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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

06APR2024
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Es gibt Zeiten, da macht es mir der liebe Gott nicht gerade leicht. Um ehrlich zu sein, ich liege ziemlich oft mit ihm im Clinch. Und ich kenne genug Menschen in meinem Bekannten- und Freundeskreis, die mit ihm nichts  zu tun haben wollen. Sie sagen: “Was ist das für ein Gott, der Menschen schafft, dann aber Pandemien zulässt, der Kinder zur Welt kommen und dann verhungern lässt, der Menschen nicht vor Flucht schützt und dann noch im Mittelmeer ertrinken lässt? Was ist das für ein Gott, der Tyrannen keinen Herzinfarkt schickt?“

Ja, was ist das für ein Gott? Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht! Und ich werde einige Fragen an ihn haben, wenn ich ihm denn einmal von Angesicht zu Angesicht begegnen sollte. Was ich weiß: die Bibel ist voller Geschichten von Menschen, denen es genau so ging. Jakob, der Stammvater des Volkes Israel: der kann vor Sorgen nachts nicht schlafen. Das kenn ich gut: wenn nachts das Kopfkino einsetzt und alle Probleme immer größer werden. Die Bibel erzählt es so, dass Jakob mit einem Mann kämpft. Die ganze Nacht. Als es hell wird am Morgen, da will der Mann flüchten, aber Jakob hält ihn fest. “Ich lasse dich nicht los, es sei denn du segnest mich!”. Da will der Mann wissen, mit wem er da gekämpft hat: ”Wie heißt du?”  “Jakob, und wer bist du?”. Und jetzt zeigt sich wieder, dass Gott, um den handelt es sich bei dem Fremden, mindestens zwei Seiten hat. Er nennt Jakob seinen Namen nicht, er bleibt unverfügbar, anonym. Gott segnet ihn, um wieder frei zu kommen. Und dann haut der ihn so auf die Hüfte, dass Jakob den Rest seines Lebens hinken muss. Eine tolle Bildgeschichte, die erzählt, wie Menschen an Gott verzweifeln können.

Was für ein seltsamer Gott! Auf jeden Fall einer, der es den Menschen, die sich auf ihn einlassen, nicht einfach macht. Einer, der sie herausfordert. Immer wieder. Jeden Menschen, mal mehr, mal weniger intensiv. Mal scheint Gott weit weg, manchmal spürt man ihn ganz nah. Nur fertig – das werde ich mit ihm wohl nie werden. Zu rätselhaft, zu umständlich sind mir oft seine Wege. Aber los lassen, das kommt für mich nicht infrage. Und vielleicht hat er mich ja schon längst gesegnet, wie den Jakob. Und ich hab es nur noch nicht so richtig gemerkt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05APR2024
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„O Je, wenn dat moo gohd gieht met  dem watt ich heude morje em Radio suh rede..“ Nicht weil ich den ersten Satz gerade im Dialekt gesprochen habe.  Nein, das Problem ist das „O Je“. Denn schon in den Zehn Geboten der Bibel steht: „Du sollst den Namen des Herrn nicht missbrauchen!“ „O Je“ nutzen manche nämlich  gar nicht in so frommer Absicht. Für mich ist  „O Je“ aber so ziemlich das kürzeste Gebet dass ich kenne. „Je“ steht nämlich für  „Jesus“. Der Dialekt hat einfach drei Buchstaben weggelassen. Wem das zu kurz ist, der sagt: „Jesses nää“. Damit haben wir daheim den Kopf geschüttelt, wenn mal wieder was Unvorhergesehenes in die Quere gekommen war. Wem der Jesus allein nicht gereicht hat, der hat seine Mutter noch dazu genommen: „Jesses Maria“ oder noch mehr: „Jesus, Maria und Josef“ gerufen. Majusebetter“ sagen die Trierer und haben den Petrus noch mit dazu genommen. „Ojemine“, man ahnt es jetzt schon, heißt „O mein Jesus“  und „Herrje“, das weiß dann jeder. Was mir wichtig ist: jeder dieser Ausrufe ist eigentlich ein Gebet. „Herr, hilf mir!“ sagen die Menschen damit, wenn sie auch heute kaum noch darüber nachdenken. Und egal, ob Sie Dialekt mögen oder nicht: wenn‘s emotional wird, verfalle ich gerne in mein Platt. Dabei bin ich schon über dreißig Jahre weg und rede eigentlich hochdeutsch. Meine Muttersprache ist und bleibt aber mein moselfränkisch aus Engers am Rhein. Damit bin ich groß geworden, habe den Dialekt quasi mit der Muttermilch eingesogen. Und ich bin froh, dass ich ihn nicht verlernt habe. „Herrje, han ich de Dalles!“ klingt einfach besser als „Ach, was habe ich für einen trockenen Reizhusten!“.  Und wenn Sie mal nicht wissen, wie Sie ihrem Herzen Luft machen sollen, versuchen Sie es mit einem leisen Zwiegespräch mit Gott. So wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist. Gerne auch auf Platt. Denn sollte er wirklich zuhören, was ich ja hoffe, dann versteht er jeden Dialekt und nicht nur Hochdeutsch.

Tschö dann, bis morje villeischt, sagt Wolfgang Drießen, jetzt aus Zweibrücken, katholische Kirche

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04APR2024
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Ab und zu sieht man mich tatsächlich mit dem Smartphone in der Hand durch die freie Natur laufen. Grund ist eine Vogelstimmen App, die ich mit großem Vergnügen nutze. Die App nimmt die Vogelstimmen der Umgebung auf, analysiert sie und zeigt mir dann die Ergebnisse an. Mit Bild vom Vogel. Den sieht man ja in der Regel nicht, hört ihn nur irgendwo in den Ästen pfeifen. Bisher habe ich in den meisten Fällen nicht gewusst, wer da zwitschert, jetzt bekomme ich einen ganz guten Eindruck von der Welt, die da um mich herum flattert und piept. Der Zaunkönig zum Beispiel ist so klein, dass ich ihn in seiner Hecke so gut wie nicht sehen kann. Und von der Mönchsgrasmücke habe ich bis vor zwei Jahren noch nicht mal gewusst, dass es sie gibt. Dabei scheint der kleine Sänger fast überall zu Hause zu sein. Sagen mir zumindest die Ergebnisse meiner  Vogelstimmen App. Und die schwarze  Kappe beim Männchen erinnert tatsächlich irgendwie an die Kopfbedeckung der alten Mönche. Nachtigall und Grauschnäpper, Gartenrotschwanz und Rotkehlchen, Gartenbaumläufer, Stieglitz  und noch viele andere unserer heimischen Singvögel habe ich mittlerweile so näher kennengelernt. Ich erzähle davon, weil ich gemerkt habe, dass ich dadurch aufmerksamer geworden bin, wo und wie die Vögel in unserer Umwelt leben. Leider braucht man keine Statistiken um zu merken, dass der Vogelbestand in Europa massiv zurückgegangen ist. Denn heute wird den Vögeln erbarmungslos ihr Lebensraum streitig gemacht. Und die meisten von uns merken das überhaupt nicht. Der Theologe Leonardo Boff hat einmal gesagt: Es ist dringend nötig, dass der Mensch ein neues Bündnis mit der Erde eingeht. Das stimmt. Aber dazu muss ich erst einmal wissen und kennen, was da alles auf unserer Erde lebt und Platz braucht. Meine Vogelstimmen App hilft mir dabei. Denn jetzt weiß ich etwas besser, was man da unter Umständen unwiderruflich kaputt macht. Und sollten Sie mich demnächst am Wegesrand knien und mit dem smartphone rumfuchteln sehen, dann wundern sie sich nicht: ich habe mir jetzt auch eine Blumen- und Pflanzen App aufs Handy geladen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03APR2024
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Ganz allein steht der Mann auf einer Wiese, mitten in der Natur. Hinter ihm Bäume, Büsche und Felder. Er hat eine Gitarre umgehängt und singt. Ein altes englisches Kirchenlied. „Now the green blade rises from the buried grain…“. Übersetzt: „Jetzt wächst der grüne Halm aus dem vergrabenen Korn...“.  Der Mann in dem Video ist Steve Winwood, einer der ganz Großen der Rock- und Popgeschichte und seit 60 Jahren im Geschäft. Titel wie  „Valerie“ oder  „Higher Love“ waren in den 80er Jahren auch Hits in Deutschland. Das Lied, von dem ich erzählen möchte, hat er auf seiner Homepage gepostet. Während des ersten Lockdowns in der Coronapandemie.  Seitdem übt es auf mich einen ganz besonderen Reiz aus. Das liegt sicher auch daran, dass so ein in Anführungszeichen „MusikGott“ ganz allein mit Akustikgitarre in der Pampa steht, irgendwie verloren und zerbrechlich. So wie sich viele damals im Lockdown vorgekommen sind. Und es liegt daran, dass er dieses Lied, ein  Lied zu Ostern, gewählt hat. Und auch daran, wie er es spielt. In einer offenen Gitarrenstimmung irgendwie zwischen Dur und Moll. Als könne er sich nicht entscheiden  zwischen froh und hoffnungsvoll oder düster und traurig. Auch das passt zu den Gefühlen, die ich oft genug  empfinde: zwischen Lachen und Weinen. Wenn ich mit meinen Enkeln spiele oder auf das Weltgeschehen blicke. Und in all das hinein singt Steve Winwood ein Osterlied. In Bildern. Vom Getreidekorn, das in der Erde begraben wird und im Frühling grün aus der Erde wächst. So wie Jesus Christus, der –so erzählt es die Bibel- nach drei Tagen von den Toten auferstanden ist. Und jede Strophe endet mit  demselben Satz: „ Die Liebe kommt zurück, so wie der Weizen, der immer wieder grün sprießt.“  Ach ja: es ist so eine Sache mit dem großen Wort „Liebe“. Ich bin schon immer sehr sparsam damit umgegangen. Aber es führt kein Weg an ihr vorbei. Wenn wir als Menschen leben wollen. So einfach ist das. Und vielleicht gerade deshalb so unendlich schwer. Am Sonntag erst war Ostern! Das heißt: das Leben und die Liebe haben das letzte Wort. Hoffentlich. Danke an Steve Winwood, der mich mit seinem Lied daran erinnert.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

02APR2024
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Es gibt Dinge, die kann man nur schlecht erzählen. Die muss man eigentlich erleben. Ostern ist so etwas.  Deshalb möchte ich Ihnen von einigen Leuten berichten, die beschlossen hatten, die Ostergeschichte der Bibel als kleines Theaterstück nachzuspielen. Alle sind ehrenamtlich in ihrer Gemeinde engagiert und treffen sich in einem Raum im Pfarrheim.

Ganz ohne Drehbuch und Regieanweisungen und auch ohne Kulissen. Zunächst einmal wird das Grab gebraucht, in das man den toten Jesus gelegt hat.  Zwei Leute spielen die Höhlenwände, zwei die Türpfosten am Eingang. Dann werden Engel gebraucht, die von der Auferstehung erzählen.  Und einer, ganz wichtig, ist der Stein, der das Grab verschließt. Den toten Jesus will keiner spielen, der fehlt also. Dann gibt es noch die Frauen, die am Ostermorgen zum Grab kommen um den Leichnam zu salben. So erzählt es die Bibel.  Das Spiel geht los. Die Frauen draußen beginnen zu weinen, aus Trauer und vor Verzweiflung, weil sie nicht wissen, wie sie ins Grab kommen sollen. Denn der Stein ist im Weg. Die Spieler warten. Nichts geschieht. Einer der Engel im Grab wird ungeduldig. Er will die Frauen trösten, aber er kommt nicht raus, der Stein weigert sich, den Weg frei zu geben. Er bleibt sprichwörtlich „hart wie Stein“. Da hat der Engel eine Idee. Er schaut den Stein an und beginnt ganz vorsichtig, seine Hände zu streicheln. Mit dieser  Geste hat der Stein nicht gerechnet. Er wird unsicher. Eigentlich spielt er ja keine Rolle in dem Stück. Er hatte sich gedacht: das ist einfach, ich bin einfach nur da, brauche nichts zu tun, ich werde nur weggeschoben. Und jetzt kommt da jemand und streichelt mir die Hand. Der Stein schaut sich um und sieht die Frauen vor dem Grab, die nichts tun können. Und er steht hier und bekommt die Hände gestreichelt.  Er atmet tief ein, dreht sich um und geht auf die Frauen  zu. Und da ist es passiert. Da steht das Grab hinter ihm offen. Ja, so kann man Ostern erleben, Ostern im Kleinen. Wenn einer ganz einfach meine Hand nimmt und es gut mit mir meint. So einfach das klingt, so schwer ist das ja oft in der Praxis. Da können zentnerschwere Steine vom Herzen fallen, da können Dinge, die mich niederdrücken, weggewälzt werden, so dass ich wieder aufstehen und leben kann. Ganz so, wie es die Ostergeschichte der Bibel erzählt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

07OKT2023
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Darauf freue ich mich jedes Jahr:

Wenn ich die beiden Windmühlen sehe.
Dann bin ich angekommen.
Das Auto wird geparkt und vergessen.
Tief einatmen.
Der Wind bringt Salzgeruch.
Koffer abstellen.
Eine Möwe keckert.
Die festen Schuhe an-
Und die Mütze über die Ohren ziehen.
Raus und rauf auf den Deich.
Die Welt wird anders.
Als hätten Wind und Weite alles weggepustet.
Um mich herum ist nichts mehr.
Ich breite die Arme aus.
Ich kann fliegen.
Über Wiesen und Felder.
Über das Wattenmeer.
Unterwegs auf dem Deich.
Mit und gegen den Wind.
Eine Stunde geradeaus.
Fliegen mit den Wildgänsen.
Laufen mit den Schafen.
Sitzen Im Gras.
Den Leuchtturm umrunden.
Und zurück.
Jeden Tag, so oft wie es geht.

Als ich vor ein paar Jahren diesen Text geschrieben habe, habe ich auf einer Bank gesessen. Die steht auf dem Deich irgendwo in Ostfriesland. Einmal im Jahr sind wir da, eine Woche lang und wenn es irgendwie geht, sogar länger. Und wir tun das, was wir sonst nie tun – nichts. Jedenfalls fast nichts, außer Laufen. Und sitzen auf der Bank am Deich. Oder am kleinen bunten Leuchtturm. Der ist meist unser Ziel. Der wird abgeklatscht und dann geht es wieder zurück. Der Deich ist so was wie mein ganz persönlicher Kraftort. Solche Orte gibt es seit ewigen Zeiten und ganz viele Menschen kennen solche Plätze, von denen eine ganz eigene Ausstrahlung ausgeht. Wer mit offenen Sinnen durchs Leben geht, der spürt irgendwann: an diesem oder jenem Ort, da passiert etwas mit mir, da zieht es mich immer wieder hin, dieser Ort tut mir gut. Warum das so ist, das spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass es so ist. Ob es das Meer, der Deich, der Berg, die Bank, die Wüste, das Wegekreuz, die Gartenlaube, die Waldkapelle oder ein Baum ist – das ist völlig egal. Diese schöne Erde, Gottes Schöpfung, auf der wir leben, ist alles, was wir haben. Und ob der Deich, die Wiese, der Wald, das Meer auch morgen noch da sind und uns Kraft geben, liegt in unserer Hand. Auch daran denke ich, wenn ich wieder einmal über den Deich gehe.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

06OKT2023
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Nicht stehen bleiben – immer weiter gehen – nur nicht anhalten! Diese drei Ausrufezeichen sind mir in den letzten Monaten ganz wichtig geworden. Nicht anhalten, immer in Bewegung bleiben – wenn ich den Kinderwagen fahre, in dem mein Enkel gerade seinen ganz wichtigen Mittagschlaf hält. Schon geringe Veränderungen im Fahrverhalten können katastrophale Folgen auslösen. Das Kind bewegt sich, die Lippen schmatzen, die Ärmchen fuchteln. Wenn er jetzt aufwacht könnte der Rest des Tages völlig aus dem Ruder laufen. Es empfehlen sich deshalb Spazierwege mit Kopfsteinpflaster oder nicht geteerte Feldwege. Damit es immer etwas rüttelt. Auch sollte man möglichst in der Planung des Spazierweges darauf achten, keine Fußgängerampeln oder sonstige  Hindernisse einzubauen. Denn Stillstand ist ein absolutes „No Go“.  In gut Deutsch: „ Nicht gehen - geht nicht“.  Auch die zwischenmenschliche Kommunikation leidet.  Kommen mir Bekannte entgegen muss ich einfach weitergehen. Oder sie müssen umkehren und ein Stück mitlaufen. Oder man grüßt sich nur stumm oder flüstert:  „Wir telefonieren…“.

Wer Kinder im Kleinkindalter hat, der darf nicht anhalten. Wenn ich mit einem meiner Enkelkinder unterwegs bin, erlebe ich das tatsächlich intensiver als damals, als meine eigenen Kinder so klein waren. Zumindest bilde ich mir das ein. Denn als „Ruheständler“ habe ich mehr Muße, darüber nachzudenken. Und ich muss schmunzeln. Dieses unsägliche deutsche Wort: „Ruhestand“. Erstens ist nur selten Ruhe. Und zweitens ist von „Stand“ keine Rede. Ich darf nicht stehen. Ich muss gehen und das mit möglichst gleich bleibender Geschwindigkeit.  Und wissen Sie was? Es macht mir Freude, es ist mir jetzt gerade genauso wichtig wie vorher mein Beruf.  Ich muss jetzt keine Artikel schreiben und Seminare leiten. Ich schiebe Kinderwagen. Und genieße es. Und sollten wir uns demnächst beim Spaziergang begegnen, dann denken Sie daran: Psst! Nur leise grüßen – weiter gehen - und auf gar keinen Fall anhalten.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05OKT2023
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Einatmen  -   Ausatmen. 
Das geht ja bei uns Menschen eigentlich ganz automatisch. Ist auch kein Wunder, denn Atmen ist lebensnotwendig.
Einatmen – Ausatmen.
Es gibt Orte, die laden geradezu ein zu atmen.

An einer kleinen Kapelle mitten in den Feldern bei dem kleinen Dorf Wahlen im nördlichen Saarland habe ich das vor kurzem gespürt. Hier habe ich nicht nur einfach so Luft geholt, wie man das den ganzen Tag über unbewusst tut. Hier kann ich aufatmen - so richtig aus dem tiefsten Herzen heraus.

Ruhig ist es hier, ich kann die Stille genießen und den Blick über die Felder hinunter ins Dorf. Ich werde ruhig und atme auf. Schön, dass unsere deutsche Sprache dieses Wort gefunden hat: Aufatmen. Denn das ist mehr als bloßes Ein- und Ausatmen.   Wer aufatmet, der wird irgendwie leichter. Wenn eine schwierige Situation vorüber ist, wenn mir ein Stein vom Herzen fällt, dann atme ich auf. Es steckt schon im Wort „aufatmen“: ich lasse den Kopf nicht mehr hängen. Ich kann wieder aufrecht stehen und gehen – eben weil ich aufatmen kann. 

Jahrhunderte lang haben Menschen ihre Lasten zu dieser Kapelle gebracht: ihren Kummer, ihre Krankheiten, ihre Sorgen und Nöte haben sie vor Gott getragen.
„Kommt zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt: Ich werde euch Ruhe verschaffen!“   das hat Jesus in der Bibel gesagt.

„Ich will euch Ruhe verschaffen!“ Der Theologe Fridolin Stier übersetzt diese Stelle so: “ Ich werde euch aufatmen lassen.“ Ja, denke ich: Christ-Sein hat etwas mit Aufatmen zu tun. Und Orte wie so eine kleine Kapelle machen es etwas leichter, dieses Versprechen einzulösen.

Ich glaube Menschen spüren das. Und suchen sich solche Orte aus, um aufatmen zu können. Die gibt es überall auf der Welt, man muss sie nur suchen und nutzen. Vielleicht kennen Sie ja auch solche Orte. Und wenn nicht, dann gehen Sie doch mal auf die Suche. Es muss ja nicht unbedingt eine Kapelle sein. Nutzen Sie die Gelegenheit und gehen Sie hin - zum Aufatmen.

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09AUG2023
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„Mich traf etwas Schmerzhaftes, mein Körper und das Fahrrad wurden durch einen heftigen Druck umgeworfen. Als ich so flach auf dem Boden lag, nahm ich einen hell scheinenden Blitz oder Regenbogen wahr......Obwohl ich in Todesfurcht war, schrie ich instinktiv: 'Ich will leben.' " (Drescher/Garbe, Es begann in Hiroshima Bornheim 1982 S.24)

Sumiteru Taniguchi heißt der Mann, der das erzählt. Er kämpft fast zwei Jahre mit dem Tod. Erst im März 1949 kann er das Krankenhaus verlassen. Manche seiner Wunden sind unheilbar, der völlig verbrannte Rücken verursacht ihm den Rest seines Lebens starke Schmerzen.

Am 6. und am 9. August 1945 werfen amerikanische Bomber zwei Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. 78 Jahre ist das heute her. In den ersten Monaten sterben über 200.000 Menschen an den Folgen der Explosionen und an den Strahlenschäden. 

In der Einsatzbesprechung vor dem Start des ersten Atombombers betet einer der Militärpfarrer mit den Besatzungsmitgliedern:

" Allmächtiger Vater....sei mit jenen, welche sich in die Höhen des Himmels wagen und die Schlacht zu unseren Feinden tragen. Behüte und beschütze sie….wenn sie ihre befohlenen Einsätze fliegen. Mögen sie, so wie wir, von deiner Stärke und deiner Kraft wissen, und möge es ihnen gelingen, bewaffnet mit deiner Macht, diesen Krieg zu einem schnellen Ende zu bringen. " (a.a.O.S.132)

Ich halte das für eine ungeheuerliche Aussage - "Bewaffnet mit seiner Macht". Es war nicht Gottes Macht, sondern Menschenmacht, die in einer Sekunde 37.000 Menschen sterben lässt.

Pater George Zabelka, damals auch Militärpfarrer auf der Insel Tinian im Pazifik, bekennt Jahre nach dem Krieg: "Dass ich es unterlassen habe, angesichts dieser totalen moralischen Verirrung, wie sie die Massenvernichtung von Zivilisten darstellt, die Stimme zu erheben, sehe ich heute als ein schweres Versagen als Christ und als Priester.... " (a.a.O.133)

Heute, am 9. August 2023, muss man wieder daran erinnern. Denn wer sich nicht erinnert, vergisst oder hat schon vergessen, was als Vermächtnis auf dem Mahnmal im Friedenspark von Hiroshima geschrieben steht:  Ruhet in Frieden, denn dieser Fehler darf sich niemals wiederholen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

08AUG2023
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„Ach wissen Sie, ich gehöre zu einer Generation, die hat noch repariert und nicht direkt alles weggeworfen.“ Den Satz habe ich mal in einer Talkshow gehört. Alle haben gelacht, ich als Zuschauer auch. Dabei ging es eigentlich um ein ernstes Thema. Nur die Antwort war so erfrischend anders, dass alle lachen mussten. Die Frage an den Teilnehmer der Runde war: „Sie sind jetzt seit 47 Jahren mit Ihrer Ehefrau zusammen. Wie schafft man das?“ Antwort: „Ich gehöre zu einer Generation, die repariert noch und wirft nicht direkt alles weg.“ Was mag wohl alles hinter diesem Satz stecken? Ich selber bin ja auch schon 42 Jahre mit meiner Frau zusammen und kann mir das gut vorstellen. Ich erlebe ja auch den Alltagstrott, der immer wieder mit Leben gefüllt werden muss, die Missverständnisse, die geklärt werden müssen, die Verletzungen, die geheilt werden müssen. Ich denke an die Schatten, über die man springen muss, um dem oder der Anderen Raum zu lassen. Das alles und noch viel mehr gehört dazu, um eine Beziehung am Laufen zu halten. So wie eine Maschine, die gewartet und gepflegt gehört, wenn sie funktionieren soll. Ein Telefonseelsorger erzählt mir von seiner Erfahrung, dass die Menschen heute weniger Geduld miteinander haben als früher. Da haben beide Seiten auch gesagt, wir schauen mal, wie wir wieder zusammenfinden. Heute ist da eher die Bereitschaft, einen Schnitt zu machen und zu sagen: es funktioniert nicht mehr. Das war’s. Jetzt reicht’s. Leben muss man dann mit all den Verletzungen, die man sich gegenseitig zugefügt hat. Ja, ich weiß auch, dass es in Beziehungen immer wieder zu Totalschäden kommt. Da hilft dann auch kein Herumschrauben mehr. Aber erlaubt ist es trotzdem: daran zu erinnern, dass reparieren oft erfüllender sein kann als wegwerfen und neu kaufen. Und sollte heute jemand von Ihnen Hochzeitstag haben so wie ich, dann sage ich: herzlichen Glückwunsch und Toi, Toi, Toi.

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