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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

13JUL2024
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Als ich noch ein Kind war, erzählte mir meine Tante oft die Geschichte von einem Kobold und einem geheimen Schatz. Ich bin im Schwarzwald großgeworden. Und manche Gegenden dort sind bis heute verwunschen und sagenumwoben. Die Geschichte meiner Tante spielte in der Nähe meines Dorfes. Für mich war diese Geschichte faszinierend, weil am Ende offenblieb, wo der Kobold seinen sagenumwobenen Schatz versteckt hatte. Mit Freunden ging ich danach auf Streifzüge durch die Wälder. Jeder Felsen oder jeder abgestorbene Baumstamm konnte auf das Versteck des Schatzes hindeuten. Und der Kobold musste auch dort irgendwo sein…

Wenn ich heute daran zurückdenke, muss ich schmunzeln. Wie fasziniert meine Freunde und ich von dieser Geschichte waren! Sie hat meine Fantasie angeregt. Und sie hat dazu beigetragen, dass wir tolle Abenteuer erleben konnten. Sie hat geschafft, was nur Geschichten schaffen können: wir haben die Welt um uns herum mit anderen Augen gesehen! Felsen im Wald wurden zu möglichen Verstecken für den Kobold-Schatz. Der Waldabschnitt vor uns konnte der Ort sein, an dem der Kobold heimlich lebte. Die Abdrücke – waren das vielleicht Koboldfußabdrücke? Durch diese Geschichte haben wir die Welt entdeckt. Die Geschichte hat uns ein kleines Stück ins Leben hineinbegleitet.

Heute werde ich regelrecht überschwemmt von Geschichten. Es wird viel Geld damit verdient, mir Dinge zu verkaufen, die in Geschichten verpackt sind. Manche wollen, dass ich extreme Parteien wähle oder Produkte kaufe, die ich nicht brauche. Und nicht jede Geschichte führt mich ins Leben hinein und macht mich neugierig auf die Welt und meine Mitmenschen. Ich denke, dass genau das die Bibel aber will: Geschichten erzählen, die mich ins Leben hineinführen und mich neugierig machen auf diese Welt, die immer neu entdeckt werden kann.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

12JUL2024
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Das Achtelfinale zwischen Deutschland und Dänemark wird wahrscheinlich nicht aus sportlichen Gründen in die Geschichte eingehen. 30 Minuten nach dem Start des Spiels musste der Schiedsrichter das Spiel unterbrechen. Der Grund: ein heftiges Gewitter tobte über dem Stadion. Starkregen und Blitze trieben die Mannschaften in die Katakomben zurück. Auch die Zuschauer brachten sich in Sicherheit. 20 Minuten lang hat die Blitz-und-Donner-Pause gedauert.

Für 20 Minuten hatte die Naturgewalt die Regie übernommen. Kein Videoassistent, kein noch so gewiefter Moderator, noch nicht einmal die mächtige UEFA wäre in der Lage gewesen, daran irgendetwas zu ändern. Die sonst so Mächtigen waren plötzlich ohnmächtig.

Für mich war diese Gewitterpause während der Fußball-Europameisterschaft ein gutes Beispiel dafür, wie abhängig ich bin von der Natur. Ich kann sie mir zwar heute oft technisch vom Leib halten. Viel mehr als frühere Generationen das konnten. Ich lebe in einem robusten Haus, ich habe gute Kleidung und es gibt viele verlässliche Vorhersagen. Aber letztendlich bleibe ich von ihr abhängig. Das zeigt sich nicht nur, wenn ein Unwetter über mich hereinbricht. Denn es gibt ja nicht nur die Natur da draußen, sondern ich bin selbst Natur.  Meine eigene Natur wirkt oft leiser und lange unbemerkt. Das zeigt sich besonders daran, dass ich älter werde. Und Menschen, die krank sind, brauche ich nichts von der stillen Gewalt der Natur zu erzählen.

Die Gewalt des Gewitters beim Achtelfinale hat mir wieder einmal klargemacht: wir sind nicht die Herrscher auf Erden. Wir sind nur Geschöpfe. Auch wenn die Technik, die uns davor schützt, ein Segen sein kann – wir sind und bleiben verletzlich und im Angesicht der Kräfte der Natur oft erschreckend klein. Und deshalb bin ich dankbar für jeden Tag.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11JUL2024
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Der Bahnsteig ist überfüllt mit Pendlern. Ich stehe mitten unter ihnen. Da fährt der Zug ein. Alle versuchen sich so zu platzieren, dass sie bei den Zugtüren stehen. Es wird wieder voll werden im Zug. Ich habe Glück und kann mich direkt vor der Türe postieren. Die Türe öffnet sich und ein Schwall von Menschen steigt aus. Es scheint nicht mehr aufzuhören.

Gespannt schaue ich in die Gesichter. Jedes einzelne von ihnen hat einen anderen Ausdruck. Manche scheinen müde und gelangweilt zu sein. Sie haben vielleicht einen langen Tag hinter sich. Manche scheinen zum ersten Mal hier auszusteigen. Mit neugierigen Blicken schauen sie sich um. Einige von ihnen schauen auf den Boden. Sie wollen keinen Blickkontakt und auch nicht, dass man in ihre Gesichter blickt. Was beschäftigt diese Menschen? Ich sehe in Gesichter, die gar nicht anwesend sind. Zumindest sagt mir ihr Blick, dass sie sich wo ganz anders befinden. Viele von ihnen haben ihre Lieblingsmusik oder einen spannenden Podcast auf dem Ohr.

Wenn ich diesen Menschen so ins Gesicht blicke, dann wird mir bewusst: jeder und jede von ihnen hat seine eigene Geschichte. Jeder hat sein eigenes Ziel und seinen ganz persönlichen Grund, sich heute hier und jetzt zu befinden. Das finde ich faszinierend. Sie alle machen ja das gleiche: sie steigen aus dem Zug aus. Aber jeder von ihnen bringt seine ganz persönliche Geschichte mit.

Als Christ ist es für mich eine lebenslange Übung, jeden Menschen, der mir begegnet, immer als einzigartiges Geschöpf mit seiner einzigartigen Lebensgeschichte zu sehen. Und in jedem einzelnen Gesicht zeichnet sich dieses einmalige Leben ab. Kein Mensch ist einfach nur eine Nummer einer Serie! Oder Teil einer Masse. Kein Mensch ist wie der andere! Jede und jeder ist einzigartig und darum besonders!

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20MRZ2024
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Ich wundere mich oft über Menschen, die viel wissen. Oder die meinen, viel zu wissen. Ist es nicht so, dass diejenigen, die wichtige Entscheidungen treffen müssen, den Eindruck machen, als wüssten sie genau, wohin es geht? Menschen, die zu jedem und zu allem was zu sagen haben. Mich nervt so etwas! Denn wie oft werden starke Meinungen später als Irrtümer entlarvt.

Dahinter steht das Bild vom starken männlichen Anführer, der genau weiß, was Sache ist. Leider ist unsere Öffentlichkeit voll von solchen Personen. Zum Bild vom starken Anführer gehört eine bestimmte Vorstellung von Kraft und Stärke: Nur wer sich rücksichtslos durchsetzt, wer laut ist, wer andere übertrumpfen kann und wer sich ja keine Blöße gibt, der ist ein Anführer. Für mich sind Donald Trump oder Putin die perfekten Karikaturen dieses Bildes.

Sicher, natürlich ist es richtig: um wichtige Anliegen zu vertreten, braucht es Durchsetzungskraft, keine Frage. Aber was wäre, wenn wirkliche menschliche Stärke etwas völlig Anderes bedeutet. Zum Beispiel, dass ich zugebe, viele Schwächen zu haben. Oder: wenn ich mir eingestehe, dass ich nicht auf alles eine Antwort habe. Oder dass ich nicht alles selbstverständlich nehme und es mir nicht nehmen lasse, über das Wunder des Lebens zu staunen.

Ich glaube, dass Menschen mit solchen Stärken unsere Welt zu einem besseren Ort machen können. Denn nur, wenn ich meine eigenen Grenzen kenne, kann ich auch die Grenzen von anderen anerkennen. Wenn ich weiter darauf beharre, immer recht zu haben, wird das auch der andere tun. Und dann werde ich es wieder tun, und so weiter und so weiter…

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

19MRZ2024
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Meine Lieblingsstadt ist Lissabon, die Hauptstadt von Portugal. Neben verwinkelten Gässchen gibt es dort einen Stadtteil mit geraden Straßen und gleichmäßig aussehenden Häusern. Er passt nicht ganz ins Bild der Stadt.

Am 1. November 1755 zerstörte ein Erdbeben fast die komplette Innenstadt von Lissabon. Zwischen 30.000 und 100.000 Menschen starben damals. Der modern wirkende Stadtteil von Lissabon ist das wiedererrichtete Lissabon nach dem Beben.

Anfang Februar des letzten Jahres erschütterte ein schweres Erdbeben Nordsyrien und den Südosten der Türkei. Zehntausende Menschen kamen ums Leben. Die tägliche Nachrichtenflut hat dieses Ereignis schon fast wieder vergessen gemacht. Das Leid der Menschen ist aber immer noch sehr groß. Es fehlt an allem: Strom, Wasser, Nahrung und warmen Unterkünften.

Damals in Lissabon, vor fast 270 Jahren, löste das Erdbeben heftige Debatten unter den Gelehrten aus: wie konnte Gott so etwas zulassen? Die Frage bleibt aktuell – bis heute. Für mich als Christen ist diese Frage eine der wichtigsten überhaupt. Auch wenn es keine zufriedenstellende Antwort darauf gibt.  

Der Theologe Romano Guardini hat einmal gesagt: Wenn ich tot bin, dann möchte ich mich nicht nur von Gott befragen lassen. Dann möchte auch ich ihn fragen, warum es so viel Leid in seiner Schöpfung gibt. Und dann erwarte ich eine Antwort.

Ich finde diesen Gedanken entlastend. In der Bibel ist die Anklage Gottes sogar eine Form des Gebets, zum Beispiel in den Psalmen. Die Empörung über Gott macht das Leid zwar nicht kleiner.

Sie hilft mir aber, nicht mehr ganz so ohnmächtig zu sein, auch wenn es letztlich keine Antwort gibt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

18MRZ2024
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Ob Verspätungen, Zugausfälle, Weichenstörungen oder Streiks – alle, die mit der Bahn unterwegs sind, können ein Lied auf die Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn singen. Mein Adrenalinspiegel steigt jedenfalls ungewöhnlich schnell an, wenn ich mal wieder im Zug sitze – und nichts geht vorwärts. Noch schlimmer als die regelmäßige Unzuverlässigkeit, ist für mich, dass man keine Durchsage im Zug macht. Man sitzt im Zug – keine Information, nichts passiert.

So nervig und dringend verbesserungswürdig der Zustand der Bahn auch ist. Ungewollt trägt sie zur Verbesserung der sozialen Stimmung in unserem Land bei. Das ergab neulich eine Studie. Wie das? Ganz einfach: noch beliebter als über das Wetter, ist es, über die Deutsche Bahn zu sprechen – bzw. zu lästern. Besonders dann, wenn sich Menschen zum ersten Mal treffen, ist das Thema Bahn ein sehr gutes Small-Talk-Thema.

Das Entscheidende dabei: Das Thema verbindet uns Menschen in Deutschland über die politischen Grenzen hinweg. Die Deutsche Bahn als Schmiermittel für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das heißt natürlich nicht, dass es so bleiben sollte mit der Unzuverlässigkeit der Bahn.

Es zeigt mir aber, wie wenig es manchmal braucht, um Menschen zusammenzubringen. Ein gemeinsames Thema genügt und schon findet eine Begegnung statt, bei der man sich nicht sofort in Freund-Feind-Schemen verheddert. Den Kitt solch kleiner Themen haben wir heute dringend nötig, wo es immer schwieriger wird, Menschen unterschiedlicher Ansichten zusammenzubringen. Ich denke, wir sollten viel mehr Ausschau halten nach solchen kleinen Kitt-Mitteln, denn ohne sie, haben wir uns vielleicht irgendwann nichts mehr zu sagen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27DEZ2023
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Mein Nachbar erzählte mir kürzlich, dass seine Tochter an einem 24.12. geboren wurde. In den ersten Jahren ihres Lebens hat sie sich immer sehr über diesen besonderen Geburtstag gefreut. Denn für sie war klar: die ganze Welt feierte an ihrem Geburtstag ein Fest. Ganz besonders freute sie sich darüber, dass die letzten 24 Tage vor ihrem Geburtstag immer mit einem Geschenkekalender heruntergezählt wurden. Irgendwann merkte sie jedoch, dass die Welt nicht ihren, sondern Jesu Geburtstag feierte. „Alles nur wegen diesem doofen Jesus!“, sagte sie einmal.

Ich finde diese Geschichte rührend, weil mir die kindliche Ehrlichkeit gut gefällt. Ich wünschte mir manchmal, dass wir Erwachsenen auch so offen sein könnten. Ich zum Beispiel finde die Advents- und Weihnachtszeit wunderschön. Manchmal geht sie mir aber auch auf die Nerven.

Wunderschön finde ich die Gerüche, die Lichter, die besinnliche Stimmung und die Auszeit von der Arbeit zwischen den Jahren. Aber so richtig kann ich meine Freude nicht zum Ausdruck bringen. Nicht, dass noch jemand merkt, dass ich mich über so einfache Dinge freuen kann. Vieles nervt mich aber auch tierisch: der Druck, die passenden Geschenke zu finden, oder die immer gleichen Lieder in der Kirche und mancher Stress rund ums Familienfest.

Wie gerne würde ich da mal laut und deutlich sagen: „Alles nur wegen diesem doofen Weihnachtsfest!“ So viel Ehrlichkeit könnte manchmal echt entlasten. Aber die Offenheit und den Mut dazu habe ich nicht. Warum eigentlich nicht? Jesus hat selbst mal gesagt: werdet wie die Kinder. Das heißt für mich: seid vor allem ehrlich zu euch selbst, freut euch über die kleinen Dinge, macht euch nichts vor und lasst euch nicht stressen. Denn Gott kommt zu jedem von uns, ganz unabhängig von allem Schönen und Nervigen, das es gibt in der Weihnachtszeit.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

26DEZ2023
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Der Stall in Bethlehem gehört für mich zur Grundausstattung von Weihnachten. Vor meinem inneren Auge sehe ich das Christkind in der Mitte zwischen Maria und Josef. Im Hintergrund stehen Ochs und Esel. Vielleicht in der näheren Umgebung noch ein paar Hirten.

Weihnachten und der Stall – diese Kombination finde ich schon immer seltsam. Hier das rauschende Fest des Friedens, dort ein armseliger Stall. Mit einem Fest des Friedens – damit kann ich etwas anfragen. Aber mit einem Stall? Was hat ein Viehstall mit meinem Leben und mit dem Frieden zu tun?

Als ich darüber nachdenke, stoße ich auf einen faszinierenden Gedanken:

Gott hat jeden Menschen als liebevollen und friedfertigen Menschen geschaffen, also auch mich. Im Lauf meines Lebens sammle ich aber ziemlich viele Dinge an, die alles andere als friedfertig und liebevoll sind. Ich kann mich zu einem Menschen entwickeln, der manchmal neidisch, arrogant, gierig, oder sogar gewaltbereit ist. Das alles sind Dinge, die mich von Gott wegführen und unglücklich machen. Und genau diese unschönen Dinge in mir – dass ist mein armseliger innerer Stall.

Der Stall in mir kann sogar ein ganz schöner Saustall sein. Als Bild für das, was mich ungenießbar macht und was die Menschen um mich herum nicht an mir mögen. Weihnachten sagt mir nun: Gott will auch in meinem ganz persönlichen Stall zur Welt kommen. Für mich ist das ein wunderbarer Gedanke.

Wenn ich ihn hineinlasse kann ich lernen, mit meinem ungeliebten Stall Frieden zu schließen.   Dadurch, dass ich weniger gierig bin. Dass ich nicht auf andere Menschen herabschaue. Dass ich teile, statt alles für mich haben zu wollen. Dass ich mich entschuldige, wenn ich etwas Verletzendes gesagt habe. Und: Dass ich mir selbst vergebe für den armseligen Stall in mir.

Meinen Mitmenschen wird das guttun, und mir auch. Und so ergibt die Kombination aus Stall und dem Fest des Friedens für mich plötzlich einen Sinn. Der Friede beginnt in mir selbst, wenn ich Gott in meinen inneren Stall hineinlasse.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

25DEZ2023
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An Weihnachten feiern Christen, dass Gott in Jesus von Nazareth Mensch geworden ist. Aber was heißt das eigentlich? Oder anders gefragt: was bedeutet das jetzt für mich? Auch ich stelle mir mindestens einmal im Jahr diese Frage.

Mir hilft die Vorstellung, dass Jesus ja am Anfang ziemlich klein war, also ein Baby. Gott ist also zuerst ein Baby gewesen. Und Babys sind hilfsbedürftig und können ohne viel Zuwendung und Liebe kein eigenes Leben führen.

Das Bild vom hilfsbedürftigen Baby macht mir deutlich, wie sich Gott mir anbietet. Er kommt nicht in einer Donnerwolke und spricht mich mit ohrenbetäubender Stimme an. Es kommt auch nicht zu einem gigantischen Wunder, was mich vor lauter Staunen an Gott glauben lässt. Nein, der liebe Gott kommt als Baby in die Welt. Er will, dass ich ihn so zärtlich und liebevoll entdecke, wie ich ein Baby annehme, damit es erwachsen werden kann.  - Du brauchst keine Angst zu haben vor mir, du kannst mich einfach annehmen und lieben, wie Menschen ihre Kinder annehmen und lieben. - Das heißt aber auch, dass Gott mich nie gewaltsam überzeugen will.

Ich finde, dass Gott zum Baby geworden ist, ist ein ziemlich kluger Schachzug von ihm. Er bietet sich mir als Baby, als süßer kleiner Knopf an, dem ich kaum widerstehen kann. Das Gottesbaby braucht meine Wärme, Zuwendung und Zärtlichkeit. Ich muss es annehmen, pflegen und behüten. Ohne mich würde das Baby verkümmern. Wenn ich den lieben Gott so annehme wie ein Baby, dann kann er wachsen – in mir und in anderen. Das heißt für mich Weihnachten.

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SWR1 Anstöße sonn- und feiertags

24DEZ2023
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Als Kind durfte ich mir vor Weihnachten immer einen Wunschzettel schreiben. Ich habe ihn danach zusammengefaltet auf das Balkonbrett unter einen Blumentopf gelegt. Die Aufregung, die ich dabei spürte, kann ich sogar jetzt noch fühlen. Vor allem, wenn ich morgens dann zum Balkon geeilt bin, um nachzusehen, ob das Christkind den Wunschzettel abgeholt hat. Wenn ja, war mein ganzer Tag wie verzaubert. Etwas Wunderhaftes hatte sich für mich ereignet, das Christkind war gekommen. Zu mir! Dass es am Ende nie alle Wünsche erfüllt hat, war für mich kein Problem. Denn wie sollte das möglich sein - bei so vielen Kindern, dachte ich mir.

Später wurde mir klar, dass meine Eltern hinter der Sache steckten. Irgendwie hat das den Zauber aber nicht zerstören können. Er funktioniert sogar jetzt noch, obwohl ich längst erwachsen bin.

Heute als Familienvater frage ich mich trotzdem, ob ich die Geschichte vom Christkind, das den Wunschzettel abholt, noch erzählen kann. Immerhin ist es eine kleine Flunkergeschichte. Natürlich meine ich nicht, dass das Christkind eine Lüge ist, ganz im Gegenteil. Aber die Sache, dass es den Wunschzettel persönlich abholt, das schon! Und ich möchte eigentlich keine Flunkergeschichten erzählen.

Aber dann denke ich mir: was wäre unsere Welt eigentlich ohne solche wunderbaren Flunkergeschichten? Denn solche Geschichten machen es mir warm ums Herz.

Und meine Gefühle haben großen Einfluss darauf, wie ich die Welt sehe und wahrnehme. Wenn ich fröhlich bin, ist die ganze Welt irgendwie auch ein bisschen fröhlicher. Wenn ich traurig bin, ist auch die Welt trauriger. Die kleine wunderbare Flunkergeschichte vom Christkind sagt mir: die Welt ist nicht nur nüchtern und kalt, sie ist auch warm, wunderbar und zauberhaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Zauber dieser Geschichte meine Welt hat wärmer werden lassen. Deshalb werde ich auch als Familienvater diese wunderbare Flunkergeschichte erzählen.

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