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SWR1 3vor8
Am Sonntagmorgen hat sich ein Bettler direkt vor die Kirchentür gesetzt. Es ist kurz vor zehn, und er weiß, dass hier gleich jede Menge gut Gläubige vorbeikommen. Menschen, die daran glauben, dass Gottesliebe und Nächstenliebe zusammengehören wie die zwei Seiten einer Münze. Wie zur Erinnerung daran hat der Mann einen Plastikbecher mit ein paar Münzen neben sich auf die Stufen gestellt. Ich sehe die Leute, die zum Gottesdienst kommen und ihre unterschiedlichen Strategien, mit dem Überraschungsgast umgehen. Einer holt sein Portemonnaie heraus und schüttet einfach die Abteilung mit den Münzen in den Becher. Andere übersehen den Mann geflissentlich, drücken sich innerlich und äußerlich an ihm vorbei. Eine Frau spricht ihn an, lädt ihn ein, doch mit hineinzukommen und gerne auch anschließend zum Kirchkaffee noch zu bleiben. Ohne Erfolg. Dann wird die Tür geschlossen. Drinnen beginnt nun der Gottesdienst. Und da wird heute über einen biblischen Text aus der Apostelgeschichte gepredigt, in dem sich genau so eine Szene abspielt: Ein Bettler sitzt in Jerusalem vor der Tür zum Tempel. Er ist gelähmt und wird dort täglich hingebracht, um sich ein paar Münzen für seinen Lebensunterhalt zu erbetteln. Und die Leute, die an ihm vorbeimüssen, um in den Tempel zu kommen, verhalten sich genau wie ihre späteren Nachfahren; da hat sich in 2000 Jahren nicht viel verändert. Aber dann kommen Petrus und Johannes vorbei. Und Petrus sagt zu dem Bettler: „Silber und Gold habe ich nicht, was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ Und plötzlich spürt der Mann tatsächlich Kraft in seinen Beinen, rappelt sich auf und kann auf eigenen Füßen stehen, sogar hüpfen, tanzen und springen. Und in der Tat: Wer braucht da noch Silber und Gold, wenn er ein ganz neues Leben zugeworfen bekommt? Es lohnt sich also, genau hinzusehen, was einer wirklich braucht und gut zu überlegen, was ich alles im Säckel habe. Petrus und Johannes haben es erfahren: Der Glaube an Jesus Christus ist eine große Schatzkiste, die ungeahnte Möglichkeiten birgt. Und vielleicht geht da am Ende noch viel mehr als gedacht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42896SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Im Konfirmandenunterricht habe ich die Zehn Gebote durchgenommen. Im Alten Testament wird erzählt, dass Gott selbst sie in Stein gemeißelt und dem Mose übergeben hat. Ein Zeichen für ihre Autorität und Würde. Und für ihre ewige Gültigkeit.
Ich habe erklärt, dass die ersten drei Gebote die Beziehung zwischen Gott und den Menschen betreffen, und die Gebote vier bis zehn die Beziehung der Menschen untereinander regeln. Anschließend habe ich den Konfis die Aufgabe gestellt, die Zehn Gebote in eine eigene Reihenfolge zu bringen. Auf Platz eins soll das Gebot stehen, das ihnen am wichtigsten erscheint. Dann das zweit- und drittwichtigste und so weiter, bis auf den hinteren Plätzen die Gebote landen, die ihrer Meinung nach nicht ganz so wichtig sind.
Fast immer dreht sich dabei die Reihenfolge komplett um. Gott rutscht nach hinten und der Mensch nach vorn. Und fast immer gewinnt mit großem Abstand das Gebot, das in der biblischen Zählung an fünfter Stelle steht: Du sollst nicht töten! In der Diskussion stellt sich heraus, dass viele Konfis dabei nicht nur an die Todesstrafe oder an Militäreinsätze denken, sondern der Meinung sind, dass auch Tiere und andere Lebensformen auf der Erde geschützt werden sollen. Sie ernähren sich vegetarisch oder vegan, sind dabei oft erstaunlich konsequent und bringen mit ihren Ernährungsgewohnheiten den Speisezettel zuhause ganz schön durcheinander.
Du sollst nicht töten! Ja, mit Blick in eine Welt, in der Kriege das gegenseitige Töten scheinbar wieder unvermeidlich erscheinen lassen, ist das ganz bestimmt ein wichtiges Gebot. Andererseits denke ich: Es ist auch leicht, ein Gebot auf Platz eins zu setzen, das mich - und ich denke auch meine Konfis - im Alltag nicht wirklich betrifft. Denn ich habe noch nie einen Menschen getötet und komme hoffentlich auch nie in die Lage. Mit dem Töten von Menschen oder Tieren habe ich einfach nichts zu tun.
Was dagegen in den anderen Geboten angesprochen wird, ist meinem Alltag viel näher: Du sollst über andere keine Lügen verbreiten, nicht stehlen, nicht die Ehe brechen, nicht vor Neid platzen. Auch darüber spreche ich mit den Konfis. Sie fragen mich, wer eigentlich Schaden daran nimmt, wenn sie bei Rossmann oder dm mal einen Nagellack mitgehen lassen, sie leben in Familienmodellen, in denen Mütter oder Väter auch Beziehungen mit anderen Männern und Frauen haben und sie wissen ganz genau, wie schwer manche Mitschüler es haben, die sich zum Beispiel keine hippen Markenklamotten leisten können, und welchen Schaden Neid, Missgunst und Verachtung anrichten können. Braucht es da nicht noch viel mehr Regeln und Gebote, um mit dem komplizierten Leben zurechtzukommen?
Die Frage, welches denn nun das wichtigste Gebot sei, ist auch Jesus einmal gestellt worden. Überraschenderweise hat er keines aus der Liste der Zehn Gebote genannt, sondern eine Art Zusammenfassung zitiert. Und die geht so: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit aller deiner Kraft. Das andere ist dies: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als dies.“ Jesus hat also die drei Gebote, die von Gott und den Menschen handeln, zu einem zusammengefasst: Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit aller deiner Kraft.“ Und dann hat er die sieben Gebote, die das zwischenmenschliche Leben betreffen, auch in einem zusammengefasst: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Aus zehn mach zwei. Oder eins im Doppelpack. Aber, frage ich die Konfis, was ist denn jetzt abgesehen von Zahlen und Nummerierungen der eigentliche Clou an dem, wie Jesus die Zehn Gebote interpretiert? Es ist anscheinend so einfach, dass die Konfis eine ganze Weile herumrätseln, bis eine es entdeckt: Es ist die Liebe! Genauer gesagt die Tätigkeit: lieben. Die ist in den Zehn Geboten nicht vorgekommen. Da sollte Gott gefürchtet, Vater und Mutter geehrt, der Feiertag geheiligt werden. Da war alles Mögliche verboten. Du sollst dies und jenes nicht tun. Aber was der Mensch aktiv tun könnte, das war nicht formuliert. Noch einmal Jesus im O-Ton: „Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Von da an sprudeln die Konfis nur so von Ideen, wie das gehen könnte: anderen Menschen mit Respekt begegnen. Tiere als Mitgeschöpfe behandeln, sich einschalten, wenn jemand gemobbt wird, dem neuen Freund der Mutter eine Chance geben, am eigenen Selbstwertgefühl arbeiten. Und wie liebt man Gott? wage ich nachzufragen. Na, indem man das alles eben macht, sagt eine. Dann wären die beiden Gebote am Ende doch eins? Gottesliebe und Nächstenliebe zwei Seiten einer Medaille? Mit dieser Frage habe ich die Konfis in die Sommerferien entlassen. Und hoffe, dass die kommenden Wochen viele Möglichkeiten bieten, es herauszufinden.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42768SWR Kultur Wort zum Tag
Genau 300 Jahre ist es her, dass der Komponist Antonio Vivaldi sein berühmtestes Werk geschrieben hat: Die vier Jahreszeiten. Es muss eine Sensation gewesen sein, als das italienische Publikum dieses Stück 1725 zum ersten Mal gehört hat. Die virtuosen Geigenklänge ließen staunen. Aber vor allem: So malerisch hatte bis dahin noch kein Komponist Bilder aus der Natur in barocke Klangbilder übersetzt. Da hatte es einer geschafft, in Tönen festzuhalten, wie der Sommer klingt: Nach einer Flötenweise, die durch die Mittagsstille dringt, ein Vogel zwitschert leise, dumpf fällt ein Apfel in das Gras, ein Wind rauscht in den Bäumen, ein Kind lacht hell, dann schweigt es schnell und möchte lieber träumen. Vogelgezwitscher und Wind, ein aufziehendes Gewitter: Seit 300 Jahren klingt jeder Sommer eben auch ein bisschen nach Vivaldi.
Und ich höre darin auch das Versprechen, das Gott der Menschheit nach der Sintflut gegeben hat: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Die Gewissheit, dass sich die Erde auch weiterhin im verlässlichen Rhythmus der Jahreszeiten drehen wird, ist im 21. Jahrhundert allerdings brüchig geworden. Denn längst hat der Mensch durch einen rücksichtslosen Umgang mit der Natur die Welt aus dem Gleichgewicht gebracht. In einem Projekt mit dem Titel „Die unsicheren vier Jahreszeiten“ haben Wissenschaftler und Komponisten diesen Tatbestand und die daraus folgenden Katastrophen nun auch in die Musik von Vivaldi eingetragen. Mit digitalen Programmen haben sie sein Notenmaterial verändert. Und 14 Orchester aus sechs Kontinenten haben zur Aufführung gebracht, was bei diesem Experiment herausgekommen ist. Wie anders der Sommer jetzt klingt, wie er Frühling und Herbst verschlingt, wie das Vogelgezwitscher verstummt. Bedrohlich und trostlos. Ob Gott sein Versprechen hält? Ob er die vier Jahreszeiten retten wird, wenn es sein muss auch ohne die Menschheit? Ich hoffe und bete, dass er uns Wege zum Überleben zeigt. Und dass wir bereit sind, sie dann auch zu beschreiten.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42767SWR Kultur Wort zum Tag
Auf meinem Schreibtisch steht eine kleine Porzellanschale. Eine Freundin hat sie mir geschenkt, zusammen mit einem Gebet von Martin Luther: „Siehe, Herr, ich bin ein leeres Gefäß, das wartet, bis einer es fülle, dass es dankend überfließt.“
Mit dem Geschenk ist auch eine Aufgabe verbunden. Ich soll nämlich dafür sorgen, dass die kleine Schale immer leer bleibt, damit in meinem Alltag Platz ist für Gottes Liebe. Gar nicht so einfach! Ständig bin ich versucht, irgendetwas hineinzuwerfen: herumliegende Spitzer, Büroklammern, zerknüllte Taschentücher, abgenagte Pfirsichkerne. Manchmal verschwindet die Schale auch ganz unter Stapeln aus Papier. Dabei soll sie mir doch den Spiegel vorhalten, mich warnen: Pass auf, dass du nicht zugemüllt wirst wie dein Schreibtisch, mit Informationen und Aufgaben und Terminen, achte darauf, was du alles in dich hineinstopfst! Nur leere Gefäße sind aufnahmefähig. Es ist ein täglicher Kampf um leere Plätze, außen und innen.
Jetzt war meine Freundin, die Schalenschenkerin, in Paris. Von dort hat sie mir den Link zu einem Kunstwerk geschickt, das sie in einem Kunstmuseum entdeckt hat. „Das musst du dir ansehen“, schreibt sie, und klingt begeistert. Und tatsächlich: In der Rotunde der Bourse de Commerce hat der französische Künstler Céleste Boursier-Mougenot ein großes Wasserbecken angelegt. Achtzehn Meter Durchmesser. Durch die gläserne Kuppel darüber spiegelt sich der Himmel. Auf der Wasseroberfläche schwimmen weiße Porzellanschalen, die von einer sanften Strömung angetrieben werden. Wo sie aneinanderstoßen, entstehen glockenartige Klänge. Ich sehe und höre diese dahintreibenden Schalen zwar nur auf dem Bildschirm, dennoch ziehen sie mich in ihren Bann. Stundenlang könnte ich auf die Wasseroberfläche mit den leeren Gefäßen schauen und ihren Zufallsklängen lauschen. Das Hören und Betrachten lassen mich eintauchen in eine andere Welt und zur Ruhe kommen. Und plötzlich entsteht diese schöne Leere, die es braucht, damit ich wieder so beten kann: „Siehe, Herr, ich bin ein leeres Gefäß, das wartet bis einer es fülle, dass es dankend überfließt.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42766SWR Kultur Wort zum Tag
Meine Freundin sitzt in der Klinik einer deutschen Mittelstadt. Am Bett ihres über 90 Jahre alten Vaters wartet sie vor sich hin. Auf Facebook teilt sie ihre Gedanken: „Seit zwei Tagen ein Hingehalten-Werden mit spärlichen Informationen, die man nur auf Nachfrage bekommt. Keine Visite. Ich war gestern von neun bis halb sechs hier. Und heute seit acht Uhr, in der schwebenden Annahme, endlich würde mein Vater operiert – aber gestern und heute nichts. Der Termin wurde nun innerhalb von drei Tagen vier Mal verschoben. „Viel los“, lautet die Begründung. Das mag stimmen, aber für die Betroffenen ist es zermürbend. Einen alten Menschen lange Tag nüchtern zu halten für eine Narkose, die dann nicht kommt, ist schon herb. Die Kranken, vor allem Alte und Kinder, brauchen hier unbedingt einen Fürsprecher, Fütterer, Kümmerer.“
Was meine Freundin postet, trifft offenbar einen Nerv. In Nullkommanichts füllen sich die Kommentarspalten mit ähnlichen Erfahrungen. Es ist zum Heulen! Und ich muss an eine Geschichte aus der Bibel denken, eine der ersten, die von Jesus erzählt wird. Aber obwohl er da einen Gelähmten gesund macht, ist er nicht der einzige Held. Denn vier Leute haben diesen Kranken zu ihm gebracht. Auf einer Matte haben sie ihn buchstäblich angeschleppt. Doch die Menschenmenge um Jesus ist zu dicht. Sie kommen nicht an ihn heran. Da klettern sie kurzerhand auf das Dach des Hauses. Sie nehmen die Sachbeschädigung in Kauf und öffnen das Dach. Dann seilen sie ihren kranken Freund ab, Jesus direkt vor die Füße. Genau diese Beharrlichkeit braucht es auch im Gesundheitssystem des 21. Jahrhunderts. Es braucht ein Netz aus Fürsprechern, Fütterern, Kümmerern und furchtlosen Dachabdeckern, die dem überforderten Personal zur Seite springen. Denn ohne Begleitung sind Kranke leider oft aufgeschmissen. Ein Loblied also auf die vier aus dem Evangelium und auf die vielen auf den Krankenstationen überall! Denn erst, wenn aus medizinischer Sicht alles getan ist, mag gelten, was Eva Zeller in einem Gedicht mit dem Titel „Testament“ festgehalten hat: „Und wenn es dann soweit ist, sollt ihr wegen dem Gedränge aufs Dach steigen und mich hinablassen auf meiner Trage durch die Ziegel hinab direkt vor seine Füße.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42765SWR Kultur Lied zum Sonntag
Von Joachim Ringelnatz gibt es ein Gedicht mit dem schönen Titel „Morgenwonne“. Ein ausgeschlafener Mensch singt darin das Loblied der frühen Stunde:
„Ich bin so knallvergnügt erwacht.
Ich klatsche meine Hüften.
Das Wasser lockt. Die Seife lacht.
Es dürstet mich nach Lüften.
Aus meiner tiefsten Seele zieht
mit Nasenflügelbeben
ein ungeheurer Appetit
nach Frühstück und nach Leben.“
Ja, so möchte man gerne morgens aus den Federn springen: Gut gelaunt, voller Energie und Tatendrang. Oft genug beginnen meine Tage jedoch viel verhaltener. Und für diese eher nachdenkliche Gemütslage hat Martin Gotthard Schneider ein Morgenlied geschrieben:
Ein neuer Tag beginnt. Was wird er bringen?
Herr, gib, dass bei allem, was heute geschieht,
ein Schritt hin zum Guten mir möchte gelingen.
Ein neuer Tag beginnt. Wie viele hoffen
auf Liebe, Verständnis, ein freundliches Wort.
Mach mich für die Sorgen der Mitmenschen offen.
Geschrieben im Jahr 1975, ist das Lied gerade 50 Jahre alt geworden. Es gehört damit zum neuen geistlichen Liedgut. Es ergänzt die klassische evangelische Choraltradition um eine neue Sprache und neue Musikstile. Die neuen Lieder werfen einen nüchternen Blick auf Pflichten, Alltagssorgen und den Lärm ihrer Zeit und begegnen den Herausforderungen des Menschen im 20. Jahrhundert. Das Morgenlied von Martin Gotthard Schneider lädt dazu ein, den kommenden Tag mit einer kleinen Morgenmeditation zu beginnen. Heute würde man es vielleicht als Achtsamkeitsübung beschreiben. Es regt an, den Tag zu durchdenken und ihm liebevoll und wachsam zu begegnen: Das eine zu tun, das andere zu lassen. Sich nicht zu überfordern. Fehlerfreundlich mit sich selbst umzugehen. Und offen zu bleiben für andere.
Ein neuer Tag beginnt mit manchen Pflichten.
Gib, dass ich erkenne, was nötig heut ist,
das eine zu tun, auf das andre verzichten.
Ein neuer Tag beginnt. Lass im Getriebe
mich nicht überhören, wie du zu mir sprichst,
entdecken die Spuren von Güte und Liebe.
Das Lied ist auch ein Gebet. Ähnlich wie einst Luthers Morgensegen eignet es sich für den alltäglichen, allmorgendlichen Gebrauch, auch für all jene Tage, die mir nicht knallvergnügt entgegenspringen. Denn das Lied ist erfüllt von dem tiefen Vertrauen, dass mein Leben und die ganze Welt, komme, was da wolle, geborgen sind in Gottes Hand, umfangen von einer großen segnenden Kraft. Ob die Nasenflügel nun vor Lust beben oder vor Angst zittern. Ob der Tag lockt oder lähmt. Es gilt:
Ein neuer Tag beginnt. Ich muss nicht sorgen.
Du, Herr, hältst mein Leben doch fest in der Hand.
Du kennst ja mein Gestern, mein heute und Morgen.
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Musikangaben:
Text: Martin Gotthard Schneider (1975)
Melodie: Martin Gotthard Schneider (1975)
Aufnahme: LP Eine freudige Nachricht breitet sich aus. Neue Lieder für Kinder und Erwachsene aus „Sieben Leben möchte ich haben“, Sätze von Martin Gotthard Schneider. Der kleine Chor der Heinrich-Schütz-Kantorei Freiburg (LC0612)
Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
„Im Reich Gottes geht es nicht ums Essen und Trinken. Es geht um Gerechtigkeit, Frieden und Freude im Heiligen Geist.“ Das hat der Apostel Paulus in einem seiner Briefe im Neuen Testament geschrieben. Wohl wahr, werden viele sagen: Im Glauben, in der Religion geht es um so abstrakte Sachen, um bestimmte Ansichten, Werte und Haltungen. Große Ideen halt. Jesus, würde ich sagen, war da ganz anders unterwegs. In den Evangelien ist überliefert, dass er den Beinamen „Fresser und Weinsäufer“ hatte. Nicht gerade schmeichelhaft, aber doch ein eindeutiger Hinweis darauf, dass er einem guten Essen und einem edlen Tropfen anscheinend nicht abgeneigt war. Und eine der bekanntesten von ihm überlieferten Geschichten erzählt sogar davon, dass er eine große Menge Menschen, die extra gekommen waren, um ihn predigen zu hören, erst mal mit Brot und Fisch versorgt hat. Das muss man sich mal vorstellen: Da gehst du sonntagmorgens zum Gottesdienst und der Pfarrer sagt, nun lass uns erst mal zusammen frühstücken! Ich war neulich bei der 750-Jahrfeier im Nachbarort. Das Fest hat mit einem ökumenischen Gottesdienst angefangen. Mit Frieden und Freude im Heiligen Geist. Aber anschließend hat es dort „eine große Tafeley“ gegeben. Die Straße vor der Kirche war gesperrt, und die Anwohner hatten dort in einer langen Reihe achtzig Biergarnituren aufgebaut. Darauf Tischdecken und Kissen in allen Farben. Blumensträuße aus den Gärten ringsum. Geschirr und ihr Besteck, Gläser und Tassen, Essen und Trinken wurden mitgebracht. Für den eigenen Bedarf plus eins. Damit auch die Gäste versorgt waren. Das Ganze hat wunderbar funktioniert. Ich kann es gar nicht aufzählen, wie viele verschiedene Maultaschen ich an diesem Tag probiert habe. Und Frieden und Freude und Gerechtigkeit, lieber Paulus, die saßen einfach mit am Tisch. Denn wo und wie sollen diese großartigen Vorstellungen denn anfangen? Mit langen Erklärungen und Appellen? Oder vielleicht doch mit Essen und Trinken? Mit einem Gespräch? Mit Geben und Nehmen und Teilen? Jesus hat sogar das Himmelreich einmal mit einem riesigen Straßenfest verglichen. Und eins stimmt auf jeden Fall: Wo Menschen zusammen tafeln, schlagen sie sich schon mal nicht die Köpfe ein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42606Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Es ging vor kurzem durch alle Medien, dass der schwäbische Unternehmer Wolfgang Grupp einen Suizidversuch unternommen hat. Und anstatt ihn geheim zu halten, hat er öffentlich gemacht, dass er unter Altersdepressionen leidet.
Ein mutiger Mann! Viele haben sich gewundert, dass ausgerechnet so ein „Schaffer vor dem Herrn“ plötzlich von dem Gedanken geplagt wird, er sei nichts wert und zu nichts mehr nütze, obwohl er doch ein erstaunliches Lebenswerk aufgebaut hat und bis vor kurzem noch der Chef im Ring gewesen ist.
Aber eine Depression kann jeden treffen. Sie ist nicht an bestimmte Wesenszüge oder Charaktereigenschaften und an kein bestimmtes Alter geknüpft. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich bin mit Mitte vierzig an einer schweren Depression erkrankt, in einer Lebensphase also, die oft als Midlife-Krise bezeichnet wird. Da war ich ständig müde und erschöpft, habe auch tagsüber oft im Bett gelegen, konnte mich schließlich zu gar nichts mehr aufraffen oder motivieren. Und das Schlimmste: Ich war wie abgeschnitten von allen meinen Gefühlen, habe nichts mehr empfunden, keine Freude, keinen Schmerz, keine Wut, keine Trauer. Alles war mir vollkommen gleichgültig. Und irgendwann fing auch in meinem Kopf der Gedanke an zu kreisen, am besten wäre es, gar nicht mehr da zu sein.
Mein Glaube war weg, mein Gottvertrauen, meine Zuversicht. Überall nur noch Leere. Wirklich kein schöner Zustand, wenn alles verschwindet, was einen sonst am Leben gehalten und Kraft gegeben hat. Was mir damals geholfen hat? Medikamente. Antidepressiva. Ich nehme sie heute noch. Erstaunlich, dass sie geholfen haben, die Suizidgedanken in meinem Kopf abzustellen. Ich war auch in einer Klinik. Dort konnte ich verschiedene Therapieformen ausprobieren und habe dabei viel über mich gelernt. Auch der Austausch mit anderen Patienten hat mir gutgetan. Dazu hatte ich am Anfang überhaupt keine Lust. Ich habe gedacht, die ziehen mich doch nur zusätzlich runter. Aber das Gegenteil ist passiert: In der Gruppe habe ich gelernt, dass Depression eine Krankheit ist, die behandelt werden kann. Dass die anderen Erkrankten auch ganz normale Menschen sind. Deshalb rede ich darüber. Und deshalb ist es gut, dass Wolfgang Grupp darüber spricht. Wir sind viele. Und ganz wichtig: Wir sind nicht unsere Depression.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42602Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Zum Einkaufen bin ich in die Stuttgarter Innenstadt gefahren. Das mache ich nicht so oft, denn meistens habe ich keinen Nerv für den Stress und die Hektik, die damit verbunden sind. Aber an diesem Tag herrscht überall gelassene Heiterkeit. Vielleicht liegt es an den Sommerferien, dass es trotz wunderschönem Sonnenschein noch freie Plätze in den Straßencafés gibt und alle Leute gute Laune haben. Jedenfalls kommt es mir so vor, während ich dasitze, bereits meinen zweiten Espresso on ice genieße und das Treiben um mich herum beobachte.
„Summer in the city.“ So fühlt sich das an. Als ich mich auf den Heimweg mache, entdecke ich mitten auf der Königstrasse ein großes Holzgestell mit der Aufschrift „Segensdusche.“ Das wäre jetzt das Tüpfelchen auf dem I, denke ich, zusätzlich zum Eiskaffee auch noch eine geistliche Erfrischung zu bekommen. Neugierig stelle ich mich also unter das Gerüst und schließe die Augen. Aus einem Lautsprecher über mir rieselt ein Segensspruch auf mich herab. Eine tiefe Männerstimme sagt: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang.“ Ich kenne den Vers; er stammt aus dem 23. Psalm. Trotzdem: So wie heute habe ich ihn noch nie gehört. Einen Augenblick genieße ich die Vorstellung, dass Gutes und Barmherzigkeit zwei Freundinnen von mir sind, die mir immer dicht auf den Fersen bleiben, auch wenn ich sie gar nicht bemerke. Sie huschen hinter mir her, egal, was im Leben vor mir liegt.
Auch wenn sich Schwierigkeiten und Konflikte vor mir auftun oder die dunkle Weltlage sich wie eine finstere Wolke vor mir auftürmt: Ich bräuchte mich nur kurz umzudrehen, um sicherzugehen: Gutes und Barmherzigkeit, ihr seid da. Euch gibt es wirklich. Ihr folgt mir beharrlich. Stärkt mir den Rücken. Weicht nicht von meiner Seite. Als ich die Augen endlich wieder öffne, bin ich von oben bis unten mit Glitzerstaub bedeckt. Der gehört nämlich auch zur Segensdusche. Die Mitarbeiter vom Evangelischen Jugendwerk, die sich das alles ausgedacht haben, lachen. Und ich schüttle mich, um das Geflitter wieder loszuwerden. Aber die feinen Pünktchen sind hartnäckig und lassen sich nicht so leicht abschütteln. Noch Tage später finde ich sie überall: auf dem Kopfkissen, in meiner Handtasche, auf der Treppe vorm haus. Kleine Glitzerpunkte im Alltag. Sie funkeln mir zu: Wir sind da. Gutes und Barmherzigkeit. Dein Sommersegen.
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Der letzte Schultag vor den Sommerferien. Was für ein Morgen! Vielleicht kann man seine besondere Stimmung nur begreifen, solange man noch selbst zur Schule geht. Als Schülerin, als Lehrkraft oder als Hausmeister. Sechs Wochen freie Zeit vor sich, ohne Verpflichtungen, ohne Leistungsdruck, ohne diesen ganzen alltäglichen Wahnsinn. „Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag, danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.“ So hat Martin Gotthard Schneider das Gefühl eines guten Morgens beschrieben, und vielleicht wird sein Danke-Lied ja heute in manchen Schulgottesdiensten gesungen. Derselbe Liederdichter hat aber auch extra für letzte Schultage ein Ferienlied geschrieben. Das geht so: „Wirf die Mappe in die Ecke, Schreibzeug, Bücher, Lineal, Hefte, Kuli, Rechenschieber und das Zeichenfutteral. Heute freuen wir uns, denn morgen gibt es Ferien.“ Ich habe es oft am letzten Tag vor den Sommerferien mit Schulklassen gesungen, auch wenn Rechenschieber und Zeichenfutterale schon längst aus der Mode gekommen waren.
Aber egal, was sich heutzutage in diversen Schulranzen befindet, das Gefühl ist über die Jahrzehnte dasselbe geblieben: Mit einem gezielten Wurf konnte man sich am letzten Schultag all dessen entledigen, was einem das ganze Jahr über täglich Sorgen und Mühe bereitet hat. Weg damit! Ach, wer es könnte! Alle Sorgen in die Ecke pfeffern wie einen ausgedienten Ranzen. Je weiter man sich im Leben von der Schulzeit entfernt, scheint es, desto schwerer fällt es, den voll bepackten Lebensrucksack auch einmal abzusetzen. In der Bibel wird dazu aber eine schöne Übung empfohlen. Da steht: „All eure Sorgen werft auf Gott, denn er sorgt für euch.“ Eine Einladung, sich im Sorgenweitwurf zu üben. Das, was einen belastet und beschwert, alles, was drückt und beugt, Gott anzuvertrauen, ihn buchstäblich damit zu bewerfen. Und die schöne Erfahrung zu machen: Nichts wirft ihn um. Aus meinen Sorgen wächst seine Fürsorge. Vielleicht öffnet der letzte Schultag auf diese Weise seine Bedeutung ja auch für Nicht-mehr-Schülerinnen und -schüler. Und der Morgen wird auch für Dich zu einem guten Morgen. Und du singst einfach mit: „Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag. Danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag.
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