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SWR Kultur Wort zum Tag
Jeden Dienstagmorgen im Semester frühstücke ich mit Studierenden nach einer Morgenandacht. An einem dieser Tage haben wir bei Kaffee und selbst gebackenen Pancakes über die Ostergeschichte gesprochen. Eine Studentin erzählt uns, dass sie von Maria von Magdala fasziniert ist, seitdem sie zum ersten Mal von ihr gehört hat. Denn Maria von Magdala ist am Ostersonntag als erste am Grab von Jesus gewesen und hat als erste entdeckt, dass das Grab von Jesus leer ist.
Zunächst ist Maria total erschrocken und geschockt. Sie hat die Welt nicht mehr verstanden und nicht mehr gewusst, was sie nun tun soll. Und als ob das nicht alles schon genug wäre, wird sie auch noch von einem Fremden angesprochen, den sie in ihrer Verwirrung für den Gärtner hält. Er aber scheint sie zu kennen. Er spricht sie mit ihrem Namen an: Maria! Und da fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Das muss doch Jesus sein! Dieser Moment verändert alles. Das ist der Wendepunkt der Geschichte.
Eine andere Studentin ergänzt spontan: Ich kenne das: Wenn meine Oma mich mit meinem Namen ruft, dann weiß ich, dass nur ich auf der Welt gemeint bin. Sie hat so einen liebevollen warmen Ton, wenn sie meinen Namen ausspricht, den würde ich überall auf der ganzen Welt auch mit verbundenen Augen heraushören. Und unter tausend Lisas wüsste ich, dass ich gemeint bin. Ich stelle mir vor, dass es bei Maria auch so war, als Jesus sie angesprochen hat .
Ja, es kann viel bedeuten, wenn jemand, den ich mag, meinen Namen nennt. Vielleicht mit einer liebevollen Betonung, vielleicht mit einem nur uns beiden bekannten Kosenamen, mit einem Spitznamen, der alte Zeiten heraufbeschwört, jedenfalls genau der Name, der für mich stimmt.
In der Erzählung vom Ostermorgen hat Jesus Maria von Magdala mit ihrem Namen angesprochen und ihr gezeigt: Ich sehe dich auf Augenhöhe an und nehme dich ernst. So wie Jesus schon zu seinen Lebzeiten Menschen angesehen hat und ihnen damit eine besondere Würde geschenkt hat.
Ich ärgere mich oft darüber, dass in der Bibel so viele Frauen ohne Namen vorkommen. Sie werden als Ehefrau, Magd, Mutter, Schwester oder Witwe bezeichnet. Deshalb freue ich mich an dieser Geschichte ganz besonders: Jesus nennt Maria von Magdala bei ihrem Namen.
Damit wird sie sogar zur ersten Zeugin der Auferstehung und zur Botschafterin eines einzigartigen Neuanfangs. Mir geht es wie den Studierenden beim Morgenfrühstück. Die Geschichte macht mir Hoffnung. Denn Jesus ist aus dem Grab auferstanden und seine Worte und Taten leben weiter. Bis heute.
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„Sogar Gott wären deutsche Kirchentage peinlich“, meint der Kolumnist Harald Martenstein in der „Welt“. Klar wird dabei in erster Linie, was dem arrivierten und privilegierten Journalisten Martenstein peinlich ist: Veranstaltungen wie „Transsein und Christsein“ oder „Die Bibel queer gelesen“ findet er nicht mutig, sondern Ausdruck zeitgeistiger Anbiederung. Emma dagegen findet es ermutigend und stärkend, was sie auf dem Kirchentag erlebt hat. Emma ist transgender, das heißt, sie ist in einem männlichen Körper geboren, der nie zu ihrem emotionalen und körperlichen Erleben gepasst hat. Viele Jahre lang hat sie therapeutische Begleitung erfahren und sich schließlich für geschlechtsangleichende Maßnahmen entschieden. Das hat in ihrem Fall eine Hormontherapie und mehrere Operationen bedeutet. Nun ist sie die, die sie schon immer gewesen ist und wie sie sich auch von Gott von Anfang an erkannt wusste. So sagt sie es.
Viele Jahre lang hat sie im familiären und sozialen Umfeld Anfeindung und Unverständnis erlebt. Aber es sind auch Menschen an ihrer Seite geblieben und haben sie unterstützt und ihr den Rücken gestärkt. „Das sind die Engel auf meinem Weg, ohne die ich es nicht geschafft hätte“, erklärt sie mir. Und Gott ist in ihrem Erleben stets an ihrer Seite geblieben. Auch in Krisen und im tiefsten Schmerz über ihr Leben.
Emma ist als kleines Kind auf einen männlichen Namen getauft worden. Diese Taufe gilt natürlich weiterhin. Dennoch ist es ihr wichtig, dass sie mit ihrem selbst gewählten Namen angesprochen wird und dass sie mit diesem Namen auch gesegnet wird. Und genau das ist an einem Abend auf dem Kirchentag passiert.
Eine volle Kirche, tolle Musik und eine einfühlsame Ansprache werden für sie und viele andere zum sicheren Ort, an dem ihr Herz aufgeht und die Seele atmen kann. 50 Personen haben für diesen besonderen Anlass eine Kerze mit ihrem Namen gestaltet. In einem Segenskreis sind sie einzeln vorgetreten und haben ihren selbst gewählten Namen gesagt und ihre Kerze an der Osterkerze angezündet. Anschließend sind sie von zwei Pfarrpersonen einzeln gesegnet worden.
Segen, das heißt auf Deutsch so viel wie Gutes wünschen und um Schutz bitten, der nicht von Menschen kommt, sondern von Gott.
„Als ich meinen Namen gesagt habe und die Pfarrerin mir die Hand aufgelegt und mich gesegnet hat, habe ich angefangen zu weinen“, erzählt Emma weiter. „Da ist so viel Leid und Schmerz von mir abgefallen.“ Tatsächlich haben an jenem Abend viele in der Kirche geweint. Es ist ein Abend, an dem ein liebevolles Miteinander spürbar wird. Alle können so sein, wie sie sind. Denn sie sind alle Gottes Kinder. Das kann ihnen niemand nehmen.
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Von meinen Erlebnissen auf dem 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag könnte ich Ihnen stundenlang erzählen. Aber keine Sorge, ich will mich heute und morgen auf zwei meiner Highlights beschränken. Auf jeden Fall hat es gutgetan, ein paar Tage lang zu erleben, wie viele Menschen es sind, die sich trotz aller Herausforderungen nicht vom Glauben abbringen lassen.
Auch an diesem Abend ist die Halle rappelvoll, obwohl der Tag schon lang war. Alle Vortragenden haben den roten Kirchentagsschal mit der Aufschrift „mutig – stark – beherzt“ um den Hals. Überwiegend junge Leute sind in der Halle und sie sind gespannt. Der Abend heißt „F*ck-Up-Night“. Und es geht dabei ums Scheitern. Nicht um das der Ampelkoalition oder der Beziehung von Promis, sondern ums eigene Scheitern.
Eine junge Frau, ich nenne sie Kati, hat mich besonders beeindruckt. Sie erzählt, dass sie in ihrem Leben schon häufig in dunkle Löcher abgerutscht ist. Am Anfang hat sie das gar nicht so gemerkt. Aber dann ist es immer schlimmer geworden, ganze Tage hat sie es nicht geschafft, aus ihrem Bett zu steigen, geschweige denn nach draußen zu gehen. Alles war ihr zu laut, zu grell, zu lebendig. Auch wenn sie damals noch keine Worte dafür hatte, litt sie an einer schweren Depression. In ihrer christlichen Community haben ihr die Leute gesagt: „Keine Sorge, Gott rettet dich, der holt dich da wieder raus!“
Und sie hat das am Anfang auch geglaubt. Sie hat gebetet und Gott angefleht, er möge ihr helfen und sie aus dem Loch rausholen. Aber es hat nicht geklappt. Jahrelang hat sie gedacht: Ich bin selbst schuld daran, ich glaube zu wenig. Es war eine Befreiung, als Kati verstanden hat, dass das so nicht läuft. Sie hat mittlerweile gelernt, mit depressiven Phasen in ihrem Leben umzugehen und damit zu leben. Eine Therapeutin begleitet sie nun schon länger dabei.
Heute ist Kati überzeugt: Gott ist gerade dann bei ihr, wenn sie sich schwach und zerbrechlich fühlt. Sie muss nicht besonders viel beten, damit Gott da ist. Es ist genau umgekehrt. Egal wo sie ist, harrt Gott mit ihr aus. So sagt sie es selbst.
Gerade in den dunklen Löchern ist Gott bei ihr, bis sie es wieder rausschafft ans Licht. Heute weiß Kati auch, dass ihr Musik hilft, frische Luft und Auspowern beim Sport, um die dunklen Täler fern zu halten. Eine Garantie ist das aber nicht.
Kati kann erst seit einiger Zeit offen über ihre Krankheit reden, so wie an dem Abend auf dem Kirchentag. Ich bewundere sie dafür, dass sie ihre Geschichte auf der Bühne erzählt hat. Und ich feire sie dafür, dass sie heute sagen kann: „Ich bin von Gott geliebt, so wie ich bin!“
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Klar und ruhig ist ihre Stimme. Eindringlich ihre Worte. Sie sagt: Ich bitte Sie, Mr. President, um Barmherzigkeit und Menschlichkeit. Ich bitte Sie für all die Menschen in unserem Land, die Angst haben. Weil sie Migranten sind, weil sie Minderheitengruppen angehören. Weil sie sozial schwach sind oder aus anderen Gründen verletzlich sind und Schutz brauchen.
Diese Worte spricht die Bischöfin von Washington D.C. Mariann Budde in ihrer Predigt nach der Amtseinführung von Donald Trump im anschließenden Festgottesdienst. Viel ist darüber in den letzten Wochen berichtet worden. Der Präsident beschwert sich danach und fordert von ihr eine Entschuldigung. Sie sei eine linksradikale Hardlinerin und Trump-Hasserin. Die Bischöfin und ihre Familie erhalten seitdem Morddrohungen und Anfeindung aber auch Zuspruch und Solidarität. Sie selbst sagt, dass sie sich nicht dafür entschuldigen wird, für andere um Barmherzigkeit gebeten zu haben.
Was die wenigsten über die Bischöfin wissen: Sie hat den Präsidenten auch schon in seiner ersten Amtszeit ermahnt, menschlich und barmherzig zu sein, trotz oder gerade wegen seines hohen Amts. Und vor sieben Jahren hat sie gemeinsam mit Bischof Gene Robinson in einem emotionalen Gedenkgottesdienst die sterblichen Überreste von Matthew Shepard in die Krypta der Kathedrale von Washington umbetten lassen.
Matthew Shepard war ein junger schwuler Student, der 1998 von zwei Männern niedergeschlagen und schwer verletzt an einen Zaun gefesselt worden war. Dort ist er Tage danach qualvoll gestorben. Dieser Mord hat weltweit Entsetzen ausgelöst und die Debatte um Hasskriminalität verstärkt. Aufgrund der wiederholten Schändung einer Gedenkstätte für Matthew Shepard hat die Bischöfin den Eltern des Verstorbenen eine Interim-Ruhestätte für die Urne in der Kathedrale in Washington angeboten. Im Jahr 2018 hat die Urne dort auch ihr permanentes Zuhause in der Krypta der Kathedrale gefunden. Mitmenschlichkeit, Empathie und Barmherzigkeit fordert die Bischöfin nicht nur von anderen, sondern sie handelt selbst danach.
„Selig sind die, die barmherzig sind, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen!“ (Mt 5,7)
Das sagt Jesus in den Seligpreisungen.
Und ich ergänze: Selig sind diejenigen, die wie die Bischöfin in Washington D.C. Menschlichkeit und Zivilcourage zeigen und nicht vor den Mächtigen dieser Welt einknicken.
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Medizinstudierende haben ihr Wissen nicht nur aus Büchern. Im anatomischen Seminar kommen sie auch mit Menschen in Kontakt. Und zwar mit toten Menschen, die ihren Körper genau zu diesem Zweck schon zu Lebzeiten der Universität vermacht haben. Körperspende heißt das. In diesem Kurs geht es nicht nur um die Beschaffenheit von Muskeln, Sehnen, Knochen und inneren Organen. Es geht auch darum, sich mit einem Menschen vertraut zu machen, auch wenn er schon verstorben ist. Johanna, eine Medizinstudentin im 4. Semester, hat mir davon erzählt. Sie sagt:
„Es ist erstaunlich, wie Körper eine Lebensgeschichte erzählen. Körper tragen die Spuren von Liebe und Arbeit, von Lachen und Tränen, von Krankheit und Endlichkeit. Und wenn sich ein Mensch entscheidet, seinen Körper nach dem Tod der Wissenschaft zu überlassen, dann schenkt er nicht nur sich selbst, er schenkt damit den Studierenden die Geschichte eines ganzen Lebens. Mit allen Höhen und Tiefen, mit Freude und Leid, mit Krankheiten und Schmerzen. Es ist für uns Medizinstudierende von unschätzbarem Wert, dass die Körperspender dies getan haben. Sie haben sich in den Dienst der Medizin und der Menschheit gestellt, damit wir den Aufbau und das Funktionieren des Körpers verstehen lernen.“
Es beeindruckt mich sehr, wie Johanna das erlebt hat. Kennengelernt habe ich sie bei den Vorbereitungen zum ökumenischen Gedenkgottesdienst im Mainzer Dom. Er findet einmal im Jahr statt. Über 300 Studierende und Lehrende der Unimedizin sind dabei. Im Mittelpunkt steht das Gedenken und der Dank. Den Verstorbenen wird posthum für ihre Bereitschaft gedankt, ihren Körper als Körperspende zur Verfügung zu stellen. Für jede verstorbene Person wird im Gottesdienst eine Kerze angezündet. Es werden Briefe der Studierenden an die Spenderinnen und Spender vorgelesen. Und den Angehörigen wird gedankt, dass sie manchmal Jahre lang auf die Beerdigung ihrer Verstorbenen warten müssen. Eine Zeit, in der sie an kein Grab gehen können, um ihren Verstorbenen nah zu sein. Für viele ein großer Schmerz.
Tröstlich ist für sie, dass die Körperspende Spuren hinterlässt – Spuren in der Ausbildung zukünftiger Ärzte und Ärztinnen und Spuren bei all den Menschen, die durch dieses Wissen in Zukunft hoffentlich einmal Hilfe erfahren werden. So wirkt das Leben nach dem Tod weiter. Es wird verwandelt in neues Wissen, in Respekt und Hingabe. Jede einzelne Kerze, die für einen Verstorbenen leuchtet, erzählt eine Geschichte davon.
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Ein Konzert der Univoices in der ESG-Kirche in Mainz. Über 300 Studierende, Eltern, Angehörige und Interessierte sind im Raum. Auf dem Programm stehen Songs, in denen Liebe versteckt ist, so heißt es. Ich sitze in der 3. Reihe und habe eine gute Sicht auf die Gesichter der Sänger und Sängerinnen.
Die Wangen sind rot und die Augen weit offen. Die jungen Leute singen konzentriert und sind voll fokussiert. Und sie haben ein so beseeltes Lächeln im Gesicht, das vielleicht nur Musik zaubern kann. Der ganze Körper schwingt im Rhythmus der Songs, und aus mehr als 80 einzelnen Personen wird ein riesengroßer Klangkörper.
Ein paar Studierende kenne ich aus der Beratung. Die junge Frau mit den dunklen Locken im Sopran hat Probleme mit ihrem Freund, der große Tenor in der letzten Reihe kommt mit Prüfungsdruck nicht klar. Ein dritter hat Stress mit den Eltern. Egal, was sie umtreibt, sie alle stehen auf der Bühne und singen sich die Seele aus dem Leib. Und vielleicht ihre Probleme gleich mit. Das hoffe ich jedenfalls. Denn viele Statistiken zeigen es: Chormusik hat eine therapeutische Wirkung, sie verbindet Menschen, macht viele stolz und glücklich.
Eine Studentin sagt nach dem Konzert: „Wer mit anderen zusammen singt, kann Welten überbrücken, und das Himmelreich singt mit!“
Sekt und Orangensaft werden gerade verteilt, als ich nach dem Konzert mit ihr spreche, und alle stoßen miteinander an. Zugehörigkeit und Gemeinschaft sind spürbar. Ich schaue in die stolzen Gesichter und denke mir: Musik ist ein Geschenk, das zu Herzen geht und Herzen bewegt. So wie in biblischer Zeit einst der Hirtenjunge David den König Saul mit seiner Lautenmusik aus einer tiefen Schwermut herausgelockt und ihn verzaubert hat. Immer wieder wurde er gerufen, wenn der König einen depressiven Schub hatte. Immer wieder hatten sein Spiel und sein Gesang eine heilsame Wirkung auf die verwundete Seele.
Ich kenne es auch von mir selbst: Wenn ich singe, kann ich Gedanken, die mich quälen, auf Abstand halten. Wenn ich mit anderen zusammen singe, katapultiert mich das in eine ganz andere Welt. Es verschafft mir eine Pause von Alltagskram und Sorgen.
Es unterbricht mein Hamsterrad aus To-do-Listen und Terminen.
Ich hoffe sehr, dass gerade in diesen turbulenten Zeiten viele junge und ältere Menschen weiterhin singen und musizieren. Sie bauen damit Brücken über Gräben, die mit Worten kaum noch zu überbrücken sind.
SWR Kultur Wort zum Tag
Der erste Advent steht vor der Tür. Der neblige und dunkle November geht zu Ende und die Adventslichter machen in Dörfern und Städten die dunklen Nächte heller. Zurzeit geschieht das für mich in einer besonderen Weise. Denn in der Hochschulgemeinde in Mainz sammeln Studierende im Wintersemester bei allen Veranstaltungen und Andachten Lichtgeschichten und Menschen, die für andere ein Licht in die Dunkelheit bringen. Ganz so wie es Jesus getan hat. In einer Veranstaltung haben wir zum Beispiel Freiwillige eingeladen, die Geflüchtete ehrenamtlich begleiten und unterstützen und sich ihre Fluchtgeschichten anhören.
Einer von ihnen ist Tim. Er setzt sich für queere Geflüchtete ein, also Lesben, Schwule, Bi- und Trans-Personen auf der Flucht. Er sorgt mit anderen zusammen dafür, dass sie Rechtsbeistand bekommen und einen Asylantrag stellen können und ihr Bedürfnis nach Schutz ernst genommen wird. Denn in den Unterkünften für Geflüchtete werden queere Personen häufig abgelehnt und ausgegrenzt. Sie sind auch dort verbaler und körperlicher Gewalt ausgesetzt, wenn herauskommt, dass sie queer sind. Sie brauchen einen besonderen Schutz, der ihnen von den Behörden oft nicht gewährt wird. Freiwillige wie Tim bemühen sich darum, private Unterkünfte für sie zu finden, sie mit queeren Gruppen zu vernetzen und ihnen auch sonst zur Seite zu stehen. Ganz wichtig: Tim hört den Geflüchteten zu. Er respektiert sie als Personen mit unverbrüchlicher Würde und mit ihrer ganz eigenen Lebensgeschichte. Sie alle haben Beleidigung, Ausgrenzung und Gewalt in ihren Heimatländern erlebt, nur weil sie schwul oder lesbisch lieben oder trans* sind. Sie werden in ihren Heimatländern als Kriminelle verfolgt und aus dem sozialen Leben ausgeschlossen. Von Tim und anderen werden sie endlich respektiert, so wie sie sind.
Auch in den ökumenischen Regenbogengottesdiensten in Mainz feiern wir immer wieder gemeinsam mit queeren Geflüchteten. Sie erzählen von ihren traumatischen Erfahrungen. Wir zünden Kerzen an, hoffen und beten, dass weltweit Respekt und Wertschätzung stärker sind als Hass und Gewalt.
Es ist eine fragile Angelegenheit. So wie jedes Kerzenlicht fragil ist und wieder ausgehen kann, wenn es nicht geschützt wird. In der Adventszeit setzen wir darauf, dass das Licht von Woche zu Woche stärker wird. Wir warten nach biblischer Tradition auf die Geburt von Jesus von Nazareth. Jesus hat ein besonderes Licht in die Welt gebracht und den Menschen damit Hoffnung geschenkt. Hoffnung darauf, dass Menschen friedlich zusammenleben und respektvoll miteinander umgehen.
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Die meisten Studierenden kommen wegen Prüfungsstress, Erschöpfung oder Gefühlen von Überforderung zu mir in die Seelsorge. Und manchmal zeigt sich erst im Laufe der Gespräche, dass da noch ganz andere Themen schlummern und an Gewicht gewinnen:
Mir ist aufgefallen, dass ich es im letzten Jahr häufig mit Trauernden zu tun hatte. Die wenigsten sprechen das gleich am Anfang an. Auf meine Frage hin erklären sie, dass sie nicht wüssten, wie sie über ihre Trauer reden sollen. Das haben sie weder in der Schule gelernt, noch sonst irgendwo im Leben. Und eigentlich sind sie ja noch viel zu jung, um schon mit Tod konfrontiert zu sein.
Besonders berührt hat mich ein Student, der um seine Oma trauert. Die beiden haben gerne zusammen gespielt: Kartenspiele und Mensch ärgere dich nicht und haben dabei viel gelacht. Auch als die Oma schon im Krankenhaus war und später im Hospiz.
Wenn der Student anfängt von seiner Oma zu erzählen, leuchten seine Augen und er erinnert sich bewusst an seine Oma: wie sie miteinander gespielt haben und dabei Süßigkeiten gegessen haben. Sie hat ihn dann verschmitzt angelächelt und gesagt: „Eigentlich darf ich nichts Süßes essen. Aber das ist mir egal. Es schmeckt so gut, wenn ich es mit dir teilen kann!“
Diese Sätze zeigen mir, wie sehr der Student seine Oma geliebt hat und sie nun vermisst. Und beim Erzählen hat er für sich gemerkt: Trauern und erinnern gehören zusammen. Wenn er von seiner geliebten Oma erzählt, löst sich der Kloß im Hals und lockert sich der Klumpen im Bauch. Ich habe in meinem Büro auch immer eine Box mit Tempos stehen. Und wenn die Tränen fließen, fließen sie eben. Das tut gut. Endlich kann der Student in einem geschützten Raum seine Trauer zeigen, ohne sich dafür schämen oder erklären zu müssen.
Zum zweiten Termin hat der Student ein Foto von seiner Oma mitgebracht und das Kartendeck, mit dem sie immer Karten gespielt haben. Wir haben eine Kerze angezündet, das Kartendeck dazu gelegt und sind eine Weile still geworden. Danach habe ich mit seinem Einverständnis ein Gebet gesprochen, für seine Oma und für die ganze Familie, für die Nachbarn, Freundinnen und Freunde, die um die Verstorbene trauern und die mit dem Verlust weiterleben müssen. Ich schließe das Gebet mit den Worten: „Vertrauensvoll legen wir alle Trauer und alle Schmerzen in Gottes Hand, der in der Bibel sagt: „Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“ (Jesaja 66,13)
Die christliche Tradition lehrt uns, mit dem Tod bewusst zu leben. Nicht, um immer traurig zu sein, sondern um das Leben jeden Tag dankbar zu achten und die Toten dabei im Herzen zu bewahren.
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Sieben Tage lang kein einziges Wort sprechen. Und trotzdem die ganze Woche lang mit anderen zusammen sein. Ob das funktioniert? Ob ich das kann? Ich mache gerade eine Ausbildung zur geistlichen Begleiterin, und die Schweigewoche ist ein Teil der Ausbildung. Gespannt und neugierig bin ich zum wunderschönen Kloster Kirchberg in der Nähe von Sulz am Neckar gefahren.
Und dann der erste Tag: In der Stille sind ganz verschiedene innere Stimmen über mich hergefallen: „Eigentlich muss ich doch noch einen Vortrag schreiben. Eine Kollegin müsste ich noch anrufen und die Andacht für die nächste Woche ist auch noch nicht fertig!“ Diese inneren Mahner und Antreiber haben mich am Anfang der Woche ganz schwindelig gemacht. Erst am dritten Tag konnte ich die Stimmen gelassener wahrnehmen und dann auch wieder ziehen lassen.
Jeden Tag habe ich mich neu darin eingeübt, meine Sinne zu öffnen und in die Stille hineinzuhören. Plötzlich habe ich die Vögel deutlicher gehört, das Rauschen der Bäume im Wind, eine ferne Glocke, Hundegebell, eine fauchende Katze auf der Jagd. Aber auch meine anderen Sinne sind wachsamer geworden. Ich habe langsamer gegessen, mehr gekaut und kräftiger die Zutaten und Gewürze geschmeckt. Blickkontakte, ein Lächeln und andere kleine Gesten zwischen den Teilnehmenden habe ich deutlicher wahrgenommen und war dankbar dafür. Es hat mir so gut getan, einmal Pause zu machen von den Geräuschen und der Vielstimmigkeit des Alltags.
Die Sache mit der Stille ist aber nicht nur einfach. Das habe ich in der Woche auch gelernt. Stille auszuhalten, kann auch anstrengend sein. Wenn ich nicht durch äußere Geräusche abgelenkt bin, bin ich mir selbst und meinen inneren Stimmen ausgeliefert. Es gibt einfach keine Ablenkung. Viele meiner Fragen sind aufgeploppt: „Bin ich gut genug? Hab ich genug Kraft für alle Aufgaben? Werde ich allen meinen Lieben gerecht?“
Mir hilft es zu wissen, dass ich nicht allein bin mit meinen inneren Stimmen und Gefühlen. Ich höre das Echo von alten biblischen Worten: „Fürchte dich nicht. Denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ (Jesaja 43,1). So hat es Gott dem Propheten Jesaja gesagt. Diese Worte sprechen im Kloster aus einer Tiefe zu mir, die in meinem Alltag sonst verschüttet ist.
Das Schweigen ist für mich eine Tankstelle für meine Seele geworden. Klar, nach der Woche habe ich mich auch wieder aufs Lachen und Erzählen gefreut. Mit neuer Kraft und Wachsamkeit für die Stille bin ich wieder in meinen Alltag zurückgekehrt.
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Sommerzeit ist Urlaubszeit: Einige gehen wandern, andere klettern, fahren Fahrrad, schwimmen in Seen oder im Meer oder schauen einfach nur in die Luft. Reisen macht Freude, aber es kann auch etwas passieren. In jedes Sommerloch platzt früher oder später die Nachricht, dass jemand im Urlaub verunglückt ist oder einen Herzinfarkt erlitten hat. Deshalb geht in meinem Umfeld niemand ohne einen Segen in den Urlaub. Wenn die Menschen einverstanden sind, zeichne ich ein kleines Kreuz auf ihre Stirn oder in die Innenseite ihrer Hand und wünsche ihnen Gesundheit und Schutz auf ihren Wegen. Die meisten Menschen strahlen mich danach an und bedanken sich für die Energie, die sie im ganzen Körper spüren. Wenn ich so angestrahlt werde, fühle auch ich mich gesegnet. Dann verstehe ich den alten biblischen Spruch besser, dass wenn Gott jemanden segnet, diese Person gleichzeitig auch für andere zum Segen wird. Es ist ein wechselseitiges Geschenk.
Segnen heißt auf Latein „benedicere“, das heißt: jemandem etwas Gutes sagen oder etwas Gutes wünschen, ganzheitlich mit Körper, Geist und Seele. Es geht also um gute Wünsche auf dem Weg. Die kann man immer gebrauchen, nicht nur im Urlaub.
Im Englischen heißt Segen „blessing“. Darin steckt noch das altenglische Wort „bletsian“. Übersetzt heißt es „sich verletzen“. Daher kommt auch das deutsche Wort „Blessuren“.
Verletzungen, Leiderfahrungen und gute Wünsche gehören im Leben also schon seit ganz alten Zeiten nicht nur sprachlich zusammen. Alle guten Wünsche von lieben Menschen helfen dabei, Verluste, Leiderfahrungen und Krisen aushalten zu können. Da wir uns Segen nicht selbst zusagen können, sind Segenswünsche von anderen so bedeutsam.
Im christlichen Glauben kommt Segen von Gott allein. Wir Menschen können füreinander um diesen Segen bitten, aber wir können ihn nicht garantieren. Denn wir besitzen Gottes Segen nicht. Aber die liebevolle Energie, mit der wir Segenswünsche aussprechen und um Gottes Schutz bitten, kommt fast immer bei den Menschen an und zeigt Wirkung. Es berührt Menschen, wenn andere an sie denken und ihnen Gutes wünschen.
Das gibt Kraft und Lebensenergie, stimmt viele Menschen zuversichtlich und verändert ihre Grundhaltung zum Leben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen Schutz und Segen bei allem, was Sie in diesem Sommer tun und lassen!
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