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SWR Kultur Wort zum Tag
Der erste Advent steht vor der Tür. Der neblige und dunkle November geht zu Ende und die Adventslichter machen in Dörfern und Städten die dunklen Nächte heller. Zurzeit geschieht das für mich in einer besonderen Weise. Denn in der Hochschulgemeinde in Mainz sammeln Studierende im Wintersemester bei allen Veranstaltungen und Andachten Lichtgeschichten und Menschen, die für andere ein Licht in die Dunkelheit bringen. Ganz so wie es Jesus getan hat. In einer Veranstaltung haben wir zum Beispiel Freiwillige eingeladen, die Geflüchtete ehrenamtlich begleiten und unterstützen und sich ihre Fluchtgeschichten anhören.
Einer von ihnen ist Tim. Er setzt sich für queere Geflüchtete ein, also Lesben, Schwule, Bi- und Trans-Personen auf der Flucht. Er sorgt mit anderen zusammen dafür, dass sie Rechtsbeistand bekommen und einen Asylantrag stellen können und ihr Bedürfnis nach Schutz ernst genommen wird. Denn in den Unterkünften für Geflüchtete werden queere Personen häufig abgelehnt und ausgegrenzt. Sie sind auch dort verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt, wenn herauskommt, dass sie queer sind. Sie brauchen einen besonderen Schutz, der ihnen von den Behörden oft nicht gewährt wird. Freiwillige wie Tim bemühen sich darum, private Unterkünfte für sie zu finden, sie mit queeren Gruppen zu vernetzen und ihnen auch sonst zur Seite zu stehen. Ganz wichtig: Tim hört den Geflüchteten zu. Er respektiert sie als Personen mit unverbrüchlicher Würde und mit ihrer ganz eigenen Lebensgeschichte. Sie alle haben Beleidigung, Ausgrenzung und Gewalt in ihren Heimatländern erlebt, nur weil sie schwul oder lesbisch lieben oder trans* sind. Sie werden in ihren Heimatländern als Kriminelle verfolgt und aus dem sozialen Leben ausgeschlossen. Von Tim und anderen werden sie endlich respektiert, so wie sie sind.
Auch in den ökumenischen Regenbogengottesdiensten in Mainz feiern wir immer wieder gemeinsam mit queeren Geflüchteten. Sie erzählen von ihren traumatischen Erfahrungen. Wir zünden Kerzen an, hoffen und beten, dass weltweit Respekt und Wertschätzung stärker sind als Hass und Gewalt.
Es ist eine fragile Angelegenheit. So wie jedes Kerzenlicht fragil ist und wieder ausgehen kann, wenn es nicht geschützt wird. In der Adventszeit setzen wir darauf, dass das Licht von Woche zu Woche stärker wird. Wir warten nach biblischer Tradition auf die Geburt von Jesus von Nazareth. Jesus hat ein besonderes Licht in die Welt gebracht und den Menschen damit Hoffnung geschenkt. Hoffnung darauf, dass Menschen friedlich zusammenleben und respektvoll miteinander umgehen.
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Die meisten Studierenden kommen wegen Prüfungsstress, Erschöpfung oder Gefühlen von Überforderung zu mir in die Seelsorge. Und manchmal zeigt sich erst im Laufe der Gespräche, dass da noch ganz andere Themen schlummern und an Gewicht gewinnen:
Mir ist aufgefallen, dass ich es im letzten Jahr häufig mit Trauernden zu tun hatte. Die wenigsten sprechen das gleich am Anfang an. Auf meine Frage hin erklären sie, dass sie nicht wüssten, wie sie über ihre Trauer reden sollen. Das haben sie weder in der Schule gelernt, noch sonst irgendwo im Leben. Und eigentlich sind sie ja noch viel zu jung, um schon mit Tod konfrontiert zu sein.
Besonders berührt hat mich ein Student, der um seine Oma trauert. Die beiden haben gerne zusammen gespielt: Kartenspiele und Mensch ärgere dich nicht und haben dabei viel gelacht. Auch als die Oma schon im Krankenhaus war und später im Hospiz.
Wenn der Student anfängt von seiner Oma zu erzählen, leuchten seine Augen und er erinnert sich bewusst an seine Oma: wie sie miteinander gespielt haben und dabei Süßigkeiten gegessen haben. Sie hat ihn dann verschmitzt angelächelt und gesagt: „Eigentlich darf ich nichts Süßes essen. Aber das ist mir egal. Es schmeckt so gut, wenn ich es mit dir teilen kann!“
Diese Sätze zeigen mir, wie sehr der Student seine Oma geliebt hat und sie nun vermisst. Und beim Erzählen hat er für sich gemerkt: Trauern und erinnern gehören zusammen. Wenn er von seiner geliebten Oma erzählt, löst sich der Kloß im Hals und lockert sich der Klumpen im Bauch. Ich habe in meinem Büro auch immer eine Box mit Tempos stehen. Und wenn die Tränen fließen, fließen sie eben. Das tut gut. Endlich kann der Student in einem geschützten Raum seine Trauer zeigen, ohne sich dafür schämen oder erklären zu müssen.
Zum zweiten Termin hat der Student ein Foto von seiner Oma mitgebracht und das Kartendeck, mit dem sie immer Karten gespielt haben. Wir haben eine Kerze angezündet, das Kartendeck dazu gelegt und sind eine Weile still geworden. Danach habe ich mit seinem Einverständnis ein Gebet gesprochen, für seine Oma und für die ganze Familie, für die Nachbarn, Freundinnen und Freunde, die um die Verstorbene trauern und die mit dem Verlust weiterleben müssen. Ich schließe das Gebet mit den Worten: „Vertrauensvoll legen wir alle Trauer und alle Schmerzen in Gottes Hand, der in der Bibel sagt: „Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“ (Jesaja 66,13)
Die christliche Tradition lehrt uns, mit dem Tod bewusst zu leben. Nicht, um immer traurig zu sein, sondern um das Leben jeden Tag dankbar zu achten und die Toten dabei im Herzen zu bewahren.
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Sieben Tage lang kein einziges Wort sprechen. Und trotzdem die ganze Woche lang mit anderen zusammen sein. Ob das funktioniert? Ob ich das kann? Ich mache gerade eine Ausbildung zur geistlichen Begleiterin, und die Schweigewoche ist ein Teil der Ausbildung. Gespannt und neugierig bin ich zum wunderschönen Kloster Kirchberg in der Nähe von Sulz am Neckar gefahren.
Und dann der erste Tag: In der Stille sind ganz verschiedene innere Stimmen über mich hergefallen: „Eigentlich muss ich doch noch einen Vortrag schreiben. Eine Kollegin müsste ich noch anrufen und die Andacht für die nächste Woche ist auch noch nicht fertig!“ Diese inneren Mahner und Antreiber haben mich am Anfang der Woche ganz schwindelig gemacht. Erst am dritten Tag konnte ich die Stimmen gelassener wahrnehmen und dann auch wieder ziehen lassen.
Jeden Tag habe ich mich neu darin eingeübt, meine Sinne zu öffnen und in die Stille hineinzuhören. Plötzlich habe ich die Vögel deutlicher gehört, das Rauschen der Bäume im Wind, eine ferne Glocke, Hundegebell, eine fauchende Katze auf der Jagd. Aber auch meine anderen Sinne sind wachsamer geworden. Ich habe langsamer gegessen, mehr gekaut und kräftiger die Zutaten und Gewürze geschmeckt. Blickkontakte, ein Lächeln und andere kleine Gesten zwischen den Teilnehmenden habe ich deutlicher wahrgenommen und war dankbar dafür. Es hat mir so gut getan, einmal Pause zu machen von den Geräuschen und der Vielstimmigkeit des Alltags.
Die Sache mit der Stille ist aber nicht nur einfach. Das habe ich in der Woche auch gelernt. Stille auszuhalten, kann auch anstrengend sein. Wenn ich nicht durch äußere Geräusche abgelenkt bin, bin ich mir selbst und meinen inneren Stimmen ausgeliefert. Es gibt einfach keine Ablenkung. Viele meiner Fragen sind aufgeploppt: „Bin ich gut genug? Hab ich genug Kraft für alle Aufgaben? Werde ich allen meinen Lieben gerecht?“
Mir hilft es zu wissen, dass ich nicht allein bin mit meinen inneren Stimmen und Gefühlen. Ich höre das Echo von alten biblischen Worten: „Fürchte dich nicht. Denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ (Jesaja 43,1). So hat es Gott dem Propheten Jesaja gesagt. Diese Worte sprechen im Kloster aus einer Tiefe zu mir, die in meinem Alltag sonst verschüttet ist.
Das Schweigen ist für mich eine Tankstelle für meine Seele geworden. Klar, nach der Woche habe ich mich auch wieder aufs Lachen und Erzählen gefreut. Mit neuer Kraft und Wachsamkeit für die Stille bin ich wieder in meinen Alltag zurückgekehrt.
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Sommerzeit ist Urlaubszeit: Einige gehen wandern, andere klettern, fahren Fahrrad, schwimmen in Seen oder im Meer oder schauen einfach nur in die Luft. Reisen macht Freude, aber es kann auch etwas passieren. In jedes Sommerloch platzt früher oder später die Nachricht, dass jemand im Urlaub verunglückt ist oder einen Herzinfarkt erlitten hat. Deshalb geht in meinem Umfeld niemand ohne einen Segen in den Urlaub. Wenn die Menschen einverstanden sind, zeichne ich ein kleines Kreuz auf ihre Stirn oder in die Innenseite ihrer Hand und wünsche ihnen Gesundheit und Schutz auf ihren Wegen. Die meisten Menschen strahlen mich danach an und bedanken sich für die Energie, die sie im ganzen Körper spüren. Wenn ich so angestrahlt werde, fühle auch ich mich gesegnet. Dann verstehe ich den alten biblischen Spruch besser, dass wenn Gott jemanden segnet, diese Person gleichzeitig auch für andere zum Segen wird. Es ist ein wechselseitiges Geschenk.
Segnen heißt auf Latein „benedicere“, das heißt: jemandem etwas Gutes sagen oder etwas Gutes wünschen, ganzheitlich mit Körper, Geist und Seele. Es geht also um gute Wünsche auf dem Weg. Die kann man immer gebrauchen, nicht nur im Urlaub.
Im Englischen heißt Segen „blessing“. Darin steckt noch das altenglische Wort „bletsian“. Übersetzt heißt es „sich verletzen“. Daher kommt auch das deutsche Wort „Blessuren“.
Verletzungen, Leiderfahrungen und gute Wünsche gehören im Leben also schon seit ganz alten Zeiten nicht nur sprachlich zusammen. Alle guten Wünsche von lieben Menschen helfen dabei, Verluste, Leiderfahrungen und Krisen aushalten zu können. Da wir uns Segen nicht selbst zusagen können, sind Segenswünsche von anderen so bedeutsam.
Im christlichen Glauben kommt Segen von Gott allein. Wir Menschen können füreinander um diesen Segen bitten, aber wir können ihn nicht garantieren. Denn wir besitzen Gottes Segen nicht. Aber die liebevolle Energie, mit der wir Segenswünsche aussprechen und um Gottes Schutz bitten, kommt fast immer bei den Menschen an und zeigt Wirkung. Es berührt Menschen, wenn andere an sie denken und ihnen Gutes wünschen.
Das gibt Kraft und Lebensenergie, stimmt viele Menschen zuversichtlich und verändert ihre Grundhaltung zum Leben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Schutz und Segen bei allem, was Sie in diesem Sommer tun und lassen!
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Der Apostel Paulus hat von sich einige Male mit Worten eines Sportlers gesprochen, der einem himmlischen Siegespreis entgegensprintet. Den hat er als Lohn angesehen für seine Arbeit als Wanderprediger und christlicher Gemeindegründer (vgl. Philipper 3, 13-14). Paulus ist dabei konsequent und fokussiert durch sein Leben gesprintet. So hat er es selbst beschrieben.
Das Problem nur: Paulus ist in seinem Leben kein Sprinter gewesen, sondern eher ein Langstreckenläufer. Im übertragenen Sinn ist er Marathons gelaufen. Seine Missionsreisen kreuz und quer durch Kleinasien und Südeuropa haben ihn über viele Jahre an ganz verschiedene Orte rund um das Mittelmeer und jenseits davon geführt. Paulus erzählt von Jesus, schlichtet Konflikte in den Gemeinden und lädt Menschen ein, miteinander zu essen, zu beten, zu feiern und sich gegenseitig so zu akzeptieren, wie sie sind.
Paulus hat viele vom Christentum überzeugt, ist aber auch als angeblich „falscher Prophet“ gedemütigt und verfolgt worden. Mehrfach ist er im Gefängnis gelandet. Aber er ist seiner Mission treu geblieben. Dabei hat er wohl manchmal vergessen, dass ein Langstreckenlauf eine ganz andere Kondition und ein anderes Haushalten mit Energien braucht als ein Sprint.
Ich weiß, wovon ich rede: In meinem Leben bin ich schon mehrere Marathons gelaufen. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Ich muss mir meine Kräfte einteilen, ich darf nicht los spurten, dann halte ich es nicht lange durch. Es ist beim Laufen außerdem wichtig, immer wieder nach links und rechts zu schauen und rücksichtsvoll zu sein, mit sich und anderen. Denn es sind viele unterwegs. Ich brauche einen ruhigen regelmäßigen Rhythmus bei meinen Schritten. Und dafür habe ich Kondition aufgebaut. Ich brauche Verpflegung auf dem Weg und liebe Menschen, die da sind, um mich zu unterstützen und anzufeuern.
Sprinten ist also nicht das Mittel der Wahl, wenn jemand wie Paulus als hauptberuflicher Wanderprediger, Gemeindegründer und Konfliktmoderator unterwegs ist. Sprinten ist auch nicht immer das Mittel der Wahl fürs Leben.
Die achtsame Haltung bei Langstreckenläufen ist zum Durchhalten eher geeignet: Der Weg ist das Ziel, besonnen und dankbar und mit Pausen durchs Leben gehen. Mit den Menschen, die mir begegnen und die mir wichtig sind, reden, zuhören, mit ihnen essen, trinken, lachen, weinen, lieben und feiern. Das zählt. Nicht die Siegestrophäe irgendwann am Ende des Lebens ist entscheidend, sondern jeder Moment, jede liebevolle Begegnung im Lauf des Lebens. Und sie gibt gleichzeitig neue Kraft und neuen Lebensmut auf dem Weg.
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Sommerzeit ist für mich auch eine Zeit zum Spielen. Gesellschaftsspiele wie „Weltreise“ oder „Risiko“, Minigolf oder Beachball am Strand. Ich spiele am liebsten Doppelkopf. Es ist ein Kartenspiel für vier Personen, meistens spielen zwei zusammen, wer mit wem – das ergibt sich immer erst während des Spiels. Spiele können stundenlang Spaß machen und alle schweren Gedanken und Sorgen für eine Weile wegschieben. Wie eine unbeschwerte Auszeit. Konzentriert und fokussiert ist man ganz bei der Sache und vergisst alles Drumherum. Wenn gute Gesellschaft und leckeres Essen dazu kommen, kann es beflügeln und erstaunliche Energie freisetzen.
Wenn da nicht die Sache mit dem Gewinnen und Verlieren wäre. Wie gehen Sie damit um? Bekommen Sie schlechte Laune, wenn Sie verlieren und haben dann schnell keine Lust mehr weiterzuspielen? Oder sind Sie eher der gelassene Typ, den das alles nicht anfechten kann? Wer da ruhig bleibt und Gottvertrauen hat, ist klar im Vorteil. Nicht zufällig bekreuzigen sich viele Fußballer vor einem wichtigen Spiel in der Bundesliga oder wie in den letzten Wochen bei der Europameisterschaft in Deutschland. Sie sind überzeugt: Wenn Gott an ihrer Seite ist, dann läuft es besser. Auch wenn göttliche Hilfe bekanntlich nicht erzwungen werden kann und Gott nicht wie ein Erfüllungsautomat funktioniert. Trotzdem, die Bitte um göttliche Unterstützung verändert etwas in der eigenen Haltung. Sie macht ruhiger, zuversichtlicher und stärkt damit die eigene Performance auf dem Fußballfeld, bei der bevorstehenden Olympiade in Paris oder eben am Tisch beim Kartenspielen.
Beim Spielen ist es wie im richtigen Leben. Gewinnen und Erfolge berauschen und stärken das Selbstbewusstsein. Verlieren tut weh und kann das Ego ganz schön quälen. Und dennoch gehen Menschen ganz unterschiedlich mit Misserfolgen, Verlusten und Enttäuschung um, wenn das Spiel des Lebens es nicht gut mit ihnen meint. Die einen haben Familienangehörige oder einen Freundeskreis, mit dem sie über alles reden können, andere beten und klagen zu Gott, wieder andere verbittern und igeln sich ein. Viele können anderen sehr wohl ihre Erfolge gönnen.
Manche ärgern sich maßlos, wenn eine Person aus dem eigenen Team einen Fehler macht, der für das ganze Team den Sieg kosten kann. Zwischen Missgunst und gelassener Fehlerfreundlichkeit liegen oft Welten.
So wünsche ich Ihnen und uns allen für diesen Sommer ein paar unbeschwerte Tage zum Spielen, Ausprobieren, Neues wagen, ohne Erfolgsdruck und Stress. Genießen Sie die Zeit!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40325SWR Kultur Wort zum Tag
Glauben heißt vertrauen - ohne Beweise, dass es wirklich etwas Vertrauenswürdiges gibt. Das ist das Dilemma des Christentums und eigentlich jeder Religion. In einer Welt, die sich in ganz vielen Zusammenhängen rational begründet, fordern Menschen Beweise ein. Der Theologe und Philosoph Sören Kierkegaard hat den Glauben mit einem Sprung verglichen. Man muss sich trauen zu springen, auch ohne Garantie und Sicherheit, dass am Ende des Sprungs fester Boden ist. Aber wer traut sich schon zu springen, wenn es so ein Risiko ist?
Mir hilft dabei die biblische Geschichte von Thomas. Der steckt nämlich auch in einem Dilemma. Seine Freunde behaupten Dinge, für die es keinerlei rationale Grundlage gibt:
Einige Tage nach Jesu Tod am Kreuz haben sie Jesus angeblich wieder gesehen.
Abends saßen sie zusammen, als Jesus zu den trauernden Gefährten gekommen ist.
„Friede sei mit euch!“, ist das Einzige, was Jesus sagt. Er erklärt nichts, sagt sonst nichts, ist einfach da und dann auch schon wieder weg. Die Jünger und Freundinnen von Jesus sind erschrocken und verwirrt. Aber sie sehen seine Wundmale und glauben ihm. Thomas ist an dem Abend aber nicht dabei und sagt klipp und klar, dass er das alles erst glaubt, wenn er selbst in die Wundmale von Jesus gefasst hat.
Eine Woche später kommt Jesus noch einmal zu den Gefährten zurück. Wieder sagt er: „Friede sei mit euch!“ Und er zeigt Thomas seine Wundmale und lässt ihn in seine Seite fassen und seine Wunden spüren. Da glaubt Thomas.
Jesus sagt ihnen, dass sie von nun an ohne Beweise auskommen müssen. Und er erklärt dem Thomas: „Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben!“ (Johannes 20,29).
Von da an haben die Gefährten rund um Jesus erzählt, was passiert ist. Sie sind Zeugen und Botschafterinnen der Auferstehung geworden. Wenn Menschen in der Osterzeit und danach an den Tod von Jesus erinnern und die Auferstehung feiern, dann vertrauen sie bis heute auf die alten Zeugenberichte und trauen sich zu springen, - ganz ohne Beweise und Sicherheit. Sie tun es einfach. Wer vertraut, kann Überraschendes erleben. Und wer springt, kommt irgendwo an. Manchmal ganz woanders, als gedacht.
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Seit Anfang des Jahres steht in meinem Büro in der Mainzer Hochschulgemeinde ein nagelneues knallrotes Sofa. Ein echter Hingucker. Schnell ist es zum neuen Lieblingsort für viele Menschen geworden. Planungstreffen für kleine Gruppen, Seelsorge und Beratungen… alles findet plötzlich auf dem roten Sofa statt. Und das beste: Die Polsterung ist so gut, dass niemand in dem Sofa versinkt. Kaffee, Tee, Obst und Kekse können in aufrechter Haltung genossen werden. Ich könnte es mir gar nicht besser wünschen.
Dabei war das gute Stück gar keine geplante Anschaffung gewesen. Wir haben es geschenkt bekommen. Von der Oma einer Studentin. Die hatte sich beim Einrichten ihres Wohnzimmers mit den Maßen vertan und erst bei der Anlieferung festgestellt, dass ein neuer Schrank und ein neues Sofa zusammen leider nicht ins Wohnzimmer passen.
Was also tun? Zurückgeben? Umtauschen?
Die Enkelin – eine unserer aktiven Studentinnen - hatte eine bessere Idee. „Wie wäre es, wenn du das Sofa der Hochschulgemeinde schenkst?“, hat sie die Oma gefragt. Nach Rücksprache mit mir und einer diesmal sorgfältigen Ausmessaktion haben schließlich alle Seiten eingewilligt.
Zwei Studierende haben das Sofa angeliefert und gemeinsam in mein Büro geschleppt.
Und es hat sich gelohnt. Auch die Oma ist zufrieden. Als sie gehört hat, dass das rote Sofa bei den Studierenden beliebt ist für Besprechungen aller Art, hat sie wohlwollend genickt und der Enkelin erklärt: „So sollte es wohl sein. Erst bin ich genervt gewesen, weil ich falsch gemessen habe. Aber manchmal muss man wohl einen Fehler machen, damit sich die eigentliche Bestimmung einer Sache zeigt.“
Recht hat sie! Und das ist nicht nur bei einem roten Sofa so. Manchmal braucht es Umwege, falsche Lieferungen, scheinbare Missverständnisse oder Unverhofftes, damit eine Sache gut wird. Das rote Sofa wird mich jedenfalls auch in Zukunft daran erinnern, dass gerade das, was gar nicht im Blick war und nicht geplant gewesen ist, sich am Ende genau als das erweist, was es gebraucht hat.
SWR Kultur Wort zum Tag
Mit Maiglöckchen läutet das junge Jahr seinen Duft / Der Flieder erwacht aus Liebe zur Sonne / Bäume erfinden wieder ihr Laub und führen Gespräche / Wolken umarmen die Erde mit silbernem Wasser / (…) /
Der Wonnemonat Mai ist in vielen Gedichten und Liedern besungen worden. So wie von Rose Ausländer, die ich gerade zitiert habe. Der Mai gilt als der Frühlingsmonat. Die Vögel zwitschern, die Tage sind heller, die Natur ist erwacht und zeigt sich nach der Blütezeit in frischem Grün an Büschen und Bäumen. Die Maiglöckchen grüßen von den Wiesen und die Sonnenstrahlen werden stärker und vertreiben endgültig die Macht des Winters.
Auch wenn warme Tage aufgrund des Klimawandels immer früher im Jahr kommen, bleibt der Monat Mai doch derjenige, der sprichwörtlich für Frühlingsenergie und Zuversicht steht. Der Monat Mai ist damit auch der beste Zeuge von Gottes guter Schöpfung, die im Psalm 104 besungen wird. Da heißt es:
16 Die Bäume Gottes stehen voll Saft, die Zedern des Libanon, die Gott gepflanzt hat. 17 Dort nisten die Vögel, und die Störche wohnen in den Wipfeln.
Aber nicht nur die Natur genießt das Licht und die Frühlingsenergie, auch die Menschen tun das. Diese Energie macht es für viele einfacher, wieder Kontakt mit anderen aufzunehmen. Wer sich im Winter eingeigelt hat, bekommt nun doch langsam wieder Lust die Nase ins Freie zu stecken, andere Menschen zu treffen und wieder aktiv am Leben teilzunehmen. So sagt es auch Rose Ausländer in ihrem Gedicht über den Mai. Sie schreibt weiter:
„Es ist Zeit sich zu freuen an atmenden Farben / zu trauen dem blühenden Wunder / Ja es ist Zeit sich zu öffnen / allen ein Freund zu sein und das Leben zu rühmen.“ (Mai II)
Für viele Menschen kommt im Mai die Hoffnung und Zuversicht zurück. Und die Natur bleibt trotz aller Krisen diejenige, die uns das Überleben vormacht. Das Leben geht weiter. Das versprechen auch die biblischen Worte von Gottes Schöpfung, wenn trotz aller Konflikte und Katastrophen immer wieder Neues entsteht und Neuanfänge gelingen können.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=39809SWR2 Wort zum Tag
Von Theresa von Avila ist folgender Ausspruch überliefert „Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten!“
Zu Theresas Zeiten, im 16. Jahrhundert, hat es viele gläubige Menschen gegeben, die ein schlechtes Gewissen hatten, wenn sie gefeiert haben und dabei womöglich über die Stränge geschlagen sind. Die Angst vor göttlichen Strafen, vor Fegefeuer, Hölle und Verdammnis ist allgegenwärtig gewesen.
„Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn, wenn Fasten, dann Fasten.“ Theresa von Avila hat mit ihrem Ausspruch dazu eingeladen das, was gerade dran ist, mit voller Kraft zu tun. Sie hat die Menschen dazu ermutigt, keine Angst zu haben, sondern in Festzeiten aus vollem Herzen zu genießen. Denn ihre Lebenserfahrung hat gezeigt, dass Lebensfreude und Genuss oftmals ganz abrupt zu Ende gehen.
Wegen ihrer tiefen Frömmigkeit in Verbindung mit ihrer praktischen Tatkraft ist Theresa von Avila mehr als einmal als „Kraftwerk ihres Jahrhunderts“ bezeichnet worden. In der Katholischen Kirche ist sie sogar heiliggesprochen worden. Ich finde, dass sie mit recht geehrt wird. Denn sie hat der Nachwelt ihre Lebensweisheit hinterlassen, die auch heute noch aktuell ist.
Ich kenne das Phänomen auch aus meiner Beratungsarbeit:
Es zermürbt Menschen, wenn sie angesichts der vielen gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisenherde das Gefühl haben, nicht mehr fröhlich oder ausgelassen sein zu dürfen. Manche entwickeln ein schlechtes Gewissen und tun das, was sie tun, nur noch halbherzig. Dabei zeigen zahlreiche Untersuchungen: Wer nicht genießen kann, hat oft auch weniger Energie und Freude dabei, die eigene Arbeit zu tun oder sich zivilgesellschaftlich zu engagieren. Das erlebe ich jedenfalls bei einigen Studierenden so, mit denen ich in der Hochschulgemeinde zu tun habe.
Wenn sie abends nach einer Veranstaltung in der ESG-Bar versacken oder wenn sie auf Partys über die Stränge schlagen und die Nacht zum Tag machen, dann sorgt das zwar kurzfristig für Katerstimmung, aber mittelfristig stärkt es die Abwehrkräfte. Trotzdem haben einige von ihnen danach ein schlechtes Gewissen oder sie machen sich selbst Druck, weil sie in der Zeit nicht gelernt haben.
Theresa von Avila würde den Studierenden vermutlich aufmerksam zuhören und dann eine Ansage machen: „Wenn Rebhuhn dann Rebhuhn, wenn Fasten dann Fasten!“ Heißt: Genießt eure Gemeinschaft und eure Feiern! Ein schlechtes Gewissen hilft weder euch noch anderen. Aber zu den Seminarzeiten schaltet ihr bitte wieder um. Macht das, was gerade dran ist, von ganzem Herzen
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