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SWR2 Wort zum Tag

28DEZ2023
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Menschen sind verletzlich. Wir erfahren das an uns selbst. Wenn wir körperliche Verletzungen davontragen. Aber vor allem auch seelische. Wenn wir Kränkungen, Beleidigungen, Missachtung erleben. Was nicht weniger weh tut!

Besonders verletzlich aber sind Kinder. In Konflikten, Kriegen und Hungersnöten sind sie die Ersten, die es trifft. Daran erinnert der Tag, der heute im Kalender der Kirche steht: das Fest der Unschuldigen Kinder. Ein Tag, der eine dunkle Erinnerung aufbewahrt.

König Herodes, so erzählt es die Weihnachtsgeschichte, fürchtet, dass unter den neugeborenen Kindern in Bethlehem ein Konkurrent für seine Macht heranwachsen könnte. Um das zu verhindern, lässt er dort alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten. Im Interesse seiner Machterhaltung ist ihm jedes Mittel recht. Und so er-weist sich der Ort weihnachtlicher Idylle plötzlich als schauerlicher Tatort.

Menschen, zumal Kinder, sind verletzliche Wesen. An Maria und Joseph erlebe ich aber, in welch guter Weise sie mit der Verletzlichkeit und Hilfsbedürftigkeit des ihnen anvertrauten Jesuskindes umgegangen sind.

Keine gegenseitigen Vorwürfe über die nicht vorhersehbare Schwangerschaft der Maria. Dann, im überfüllten Bethlehem, bemühen sich die Eltern nach besten Kräften, ein passables Quartier zu finden. Ein Dach über dem Kopf und ein bisschen Wärme.

Als sich abzeichnet, dass der mächtige Herodes den kleinen Kindern nach dem Leben trachtet, riskieren sie eine gefährliche Flucht ins Ausland.

Mit Verletzlichkeit umgehen heißt, aufeinander Acht zu geben. Leben zu schützen. Alles zu tun, damit Kinder in unserer manchmal lebensfeindlichen Welt eine Chance haben.

Der heutige Tag ist für mich auch eine Erinnerung an die Kinder, die wir selbst einmal waren. An die Kinder, die in vielen Familien jetzt gerade groß werden. An Enkelkinder und Patenkinder.

Menschen sind verletzlich. Aber gerade diese Verletzlichkeit verbindet uns über Generationen hinweg. Seit den Tagen der unschuldigen Kinder, die in Bethlehem damals ihr Leben lassen mussten.

Darum sollten wir gut aufeinander aufpassen. Auf die Worte, die wir einander sagen. Auf das, was wir tun oder einander antun. Damit nicht noch mehr Wunden geschlagen werden. Sondern Verletzungen heilen können. Und Gemeinschaft und Frieden wachsen.

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SWR2 Lied zum Sonntag

24DEZ2023
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„Weihnachten im Hause Bonhoeffer“. Unter diesem Titel hat Sabine Leibholz-Bonhoeffer ihre Erinnerungen an die vielen Weihnachtsfeiern ihrer Kindheit in einem kleinen Band versammelt. Sabine war die Zwillingsschwester des Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. In ihren Erinnerungen spielt auch dieses schlichte Kinderlied eine Rolle, das, so erzählt sie, am Heiligen Abend die ganze Familie Bonhoeffer gesungen hat:

Ihr Kinderlein kommet, o kommet doch all,
zur Krippe her kommet in Bethlehems Stall
und seht, was in dieser hochheiligen Nacht
der Vater im Himmel für Freude uns macht.

„Die Feier am Heiligen Abend beginnt bei uns immer mit der Weihnachtsgeschichte“, schreibt Sabine Leibholz-Bonhoeffer. „Unsere Mutter liest sie mit fester klarer Stimme vor. Ich sehe sie vor mir in ihrem schwarzen Samtkleid mit dem schönen, spitzen Kragen, mit ihren schweren, dunkelblonden Zöpfen, die sie um den Kopf gelegt trägt… Alle Spuren der Übermüdung und Angespanntheit, die ihr die Weihnachtsvorbereitungen eingebracht haben, scheinen mit dem Kommen des Heiligen Abends ausgelöscht... Wenn unsere Mutter das Weihnachtsevangelium gelesen hat und das erste Lied von uns allen gesungen ist, wird das Licht gelöscht und im Dunkeln werden viele Weihnachtslieder gesungen.“

O seht in der Krippe im nächtlichen Stall,
seht hier bei des Lichtleins hellglänzendem Strahl,
in reinlichen Windeln das himmlische Kind,
viel schöner und holder als Engel es sind.

„Und dann sehen wir unseren Christbaum! So strahlend und hell nach dem Singen in der Dunkelheit! In seinem Lichtkreis stehen wir nun alle und singen zusammen... Die Kinder wissen und fühlen es längst, dass es nicht schön wäre, jetzt zu den Gabentischen zu blinzeln. Zugedeckt ist nichts von den Geschenken. Die Krippe wird nun bewundert. Ein Lichtchen dringt aus der Stalltür. Die ganze Weihnachtsgeschichte liegt vor uns ausgebreitet.“

Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh;
Maria und Josef betrachten es froh,
die redlichen Hirten knien betend davor;
hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor.

Ich bin mir sicher, Erfahrungen wie diese gehen mit einem Menschen durchs ganze Leben. Dietrich Bonhoeffer haben sie sogar ins Gefängnis begleitet. Vielleicht singen Sie dieses Lied heute Abend ja auch! Fühlen Sie sich dann verbunden mit den vielen, die es vor uns gesungen haben, die es heute singen und die es auch künftig singen werden!

Ich wünsche Ihnen einen klangvollen Heiligen Abend! Und ein gesegnetes Weihnachtsfest!

So nimm unsre Herzen zum Opfer denn hin,
wir geben sie gerne mit fröhlichem Sinn.
Ach, mache sie heilig und selig, wie deins,
und mach sie auf ewig mit deinem in eins.

 

CD: „Ihr Kinderlein kommet. Der Dresdner Kreuzchor singt die schönsten Weihnachtslieder“, Ltg. Roderich Kreile, Berlin Classics 2005, LC 06203

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SWR2 Lied zum Sonntag

12NOV2023
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Was gibt mir in diesen Zeiten festen Grund unter die Füße? Was bleibt, wenn alles wankt und fällt? Ich glaube, das sind Fragen, die viele Menschen heute bewegen. Ein über 200 Jahre altes Lied will darauf eine Antwort geben.

Ich weiß, woran ich glaube,
ich weiß, was fest besteht,
wenn alles hier im Staube
wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet,
wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet
und Trug die Klugen prellt.

Ernst Moritz Arndt hat diese Zeilen gedichtet. Er war im 19. Jahrhundert eine vielseitig engagierte Persönlichkeit: Dichter und Schriftsteller, Politiker und Publizist, Kämpfer gegen Napoleon und für eine deutsche Nation. In diesem Lied, finde ich, kommt noch eine andere Seite von ihm zum Vorschein. Eine suchende und tastende Frömmigkeit, die sich vergewissern möchte, was fest besteht, wenn alles wie Sand und Staub verweht...

Ich weiß, woran ich glaube,
ich weiß, was fest besteht,
wenn alles hier im Staube
wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet,
wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet
und Trug die Klugen prellt.

Mir hilft dieses Lied, nicht zu verstummen angesichts der zerstörerischen Vorgänge und Mächte, von denen die Nachrichten voll sind. Weil es hinter allem, was wankt und bricht, auf etwas Unzerbrechliches verweist. Und eine Gewissheit spürbar wird, die fest gegründet ist.

Wir sprechen heute von Resilienz: von einer Widerstandkraft, die Menschen gerade dann zuteilwerden kann, wenn alles fraglich wird. Plötzlich ist da eine Kraft, die mich trägt. Meistens weiß ich nicht einmal, woher sie kommt. Ein Glaube, der mir Grund unter die Füße gibt. Eine Hand, die sich mir entgegenstreckt.

Und ich schaue auf den Menschen, von dem die Bibel erzählt, dass er auf Hass nicht mit Hass, auf Gewalt nicht mit Gewalt geantwortet hat. In dem Lied wird er der „Meister“ genannt, „der mir die Feste baut“. Und mir Grund unter die Füße geben will.
Jesus Christus, den die Bibel den „Fürst der Geister“ nennt, weil er die zerstörerischen Mächte besiegt hat. Und der, so hoffe und singe ich mit diesem Lied, meinen Blick auf das richtet, was unzerstörbar ist. Und „ewig bleibt“.

Auch kenn ich wohl den Meister,
der mir die Feste baut;
er heißt der Fürst der Geister,
auf den der Himmel schaut,
vor dem die Seraphinen
anbetend niederknien,
um den die Engel dienen;
ich weiß und kenne ihn.

----------

Musikangaben:
Schütz, Heinrich; Arndt, Ernst Moritz
Ich weiß, woran ich glaube. Für Chor und Orgel
SFB-Produktion am 09.07.1994 in der Kirche zum Heilsbronnen, Berlin
Schlicke, Christian; Staats- und Domchor

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SWR2 Wort zum Tag

04OKT2023
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Mit der Suche nach Gott muss man es sich gar nicht so schwer machen! Dafür steht ein Lebenskunst, die im biblischen Buch der Weisheit beschrieben wird. Es sind über 2000 Jahre alte Beobachtungen, Einsichten und Erkenntnisse, die helfen können zu einer bedachtsamen und umsichtigen, eben einer „weisen“ Lebensführung.

Um weise zu sein, braucht es demnach keine großen intellektuellen Aufschwünge. Wer weise sein will, so heißt es, muss am Morgen nur seine Haustür öffnen, um aufmerksam wahrzunehmen, was sich da alles den Sinnen bietet.

„Wer sich früh zu ihr aufmacht“, so ist im Buch Weisheit zu lesen, „muss sich nicht mühen; denn sie wartet schon vor seiner Tür... Die Weisheit ist schön und unvergänglich und lässt sich von denen finden, die sie suchen... Nach ihr zu trachten, ist vollkommene Klugheit.“

Das Buch der Weisheit gehört zu den Apokryphen, also den Schriften, die zwar nicht zum offiziellen biblischen Kanon gehören, aber doch – wie Martin Luther gesagt hat – „nützlich und gut“ zu lesen sind.

Ich finde, auch für heutige Zeiten bietet die Weisheit so etwas wie ein Therapeutikum gegen die Gottesblindheit. Impulse, wie ich die Augen öffnen und die Gegenwart Gottes im Alltag entdecken kann. 

Ich stelle mir das so vor, als würde ich in eine neues, mir bis dahin unbekanntes Land fahren. Auf Reisen geht es mir so, dass ich immer besonders neugierig und gespannt bin auf alles, was auf mich zukommt. Empfänglich für die fremde Sprache, die andere Art miteinander umzugehen, die unbekannte Landschaft.

Alles Routinemäßige lasse ich zurück. Viele Dinge sehe ich wie zum ersten Mal. Und wenn ich zurückkehre in mein normales Leben, versuche ich diese offene und interessierte Haltung beizubehalten.

Mit den Augen der Weisheit sehen heißt für mich dann: was ich schon längst zu kennen glaubte, erscheint mir in einem neuen Licht. Ich entdecke die kleinen und oft übersehenen Details in meinem Alltag. Alles wird mir zum Zeichen wird für das göttliche Geheimnis hinter den Dingen.

Weisheit, du Schöne, sage ich mir, am liebsten möchte ich mich unterhaken bei dir und mit dir täglich auf Entdeckungsreise gehen. An deiner Seite will ich meinen Blick auf die Welt verwandeln lassen. Und dankbar empfangen, was jeden Morgen vor meiner Tür darauf wartet, entdeckt zu werden.

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SWR2 Wort zum Tag

03OKT2023
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„Was wird bloß aus unseren Träumen in diesem zerrissenen Land?“, so hat er damals gefragt und gesungen: Wolf Biermann, der Liedermacher, der in Deutschland West und Deutschland Ost gleichermaßen fremd wie zu Hause war.

Das war im Jahr 1976, in jenem unvergesslichen Konzert in Köln, das in der Folge zu seiner Ausbürgerung aus der DDR geführt hat.

Ich erinnere mich gut, wie ich zusammen mit einem Freund das Konzert am Schwarz-Weiß-Fernseher verfolgt habe. Wolf Biermann war für uns ein faszinierender musikalischer und politischer Grenzgänger. Unangepasst, frech, aber immer auch witzig. Die etablierten Autoritäten hat er mit kratziger Stimme und den Klängen seiner Gitarre aufs Korn genommen.

Geboren wurde Biermann 1936 in einem Land, das seiner jüdischen Familie nach dem Leben getrachtet hat. Und von dessen Sprache er doch gelebt hat wie einst sein großes Vorbild Heinrich Heine. Genau wie der war er hin und hergerissen zwischen West und Ost. „Ich möchte am liebsten weg sein, und bliebe am liebsten hier“, so heißt der Refrain in diesem Lied.

Während der letzten Jahre habe ich dann wenig von Wolf Biermann gehört. Und hätte nicht einmal sagen können, ob er überhaupt noch am Leben ist. Dann plötzlich habe ich seinen Namen in Karlsruhe auf einem Konzertplakat gesehen. Und da habe ich ihn tatsächlich nach Jahrzehnten wieder getroffen. Quicklebendig. Der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Mittlerweile 87 Jahre alt, steht er da wenige Meter vor mir auf der Bühne, schlägt ein paar Akkorde an und legt dann los. Mit diesem Lied, das von der Zerrissenheit eines Vaterlandes erzählt, wo allein der Himmel nicht geteilt ist.  Und wo es noch immer um diese Frage geht: „Was wird bloß aus unsern Träumen in diesem zerrissenen Land? Die Wunden wollen nicht zugehn unter dem Drecksverband“.

In diesem Moment habe mich gefragt: Sind die Wunden zwischen Ost und West denn inzwischen zu gegangen? Und was wurde aus unseren Träumen? Aus dem rauschhaften Gefühl der ersten Nachwendezeit, sich endlich wieder frei bewegen und ungehindert reisen zu dürfen? 

Wolf Biermann ist über all die Jahre ein frecher Zweifler und gläubiger Ketzer, wie er von sich selbst sagt, geblieben. Nur hat er nach einem langen Leben genug von allen Weltverbesserungsideologien, von denen er heute sagt, dass sie doch nur ins Schlechtere führen.

In seiner Biographie schreibt er: „Heute habe ich begriffen, wie hochmütig mein Spott auf die bürgerliche Demokratie war. Sie ist das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden und ausprobiert haben.“

Natürlich durfte am Ende des Konzertabends auch sein Lied „Ermutigung“ nicht fehlen. Das wird inzwischen sogar auf Kirchentagen gesungen und findet sich in manchen Gesangbüchern. Es passt, finde ich, heute nicht weniger als damals:

„Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Die allzu hart sind brechen, die allzu spitz sind stechen und brechen ab sogleich... Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit... du brauchst uns und wir brauchen grad deine Heiterkeit“

Ich meine, darum geht es doch heute, am „Tag der deutschen Einheit“, neben all den Rückblicken auf das, was vor 33 Jahren war, die Träume nicht zu vergessen, die wir geträumt haben von einem geeinten und demokratischen Deutschland.

Dankbar zu sein für unsere Demokratie. Und die vielen Möglichkeiten, die wir haben, sie zu verbessern. Sie ist tatsächlich „das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden haben und ausprobiert haben.“

Und auch darum geht es: Sich nicht entmutigen zu lassen von manchen Unzulänglichkeiten. Sondern zur Stelle zu sein, wenn es gilt, alte und neue Barrieren zu überwinden.

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SWR2 Wort zum Tag

02OKT2023
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Er war ein Maler, der sich selbst als malenden Philosophen verstanden hat: Renée Magritte. Im November würde er 125 Jahre alt. Mich hat er schon als Jugendlicher begeistert. Mit seiner Art, die Ordnung der Dinge in Frage zu stellen. Und die Grenze zwischen Phantasie und Wirklichkeit zu überschreiten.  

Eines seiner bekanntesten Werke heißt „Der Verrat der Bilder“. Abgebildet ist eine Tabakspfeife, darunter auf französisch der Schriftzug „Dies ist keine Pfeife“. Aber was denn sonst?, fragt sich der Betrachter, ich sehe doch ganz eindeutig eine Pfeife!

Magritte aber meint: „Ein Bild ist nicht zu verwechseln mit einer Sache, die man berühren kann. Können Sie meine Pfeife stopfen? Natürlich nicht! Sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich auf mein Bild geschrieben, dies ist eine Pfeife, so hätte ich gelogen“

Und so führt er uns immer wieder auf falsche Fährten. Er malt den Nachthimmel, wo ein Taghimmel sein müsste. Oder ersetzt den Rauch des Kaminfeuers durch den Dampf einer Lokomotive.

Magritte will zeigen: Was wir sehen, sind Bilder, und die dürfen nie mit der Wirklichkeit verwechselt werden.

Das ist eine alte Erkenntnis, die sich schon in der Bibel findet. In dem Gebot, wo es heißt: „Du sollst dir kein Bildnis machen! Weder von dem, das oben im Himmel, noch von dem, das unten auf Erden ist!“

Natürlich weiß ich, dass wir Bilder brauchen, um uns zu orientieren. Wir denken in Bildern, sprechen in Bildern und erfreuen uns an Bildern. Und doch -  das sagt uns gerade dieser Maler - sind es eben nur Abbilder der Wirklichkeit.

Das gilt insbesondere von den Bildern, die Menschen sich von Gott machen. Wir kommen nicht ohne sie aus. Und dennoch: das Geheimnis Gottes lässt sich nicht entziffern durch Bilder und Vorstellungen, die ich mir von Gott mache. Genauso wie es sich verbietet, einen anderen Menschen in Bilder und Vorurteile zu packen. 

Mir gefällt Magrittes Zurückhaltung und Vorsicht, mit der er sich der Wirklichkeit nähert. Er gibt nicht vor, die Welt im Ganzen erklären zu können. Sondern entwickelt ein Sensorium für das Mysterium, das in und hinter den Dingen steckt.

Ich finde, seine Bildersprache kann uns heute vor Klischees und Stereotypen im Umgang miteinander schützen. Das überrascht immer wieder. Und hilft mir, wach zu bleiben für das unbegreifliche Faszinosum des Lebens.

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SWR2 Lied zum Sonntag

17SEP2023
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Wie soll man das Unsagbare sagen? Wie das Geheimnis Gottes in Worte fassen? Das heutige Lied zum Sonntag „Brunnquell aller Güter“ versucht es mit einer bunten Fülle von Bildern. Bilder, die wie ein Kaskade ineinander- und zusammen fließen. So wie das Wasser eines römischen Brunnens, das fällt und strömt und schließlich ein Gesamtkunstwerk von schwebender Schönheit bildet...

Brunnquell aller Güter,
Herrscher der Gemüter,
lebendiger Wind,
Stiller aller Schmerzen,
dessen Glanz und Kerzen
mein Gemüt entzündt.
Lehre meine schwache Seiten
deine Kraft und Lob ausbreiten.

Überliefert ist das Lied in einer Liedersammlung eines Zeitgenossen von Johann Sebastian Bach, der selbst Kantor war: Georg Christian Schemelli. Bach hat zu dessen Gesangbuch viele Kompositionen beigesteuert.

Den Text hat der Barockdichter Johann Franck gedichtet. Aber erst in der Verbindung von Worten und Musik ist, wie ich finde, ein kleines musikalische Kunstwerk entstanden. Es ist geprägt von einer ganz persönlichen Frömmigkeit, in der der ewige Gott die Erde und alles Irdische berührt. Und mir ganz nahe kommt.

Wahrer Menschenschöpfer,
unsers Tones Töpfer,
Gott von Ewigkeit,
Zunder keuscher Liebe,
gib, dass ich mich übe
auch im Kreuz und Leid,
alles dir anheim zu stellen,
und mich tröst in allen Fällen.

Das Lied umspielt das Geheimnis Gottes auf poetische Weise. Es ruft eine Vielzahl von Namen auf. Sie lassen erahnen, auf welch wunderbare Weisen Gott wirkt. Als „lebendiger Wind“ zum Beispiel, als „Stiller aller Schmerzen“, als „Flamme der Verliebten“. Oder als Atem von allem, was lebt.

So bleibt Gott kein leerer und abstrakter Gedanke. Sondern wird singend erfahrbar im Dahinfliessen des Lebens: eben als „Brunnquell aller Güter“.
Und ganz konkret und vertrauensvoll ist dann auch die Bitte am Ende des Liedes:
„Führe meine Sachen, meinen Schlaf und Wachen, meinen Tritt und Gang!“ Mit dieser Bitte um Trittsicherheit für den neuen Tag wünsche ich Ihnen einen gesegneten Sonntag!

Führe meine Sachen,
meinen Schlaf und Wachen,
meinen Tritt und Gang,
Glieder und Gesichte,
dass mein arm Gedichte,
dass mein schlecht Gesang,
Wandel, Werk und Stand für allen,
dir, o Vater, mag gefallen.

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CD: Ein Choralbuch für Johann Sebastian Bach, Brunnquell aller Güter, BWV 445, Gächinger Kantorei Stuttgart & Bach Collegium Stuttgart, Helmut Rilling, Hänssler Verlag 2004

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SWR2 Wort zum Tag

09AUG2023
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Die Beziehung, die ich zu meinem Smartphone habe, ist zwiespältig. Auf der einen Seite fasziniert mich dieses kleine Gerät durchaus. Unglaublich, denke ich oft, was man alles damit machen kann! Kommunizieren, Fotografieren, Navigieren, Bezahlen, Übersetzen, Musikhören und so weiter.

Aber manches finde ich auch beklemmend. In meinem Ferienhotel habe ich kürzlich morgens beim Frühstück einen Vater mit seinem Sohn beobachtet. Beide haben am Nachbartisch als erstes ihre Smartphones herausgezogen. Und gar nicht erst ein Gespräch begonnen. Und das Morgen für Morgen.

Oft beobachte ich Väter und Mütter, die ihren Kinderwagen vor sich herschieben und häufiger auf ihr Smartphon schauen als auf den kleinen Menschen vor sich im Wagen. Oder Schülerinnen und Schüler, die nur noch gebannt auf ihre Monitore starren. 

Ich merke es auch an mir selber. Früher habe ich, wenn ich unterwegs war, einen Einheimischen nach dem Weg gefragt. Heute erledigt das mein Navi. Selbst auf gesundheitliche Fragen gibt mir die Suchmaschine Auskunft.

Ersetzt das Smartphone mit seinen vielen Funktionen vielleicht auch das Gespräch mit Gott, frage ich mich. Sagt es mir, was und wer mir Orientierung gibt und Lebenshilfe? So dass auch ich den Blick nicht mehr nach oben oder nach draußen hebe, sondern dem Monitor verhaftet bleibe?

Ich vermute: bei allem, was das Smartphon kann, nährt es auch eine gefährliche Illusion. Nämlich: dass ich mein Leben genauso in der Hand habe wie das kleine Gerät. Die Illusion, dass das Leben vorhersehbar ist wie eine Suche auf Google. Dass es auf jede Frage eine Antwort gibt. Und dass es letztlich ausreicht, mit mir selbst zu kommunizieren.

Ist das übertrieben? Vielleicht! Aber nur dann, wenn ich es nicht mehr schaffe, mein Smartphone öfters mal in der Tasche stecken zu lassen. Und stattdessen den Blick wieder nach außen richte .

Denn das Smartphone ist und bleibt ein technisches Gerät. Ein lebendiges Gegenüber ist es nicht. Ihm fehlt die Seele. Und mir die Anrede von einem Du. Also das, was den Menschen zum Menschen macht.

So bleibt meine Beziehung zu dem Gerät zwiespältig. Ich werde es weiterhin als hilfreiches Werkzeug nutzen. Aber mich seiner Allgegenwart widersetzen. Und damit auch seiner Allmacht. Und das Gespräch und die Beziehung zu lebendigen Menschen vorziehen.

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SWR2 Wort zum Tag

08AUG2023
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In der Schule haben wir uns mit dem Auswendiglernen dieser Ballade ganz schön gequält: „Hat der alte Hexenmeister sich doch einmal wegbegeben! Und nun sollen seine Geister auch nach meinem Willen leben …“

So beginnt die Ballade vom Zauberlehrling von Johann Wolfgang von Goethe. Was aber da drin steckt, wieviel kluge Vorraussicht, das habe ich erst später begriffen.

Da probiert ein Zauberlehrling, als sein Meister gerade mal weg ist, einen Zauberspruch aus. Er schafft es tatsächlich, einen schlichten Besen in einen Knecht zu verwandeln. Der ist ihm zu Diensten und schleppt ununterbrochen Wasser heran.

Dann aber gerät die Sache außer Kontrolle. Und nimmt  einen bösen Ausgang. Denn der Lehrling ist nicht in der Lage, die ausgelöste Kettenreaktion wieder anzuhalten. Weil er das Wort vergessen hat, mit dem er die sich anbahnende Katastrophe stoppen könnte.

„Herr, die Not ist groß“, ruft er schließlich verzweifelt, „die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“

Heute lese ich diese Ballade wie einen hilfreichen Kommentar zum Umgang mit dem Thema künstliche Intelligenz, das ja gerade so kontrovers diskutiert wird. Und meine, künstliche Intelligenz kann solange nützlich sein, wie sie vom menschlichen Geist kontrolliert wird. Um beispielweise von lästigen Alltags- und Routinearbeiten zu entlasten.

Sie kann aber in eine Katastrophe führen, wenn sie außer Kontrolle gerät. Oder sogar bewusst mißbraucht wird.

Schließlich gehört zu jedem Projekt, das man plant, nicht nur der Beweis, dass man es technisch ausführen kann. Sondern vor allem auch die Haltung, dass man es verantworten kann. Weil sonst die Gefahr besteht, sich in einen Machtrausch zu verlieren, bei dem die Folgen unabsehbar sind.

 „Herr, die Not ist groß!“, ruft der Zauberlehrling angesichts der Kräfte, die er entfesselt hat. Ich finde, man kann diesen Hilferuf auch als ein Gebet verstehen.

Als Ruf, der sich nicht an einen alten Hexenmeister richtet, sondern an den „Herrn der Geister“, wie die Bibel sagt. An Gott selbst, den Schöpfer und Bewahrer der Welt.

Ein Gebet auch, um einen Weg zu finden für einen besseren, verantwortlicheren Umgang mit der neuen Technik. Damit auch in Zukunft künstliche Intelligenz vor allem menschliche Intelligenz bleibt.

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SWR2 Wort zum Tag

07AUG2023
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In einem Wirtschaftsmagazin habe ich kürzlich gelesen: Deutschland durchlebt die schwierigste Phase seit Generationen. Eine Krise folgt auf die nächste. Pandemie, Krieg, Inflation, Klimakrise. Selten sei die Unsicherheit so groß und so anhaltend gewesen.

Gleichzeitig, so beobachte ich, nehmen die Bindekräfte in der Gesellschaft offensichtlich ab. Die massiven Kirchenaustritte in den letzten Jahren sind dafür nur ein Indiz. Denn auch Parteien, Sportvereine und Gewerkschaften klagen über ähnliche Phänomene.

Was ist da los, frage ich mich. Steht nicht die Kirche eigentlich genau für jene Bindekräfte, die der Gesellschaft gerade abhanden kommen?

Neulich habe ich im Schaukasten vor einer Kirche ein Plakat gesehen. Da stand: „Zehn Gründe, nicht aus der Kirche auszutreten.“ Weil, so war beispielsweise zu lesen, Kirche Orientierung vermittelt, Gemeinschaft stiftet, Menschen durchs Leben begeitet.

Mich hat das Plakat angeregt, darüber nachzudenken: was würde mir ohne Kirche fehlen?

Ich schätze es zum Beispiel sehr, in der Kirche Menschen zu treffen, mit denen mich eine Sehnsucht verbindet: die Suche nach dem Woher und Wohin meines Lebens. Menschen, mit denen ich feiern und beten kann, singen und musizieren. 

Ich schätze die Kultur der kirchlichen Feiertage. Und finde es schön, das Jahr mit seinen Festen von Weihnachten bis Ostern gemeinsam zu erleben. Ich liebe die einladende Atmosphäre kirchlicher Räume, egal ob es kleine Dorfkirchen sind oder kunsthistorisch wertvolle Kathedralen.   

Und finde es wunderbar, meinen Lebensweg von der Geburt bis zum Tod begleitet und gedeutet zu wissen durch Rituale, die Anlässe schaffen für Zusammensein.

Mir vermittelt die weltweite Kirche so etwas wie ein Körpergefühl für die ganze Menschheit. Und ich fühle mich verbunden mit so vielen, die sich vor Ort und weltweit engagieren für die Schöpfung, für Frieden und ein menschlicheres  Miteinander.

Ich weiß allerdings auch: das ist nicht der Schlüssel zur Lösung aller Probleme! Aber es ist doch der Versuch, der „allgemeinen Verunsicherung“  etwas entgegen zu setzen.

Verbindungen zu stiften, wo Verunsicherung oder gar Spaltung ist. Die Bindekräfte zu stärken. Und im Kleinen das Große zu bauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38193
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