Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

     

SWR2

   

SWR3

  

SWR4

      

Autor*in

 

Archiv

25SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Es gibt ein Gedanken-Experiment, das heißt die „Pascal´sche Wette“. Benannt ist sie nach Blaise Pascal, einem französischen Mathematiker und Philosophen des 17. Jahrhunderts.

Pascal behauptet, jeder Mensch muss sich entscheiden, ob Gott existiert oder nicht. Er nennt das eine Wette. Und wenn man abwägt, sei es auf jeden Fall klüger auf Gott zu wetten als gegen ihn. Denn hast du auf Gott gewettet, und es gibt ihn tatsächlich, dann gewinnst du natürlich die Wette und auch das ewige Leben. Glaubst du, dass es Gott gibt, und es gibt ihn nicht, dann gewinnst du zwar nichts, hast aber auch nicht wirklich was verloren. Glaubst du nicht, dass es Gott gibt und er existiert tatsächlich nicht, dann hättest du zwar die Wette gewonnen, aber ohne Gott gäbe es natürlich auch kein ewiges Leben, also nichts zu gewinnen.

Wie gesagt, nur ein Gedankenspiel. Und auch eines, das zu Recht kritisiert worden ist. Erstens komme ich zum Glauben ja nicht dadurch, dass ich möglichst intensiv darüber nachdenke. Ich kann nicht auf Knopfdruck glauben oder nicht glauben. Ich kann dem Glauben den Boden bereiten, ihn erfahren und pflegen, der Rest ist nicht rational erklärbar.

Und zweitens hat Blaise Pascal offensichtlich ein sehr enges Gottesbild. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gott nach menschlicher Logik bestraft oder belohnt. Und auch nicht, dass ich mir das ewige Leben gezielt verdienen könnte. In der Bibel zeigt Gott sich an vielen Stellen als einer, der nicht verfügbar ist, der völlig unerwartet handelt. Und vor allem als einer, der immer großherziger ist, als die Menschen für möglich halten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38464
weiterlesen...
24SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Einer meiner Lieblings-Cartoons zeigt Jesus, wie er gerade barfuß über den See Genezareth geht. Im Boot daneben machen die Jünger große Augen. Nur einer mit hinterhältiger Visage leert Spülmittel in den See – offensichtlich will er die Oberflächenspannung des Wassers und somit auch den Gag des Wunders zerstören.

Der Gang übers Wasser ist ein seltsames Wunder, und vielleicht werden deshalb immer wieder Witze darüber gerissen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass es wieder mal weniger um den Wahrheitsgehalt, als vielmehr um den Sinn hinter der Erzählung geht.

Spannend finde ich den Beginn der Geschichte. Da sagt Jesus zu den Jüngern: „Fahrt ihr schon mal alleine voraus.“ Ich glaube Jesus möchte, dass seine Jünger selbständiger werden. Irgendwann sollen sie auch mal ohne ihn klar kommen – genau wie auch wir heute ohne seine Ausstrahlung und Wunderkraft auskommen müssen.

Als ein Sturm einsetzt, kommt Jesus dann doch nach, aber eben nicht per Boot, sondern zu Fuß. Als ihn die Jünger ungläubig anstarren, sagt Jesus: „Glaubt an mich, vertraut eurer eigenen Stärke - und dann schafft ihr das auch.“ Die Szene erinnert mich daran, wie Kinder Fahrradfahren lernen. Du kannst neben dem Rad her wetzen und versuchen zu halten wo und wie du willst – irgendwann musst du loslassen und darauf vertrauen, dass es dein Kind auch ohne dich hinkriegt. Und dann ist es ist ein großartiges Gefühl für beide Seiten.

Jesus wirft mich nicht ins kalte Wasser, aber er will auch nicht, dass ich als dummes Schäfchen einfach nur hinterher zottle und zu allem Ja und Amen sage. Er möchte mich ermächtigen, ihm zu folgen - stark, mutig und selbstbewusst.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38463
weiterlesen...
23SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Dieses Jahr ist ein Hochzeitsjahr. Als Pfarrerin darf ich Leute verheiraten. Für mich gibt es kaum Schöneres in diesem Beruf. Ich begegne und begleite Menschen in dieser wichtigen Situation ihres Lebens.

Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen eben verschieden sind. Ich verheirate ein junges Paar, die beiden studieren noch. Sie sind schon seit Jahren zusammen und vom ersten Moment an so selbstverständlich in ihrem Miteinander, dass Heiraten für sie jetzt einfach richtig war. Obwohl sie sich selbst von Professoren Kommentare zu ihrer Hochzeit anhören müssen. Es braucht Mut und Klarheit, um sich zu trauen.

Ein Paar kenne ich schon lange, Familie und Freundschaften sind ihnen wichtig. Endlich, sagen sie, können wir sicher sein, dass wir ein richtig großes Fest feiern können ohne alle Einschränkungen.

Damit das Fest so wird, wie sie es sich wünschen, hat jeder von ihnen besondere Anliegen:
Er sagt: das Essen muss richtig gut sein und der Ort, für ihn als Italiener bedeutet das: das Fest muss in Italien stattfinden. Für sie ist am wichtigsten, dass alle Spaß haben, zwischen Spielen, Essen und Tanzen.

Ein Paar hat erst spät zusammengefunden, ihrer Liebe geht eine lange Freundschaft voraus. Sie beeindrucken mich in besonderer Weise. Sie haben zueinander gefunden in einer sehr schweren Zeit. Trauer und Schmerz miteinander aushalten, das haben sie geübt. Die beiden suchen einander, halten sich an den Händen während sie die Geschichte ihrer Liebe erzählen. Ihre Blicke versinken ineinander, Tränen fließen.

Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Eines habe ich dieses Jahr bei allen Hochzeiten erlebt, den Paaren ist vor allem anderen wichtig: wir begegnen einander auf Augenhöhe. Unsere Liebe gelingt dann, wenn wir spüren und leben: Wir helfen uns gegenseitig, wir sind einander gleich, keiner ist wichtiger. Und beim anderen bin ich zuhause und frei zugleich. Hochzeiten sind so verschieden wie die Menschen. Aber die Liebe bleibt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38420
weiterlesen...
22SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich liebe Kinderbücher! Zu meinen allerliebsten gehört "Die kleine Hexe". Das erste Buch, das ich selbst gelesen habe. In diesem Jahr hat Otfried Preußler, der diese besondere Persönlichkeit erfunden hat 100. Geburtstag.

„Verboten ist vieles“ sagt die kleine Hexe. Sie ist frech und wild und frei, witzig und schlau ist sie auch und sie lässt sich nichts verbieten. Nichts, was sie für richtig hält und da hat sie ganz eigene Vorstellungen. Denn sie will ja eine gute Hexe sein, damit sie mit den alten Hexen endlich mittanzen darf am Blocksberg, obwohl sie noch so jung ist, nämlich 127 Jahre alt.

Die kleine Hexe war eine Art Gegengeschichte, auch zu Grimms Märchen Hänsel und Gretl mit der bösen Hexe. Die kleine Hexe lädt die Kinder, die sich verlaufen haben zu sich ein, sie serviert ihnen Kuchen und hext ihnen aus Spaß etwas vor– obwohl es schon wieder verboten ist. Es ist nämlich Freitag, da dürfen Hexen nicht hexen.

So ähnlich erzählt das die Bibel von Jesus: Der heilt an einem Sabbath einen Mann mit einer gelähmten Hand. Um ihn her Leute, die sich aufregen, weil es verboten ist, am Sabbath zu arbeiten. Aber Jesus erklärt ihnen das alte Gesetz: Der Sabbath ist für den Menschen da, nicht die Menschen für den Sabbath. Und ausdrücklich ist es erlaubt am Sabbath einen Menschen zu retten.

Die kleine Hexe rettet die Kinder vor der Angst. Selbst denken, sich auch mal gegen ein Verbot entscheiden und verstehen, dass jede Regel sinnvolle Ausnahmen hat, das kann man von Jesus und der kleinen Hexe lernen. Denn „Verboten ist vieles!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38419
weiterlesen...
21SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Eine neue Studie erklärt, dass Triggerwarnungen bei Leserinnen von Büchern und anderen Werken das Gegenteil erzeugen: Nämlich mehr Angst und eine größere Verunsicherung. Psychologen erklären, dass Warnungen eine Erwartungshaltung auslösen, die dann als self fulfilling prophecy dafür sorgen, dass Menschen tatsächlich in Angstzustände oder Retraumatisierungen gelangen. Ich finde Triggerwarnungen hilfreich: Wenn ich weiß, dass Filme explizite Szenen von Gewalt, Kindesmissbrauch oder sexueller Gewalt enthalten, dann sehe ich sie mir gar nicht erst an. Ich meine, dass es bei Triggerwarnungen darum geht, dass Menschen sich schützen können.

Es geht darum, dass sie die Freiheit haben zu entscheiden, ob sie sich wirklich Bildern oder Texten aussetzen wollen, die ihnen schaden können. Als Pfarrerin habe ich immer wieder mit Personen zu tun, die in ihrem Leben schwer traumatisiert wurden. Jeden Tag laufen sie Gefahr, durch Gerüche oder Geräusche, die sich mit diesen Erinnerungen verbinden, getriggert zu werden.

Wird eine traumatisierte Person getriggert, kann es passieren, dass sie wieder zurückverfällt in die Ursprungssituation die das Trauma ausgelöst hat. Es fühlt sich an, als würde sie jetzt gerade missbraucht, vergewaltigt, geschlagen. Traumatisierte fühlen sich wieder wie das Kind, die Frau, die Person, die sich nicht wehren kann.

Triggerwarnungen eröffnen Freiheit, wenn jemand dir sagt: Lies diese Passage nicht allein. Schau diesen Film nicht im Kino an, wo du nicht schnell abschalten oder wegkannst. Solche Hinweise helfen Menschen, die ihr Leben lang zu kämpfen haben, um nicht immer wieder gefangen zu werden, von Erinnerungen, die jeden schönen Abend verderben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38418
weiterlesen...
20SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Kennen sie Krabat, die Geschichte vom Zauberlehrling? Er vertraut sich einem Hexenmeister an, um selbst zaubern zu lernen. Er schließt einen Pakt und gibt damit einer dunklen Macht Gewalt über sich. Der Junge Krabat verkauft seine Seele dem Teufel. Otfried Preußler, der Krabat geschrieben hat, wäre in diesen Tagen 100 Jahre alt. Er selbst hat die Jahre des Krieges und der Gefangenschaft so erlebt:da hat er dunklen Mächten Gewalt über sich gegeben.

Mehrdad Zaeri ist als Jugendlicher aus dem Iran geflüchtet. Er hat Krabat neue eindrucksvolle Bilder geschenkt. Er erzählt davon, was ihn am Krabat besonders fasziniert: Dass Otfried Preußler sich traut, in einem Jugendbuch jemand sterben zu lassen, dass er zeigt, was passiert, wenn man einem Populisten auf den Leim geht, wenn man einem Menschen, der lügt und Dinge verspricht, hinterherläuft, einen Vertrag mit ihm schließt und dann ein Leben lang dafür zu zahlen hat.

Otfried Preußler und Mehrdad Zaeri haben beide in Diktaturen gelebt. Beide kennen die dunkle Seite der Macht. Die Geschichte von Krabat macht Mut dahin zu sehen, wo Menschen sich verlaufen. Aber diese Geschichte erzählt auch, wie Krabat da wieder herauskommt:

Ein Junge hilft ihm. Ein Mädchen rettet ihn, in dass er sich verliebt, um das er sich Sorgen macht. Einem anderen Jungen hilft Krabat selbst, kümmert sich um ihn. Die Freundschaft, die Liebe und die Fürsorge verändern sein Herz und machen ihm Mut sich gegen die düstere Macht des Meisters zu wenden.

Er erkennt, dass es nicht die Zauberkraft ist, nicht die Macht über andere Menschen, die er in seinem Leben braucht, sondern Freundschaft und Liebe und Fürsorge. Ich habe diese Geschichte mit Begeisterung neu gelesen: Populisten nicht auf den Leim gehenn und genau überlegen, wem ich Macht über mich gebe, das meine ich ist wichtig auch heute, auch für Erwachsene.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38417
weiterlesen...
19SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Schon die zweite Woche nach den Ferien. Der Alltag hat mich wieder fest im Griff: Sitzungen, Konferenzen, Dienstbesprechungen, Workshops, Gremien stundenlang am Schreibtisch Dinge ausarbeiten, Mails, Verabredungen, Gespräche. In mir wehrt sich da immer noch etwas. Ich will nicht einfach so mitfunktionieren wie ein Rädchen.

Ich meine: dieser innere Widerstand ist klug und gesund und vielleicht hat er auch etwas mit dem Glauben zu tun. Ich rede mit anderen und merke, es geht nicht nur mir so. Obwohl ich nun wirklich zu den Leuten gehöre, die das Privileg haben, einen Beruf zu haben, den sie lieben.

Pfarrerin zu sein hat ganz viel mit mir als Person zu tun. Und trotzdem bleibt da diese renitente Stimme, die am liebsten die Ferien zurückhaben will und bei Sonnenschein einfach nur raus: schwimmen im See, spazieren im Wald, nicht am Computer sitzen.

Ich meine, Gott hat uns Menschen so gedacht, dass wir gerne mit anderen zusammen sind, das Leben genießen. Ein Psalmbeter sagt:

Unser Leben dauert siebzig Jahre,
wenn’s hoch kommt achtzig.
Und was uns daran so wichtig erschien,
ist letztlich nur Mühe und Arbeit.

Was uns wichtig erscheint –vielleicht ist es das, wogegen sich in diesen Tagen in mir so vieles sperrt: gegen diese Art von Arbeit, die so tut als wäre daran etwas wichtig. Debatten, die ins Leere führen. Sitzungen ohne Ergebnis. Zermürbende Selbstbeschäftigung.

Vielleicht gelingt es mir aus dem Unwillen gegen die Arbeit etwas anders zu machen: mich mehr dahin zu wenden, wo die Arbeit Sinn macht. Wenn dann jemand glücklicher ist oder geborgen, getröstet, dann kann ich wieder mit Herz und Begeisterung arbeiten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38416
weiterlesen...
18SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In diesen Tagen erleben in Baden-Württemberg viele Kinder ihren ersten Schultag mit Feiern und Willkommensgottesdiensten. An der Schule, an der ich unterrichte, ist heute Morgen der Einschulungsgottesdienst für die Kleinen. Mit großen Augen kommen manche das erste Mal im Leben in eine Kirche, wenn die Orgel anfängt zu spielen erschrecken sie.

Zusammen mit den anderen Reli-Lehrerinnen segnen wir die Kinder:
‚Fürchte dich nicht, Gott liebt dich, sei nun mutig und stark!‘ sagen wir ihnen. Viele von ihnen leben in sehr kleinen Wohnungen. Viele kommen aus Familien in denen der Ranzen und alles, was da hineingehört kaum zu bezahlen ist. Sie brauchen Hilfe. Manche Eltern wissen nicht, dass sie ein Recht darauf haben.

Ich finde es wichtig, dass die neue Kindergrundsicherung kommt. Das Prinzip: dass Kinder alle Hilfen bekommen, ohne dass ihre Eltern sich im Bürokratie-Dschungel perfekt auskennen müssen, das ist nicht nur hier in Mannheim richtig wichtig.

Ich fürchte allerdings: Das reicht nicht, um allen Kindern so zu helfen, wie sie es brauchen, besonders denen in den Familien, wo es wirklich schwierig ist. Ich finde, dass alle Kinder einen richtig schönen Ranzen bekommen sollen. Und dass da alles reingehört, was sie eben brauchen Bunte Stifte, ein schönes Mäppchen, Hefte und Bücher, Zeichenblock, Turnbeutel und Wasserfarben, eine Brotbox!

Aber vor allem brauchen die Kinder die Sicherheit und das Wissen, dass sie ein Recht haben auf all die Dinge, dass sie fragen dürfen, wenn etwas kaputt- oder verloren geht. Und dass es um sie geht in der Schule und an diesem ersten Schultag. Allen Kindern gilt dieses Wort: Fürchte dich nicht! Gott liebt dich, sei nun mutig und stark!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38415
weiterlesen...
17SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ein Mädchen kommt ins Kloster. Das Kind ist acht Jahre alt. Da hatte sie schon Visionen. Heute meinen manche, sie habe unter Migräne gelitten, wegen des Lichts das sie beschreibt: „Ein so großes Licht, dass meine Seele erbebte, doch wegen meiner Kindheit konnte ich mich nicht darüber äußern.“

Vielen ist sie bekannt: Hildegard von Bingen ist heute ‚in‘, vor allem wegen ihrer Kräuterkunde und Rezepte, als Ratgeberin für gesunde und maßvolle Ernährung. Was mich an Hildegard beeindruckt ist, dass sie als erste Frau vom Papst ausdrücklich beauftragt wurde zu predigen.

Später wurde sie heiliggesprochen und zur Kirchenlehrerin erhoben. Sie war Ratgeberin in politischen und öffentlichen Fragen. Eine Frau wie sie, wurde im 12. Jahrhundert nicht selbstverständlich verehrt. Sie selbst begegnete ihren Erfahrungen lange mit Skepsis. Krankheiten, die sie erlebt und eine Stimme, die sie hört, erkennt sie dann doch als Aufforderung, aufzuschreiben was sie in ihren Visionen wahrnimmt.

„Ich sehe diese Dinge nicht mit äußeren Augen
… ich sehe sie vielmehr einzig in meiner Seele,
mit offenen leiblichen Augen,
wachend schaue ich dies, bei Tag und Nacht.“

Sie erleidet also keine Anfälle, sie träumt auch nicht. Die Erscheinungen überwältigen sie und lassen sie zugleich verstehen und erkennen, wie die biblischen Schriften gemeint sind. Heute ist der Todestag der Hildegard von Bingen. Eine Mystikerin mit Herz und Verstand, die das Leben als Ganzes erkennt.

Zitate aus:Christliche mystiker. Von Paulus und Johannes bis Simone Weil und Dag Hammerskjöld, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2008, S.67ff

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38414
weiterlesen...
16SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Vor den Sommerferien wurde in meiner Stadt ein riesiges Kirchenfest gefeiert, das es schon seit dem Mittelalter gibt: Die Aachener Heiligtumsfahrt. Ich bin neu in Aachen und war erstmal skeptisch. Denn bei der Heiligtumsfahrt geht es um Reliquien, und mit Reliquien konnte ich bis dahin nur wenig anfangen. Bei den meisten ist ja gar nicht klar, ob sie echt sind. Oder sogar ziemlich sicher, dass sie es nicht sind. Also warum soll ich mir die Windel von Jesus ansehen, ein altes Stück Stoff, das Jesus mit großer Wahrscheinlichkeit nie getragen hat? Tatsächlich habe ich bei der Heiligtumsfahrt nur wenige Menschen getroffen, die die Reliquien für echt halten. Den meisten war das gar nicht wichtig. Für sie sind die heiligen Stücke eine Art Brücke. Um ihren Glauben ein bisschen konkreter zu machen, weil er sonst oft abstrakt bleibt.

Ich musste dabei an Gegenstände in meinem Leben denken: Den Ring, den ich von meiner Oma geerbt habe, zum Beispiel. Der ist objektiv gesehen nicht besonders wertvoll. Zu Geld machen könnte ich ihn jedenfalls nicht. Trotzdem ist er einer meiner größten Schätze, weil er mich mit ihr verbindet. Ich denke daran, wie sie ihn früher getragen hat. Und wie mein Opa in mir nach ihrem Tod geschenkt hat. Natürlich kann ich auch so an meine Oma denken. Aber wenn ich den Ring an meinem Finger drehe, fällt es mir leichter, mich ihr nahe zu fühlen. Auch er ist eine Brücke.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38385
weiterlesen...