SWR Kultur Wort zum Tag

13MAI2024
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Zum Geburtstag habe ich ein kleines Postkartenbuch geschenkt bekommen. Es besteht aus 15 Postkarten mit Sprüchen über das Lesen, über Bücher und über das Leben an sich. Auf einer dieser Karten steht: „Gott sei Dank gibt es nicht nur die Bibel!“ Als passionierte Leserättin stimme ich diesem Satz aus ganzem Herzen zu. Ich bin ja ständig auf der Suche nach neuem Lesestoff und verbringe viele Stunden des Jahres in Bibliotheken und Buchläden. Wenn es da nur die Bibel gäbe, wäre ich komplett aufgeschmissen.

Auch in einem übertragenen Sinn gehe ich voll mit: Gott sei Dank gibt es nicht nur die Bibel. Gott sei Dank sind die Zeiten vorbei, in denen Wissenschaftler um ihr Leben bangen mussten, weil sie etwas entdeckt hatten, das sich nicht durch ein biblisches Zitat hat belegen lassen oder sogar einzelnen Aussagen widersprochen hat. Gott sei Dank haben die meisten Christen heutzutage einen aufgeklärten und kritischen Umgang mit ihrer Heiligen Schrift gelernt, und die Texte sind ihnen trotzdem lieb und teuer. Der Theologe Heinz Zahrnt hat es für mich treffend auf den Punkt gebracht: „Wir sollen die Bibel zwar beim Wort, aber um Gottes willen nicht wörtlich nehmen. Denn Gott hat uns sein Wort gegeben, nicht seine Wörter.“ Gott sei Dank gibt es die Bibel!

Nur in einer Hinsicht löst der flotte Spruch aus meinem Postkartenbuch auch einen kleinen Schmerz in mir aus. Denn die Bibel mag zwar das meistgedruckte und am weitesten verbreitete Buch der Welt sein, aber ich frage mich: Wer liest eigentlich noch darin? Wer greift auf der Suche nach einer spannenden Geschichte, nach einem guten Rat, nach anregender Lektüre und sinnvollem Zeitvertreib zu diesem Buch? Zu Zeiten, als sie noch das einzige Buch im Haus war, hat sie ja auch das Lesebuch ersetzt, und Kinder haben mit den biblischen Geschichten lesen gelernt. Was passiert heute mit all den Bibeln, die zu Taufen, zur Konfirmation und zur Hochzeit in zielgruppengerechter Aufmachung verschenkt werden? Martin Luther hat sich einmal gewünscht, dass die Bibel nicht nur ein Lesebuch sei, sondern zu einem echten Lebebuch werden soll. Vielleicht kann ich seinen Wunsch ja auf den Kopf stellen. Und mir wünschen, dass die Bibel wieder zu einem Lesebuch wird. Nicht nur für Kinder. Und ich bin mir sicher: Das Leben kommt dann ganz von allein.

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