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Seit 20 Jahren gibt es auf dem Mainzer Hauptfriedhof einen Sternengarten. So heißt der Teil des Friedhofs, auf dem Kinder bestattet werden, die noch vor der Geburt gestorben sind. Im Sternengarten haben alle diese Kinder ihren Platz. Hier sind sie begraben. Hier wird an sie erinnert. Auf Sternen stehen ihre Namen. Line. Mikkel. Pauline. Leonas. Und so viele mehr.
Immer wenn ich am Sternengarten vorbeigehe , überkommt mich die Trauer. All diese Kinder sind gestorben, noch ehe ihr eigentliches Leben begonnen hat. Den Schmerz der Eltern kann ich nur erahnen. Wie gut, dass es den Sternengarten gibt, an dem diese Kinder ihren Ort haben. Ein Ort der Erinnerung. Hier steht ihr Name und versichert: Es hat dieses Kind gegeben, auch wenn seine Geburt zugleich der Abschied von ihm war. Es tut uns Menschen gut, wenn wir einen Ort für unsere Trauer haben.
Dem Sternengarten auf dem Mainzer Hauptfriedhof sieht man die Trauer nicht sofort an. Es ist kein grauer und trister Ort. Hier erinnert so vieles an das Leben: Auf vielen Gräbern stehen bunte Windräder und drehen sich. In den Bäumen hängen Windspiele, ihre Klänge wehen mir ins Ohr. Und ich sehe viele bunte Spielsachen und Blumen auf den Gräbern liegen. Da sind Herzen und Engel, es brennen Lichter. Ich spüre: Das hier ist nicht nur ein Ort voller Trauer und Erinnerung. Es ist auch ein Ort voller Liebe. Denn all das Spielzeug, all die Blumen – sie zeigen mir: Diese Kinder wurden geliebt. Und sie werden geliebt, denn sie sind nicht vergessen. Nicht von ihren Eltern und Geschwistern . Und erst recht nicht von Gott.
An diesem Sonntag feiern wir Christen den Ewigkeitssonntag. Wir denken an alle Menschen, die im vergangenen Jahr gestorben sind. In vielen Gottesdiensten werden ihre Namen vorgelesen und Lichter für sie angezündet. Als Zeichen der Erinnerung und als Zeichen unserer Hoffnung. Denn als Christen glauben wir: Der Tod ist nicht das Ende. Unsere Toten sind aufgehoben bei Gott. Er bettet sie in Liebe und Geborgenheit. Und in Gottes Hand ist alles aufgehoben, was war, was ist und bleibt.
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Momentan kommt mir oft ein Satz aus der Bibel in den Sinn: „Freut euch, dass ihr Hoffnung habt. Bleibt standhaft, wenn ihr leiden müsst. Hört nicht auf zu beten.“ Das schreibt Paulus damals an die ersten Christen in Rom. Und ich finde: Auch für uns heute ist das ein guter Ratschlag.
„Freut euch, dass ihr Hoffnung habt.“ Sagt Paulus. Er fragt nicht, ob wir auf etwas hoffen können. Er sagt auch nicht, dass da vielleicht ein Grund ist, Hoffnung zu haben. Für ihn ist es entschieden: Ihr habt Hoffnung. Also freut euch!
Diese Klarheit gefällt mir. Und die Überzeugung: Da ist Hoffnung in mir. Ich weiß nicht, ob ich das von mir aus so gesagt hätte. Aber vielleicht muss ich es hören und mir bewusst machen, um meine Hoffnung zu spüren. Denn es stimmt: Ich habe Hoffnung. Hoffnung, dass wir Menschen doch noch aus der Geschichte lernen können und frühere Fehler nicht wiederholen. Da ist auch Hoffnung in mir, dass Gott alles zum Guten wenden kann.
„Bleibt standhaft, wenn ihr leiden müsst.“ Ist der zweite Ratschlag. Und auch das spricht mich an. Standhaft bleiben. Nicht sofort aufgeben – auch damit kann ich etwas anfangen. Wenn es mal schwierig wird, dann ist es verlockend, sich wegzuträumen und den Kopf in den Sand zu stecken. Wirklich helfen, tut es nicht. Aber dranbleiben, Verantwortung übernehmen und sich dafür einsetzen, dass die Dinge sich ändern – dem kann ich viel abgewinnen.
Und dann ist da noch der dritte Rat: „Hört nicht auf zu beten.“ Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber er gefällt mir. Schließlich ist Beten ja Reden mit Gott. Wenn wir beten, vertrauen wir Gott unsere Gedanken an. Das, was uns bedrückt, das, was uns froh macht und das, wonach wir uns sehnen. Mir tut es gut, mich Gott anzuvertrauen. Manchmal fehlen mir auch die Worte. Gott hört mir trotzdem zu.
Diese drei Ratschläge aus der Bibel sind eine gute Erinnerung. Im Leben habe ich vieles nicht in der Hand. Manches kann ich nicht beeinflussen und ändern. Aber manches schon. Und so übe ich mich in diesen Novembertagen darin: Ich hoffe und ich freue mich. Ich bleibe standhaft. Und ich vertraue mich Gott an. Das tut mir gut.
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Wenn jemand neben mir beim Essen laut schmatzt, dann stört es mich normalerweise. Da frage ich mich: Muss das sein? Das macht man doch nicht. Aber neulich, da habe ich mich richtig darüber gefreut, als ich es neben mir schmatzen hörte. Es waren Kinder. Ihr Schmatzen war nicht besonders laut oder absichtlich. Es wirkte wie das Normalste der Welt – Kinder eben. Aber ich war überrascht und ich fand es schön.
Denn es war mitten im Gottesdienst. Wir haben gerade Abendmahl gefeiert und standen in einem großen Kreis zusammen. Gerade hatte ich allen ein Stück Brot ausgeteilt mit den Worten „Brot des Lebens – Christus für dich“. Dass wir beim Abendmahl mehr als nur ein Stückchen Brot essen, daran glauben wir Christen. Es geschieht mehr, als wir sehen können: Gott kommt uns darin ganz nah. Verzeiht unsere Fehler. Heilt unsere Wunden. Begegnet uns in Frieden. Wenn wir miteinander Abendmahl feiern, ist Gott mitten unter uns. Das stärkt an Leib und Seele.
Als ich die Kinder schmatzen hörte, musste ich an einen Satz aus der Bibel denken: „Schmeckt und seht, wie freundlich unser Gott ist.“ Ich glaube, genau das haben die Kinder in dem Moment getan. Sie haben geschmeckt, wie freundlich unser Gott ist. Und sie haben ihre Freude darüber gezeigt. Vielleicht können sie es noch nicht mit dem Kopf verstehen, was wir beim Abendmahl feiern. Aber dass es etwas ist, was unserem Leib und der Seele guttut und uns stärkt – das haben sie erlebt und geschmeckt.
Früher durften Kinder nicht am Abendmahl teilnehmen. Man meinte, dass sie zu klein sind. Dass sie noch nicht verstehen , was wir dort feiern und was es für sie bedeutet. Ich bin froh, dass sich das inzwischen geändert hat. In den meisten Gemeinden und Gottesdiensten sind Kinder und Jugendliche heute genauso zum Abendmahl eingeladen. Denn bei Gott sind alle Menschen willkommen. Gott lädt alle ein. Ganz egal, wie alt wir sind und wie viel wir meinen, von Gott zu verstehen. Für alle gilt die Einladung, die schon in der Bibel steht: „Schmeckt und seht, wie freundlich unser Gott ist.“
Wenn wir Brot und Traubensaft miteinander teilen, kommt Gott uns nah. Wie gut das tun kann, habe ich im Schmatzen der Kinder gehört. Gottes Freundlichkeit kann wohl wie ein Stück frisches knuspriges Brot schmecken.
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„Stolpersteine!“ Hinter mir höre ich jemanden rufen. Ich drehe mich um und sehe, wie ein kleines Mädchen seine Mutter zurückzieht. Vor einem Hauseingang hat sie Stolpersteine entdeckt. Gemeinsam beugen Mutter und Tochter sich über die Messingsteine im Boden. Und dann liest die Mutter ihrer circa sechsjährigen Tochter vor, was sie auf den Steinen lesen kann. Einen Moment noch bleiben sie stehen, dann gehen sie weiter, an mir vorüber. Und ich höre, wie sie überlegen: Wie alt waren die Menschen, als sie aus diesem Haus deportiert wurden? Und: Wie lange haben sie danach noch gelebt?
Beim Zuschauen habe ich mich ertappt gefühlt. Ich gehe dort oft an diesem Haus vorbei, aber wahrgenommen habe ich die Steine nicht. Unzählige Male muss ich schon über sie hinweggesehen haben. Ich habe mich gefragt: Warum eigentlich? Stolpersteine sollen ein Hingucker sein. Sie sollen auffallen und uns unterbrechen, uns innehalten lassen. Stolpersteine sollen uns zeigen: Hier haben Menschen gelebt, die von den Nationalsozialisten deportiert und vielfach auch ermordet wurden. Menschen wie Sie und ich. Die Lebensgeschichten dieser Menschen sollten wir nicht vergessen.
Ich denke, ich bin nicht die Einzige, die die Stolpersteine im Alltag oft nicht wahrnimmt. Viele Schicksale geraten in Vergessenheit. Ein Gedanke aus der Bibel tröstet mich: Gott hat die Namen aller Menschen in das Buch des Lebens geschrieben. Kein einziger Name geht verloren oder gerät in Vergessenheit. Gott weiß um jede und jeden Einzelnen. Damals wie heute.
Das Mädchen mit ihrer Mutter hat mich beeindruckt. Mit Nachdruck hat sie ihrer Mutter gezeigt: Hier sind Stolpersteine, hier müssen wir hinsehen. Anscheinend ist es der Mutter – oder auch den Lehrerinnen und Lehrern – gelungen, dem Mädchen gut zu erklären, was es mit den Stolpersteinen auf sich hat. Und wie wichtig sie sind. Ich habe mir vorgenommen: Ich will heute Ausschau halten, nach Stolpersteinen und Lebensgeschichten, die nicht nur bei Gott gut aufgehoben sein sollen. Denn auch ich kann sie erinnern und von ihnen erzählen. Heute. Und an jedem anderen Tag.
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Neulich habe ich einen Satz in der Bibel entdeckt, an den ich seitdem immer wieder denken muss. „So richtet nun euer Herz und euren Sinn darauf, den Herrn, euren Gott, zu suchen.“ Mir gefällt diese klare Aufforderung: Sucht Gott.
Dabei könnte man ja meinen: Christen sollten doch wissen, wo Gott ist. Und wo sie ihm begegnen können. In Kirchen zum Beispiel, oder auch zu Hause, wenn sie beten.
Ich glaube aber, das stimmt so nicht. Denn ich habe schon die Erfahrung gemacht, dass ich nicht weiß, wo ich Gott begegnen kann. Wenn ich sonst das Gefühl hatte, mich Gott anvertrauen zu können, ging es einfach nicht mehr. Wo ich mich Gott sonst nahe wusste, war er für mich plötzlich unerreichbar. Manchmal traf mich das ganz unerwartet. Aber ich glaube: Diese Erfahrungen gehören zum Glauben dazu. Ich kann Gott weder festhalten noch bestimmen, wie ich ihn erlebe und ihm begegne. Mein Glaube ist durch diese Erfahrungen nicht der Gleiche geblieben. Er verändert sich mit mir und mit dem, was ich erlebe. Wie gut, wenn sich da auch die Wege ändern, wie ich Gott begegnen kann. Umso dankbarer bin ich heute für besondere Gottesmomente.
„So richtet nun euer Herz und euren Sinn darauf, den Herrn, euren Gott, zu suchen.“ Noch etwas gefällt mir an dieser Aufforderung: Um Gott zu suchen, braucht es offensichtlich Verschiedenes. Zum einen braucht es meine geschärften Sinne. Und: Es braucht auch mein Herz. Für die Menschen zur Zeit des Alten Testaments war das Herz der Ort, an dem sie den Verstand verortet haben. Um Gott zu suchen, braucht es also auch kluge Gedanken. Ich mag die Idee, über Gott viel nachdenken zu können. Für uns heute steht das Herz für das Gefühl. Liebe fühle ich im Herzen, aber auch Sehnsucht, Trauer oder Einsamkeit. Und ich meine: Auch die Gefühle brauche ich, um etwas von Gott zu erfahren. Denn Gott finde ich nicht allein mit klugen Gedanken und der Glaube ist mehr als eine Anleitung zum richtigen Handeln. Mein Glaube braucht Gefühle. Die der Nähe – und die der Ferne. Damit ich mich immer wieder neu auf die Suche mache nach Gott.
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Es gibt bestimmte Momente, da fühle ich mich frei. Beim Fahrradfahren zum Beispiel. Nicht, weil für mich als Radfahrerin keine Verkehrsregeln gelten und ich fahren kann, wie ich will. Mein Gefühl der Freiheit kommt woanders her.
Seit ich denken kann, fahre ich Fahrrad. Auch heute fahre ich zu fast allen Terminen mit dem Rad. Und später, wenn ich Feierabend habe, liebe ich es, noch eine Runde mit dem Fahrrad zu drehen. Ich trete in die Pedale. Der Wind weht mir durch die Haare. Und ich lasse hinter mir, was war. Räumlich nehme ich Abstand mit jedem gefahrenen Meter und auch innerlich gewinne ich Abstand. Was mich am Tag über beschäftigt hat, geht mir noch einmal durch den Kopf. Ich denke an das, was schön war und worüber ich mich gefreut habe. Oft merke ich dann, dass ich dafür dankbar bin. Ich denke auch an das, was weniger schön war. Ich mache meinem Unmut Luft und trete etwas kräftiger in die Pedale. Und mit der Anstrengung verfliegt, was mich vorher noch betrübt hat.
An vielen Abenden fahre ich am Rhein entlang oder über die Felder – da weitet sich mein Blick ganz von allein. Beim Fahrradfahren fällt von mir ab, was heute war. Und dann ist da Platz für neue Gedanken. Sie fliegen mir beim Fahrradfahren zu. Und ich komme dann heim mit neuen Ideen, auf die ich sonst nie gekommen wäre. Das Fahrradfahren befreit und beflügelt mich.
„Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Betet ein Mensch in der Bibel zu Gott. Daran muss ich oft denken, wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Denn so erlebe ich es auch. Gott hat mich mit weitem Raum beschenkt. Auf dem Fahrrad fühle ich mich frei und kann den weiten Raum vor mir erkunden. Die Weite und die Freiheit jagen mir keine Angst ein. Ich fühle mich nicht verloren oder einsam. Im Gegenteil: Ich weiß: Ich bin nicht allein. Gott hat meine Füße auf weiten Raum gestellt und ist mit mir auf allen meinen Wegen.
Ich wünsche Ihnen auch solche Freiheitsmomente – beim Fahrradfahren oder wo immer Gott Ihre Füße auf weiten Raum stellt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40644SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Heute ist ein besonderer Tag. Heute öffnen sich Türen, die sonst verschlossen bleiben. Denn heute, am zweiten Sonntag im September, ist der Tag des offenen Denkmals. Jedes Jahr lädt dieser Tag dazu ein, besondere Gebäude überall in Deutschland zu besichtigen. Hier in Mainz kann man zum Beispiel die neue jüdische Synagoge oder manche Kirche bei einer Führung besser kennenlernen. Aber auch andere Häuser, öffentliche oder private, öffnen ihre Türen. Bei der Gelegenheit habe ich schon etliche Male besondere Orte entdeckt und wurde vom Inneren und der Geschichte der Häuser überrascht.
Dass auch viele Kirchen heute am Tag des offenen Denkmals ihre Türen öffnen, wundert mich nicht. Schon in der Bibel wird gerne gebaut. Natürlich keine Denkmäler, wie wir sie heute kennen. Aber doch so etwas in der Art. Da ist zum Beispiel Noah. Sobald er nach der verheerenden Sintflut wieder festes Land unter den Füßen hat, baut er einen Altar. Oder Jakob. Eines Nachts ringt und kämpft er mit jemandem. Erst später begreift er, dass er mit Gott gerungen hat. Dem Ort seines Kampfes gibt er einen neuen Namen: Pnuël, das heißt: Angesicht Gottes. Denn Jakob sagte: »Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen
und bin am Leben geblieben.« Was ihm passiert ist, sollten alle wissen. Das waren Denkmäler auf ihre Art. Sie zeigen: Hier ist ein besonderer Ort. Hier ist etwas geschehen, das auf keinen Fall in Vergessenheit geraten soll.
Auch dem Tag des offenen Denkmals geht es darum, die Erinnerungen wach zu halten. An Zeiten und Menschen, die unsere Orte geprägt haben. Einzelne Menschen, die unglaublich viel Energie aufgebracht haben, um die Sehenswürdigkeiten von heute zu errichten oder zu bewahren. Manche Denkmäler erinnern auch daran, dass es in unserer Geschichte schwierige Kapitel gibt. Sie weisen uns heute darauf hin, aus der Vergangenheit zu lernen.
Der Tag des offenen Denkmals schärft unseren Blick. Er lädt ein, genauer hinzusehen. Welche besonderen Orte gibt es hier in der Gegend? Und welche Denkmäler habe ich noch gar nicht als solche wahrgenommen?
Wie auch immer Sie den Tag verbringen, ich wünsche Ihnen heute viele offene Türen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40643Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
„Muss ich eigentlich immer Leistung bringen, um anerkannt zu werden?“ hat neulich einer meiner Schüler gefragt. Ich unterrichte in einer achten Klasse evangelische Religion. Die Jugendlichen habe ich gefragt: Welche Fragen treiben euch um – womit sollen wir uns im Religionsunterricht mal beschäftigen?
„Muss ich eigentlich immer Leistung bringen, um anerkannt zu werden?“ Schnell hat einer der Schüler diese Frage formuliert. Sie hat mich gefreut – und bestürzt. Denn vor mir sind doch Jugendliche – die noch nicht den vollen Leistungsdruck unserer Gesellschaft spüren sollten. Ihr Schulalltag aber ist bestimmt von Klassenarbeiten und Hausaufgaben, von Rangeleien untereinander und der Suche nach einem Praktikumsplatz im Sommer. Und immer wieder werden sie gefragt, was sie später werden wollen und ob ihre Leistungen dafür ausreichen. Da liegt es eigentlich auf der Hand zu fragen: „Muss ich eigentlich immer Leistung bringen, um anerkannt zu werden?“
Ich freue mich darauf, mit den Jugendlichen dieser Frage nachzugehen. Denn sie passt perfekt in den Religionsunterricht. Da geht es schließlich um die großen Fragen des Lebens: Wer bin ich und von wem lasse ich mir sagen, wer ich bin? Was gibt meinem Leben Sinn? Worauf hoffe ich? Und was trägt mich, selbst wenn ich mal scheitere? Gemeinsam nach Antworten zu suchen und dabei noch mehr Fragen zu finden, das begeistert mich. Und ich bin überzeugt, auch für die Jugendlichen lohnt es sich, diesen Fragen nachzugehen. Meine Erfahrung ist: Bekomme ich Anerkennung oder Respekt dafür, dass ich etwas Bestimmtes erreicht oder geleistet habe, dann macht mich das stolz. Ich freue mich, dass andere etwas wahrnehmen und wertschätzen, in das ich viel Arbeit oder Liebe hineingesteckt habe. Aber als Christin glaube ich auch: Die größte Anerkennung wird mir geschenkt. Ganz unverdient und ohne eigenes Zutun. Ich werde geliebt, so wie ich bin – von Menschen und von Gott. Das kann ich mir nicht erarbeiten, nur annehmen und wertschätzen. Gott sei Dank.
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Acht Minuten still sein und schweigen. Drei Mal am Tag. Diese Erfahrung hat mich geprägt. Als Jugendliche bin ich mit einer Gruppe nach Taizé gereist. Mit tausenden anderen Jugendlichen aus aller Welt haben wir dort eine Woche lang mitgelebt in der ökumenischen Klostergemeinschaft von Taizé. Dreimal am Tag sind alle in der Kirche zum gemeinsamen Gebet zusammengekommen. Das hat unsere Tage strukturiert. Vieles war dabei ungewohnt: So oft in die Kirche zu gehen und dort auch noch auf dem Boden zu sitzen. So viel zu singen, in den verschiedensten Sprachen. Keiner hat gepredigt, sondern alle haben geschwiegen, mehrere Minuten lang. Manchmal ist mir das schwergefallen. Ich war unruhig und ungeduldig und wollte alles lieber tun, als still zu sitzen und zu schweigen. Manchmal sind meine Gedanken umhergewandert und haben zu nichts geführt. Ich hatte den Eindruck: Ich kriege es nicht hin, diese Minuten der Stille richtig zu nutzen. Dabei ging es gar nicht um richtig oder falsch. Und wenn ich umgeguckt habe, dann wusste ich: Anderen geht es ähnlich. Diese Zeit des Schweigens war jedes Mal anders.
Die Minuten der Stille haben sich eingebrannt in meine Erinnerungen. Denn manchmal da wurde es beim Schweigen nicht nur still um mich herum, sondern auch still in mir. Ich bin zur Ruhe gekommen. Und habe die Stille ganz bewusst wahrgenommen. Ich habe gespürt: Ich bin hier. Und Gott ist hier. Das ist genug für diesen Moment. Manchmal hat mich ein Satz aus der Bibel, ein Lied oder ein anderer Gedanke berührt. Manchmal habe ich aber auch einfach gespürt, dass ich behütet und geborgen bin – was auch immer geschieht.
Acht Minuten still sein und schweigen. Drei Mal am Tag. Das hat meinen Glauben geprägt. Worte waren dafür keine nötig. Es brauchte auch nicht die anderen Menschen um mich herum. Aber weil wir alle geschwiegen und für eine Zeit lang still waren, konnte mir das bewusst werden: Ich bin hier und Gott ist hier. Das ist genug für diesen Moment.
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„Ist Gott eigentlich ein Mann oder eine Frau?“, hat mein Neffe gefragt. Gleich kurz nach dem Aufwachen. Als Vierjähriger entdeckt er die Welt, fragt viel und will alles verstehen. Heute also: Wie soll er sich Gott vorstellen?
Für meine Nichte war die Sache eindeutig: „Pfrau“ hat sie blitzschnell gerufen. Mit ihren zwei Jahren war für sie entschieden: Gott ist eine Frau – wie sie selbst. Ist doch klar.
Mein Neffe hat sich mit der Antwort seiner kleinen Schwester nicht zufriedengegeben. Vielleicht hat er schon etwas davon geahnt, wie wenig Gott sich festlegen lässt. Auch in der Bibel nicht.
Die Bibel erzählt von Gott in vielen Bildern. Er ist ein mächtiger Herrscher, der Schöpfer der Welt. Gott ist es, der alles sieht und dem nichts verborgen bleibt, dem nichts unmöglich ist. Viele kennen dieses Bild von Gott. Und es tun gut. In einer Welt, in der wir es mit Krisen und Konflikten zu tun haben, kann es helfen, einen so mächtigen und starken Gott an seiner Seite zu wissen. Und auch wenn mein Leben ins Wanken gerät, tut es mir gut, zu wissen: Mein Gott ist kein hilfloser Gott, er stärkt und schützt mich.
Die Bibel findet aber noch mehr Bilder, um von Gott zu reden. Sie kennt Bilder, die voller mütterlicher Fürsorge und voller Wärme sind. Da heißt es: Gott ist wie eine Henne, die ihre Küken bewacht. Oder: Gott tröstet uns, wie einen seine Mutter tröstet. Auch dann, wenn es um die göttliche Weisheit geht, spricht die Bibel von einer Frau. Denn die Menschen zu biblischen Zeiten hatten bei „Weisheit“ ganz klar eine Frau vor Augen. Auch diese Bilder von Gott tun mir gut. Ich brauche Gott nicht nur mit seiner Stärke und Kraft, sondern auch mit all ihrer Weisheit und Geborgenheit.
Dass die Bibel so unterschiedliche Bilder von Gott zeichnet. Das macht mich frei: Gott ist vielfältig. Wenn schon die Bibel kein eindeutiges Bild von Gott hat – dann muss auch mein Bild von Gott nicht eindeutig sein. Ich muss Gott nicht auf ein Geschlecht festlegen. Gott ist nicht Mann oder Frau – Gott ist wie eine Kraft, die meinen Verstand übersteigt und sich nicht klar festlegen lässt. Mit Kindern wie meinem Neffen und meiner Nicht diese Freiheit im Glauben zu entdecken, das macht mir Spaß und bedeutet mir viel.
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