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SWR4 Abendgedanken

17FEB2023
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Gestern habe ich mal wieder gesündigt. Ich habe in ein paar Minuten eine ganze Tafel Schokolade gegessen. Nur ein kurzer Moment der Schwäche und plötzlich war die ganze Tafel weg. Zurück blieb nur ich – mit schokoladenverschmierten Fingern und einem schlechten Gewissen.

Solche kleinen Sünden hängen mir oft länger nach. Oder wenn ich das Gefühl habe, dass ich etwas falsch gemacht habe oder mir etwas misslungen ist. Wie zum Beispiel vor ein paar Wochen im Parkhaus vor der Einfahrtsschranke: Ich habe mit dem Auto zu weit weg vom Schalter angehalten und konnte das Ticktet nicht ziehen. Hinter mir hat sich schon eine Schlange gebildet. Nachdem ich mich erfolglos aus dem Fenster gestreckt habe, musste ich schließlich mit hochrotem Kopf aus dem Auto aussteigen, um an das Ticket zu kommen. Am liebsten wäre ich vor Scham im Boden versunken.

Aber warum überhaupt? Warum fühle ich mich schuldig oder schäme mich bei so alltäglichen Schwächen und Fehlern? So als hätte ich gesündigt. Dabei ist doch eigentlich überhaupt nichts passiert. Jedenfalls nichts, was mir leidtun müsste. Schließlich habe ich weder mir noch jemand anderen damit ein Leid angetan. Genau das wäre nämlich tatsächlich eine Sünde. Jedenfalls so eine, wie sie der christlicheGlaube definiert.

Das Wort „Sünde“ kann man aus dem altnordischen Verb „sund“ herleiten und es bedeutet übersetzt: trennen oder absondern. Im Christentum ist damit die Trennung von Gott gemeint. Etwas ist also dann Sünde, wenn ich mich damit von Gott und seiner Liebe trenne. Weil jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, bedeutet sündigen dabei vor allen Dingen auch, sich von seinen Mitmenschen „abzutrennen“. Ich sündige, wenn ich mich von den Menschen um mich herum abwende und den Beziehungen, die ich zu ihnen habe, schade. Sie bewusst verletzte.

So betrachtet ist eine ganze Tafel Schokolade auf einmal zu essen natürlich keine Sünde, es sei denn, ichhätte sie jemand anderem mit Absicht weggegessen. Und auch für die Aktion an der Parkschranke muss ich mich nicht schämen. Schließlich wollte ich niemanden bewusst ärgern.

Zu wissen, was für mich als Christin Sünde ist, und was nicht, ist für mich eine Riesenbefreiung: denn dann wird mir bewusst, dass das meiste, was bei mir an einem Tag so schief läuft, zwar ärgerlich oder auch mal peinlich sein kann. Von Gott aber trennt es mich nicht und mit anderen Menschen kann es mich im besten Fall sogar verbinden.

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SWR4 Abendgedanken

16FEB2023
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Heute, am „schmutzigen Donnerstag“, geht die fünfte Jahreszeit wieder in die heiße Phase. Und ich merke auch dieses Jahr: Mir fehlt ein bisschen das „Narren-Gen“. Leider. Denn wenn sich alte Freunde wieder in der Heimat treffen, Familien gemeinsam durch die Straßen ziehen und alle zusammen die bunten Bräuchepflegen, ist das eigentlich was Tolles.

Zum Beispiel, wenn die Narren die Rathäuser stürmen und symbolisch die Macht übernehmen. Oder wenn die Menschen durch die Straßen ziehen, sich verkleiden und besonders die Mächtigen veralbern. Für ein paar Tage herrscht fast überall eine verkehrte Welt.

Eine verkehrte Welt begegnet mir aber nicht nur an den närrischen Tagen. Sie ist auch so etwas wie die Kernbotschaft meines Glaubens. Denn über Jesus wird in der Bibel gesagt, dass er die Dinge auf den Kopf stellen wird. Dort heißt es: „Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen.“1

Jesus erklärt den Menschen: Mit mir bricht eine Zeit an, in der nicht die Starken und Reichen herrschen, sondern im Gegenteil: In der die Schwachen und Armen an erster Stelle stehen. Statt sich mit den Mächtigen zu verbinden, geht Jesus zu denen, die am Rande stehen – die als wertlos gelten oder sich selbst für wertlos halten. Und er zeigt ihnen, wie unendlich kostbar in Gottes Augen sind. Jesus verkündigt „das Königreich der Demütigen und Schwachen“. Er sagt: „Die Letzten werden die Erste sein.“2

So wie an der Fasnet, wenn Politiker wie in Stockach vors Narrengericht müssen und alles auf dem Kopf steht, so ist auch in der Welt, von der Jesus spricht, alles verkehrt. Aber nur auf den ersten Blick. Denn seine Botschaft ist keine verquere Theorie und auch kein toller Spaß, der nach ein paar Tagen sein Ende hat. Jesus zeigt, dass mit ihm tatsächlich eine neue Zeit beginnt: eine Welt, in der die Liebe mächtiger ist als der Tod.

Wenn jetzt wieder die vielen Narren unterwegs sind, erinnern sie mich daran, dass ich auf eine bessere Welt hoffen kann. Und ich frage mich, was auch in meinem Leben auf den Kopf gestellt werden muss, damit es in Gottes Augen richtig herumläuft.

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SWR4 Abendgedanken

15FEB2023
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Ich habe jetzt vorgesorgt. Auch wenn meine Stimme vielleicht jung klingt: In meinem Alter war es jetzt dran, dass ich ans Alter denke. Also haben mein Mann und ich uns beraten lassen. Über Versicherungen, Geldanlangen und natürlich die Rente. Wir haben Tabellen und Statistiken studiert, über Inflationsraten gefachsimpelt und unsere Ein- und Ausgaben für die Zukunft kalkuliert. Auch wenn man sich natürlich nie sicher sein kann, wie es einem im Alter geht: für später vorgesorgt zu haben, gibt mir ein besseres Gefühl.

Heute schon an morgen zu denken – das ist ein Grundgedanke des Menschseins. Kein Wunder also, dass sich der auch in der Bibel findet. Er ist sogar so etwas wie die allererste Nachricht, die Jesus in der Öffentlichkeit an die Menschen richtet und die lautet:

„Metanoia“. Das heißt übersetzt: „Denkt an das, was danach kommt!“

Jesus fordert die Menschen dazu auf, für später vorzusorgen. Er sagt: „Sammelt euch nicht Schätze hier auf der Erde, sondern sammelt euch Schätze im Himmel. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“1 Ihm geht es also um unser Leben nach dem Tod. Denn wenn alle meine Arbeitsjahre vorbei sein werden, dann habe ich zwar vorgesorgt. Wenn aber all meine Lebensjahre vorbei sind, welche Vorsorge habe ich danngetroffen?

Anders als fürs Alter kann ich meinen Weg in den Himmel natürlich nicht mit Listen und Tabellen berechnen und kalkulieren. Aber dank Jesus kann ich mich trotzdem schon jetzt vorbereiten und zwar indem ich in meinem Herzen Schätze sammle – etwas, das ewig bleibt. Zum Beispiel die Momente, in denen ich anderenvergebe, anstatt auf mein Recht zu pochen. Oder in denen ich bereit bin, etwas zu geben, anstatt zu nehmen. Solche Momente können viel von mir fordern, Liebe ist eben oft kein leichter Weg. Aber es sind solche Momente der Liebe, in denen ich Jesus nachfolge, und so schon ein bisschen für den Himmel

„üben“ kann.

Denn daran glaube ich ganz fest: Dass das, was ich tue, für Gott zählt. Dass er sich dafür interessiert, wie es in meinem Herzen aussieht. Aber dass ich vor allem und trotzdem darauf hoffen kann, dass er am Ende,wie ein guter Vater, schon längst für mich vorgesorgt hat.

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SWR4 Abendgedanken

14FEB2023
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Heute ist Valentinstag und damit der Tag der „Liebeserklärungen“. Aber was heißt das eigentlich,„jemanden lieben“?

Das Symbol der Liebe kennt wohl jedes Kind: ein Herz oder manchmal auch ein Herz mit einem Pfeil mittendurch. Das durchbohrte Herz hat seinen Ursprung in der römischen Mythologie. Dort wird der Gott der Liebe als kleiner Junge mit Pfeil und Bogen dargestellt und heißt Amor. Wen Amor mit seinem Pfeil ins Herz trifft, so der Mythos, der verliebt sich über beide Ohren. Bis heute schmücken deshalb Engelsputten mit Pfeil und Bogen so manche Valentinstagskarte. Aber der kleine Amor hat es faustdick hinter den Ohren. Denn wer von Amors Pfeil getroffen wird, der ist im wahrsten Sinne des Wortes „erledigt“. Dererliegt seinen Gefühlen. Und so treibt Amor seine Spielchen mit den Menschen.

So amüsant dieser Mythos auch ist, ich finde: Er verfehlt das, was die Liebe im Kern ausmacht. Denn, wenn ich zum Beispiel an mich und meinen Mann denke, dann muss ich sagen: die Liebe zwischen uns fühlt sich für mich nicht an wie ein blindes Schicksal, das mich getroffen hat. Und wenn mein Mann und ich uns unsere Liebe erklären, sagen wir uns damit auch nicht, dass wir uns willenlos erlegen sind. Im Gegenteil.

Der Heilige Augustinus hat einmal gesagt:

„‚Ich liebe dich‘ bedeutet übersetzt ‚Ich will, dass du bist‘.“

Wenn ich also zu meinem Mann sage, dass ich ihn liebe, dann sage ich damit nicht nur, was ich fühle, sondern vor allem, was ich will: Ich will, dass es dich gibt. Ich will, dass du lebst und glücklich bist.

Das klingt vielleicht simpel, aber für mich trifft das den Kern der Sache.

Ich finde den anderen Menschen so wichtig, dass ich will, dass er da ist. Liebe will Leben für den anderen.

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SWR4 Abendgedanken

13FEB2023
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Manche Tage sind so schön, dass man sich wünscht, sie würden niemals enden.

Ich weiß noch genau in meiner Kindheit. Da war der erste Tag der Sommerferien so ein Tag. Wenn ich mich am Morgen noch einmal genüsslich im Bett herumgedreht habe. Vor mir nichts als sechs herrliche freie Wochen ohne Schule – ein endloser Reichtum. Doch wie die Ferien so geht leider auch jeder schöne Tag irgendwann zu Ende. Und auf den Abend folgt die Nacht.

Aber was wäre, wenn das nicht so wäre? Wenn der Tag niemals enden würde?

Wie sich das anfühlen kann, habe ich vor ein paar Jahren im Sommerurlaub auf Island erlebt. In Island geht die Sonne von Mai bis Juli nie ganz unter. Selbst an ihrem tiefsten Punkt ist sie immer noch oberhalb des Horizonts zu sehen und steigt von dort wieder empor. Es wird in dieser Zeit also nie dunkel. Ich weiß noch, wie ich mitten in der Nacht im Hellen vorm Zelt sitzen und auf einen Gletscher schauen konnte. Jede Müdigkeit war wie weggeblasen. Weil der Tag scheinbar nicht zu Ende ging, schien mir für einen Augenblick auch meine Zeit, ja mein ganzes Leben kein Ende mehr zu haben. Ein unglaubliches Gefühl!

Dieses unglaubliche Gefühl, das habe ich vor kurzem noch einmal viel tiefer erlebt. Und zwar als unsere kleine Tochter auf die Welt gekommen ist. So lange hatten mein Mann und ich uns auf sie gefreut. Dann endlich war sie da. Ein kleines Mädchen, das mit staunenden Augen die Welt um sich herum entdeckt.

Ich weiß noch ganz genau, wie sie mich zum ersten Mal angelächelt hat. Oder wie sie zum ersten Mal lautüber die Faxen von ihrem Papa gelacht hat.

Irgendwie erstaunlich: Jetzt, wo ich erwachsen bin und so etwas wie der erste Ferientag seinen Zauber fast ganz verloren hat – jetzt fängt mit meiner kleinen Tochter plötzlich alles wieder von vorne an. Jetzterlebe ich die Welt durch ihre Augen noch einmal neu.

Natürlich weiß ich, dass so wie jeder Tag auch das Leben irgendwann sein Ende hat. Und doch: Wenn ich meiner Tochter dabei zuschaue, wie sie diese Welt entdeckt, dann fühle ich mich manchmal wie damals in Island. Dann scheint es mir für einen Augenblick, als würde die Zeit niemals enden. Und in mir ist so viel Dankbarkeit – ganz hell und reich, wie ein Tag, der nie zu Ende geht.

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SWR4 Abendgedanken

14APR2022
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Heute Abend feiere ich in meiner Kirche das „letzte Abendmahl“. Wie jedes Jahr an Gründonnerstag. Dabei denke ich daran, wie Jesus mit seinen Jüngern an diesem Abend noch einmal zusammensitzt. Gemeinsam essen sie, bevor er am nächsten Tag am Kreuz hingerichtet wird. Jesus weiß, was ihm bevorsteht. Trotzdem flieht er nicht oder taucht unter, sondern er setzt sich in aller Ruhe und ganz bewusst mit seinen Jüngern an den Tisch.

Was dann passiert ist, ist viel mehr als ein einfaches Abendessen. Jesus teilt mit seinen Jüngern nicht nur Brot und Wein, sondern er sagt: „Das, was jetzt und in den nächsten Tagen mit mir passiert, das ist nicht einfach ein Ereignis in der Geschichte, sondern: Immer wenn Menschen, so wie wir heute, das Brot und den Wein miteinander teilen, haben sie an dieser Geschichte teil.“

Bis heute feiern Christen auf der ganzen Welt deshalb heute Abend gemeinsam Abendmahl. Oder wie es in der katholischen Kirche heißt: Eucharistie.

Immer wenn ich Eucharistie feiere, erinnere ich mich nicht nur an Jesus und seine Geschichte, sondern in diesem Ritual ist er für mich wirklich da. Zwar anders als er damals für seine Jünger da gewesen ist, aber genauso wirklich. Ich kann Jesus zwar nicht sehen, aber in Brot und Wein wird er für mich sozusagen auf verborgene Weise sichtbar.

Das klingt vielleicht seltsam. Aber eigentlich verhält es sich bei vielen Dingen in meinem Leben so. Jedenfalls bei den Dingen, die mir wichtig sind. Mein Zuhause, mein Mann, der letzte Urlaub…das sind alles Dinge, die ich sehen kann. Aber das, was sie für mich erst so schön und wertvoll macht, ist viel eher: Der Frieden in meinem Zuhause, die Liebe zu meinem Mann und die Freude am letzten Urlaub. Es sind diese unsichtbaren Dinge, die in meinem Leben wirklich zählen.

Aber für die unsichtbaren Dinge brauche ich etwas, das ich sehen oder spüren kann. So wie z.B. einen Kuss, der mich die Liebe meines Mannes sehen und spüren lässt. Oder eben das Brot in der Eucharistie, bei dem ich etwas von Jesus, von Gottes Gegenwart schmecken kann.

Jesus hat mir am Gründonnerstag ein sichtbares Zeichen geschenkt, damit ich nicht vergesse, dass er auch heute und auch für mich wirklich da ist. Seine unsichtbare Liebe kann ich mit allen Sinnen erleben: in Brot und Wein.

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SWR4 Abendgedanken

13APR2022
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„Was glauben Sie, wo Ihr Vater jetzt ist?“ Diese Frage stelle ich oft, denn als Seelsorgerin leite ich Beerdigungen. Davor besuche ich die Trauerfamilien und spreche mit ihnen über den oder die Verstorbene. Mich interessiert, dabei, welche Hoffnung die Angehörigen haben. Deswegen frage ich: „Was glauben Sie, wo Ihr Vater jetzt ist?“ Manche sagen dann: „Im Himmel“ oder „bei seiner verstorbenen Frau“. Andere können es nicht so genau sagen, aber sie hoffen auf einen „besseren Ort“.

Dieses Wochenende ist Ostern und für mich als Christin heißt das: Ich feiere das größte Come-Back aller Zeiten. Ein Come-Back, das einfach alles verändert hat. Denn Jesus hat den Tod besiegt. Er ist zurück ins Leben gekommen. Verändert zwar, aber doch derselbe. Seitdem hat der Tod nicht mehr das letzte Wort, sondern: Alle können auferstehen und zwar zu einem neuen und besseren Leben.

Vielleicht ist das schwierig vorstellbar und klingt seltsam. Denn konkret vorstellen kann ich mir die Auferstehung auch nicht. Auch wenn die Bibel mir davon berichtet, wie Maria Magdalena oder die Jünger damals dem auferstandenen Jesus begegnet sind – eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie genau das mit der Auferstehung konkret abläuft, liefert mir sie nicht. Schließlich hat auch die Auferstehung von Jesus mitten in der Nacht, im Dunklen und ohne Zeugen stattgefunden.

Trotzdem ist mein Glaube nicht einfach blind, sondern umgekehrt: Dass ich glaube, hilft mir, den Tod und das Leben klarer zu sehen. Das erlebe ich besonders, wenn ich am Grab stehe.

Dann stehen die Angehörigen, Freundinnen oder Nachbarn neben mir. Manche sind so traurig, dass sie sich kaum aufrecht halten können. Andere wirken gefasster. Aber bei ganz vielen ist spürbar, wie lebendig ihre Beziehung zu dem Menschen ist, der gerade ins Grab hinabgesenkt wird. In diesen Momenten ist es mir schon oft so vorgekommen, als könnte ich die Liebe dieser Menschen mit den Händen greifen. So spürbar ist sie.

Und eben diese Liebe hört am Grab nicht auf, sie geht weiter. Sie wird greifbar immer dann, wenn sich die Angehörigen an ihre Verstorbenen erinnern und ganz besonders dann, wenn sie sie vermissen.

Der Tod bedeutet Trennung. Daran lässt sich nichts schönreden. Aber so schmerzhaft der Tod auch ist, die Liebe begräbt er nicht.

Ich weiß, das ist keine Antwort auf die Frage, wie Auferstehung aussieht. Aber vielleicht kann dieses Phänomen der Liebe eine Hoffnungsspur sein. So wie die Liebe nicht im Grab endet, so geht auch das Leben weiter. Liebe feiert immer ein Come-Back. 

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SWR4 Abendgedanken

12APR2022
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Meine Freundin Mara steht vor meinem Wohnzimmerregal. Sie sieht meine vielen religiösen Büchern und fragt mich: „Weißt Du, wann es bei dir Klick gemacht hat?“ Mara und ich kennen uns erst seit ein paar Monaten und dass ich an Gott glaube, ist für sie immer noch ungewohnt. Jetzt ist sie neugierig und will wissen, wie ich auf eigentlich auf Gott gekommen bin.

Ich komme ins Grübeln. Ich weiß nämlich gar nicht, wann genau ich angefangen habe, an Gott zu glauben. Aber ich erinnere mich, wie ich ihn kennengelernt habe: Als ich vier oder fünf Jahre alt war und meine Eltern abends vorm Schlafen Gehen mit mir gebetet haben. Und durch meine Kinderbibel. Gott – das war mein vertrauter Freund, aber auch der geheimnisvolle Held der vielen Abenteuer aus der Bibel, die ich damals so spannend fand.

Doch als ich älter wurde – so ungefähr mit 14 Jahren – wurde meine Freundschaft mit Gott mächtig auf die Probe gestellt. Familie, Freunde, Gesundheit – überall hatte ich zu kämpfen und einfach alles lief schief. Und Gott? Es stand für mich immer noch außer Frage, dass es ihn gibt. Aber er hatte jetzt nichts mehr mit mir zu tun. Gott war weg, oder woanders, jedenfalls nicht mehr bei mir und ganz offensichtlich war ich ihm egal. Das dachte ich zumindest. Es dauerte eine ganze Weile und brauchte viele Anläufe, bis es wieder anders wurde.

Mit der Kirche hatte ich zu dieser Zeit wenig zu tun, aber bei einem Familienausflug hat es mich damals in den Kölner Dom verschlagen. Ich habe eines dieser offenen Gebets- und Fürbittbücher entdeckt. Ganz viele Seiten waren schon vollgeschrieben. Während ich es neugierig durchgeblättert habe, hat es ganz plötzlich, still und leise „Klick“ gemacht.

Dieser „Klick“-Moment war völlig unspektakulär, jedenfalls äußerlich. Mir sind keine Engel erschienen und der Boden hat sich nicht aufgetan. Es war auch nicht so, dass ich nach vielem klugen Nachdenken endlich auf die perfekte Lösung gekommen bin.

Da war einfach nur dieser leise Moment. Als hätte jemand in meinem Kopf das Licht angeknipst und jetzt endlich könnte ich klarsehen. Als hätte ich – vielleicht nur für den Bruchteil einer Sekunde – durch alles Erlebte hindurch den „Durchblick“ auf so viel mehr…

Klick. Ich stand da im Kölner Dom und wusste: Ich muss auch in dieses Buch schreiben. Mein Danke für Gott. Weil ich in diesem Moment sehen konnte: er ist nie weg gewesen, Gott war die ganze Zeit da.

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SWR4 Abendgedanken

11APR2022
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Eine Stadt in heller Aufregung: Menschenmengen stehen am Straßenrand und jubeln. Palmzweige und Kleidungsstücke werden in der Luft geschwenkt und landen auf dem Boden. Und überall hört man laute Freudenrufe. Der Grund für die ganze Aufregung? Ein junger Mann, der auf einem Esel gemächlich in die Stadt hineinreitet. Das ist alles.

Die Bibel beschreibt so den Einzug von Jesus in Jerusalem. Gestern, am Palmsonntag, haben Christen auf der ganzen Welt, dieses Ereignis gefeiert. Und natürlich steckt mehr hinter dieser Szene von gestern. Der Esel, auf dem Jesus geritten kommt, ist kein harmloses Transportmittel, sondern für die Menschen damals ein Zeichen voller Hoffnung! Denn damals wusste jeder: Wenn einer so auf einem Esel dahergeritten kommt, dann ist das DER Retter. Seit Urzeiten war er so angekündigt worden – und jetzt endlich war er da! Kein Wunder, dass die Aufregung entsprechend groß gewesen ist.

Was damals war, ist heute auch für mich wichtig. Denn die Bibel erzählt mir nicht nur, was vor zweitausend Jahren passiert ist, sondern auch, was heute in meinem Leben passieren kann. Dabei orientiere ich mich vor allem an den Bildern, die in der Bibel eine Rolle spielen. Viele von ihnen sind so vielschichtig. So steht die Stadt Jerusalem nicht nur für das historische Jerusalem, sondern kann auch ein Bild für mein Herz oder meine Seele sein.

Wenn ich die Geschichte vom Palmsonntag so lese, dann ist das, was damals in Jerusalem passiert ist, nicht einfach nur einmal gewesen und jetzt vorbei. Sondern es findet tiefer betrachtet auch heute statt. Dann zieht Jesus heute noch in mein Herz ein.

In meiner Herzensstadt wohnen meine Hoffnungen und Träume, aber auch alles, was mich umtreibt und mir Sorgen macht. Wo ich verletzt wurde oder andere verletzt habe. So wie Jerusalem, so wartet deshalb auch mein Herz auf Rettung. Und die Rettung naht. Der Palmsonntag erinnert mich daran:  Jesus ist schon einmal gekommen und er kann immer wieder kommen. Ich muss ihm dafür nur mein Herz öffnen und bereit sein, ihn aufzunehmen. Zum Beispiel wenn ich zu ihm bete. Dann spreche ich Jesus an und erzähle ihm, was mich bewegt. So lade ich ihn quasi ganz persönlich zu mir ein.

Auch ich habe also einen Grund zum Feiern, und zwar nicht nur gestern am Palmsonntag, sondern immer. Denn mein Gott kommt zu mir. Und mit ihm zieht die Hoffnung in die Stadt meines Herzens ein. Hoffnung, dass Ostern wird, Hoffnung, dass so viele Wunden wieder heilen, Hoffnung, dass es wieder Frieden gibt.

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SWR4 Abendgedanken

04FEB2022
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Ich habe die Zügel gerne selbst in der Hand. Ob es um den nächsten Einkauf im Supermarkt geht oder um größere Zukunftsprojekte – solange ich Schritt für Schritt alles takten und steuern kann, bleibe ich ganz gelassen. Und warum auch nicht? Schließlich gibt es nichts, was sich nicht mit einer gut strukturierten To-Do-Liste bewältigen ließe. Das dachte ich zumindest.

Bis sich vor einigen Wochen alles geändert hat. Es war der Moment, in dem ich erfahren habe: ich bin schwanger.

Den ersten Ultraschalltermin werde ich nie vergessen. Mein Mann und ich sehen unser Kind zum ersten Mal. Ein kleiner schwarz-weiß flimmernder Fleck auf dem Bildschirm. Unser Kind. Groß wie eine Dattel. Aber mit einem Herz, das schlägt.

Und jetzt?

Sofort informiere ich mich in allen Einzelheiten, was ich tun kann. Was ich essen und was ich meiden soll, damit dieser winzige Mensch in mir, der in wenigen Monaten die unglaublichsten Entwicklungen meistert, keinen Schaden erleidet.

Mein Tatendrang ist geweckt. Klar, denn wenn es um mein Kind geht, dann muss ich doch irgendwie helfen und mitanpacken können, es eben selbst in die Hand nehmen!

Doch leider ist die Ernährungsumstellung schnell erledigt und schon bald bleibt mir nicht mehr übrig, als die Wochen der Schwangerschaft zu zählen. Die Erkenntnis kommt langsam und sie überwältigt mich: Dass da in meinem Körper neues Leben entsteht, ist so unglaublich schön. Aber es liegt überhaupt nicht in meiner Hand. Ich erlebe ein echtes Wunder. Und was ich vorher nicht wusste: Wunder machen mich ganz schön nervös.

So sehr mein Mann und ich uns dieses Kind gewünscht haben – darüber verfügen oder es kontrollieren, das können wir nicht.

Eine Sache aber kann ich trotzdem machen: Ich kann guter Hoffnung sein.

Ich hoffe, dass eben dort, wo das Leben nicht mehr in meiner Hand liegt, Gottes Hand bereits wartet. Dass es Gott ist, der unser Kind sicher hält. Jetzt und sein ganzes Leben lang. Gerade dort, wo ich es nicht kann.

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