde. Denn dieser radikale Gottesprophet war der Lehrer Jesu und sein Vorläufer. Mutig hatte er die unheilige Allianz von Macht, Geld und Religion im Jerusalemer Tempel kritisiert; mutig ins Angesicht hat er dem König Herodes  die Wahrheit gesagt, und musste deshalb unschuldig  sterben.  Jehochanan lautet wörtlich sein Name: d.h. „Gott ist Güte und schenkt sie“. Wunderbar, dieser Johannes gehört in die Reihe der vielen Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um der Wahrheit und dem Recht Geltung zu verschaffen.  Wie viele sitzen leider auch heute unschuldig in Gefängnissen oder verlieren gar ihr Leben, nur weil sie sich   für Menschen- und Gottesrechte einsetzen.  Ich denke an  Alexej Nawalnyj in Russland oder Maria Kolesnikowa in Belarus, an die Frauen im Iran und an so viele in der Welt.

Mit dem mutigen Wort fängt alles an.  Bekennen nennt man das in der Sprache des Christlichen, Klartext reden, Schuld eingestehen und Unrecht beim Namen nennen, das genaue Gegenteil also von fake news oder Heulen mit den Wölfen.  Deshalb ist mir zusammen mit Johannes dem Täufer und so vielen ein anderer Klardenker aus der Vergangenheit so wichtig, vor 400 Jahren geboren. Sein Name ist Blaise Pascal, ein genialer Forscher, Erfinder und – eben -  ein Bekenner . Schonungslos  formulierte er: „Wir rennen auf einen Abgrund zu , und  um den nicht zu sehen, bauen  wir alles  Mögliche vor uns auf.“ Wir spielen blinde Kuh. Pascal damals hatte die Zerstreuungslust  der oberen Zehntausend im Visier ,  heutzutage kann man z.B. an die Klimapolitik der letzten Jahrzehnte denken. Was wir uns in die Tasche lügen, wie wenig wir zu wirklichen Veränderungen bereit oder fähig sind!  Für  Blaise Pascal wie für Johannes den Täufer war klar:  ohne  den Glauben an Gottes  Wirken   schaffen wir die Umkehr nicht, es braucht  mehr Respekt vor den Grenzen des Wachstums.

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SWR2 Wort zum Tag

23JUN2023
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Irgendwann geht es für jeden zu Sache, ja oder nein. Wenn ich mich für einen Beruf  oder eine Partnerin entscheide, ob in finanziellen Fragen oder  in schwerer Krankheit  – wir müssen wählen, wir müssen Position beziehen. Ein Leben nur auf Probe oder unter Vorbehalt ist nicht möglich.  Woran glaubt, wer nicht glaubt?  Dieser Frage kann auf die Dauer niemand ausweichen. Denn ohne Glauben und Vertrauen geht’s nicht. Jeder Mensch und jede Zeit muß sich klar werden, was ihnen lebenswichtig ist, überlebenswichtig.  Gerade heutzutage ist es wichtig, eine klare Überzeugung zu haben und darüber offen ins Gespräch zu kommen.

Das gilt nicht zuletzt für Christinnen und Christen. Wir sind rechenschaftspflichtig, wir haben klar zu sagen und zu leben, was wir glauben.  Bei einem ist das besonders gut zu lernen, bei einem  der größten Denker des Christlichen, Blaise Pascal. Vor 400 Jahren wurde er geboren, und seine „Gedanken über die Religion“ sind eine Schatzkammer großartiger Anregungen auch heute. Pascals Kurzformel  authentischer Spiritualität ist genial einfach:  von Gott redet demnach glaubhaft nur, wer auch vom menschlichen Elend redet -  sonst bleibt es beim Herumspekulieren, theistisch oder atheistisch. Dem menschlichen Elend  aber kann illusionslos nur standhalten, wer an Gott glaubt – sonst wird er verrückt oder spielt blinde Kuh.  Wo beides zusammen gewagt wird, ist man dem Evangelium mindestens nahe . Denn in Jesus Christus kommt beides ans Licht: das Geschenk göttlicher Gegenwart und das Ausmaß menschlicher Not, aufgestanden ist er ja als der Niedergeschlagene, Heiland ist er als der Gekreuzigte.  „Man kann Jesus Christus nicht kennen, ohne sowohl Gott als sein eigenes Elend zu kennen“, so lautet einer der Grundsätze von Blaise Pascal, ebenso knapp wie zutreffend (fr 556).

Es ist ein Gütezeichen authentischer  Spiritualität, das Leben  weder zu verteufeln noch zu beschönigen. Wer unterschlägt, dass die Welt oft wie ein Irrenhaus wirkt und Schreckliches geschieht, bleibt verdächtig. Schönfärberei hilft nicht, aber Schwarzseherei auch nicht. Pascals Faustregel des Christlichen dagegen bringt genial auf den Punkt, worauf es ankommt.

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SWR2 Wort zum Tag

22JUN2023
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Wetten das…  Glückspiele haben ihren eigenen Reiz. Endlich einen Gewinn machen, möglichst das große Los ziehen. Wenigstens beim großen Quiz zuschauen und da der Frau im Teststuhl die Daumen drücken! Das ist unterhaltsam, das kann aufregend sein. Natürlich laufen solche Wettspiele ständig auch im Alltag ab: fast automatisch kommt es zum Vergleichen und Konkurrieren. Wer ist besser oder schöner?   Wo gibt es was zu gewinnen?  Manche nennen das Leben insgesamt ein Glückspiel?  Ist das Leben sinnlos oder nicht? Gibt es Gott oder nicht? Wetten das…

Blaise Pascal war es, der genau solch eine Gotteswette vorgeschlagen hat.  Vor 400 Jahren wurde er geboren, ein großer Mathematiker, ein kritischer Geist, ein spiritueller Mensch, schließlich ein entschiedener Christ.  Da fand er das Glück seines Lebens, und das wünschte er allen. Deshalb sein Vorschlag zur Wette.  „Wägen wir Gewinn und Verlust ab für den Fall, dass Gott existiert. Wenn Sie gewinnen, gewinnen Sie alles, wenn Sie verlieren , verlieren Sie nichts. Setzen Sie also ohne Zögern darauf , dass er ist.“  So schreibt er den Gebildeten unter den Verächtern der Religion. Mit Gott meint er natürlich nicht irgendein Gedankenkonstrukt, sondern den Inbegriff auch des eigenen Glücks, die Fülle des Lebens. Es lohnt sich, so zu leben als ob es Gott gäbe – so lautet Pascals Argument, man kann nur gewinnen. Gibt es jene allumfassende Liebe, der wir trauen dürfen in allem oder nicht? Schärfer noch: ist am christlichen Glauben etwas dran, etwas Lebenswichtiges und Besonderes, oder nicht?   Pascal ist felsenfest davon überzeugt, deshalb seine Empfehlung: an Gott zu glauben. Falls es ihn gibt, ist er der absolute Gewinn, der Sechser im Lotto, der Schatz fürs Leben und Sterben. Falls nicht, dann Pech gehabt, aber immerhin alles auf eine Karte gesetzt. Und vor allem: von der eigenen Vernunft Gebrauch gemacht und nicht einfach nur so dahin gelebt.

Ich ahne mit Pascal, was für ein Glück es ist, an Gott glauben zu dürfen und alles ins Gebet nehmen zu können.  „Als ob es Gott gäbe“ – mindestens das, rät der geniale Mathematiker. Es kann nicht schaden, ganz im Gegenteil. Wetten das….

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SWR2 Wort zum Tag

12APR2023
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In einer Geschichte jüdischer Mystik fragen die Schüler den Rabbi: „Wann eigentlich beginnt der neue Tag“. Schon mit der Mitternacht oder mit dem Morgenstern oder mit dem Aufwachen? Eigentlich eine dumme Frage, könnte man meinen. Denn natürlich beginnt der Tag mit dem Sonnenaufgang und dem Augenaufschlag. Aber der Rabbi bleibt nachdenklich. Alle genannten Antworten sind ihm recht und er nickt durchaus zustimmend. Aber dann sagt er: Der neue Tag beginnt dann, „wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blickst und deine Schwester oder deinen Bruder erkennst. Doch bis dahin ist die Nacht noch bei uns.“

Richtig taghell wird es demnach erst, wenn wir nicht länger aneinander vorbeihetzen und immer schon etwas Anderes im Sinn haben. Es gilt, im Anderen den Mitmenschen zu sehen und ihm gerecht zu werden. Sich selbst und mein Gegenüber wahrnehmen und das gar interessiert, wertschätzend und wohlwollend – so erst geht uns ein Licht auf, und es entsteht ein guter Morgen, der neue Tag. Das deutsche Wort Augen-Blick bringt das schön auf den Punkt: einander anblicken und im Auge haben, einander anschauen und Ansehen schenken.

All das hat viel mit Ostern zu tun, jedenfalls für Christenmenschen. Sie sehen mit dem Rabbi aus Nazareth diesen neuen Tag angebrochen, eine neue Zeitrechnung hat begonnen. Hat er nicht gesagt, man könne und solle jeden Menschen lieben, sogar den ärgerlichen und störenden, sogar den Feind? Man solle es machen wie Gott selbst, der seine Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse? Hat Jesus das nicht gelebt? Ist er deshalb nicht von Gott bestätigt worden?  In jedem Menschen, der mir heute begegnet, den Bruder, die Schwester erkennen und anerkennen - was für eine Chance, was für eine Herausforderung. Und bitte sich selbst nicht vergessen! „Immerfort empfange ich mich aus deiner Hand. So ist es, so soll es sein. Das ist meine Wahrheit und meine Freude. Immerfort blickt dein Auge mich an, du mein Schöpfer und mein Heil…“, so heißt es treffend im Gebet von Romano Guardini. Je mehr wir uns ansehen und lieben lassen, desto mehr werden wir auch im Anderen und Bruder und Schwester erkennen, ganz im Geist und auf der Spur Jesu. Diese österliche Vision von universaler Geschwisterlichkeit ist brandaktuell. Sie könnte das Angesicht der Erde erneuern.

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SWR2 Wort zum Tag

11APR2023
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„Am frühen Morgen gingen sie zum Grab“. Noch immer habe ich diese Ostergeschichten im Ohr. Warum gehen sie gerade bei Sonnenaufgang auf den Friedhof? Am Anfang des Tages gehen sie ans Ende des Lebens. Im Aufgang der Sonne gehen sie dorthin, wo ihre Hoffnungen untergegangen sind. Erst in diesem Kontrast wird deutlich, worin christliche Hoffnung gründet und was das Osterlicht bedeutet.

Im Grunde spricht jeder Tagesbeginn davon. Der Morgen hat etwas Besonderes – sowohl im eigenen Körpergefühl wie draußen in der Natur. Schon das Vorglühen am Himmel kann faszinieren, die Morgenröte war von früh an ein Anlass für Gedichte und Lieder. Schon in der Schulzeit, als wir die alten Geschichten von Odysseus lesen mussten, war von der „rosenfingrigen Morgenröte“ die Rede, und die begrüßten die alten Griechen wie eine Göttin, hineinreißend schön und vielversprechend, „rosenfingrig“ welch ein Wort. Eines der großen Bücher der Mystik aus der Feder von Jakob Böhme trägt den Titel: „Aurora - oder Morgenröte im Aufgang“. Immer geht es um das Wunder des Lebens, immer um seinen Anfang. So wie die Dinge das Morgenlicht erwarten, sollten wir Menschen Gott erwarten“, meinte deshalb Simone Weil.

In der Feier der Osternacht haben die Christen das große Loblied auf Christus gesungen: Exsultet, es juble der Erdkreis, es freue sich die ganze Schöpfung. Noch mitten im Dunkel der Nacht sehen sie schon das Licht – jenen „Morgenstern, der nie mehr untergeht“. Das ist die typisch christliche Vision - ein gewaltiges Hoffnungszeichen gleich zum Tagesbeginn. Nicht das Dunkel hat das letzte Wort - im eigenen Leben nicht, und nicht in der Welt im Ganzen. Nein, Christenmenschen gehen zum Grab, sie stellen sich Scheitern und Tod, denn die haben ihren letzten Schrecken für sie nun verloren. Mitten im Dunkel geht das Licht auf, nein: Es ist schon aufgegangen, auch heute Morgen wieder. Also, halten wir uns an die Morgenröte, aber vor allem an den österlichen Aufschwung, an den jeder Sonnenaufgang erinnert. Einen guten Morgen also, einen Ostermorgen.

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SWR2 Wort zum Tag

15FEB2023
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„Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschaffnen Lichte, / schick uns diese Morgenzeit, deine Strahlen zu Gesichte“.  So beginnt eines der schönsten Kirchenlieder das ich kenne. Bald 300 Jahre alt, spricht es mich unmittelbar an: ein Loblied auf den Sonnenaufgang, auch heute Morgen wieder: Besungen wird der Sieg über die Nacht und das Dunkel, und Licht wird gereimt auf Gesicht: ja, dass ich noch das Licht der Welt erblicken darf, ist einfach schön, und allen Staunens wert. Nicht auszudenken, wenn ich heute nicht aufgewacht wäre und mir kein Licht mehr aufginge. So verbindet sich der Dank mit der Bitte: im Sonnenaufgang liegt das Versprechen auf Licht und Leben.

Und manchmal kommt es zu richtigen Erleuchtungen, die das Leben ändern und einer Entdeckung gleichen. Es gibt auch heute noch Menschen, die sich bewusst für den christlichen Glauben entscheiden und deshalb sogar einer Kirche beitreten. Von früh an wird die Taufe auf den Namen Jesus als Erleuchtung verstanden, als Lebenswende und Sonnenaufgang. Besonders schön von Paulus bezeugt. Mehr als zwanzig Jahre nach seiner Lebenswende schreibt er, wie er aus einem jüdischen Christenhasser zu einem begeisterten Judenchristen wurde.  Für ihn wie ein Sonnenaufgang. Hier der O-Ton Paulus: „Derselbe Gott, der jeden Tag spricht: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten – er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, und so erkennen wir auf dem Angesicht Christi den vollen Glanz göttlicher Herrlichkeit.“ (2 Kor 4,6). Ja, diesen Paulus hat der Morgenglanz der Ewigkeit getroffen: was jeden Morgen draußen in der Natur passiert, das ist ihm innerlich und persönlich zugestoßen. Er erkennt das Gottesgeschenk namens Jesus.  Er muß ihn nicht länger hassen und die Jesusleute verfolgen, er ist einer von ihnen geworden. Konversion nennt man das, Lebenswende. Später hat man dazu die Geschichte erzählt, Paulus sei vom Pferd gefallen, also herunter vom hohen Roß. Aber Paulus selbst beschreibt seine Lebenswende sehr viel diskreter und intimer - als Sonnenaufgang im Herzen. So beginnt die Geschichte einer großen Liebe.  

„Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschaffnen Lichte“ - immer, wenn ich dieses Lied höre oder singe, denke ich an den Sonnenaufgang, draußen in der Natur und vor allem drinnen im eigenen Herzen: „Aus Finsternis soll Licht werden“ – solchen Sonnenaufgang wünsche ich Ihnen und mir.

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SWR2 Wort zum Tag

14FEB2023
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„Das erste Mal hat er mit fünfzehn geliebt und seitdem nie wieder so groß. Sie war die Schönste auf dem Schulhof“. So beginnt Navid Kermani das wunderbare Büchlein über seine erste Liebe. Meisterlich erzählt er von jener berühmten Zeit, die hoffentlich alle kennen. Bis über die Ohren verliebt, ach, waren das Zeiten! Natürlich war man absolut aus dem Häuschen, man machte die verrücktesten Sachen und war außer sich, man hatte alle Zeit der Welt füreinander, nein eine andere Welt gabs gar nicht, die Schmetterlinge im Bauch bestimmten alles. Wenn ich daran denke, spricht jetzt natürlich sofort der abgebrühte Erwachsene mit, der ich geworden bin. Natürlich weiß der längst, dass der honey moon nur kurz ist. Auch Kermani ist beim Beschreiben seiner aufregenden ersten Liebeserfahrung bald 50, aber selbst das Erinnern hat seinen besonderen Zauber: das erste Mal ist ihm unüberboten Glanzstück und Maßstab.  So verschwenderisch, so aufregend und hinreißend war es nie wieder. Und doch sollte es eigentlich immer so sein.

Heute ist Valentinstag, der Tag der Verliebten, der Liebenden. Natürlich machen da Blumen- und Süßwarenhandel ihr gutes Geschäft, und ohne sie hätte es der heilige Valentin kaum so zu Ehren gebracht. Der Legende nach soll dieser römische Soldat Verliebten besonders geholfen haben. Dass man gerade ihn zum Patron der Liebenden gemacht hat, dürfte mehr noch mit der Jahreszeit zu tun haben. Die alten Römer feierten da ein Frühlings- und Fruchtbarkeitsfest, und die frühen Christen haben es umgewidmet und so mitgefeiert. Zudem ist Liebe bekanntlich auch eine zerbrechliche Sache, keineswegs selbstverständlich und der Pflege bedürftig. Da kann die Fürsprache und Begleitung anderer nicht schaden, wie im Himmel so auf Erden.  Und spätestens nach dem honey moon gilt es bekanntlich, auch Enttäuschungen zu verkraften und den großen Aufbruch in die kleine Münze des grauen Alltags zu konvertieren.  Aber Kermani hat recht: Immer neu sollten wir uns der ersten, der großen Liebe erinnern, und unter der Asche des Gelebten das ursprüngliche Feuer erspüren und entfachen. Das Besondere dabei: Der Schriftsteller flicht in seine Liebesgeschichte Zitate persischer und arabischer Liebesmystik ein – z.B.  dieses Gotteswort aus der Feder von Ahmad Ghazali: „Ich war ein verborgener Schatz und wollte erkannt werden. Deshalb schuf ich die Welt.“ In jeder Menschenliebe ist Gott der dritte im Bunde.  Denn er ist die Liebe, mitten unter uns.  Sich lieben lassen und lieben lernen - ist nicht das der stets gesuchte Sinn des Lebens?

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SWR2 Wort zum Tag

13FEB2023
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„Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unserer Zeit“ - ein beliebtes Kirchenlied, wie ein Fanfarenstoß.  In der Tat:  der Hunger nach Gerechtigkeit ist himmelschreiend wortwörtlich. Bald ein ganzes Jahr schon tobt der Putin-Krieg, und 19 andere Kriege in der Welt laufen fast unbeachtet schon länger, das politische Weltgefüge ist durcheinander, der Hunger in der Welt nimmt rasant zu, die Inflation grassiert. Ja, Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf in dieser Zeit. Uralt ist bei diesem Sehnsuchtsruf die Verbindung mit dem Sonnenaufgang. Neuer Tag, neue Chance, neue Hoffnung.  

Ohne Übertreibung kann man sagen: die Sonne ist der erste Gott im Leben, ja in der Geschichte der Menschheit. Ohne Sonnenaufgang kein Unterschied zwischen Licht und Finsternis, wir könnten uns nicht orientieren. Und wie oft geht einem morgens etwas leicht von der Hand, was am Tag zuvor nicht mehr gelingen wollte – als wäre jetzt mehr Kraft da, mehr Sonnenenergie, mehr Vitamin D. Kein Wunder, dass alle Religionen mit dem Sonnenkult zu tun haben und das Licht der Welt begrüßen.

Die Bibel freilich setzt schon auf der ersten Seite einen besonderen Akzent: danach ist auch die Sonne ein Geschöpf, auch die allseits verehrten Gestirne. “Und Gott sprach: Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu unterscheiden“.  Massiv wehren sich die Frommen Altisraels   gegen jede Gleichsetzung von Sonne und Gott.  Nichts in der Welt ist Gott, auch das Schönste nicht, aber alles will sein Bild und Gleichnis sein. Selbst das Dunkle und Böse ist dann noch umgriffen und unterfangen von der göttlichen Treue. Deshalb heißt es in der Bergpredigt Jesu: „Er lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse, über Gerechte und Ungerechte.“  Wunderbar diese Großzügigkeit des Schöpfers. In monotheistischen Religionen lebt ein ungeheures Gottvertrauen, dass unsereiner mitwirkt am Gelingen der Schöpfung und ihrer Bewahrung.

„Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit“ – das ist also kein Selbstläufer. Da wird unsere Verantwortung nicht auf Gott abgeschoben. Ganz im Gegenteil, indem wir Gott um Gerechtigkeit und Frieden bitten, sehen wir uns selbst ins Gebet genommen. Jeder Tagesanfang wird zum Versprechen, dass wirs recht machen können, friedvoller und gerechter, allen Widrigkeiten zum Trotz. Deshalb der gute Brauch, den Tag mit einem Gebet zu beginnen. Wir dürfen mit dem Guten rechnen, mit seiner Güte. „Sonne der Gerechtigkeit, gehe auf zu unsrer Zeit. / Schaue die Zertrennung an, der sonst niemand wehren kann“.

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SWR2 Wort zum Tag

12NOV2022
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Vor kurzem trafen sich Vertreter aller Kirchen im Ökumenischen Weltrat in Karlsruhe, auch die von den russisch- und ukrainischen orthodoxen Kirchen. Eine Woche waren sie zusammen, aber sie konnten nicht miteinander reden. So bitter und zerstörerisch ist der Krieg in der Ukraine, so zerstritten sind sie, obwohl sie sich alle auf Jesus berufen. Auch das gehört zu den Tragödien der Gegenwart. Wir im Westen haben seit den mörderischen Konfessionskriegen schmerzhaft lernen müssen, was Ökumene ist und versöhnte Verschiedenheit. Und doch gibt es immer noch eine Menge Vorurteile zwischen den Konfessionen. Aber besonders groß ist die Distanz noch zwischen Ost- und Westkirchen. Ob der böse Krieg jetzt dazu beitragen wird, dass wir mehr voneinander lernen und wissen? 

Solche Fragen legen sich besonders heute nahe, wo die Kirche eines belarussischen Bischofs gedenkt, der zu einem Märtyrer der Ökumene wurde – und das just in der Zeit des dreißigjährigen Krieges, wo sich hierzulande Protestanten und Katholiken noch die Köpfe einschlugen und das Land verwüsteten. Dieser Josaphat wurde 1618 Bischof von Polozk im heutigen Weißrußland. Er setzte sich rigide für die Union zwischen orthodoxen und römischen Kirchen ein, und das machte ihn ebenso attraktiv wie verhasst. Seine Gegner beschimpften ihn als „Seelenräuber“, der in fremden Gewässern fischen will - eine Haltung, die auch heute in und zwischen den Kirchen noch zu finden ist. Konkurrenzneid und Angst um den eigenen Bestand – und das mitten in einem Raum, in dem doch das Evangelium von Gottes Nächstenliebe verkündet und gelebt werden sollte. Dieser Josaphat jedenfalls wurde 1623 von seinen christlichen Gegnern grausam gefoltert und getötet. Bis zuletzt wollte er, freilich selbst auch ein Scharfmacher, nichts als Einigung und Versöhnung.

Dass Christen und Kirchen selbst heute noch derart gegeneinander stehen wie jetzt in der Ukraine, ist erschütternd und beschämend zugleich. Auch nach 2000 Jahren ist noch so wenig vom Friedensgeist Jesu verwirklicht worden. Dass selbst Kirchenführer sich weiterhin als nationalistische Ideologen aufführen und den Namen Jesu missbrauchen, ist schlicht skandalös. Umso mehr ist es eine ständige Herausforderung, endlich vernünftig zu werden und der Friedensbotschaft Jesu zu folgen. Der Gedenktag des belarussischen Bischofs Josaphat, der zuvor lange im litauischen Vilnius gewirkt hat, ist erneut ein Anlass, die Friedensbotschaft Jesu zur Geltung zu bringen. Er gab dafür sogar sein Leben, und viele tun es bis heute für Gerechtigkeit und Frieden. Gerade in diesen mörderischen Zeiten der Feindesliebe zu trauen ist eine mutige Sache. „Selig sind, die Frieden schaffen. Sie werden Frieden finden!“

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SWR2 Wort zum Tag

11NOV2022
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St Martin ist ein frommer Mann… dieses Kinderlied ist heute wieder zu hören, wenn die Martins-Umzüge sich auf den Weg machen, womöglich gar mit leibhaftigem Pferd. Dass der römische Soldat aus Ungarn damals einem armen Schlucker die Hälfte seines Mantels geschenkt hat, ist unvergessen - ein Inbild von Einfühlungskraft und Nächstenliebe, wirklich ein Lichtblick in dunklen Zeiten. In der Tat, der historische Martin war in den Gründerjahren des Christentums eine starke Figur. Zum Schluß Bischof im französischen Tours, hat er mit Ambrosius, einem anderen großen Kirchenvater, das aufgebaut, was heute in der Krise steckt: eine funktionierende und glaubwürdige Kirche.

Besonders faszinierend finde ich Martins Gespür für Wahrhaftigsein. Glaubwürdig, authentisch, transparent war er. Dazu erzählt sein erster Biograph etwas aus dem Nähkästchen. Demnach erschien dem Martin im Traum einmal eine göttliche Lichtgestalt und sagte ihm, sie sei Christus. Von höchster göttlicher Stelle solle er Dank und Anerkennung überbringen. Martin ist natürlich beglückt, wer wäre das nicht bei so hohem Besuch. Aber dann kommen ihm Bedenken, typisch für seine Hellsicht. „Wo sind deine Wunden?“, fragt er kritisch zurück. Denn ein Christus ohne Wunden ist ihm, typisch christlich, undenkbar. Sofort ziert sich die Traumgestalt und redet sich raus: er wolle sich heute einmal ganz österlich zeigen, ganz ohne das hässliche Kreuz und die schlimmen Lebenswunden. Martin aber, nun hellwach wie es sich für einen Christenmenschen gehört, kontert sofort: „hau ab, du bist der Satan!“ Ein Christus ohne Wunden ist der Teufel!

Genau das ist der Punkt: ein himmlischer Christus ohne irdische Wunden ist ein Traumprodukt, eine Wunschphantasie, mehr noch: ein Lügengebilde. Natürlich, in den Himmel wollen alle, so oder so. Wer träumt nicht vom großen Glück? Aber ohne die Nöte des Irdischen, ohne Verletzungen und Wunden geht es leider nicht. Und genau das steht christlich im Zentrum: der verwundete Arzt, nicht der Strahlemann; der gekreuzigte Christus, nicht der Zauberkünstler. Genau deshalb ist Christus glaubwürdig, weil er unser menschliches Leben selbst durchgemacht hat. Genau deshalb ist sein Gott unser Gott, er weicht Gewalt und Leiden nicht aus, er trägt mit und führt heilend hindurch und voran. Das hat Martin kapiert. Deshalb wendet er sich dem Bettler zu. Deshalb schickt er seinen Strahlemann zum Teufel. Nicht blenden, sondern teilen. Ja, „Sankt Martin ist ein frommer Mann“. Heiliger Martin, glänzender Zeuge, bitte für uns.

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