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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22JUN2024
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„Von jetzt auf gleich war alles anders.“ Wenn ich diesen Satz in Trauer- oder Seelsorgegesprächen höre, geht er mir immer sehr nahe. Das Klingeln an der Tür und Polizei und Pfarrerin überbringen die Todesnachricht. Der Abschied für immer von der Familie und Freunde, um auf die Flucht zu gehen, ob damals aus der DDR oder heute aus Syrien -  ohne Rückkehr. Die Gewissheit, dass ein geliebter Mensch gestorben ist. Die Trennung, die für die eine Person aus dem Nichts kommt.

Momente im Leben, die alles auf den Kopf stellen. Momente der totalen Veränderung. Momente, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Momente, ab denen nichts mehr ist, wie es war.  Sie sind schrecklich und grausam. Und oft fragen Menschen sich, wie es weitergehen, wie sie weiterleben sollen.

In Seelsorgegesprächen ist dies meist ein ganz besonderer Moment. Ich spüre die Bodenlosigkeit, die Angst, in dieses Loch zu stürzen und darin gefangen zu bleiben. Einsam. Verlassen. Unverstanden.

Mir kommen dann oft die Worte in den Sinn, die Jesus kurz vor seinem Tod am Kreuz gesprochen hat: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen“ – Dieser Satz – Ein Zitat aus Psalm 22 -  bringt für mich diesen Moment des totalen Verlassenseins von Gott und der Welt auf besondere Weise zum Ausdruck.

Momente, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen, sind kaum zu ertragen. Das weiß auch der Gott, der da am Kreuz hing.

Manchmal gelingt es in solchen Seelsorgegesprächen auch darüber zu sprechen. Über dieses Gefühl der Verlassenheit, das auch Jesus erlebt hat.

Und manchmal – nicht immer -  gibt es den Augenblick, in dem sich dann das Gespräch weitet. Indem der Blick über den Tod hinausgeht. Indem der Blick von der Verlassenheit am Kreuz, der Verlassenheit in diesen Momenten der Bodenlosigkeit weiter geht – bis zur Auferstehung. Nicht „nur“ am Ende aller Tage. Auch zu einer möglichen Auferstehung mitten im Leben. Wenn dieser Moment in einem Gespräch erscheint, danke ich innerlich Gott.

Diese Momente der Auferstehung wünsche ich allen Menschen, die den Moment der Bodenlosigkeit erlitten haben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21JUN2024
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„In der Ruhe liegt die Kraft.“ Oh, wie habe ich es gehasst, wenn meine Großmutter diese Worte zu mir gesagt hat.

Inzwischen kann ich den Satz besser verstehen. Rückblickend muss ich ja auch zugeben, dass sie ihn immer in Momenten gesagt hat, in denen ich ziemlich hektisch war. Manchmal gar panisch. Der Satz ist immer dann gefallen, wenn ich entweder ganz begeistert losgelegt habe, voller Energie, enthusiastisch, aber auch planlos. Oder sie hat ihn gesagt, wenn ich panisch war, weil ich etwas vergessen oder falsch gemacht hatte, wenn zum Beispiel für die Schule noch schnell eine Hausaufgabe gezaubert werden musste.

In solchen Momenten hat mich meine Großmutter dann unterbrochen: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Ich denke heute viel an sie, mein „Ich“ aus Kinderzeiten hat eben doch noch ganz schön viel mit dem erwachsenen „Ich“ zu tun. Auch heute kenne ich die Begeisterung, lege manchmal los, ohne groß nachzudenken.  Mittlerweile geht zwar seltener etwas schief, meist habe ich sogar einen Plan und die Erfahrung tut das ihrige. Aber wenn etwas nicht so läuft, ich etwas vergessen habe, oder ich merke, da muss jetzt ganz schnell etwas passieren – dann ist es oft wie früher: hektisch und planlos. Dann höre ich die Stimme meiner Großmutter sagen: „In der Ruhe liegt die Kraft.“

Dieser Satz, manchmal ärgert er mich, weil er mich ausbremst. Aber meistens schleicht sich dann ein zweiter Satz in meine Gedanken, den ich schon lange sehr schätze: „Nur wer betet, erhält die notwendige Kraft.“

In Momenten der Panik, der Hektik oder Überforderung innezuhalten, zu beten ist klug, um aus dem Gebet zu Gott dann Kraft zu schöpfen für die Aufgabe, die vor mir liegt. Diesen Moment des Krafttankens, ordnen und einsortieren wünsche ich Ihnen heute auch bei Ihren Aufgaben, die vor Ihnen liegen. Denn so hat sich der Satz meiner Großmutter für mich verbunden mit meiner Bitte: Gott, Bitte lass mich zur Ruhe kommen. Denn: In der Ruhe liegt die Kraft.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20JUN2024
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Meine Kollegin Tina ist ein wandelndes Stopp-Schild. Nein, kein Verkehrszeichen. Ich meine: Wenn sie ansetzt zum Sprechen, kommt fast immer ein Ja, ABER! Heißt ja mit anderen Worten: Stopp! Lass uns nochmal nachdenken…..

Sie können mir glauben: oft und ausgiebig habe ich mich darüber schon geärgert. Denn dieses gedankliche Stopp-Zeichen – das mag ich eigentlich nicht. Ich komme mir dann so ausgebremst vor.

Manchmal war ich sogar schon genervt, bevor ich zu einer Besprechung mit Tina gegangen bin. Spätestens aber wenn sie den Mund aufgemacht hat, habe ich mich dann geärgert.

Ich gebe es zu:  Ein Teil des Problems lag durchaus bei mir. Aber mein Ärger – manchmal auch mein Frust war aufgrund der vielen Erfahrungen einfach da.

Bis zu dem Tag, an dem eine Kollegin zu mir gesagt hat: „Florian, Gott hat alle Menschen geschaffen und ich gehe davon aus, dass er sich dabei etwas gedacht hat. Vielleicht übersiehst du etwas bei all deinem Ärger.“

Das begleitet mich seither. Immer wenn es zu einem dieser nervigen Momente kommt, so einem Stopp-Moment, erinnere ich mich an diese Sätze. Ich atme durch und lasse mich auf das „Stopp“nein. Ich spreche mit Tina – oder wem auch immer - die Idee, das Anliegen, den Plan nochmal durch. Denke nochmal nach.

Mittlerweile kann ich so ein „Stopp“ besser annehmen. Ich sehe es als Chance, einen Augenblick innezuhalten, zu überlegen: ist das der richtige Weg?

Und ich kann zustimmen: Ja, Gott wird sich dabei etwas gedacht haben, Menschen wie Tina zu erschaffen, die mich zu einer Pause anhalten, zum Innehalten. Damit ich nochmal nachdenke, bevor ich dann weitermache. So oder so.

Inzwischen sehe ich Tina bei allen möglichen Gelegenheiten manchmal vor meinem geistigen Auge. Wie sie das Wort ergreift und zum Stopp-Schild wird. Und da hat Gott sicher recht – es ist wichtig, dass es solche Menschen gibt. Die sagen: Hey, denk nochmal nach! Und sei offen dafür, deinen Plan auch nochmal zu ändern. Gott wird sich ja hoffentlich auch etwas dabei gedacht haben, als er mich erschaffen hat.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

19JUN2024
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Wenn Deutschland bei der EM heute Abend gegen Ungarn spielt – dann gibt es wieder bekanntlich solche und solche.  Die einen, die es lieben, public viewing zu machen. Und die anderen.

Ich gehöre eher zu den Letztgenannten. Ich schaue gerne Fußball – ja – aber nicht unbedingt in großer Runde.

Mein Kollege Martin hingegen kann es sich kaum vorstellen, Fußballspiele nicht in Gemeinschaft zu erleben, nicht im Stadion oder beim public viewing zu sein.

Für ihn stellt sich die Frage heute Abend nicht. Für mich schon: allein zu Hause oder doch zusammen mit anderen? Gemeinschaftlich vorm Fernseher, der Leinwand oder allein auf dem Sofa?

Das, was Martin anzieht, ist gleichzeitig das, was es mir schwer macht. Der kollektive Moment, der Augenblick der Gemeinschaft. Das in der Menge aufgehen, Teil des Ganzen zu sein. Für Martin ein tolles Erlebnis. Für mich manchmal schwer, obwohl ich natürlich auch Teil einer Gemeinschaft sein möchte

Martin ist total glücklich, wenn er mit tausenden Anderen ein Tor bejubelt oder sich über ein Foul aufregt. Er beschreibt es fast schon spirituell – als Auflösen im großen Ganzen, eins sein anderen, mit der Natur, dem Universum, der Menschheit. Diese Momente liebt und sucht er.

 Martin wird heute Abend auf eine Weise also glücklich sein –   relativ egal wie die deutsche Mannschaft abschneidet.  Weil er Gemeinschaft erleben wird. Momente des Eins sein mit sich und allen anderen.

Diese Momente kann man natürlich nicht nur beim Fußball erleben. Für die einen ist es die Wagner Oper, das Taylor Swift Konzert oder auch die Demonstration. Etwas mit vielen anderen zusammen zu erleben - manchmal auch zu erleiden - und Gemeinschaft zu spüren – das ist das, was Menschen verbindet. Alle Menschen. Denn so hat Gott uns gemacht. Und deshalb werde ich heute Fußball schauen wie Millionen anderer Menschen auch. Wahrscheinlich in kleiner Runde, aber in Gemeinschaft. Und ich werde mich darüber freuen, dabei mit anderen zusammen zu sein und ihn genießen, diesen kleinen Gruß vom lieben Gott.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

18JUN2024
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„Das pralle Leben“, das hat man früher bei mir zu Hause gesagt, wenn in einem Moment alles zusammengekommen ist. Egal, ob gut oder schlecht. Eben prall, fast schon zum Platzen voll.

Das pralle Leben im positiven Sinne - in einem Moment zu spüren – das kann erhebend sein. Für manche ein Kick, den sie suchen. Diese Momente sind wertvoll. Oft vereinen sie vieles, was mir wichtig ist.

Manchmal ist es dann kaum auszuhalten, wenn so viel Gutes, Schönes und Gemeinschaftliches zusammenkommt. Die Geburten meiner Kinder waren zum Beispiel solche Momente des prallen Lebens: alles Glück der Erde in einem Moment. Und gleichzeitig auch Hoffen und Bangen.  

Das „pralle Leben“ besteht eben aus vielem – aus Glück und Zuversicht – aber manchmal eben auch aus Überforderung, Angst und Trauer – so ist das Leben – so ist das „pralle Leben“.

Die Bundestagsabgeordnete Marie Agnes Strack-Zimmermann hat in einem Interview das pralle Leben in ihrem Alltag beschrieben. Nicht nur die vielen Bedrohungen und Anfeindungen, die hohe Arbeitsbelastung und Verantwortung, sondern auch die Situation der Familie gehören dazu. In den Berlin-Wochen kommt sie samstags nach Hause, wenn da dann Kinder warten, dann ist das das pralle Leben und das fragt nicht, ob man jetzt vielleicht lieber kurz ausruhen würde.

Das, was Strack-Zimmermann da beschreibt, gilt für Politikerinnen und Politiker wie für viele andere auch: die Herausforderungen des prallen Lebens, das einfach da ist.

Ich jedenfalls habe sofort verstanden, was sie meint. Der Wunsch zu Hause zu sein, bei und mit der Familie und gleichzeitig das Bedürfnis danach, in Ruhe für sich zu sein. Da ist das „pralle Leben“: Gemeinschaft, Glück und Zuversicht, das aber auch aus Erschöpfung, Bangen und Verzagen besteht.

In diesen Momenten des „prallen Lebens“ kann die Stimmung in die eine oder andere Richtung kippen. Manchmal hat man es nicht in der Hand. Mir hilft es dann zu beten, kurz alles was das „pralle Leben“ ausmacht vor Gott zu bringen – Gutes und Schlechtes - und sinngemäß zu sagen: „Mach du mal. Hilf mir beim Sortieren“.

Das reicht manchmal schon, um den Kopf ein bisschen klarer zu bekommen und sich dann wieder hineinzustürzen in das pralle Leben – komme was wolle.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

17JUN2024
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Es sind ja bekanntlich die kleinen Dinge, die das Leben erst richtig schön machen. Wie wahr dieser Satz ist, das habe ich letztens erst wieder gemerkt: Ich war mit Roland, einem Freund von mir, wandern. Wir schaffen das viel zu selten, aber wenn wir uns am frühen Morgen im Pfälzer Wald treffen – und dann ein paar Stunden wandern, in eine der Hütten einkehren, dann sind es immer wundervolle Stunden. Nicht nur die Bewegung, das Miteinander, die Natur, sondern auch Rolands Blick auf die Welt tun mir gut.

Roland ist ein Mensch, der im Moment lebt. Es ist fast so, als ob jeder Schritt auf dem Waldboden für ihn Bedeutung hat. Jeder Atemzug, der Luft in seine Lungen und Gerüche in seine Nase spült, scheint ihn zu erheben. Und was mir besonders guttut: er zelebriert das nicht, er lebt das einfach.  Er belehrt mich nicht und lehrt mich doch.

Manchmal kommt es vor, dass er mitten im Satz kurz pausiert. Auf seinem Gesicht erscheint dann ein kleines Lächeln, bevor er weiterredet. Lange Zeit ist mir das gar nicht aufgefallen. Vermutlich, weil ich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Als ich es dann das erste Mal wahrgenommen habe, hat es einige Zeit gedauert, bis ich ihn danach gefragt habe.

Fast ein bisschen beschämt hat er geantwortet, dass er in diesen Momenten ganz bei sich ist und ganz in der Welt. In diesen kurzen Augenblicken will er kurz dem Moment die Ehre geben, ihn ganz und gar wahrnehmen. Er wolle aber auf keinen Fall dadurch unsere Gespräche unterbrechen und falls es mich stören sollte, würde er versuchen, das in meiner Anwesenheit nicht zu machen.

Ich habe ihn gebeten, nicht damit aufzuhören. Im Gegenteil. Denn auch mir tut das gut. Auch in meinem Alltag. Und so genieße ich mittlerweile viel häufiger die kleinen Dinge und denke dabei oft an Roland. Dann z.B., wenn ein Geruch, eine Blume, ein Vogel oder ein Sonnenstrahl – wenn Gottes Schöpfung mir einen besonderen Moment der wunderbaren kleinen Dinge schenkt.

Ich wünsche Ihnen heute mindestens einen dieser kurzen Momente, in dem alles stimmt und die kleinen Dinge des Lebens ihnen große Freude machen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

17FEB2024
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Howard Carpendale ist der Held meiner Kindheit und frühen Jugend. Meine erste selbst gekaufte Kassette war von ihm. Vielleicht teilen Sie meine frühere Leidenschaft. Falls Sie aber kein Fan waren oder sind - kommt Ihnen meine Aussage vielleicht eher wie ein Geständnis oder gar eine Peinlichkeit vor.

Aber: Howard Carpendale war nicht nur der Held meiner Kindheit und Jugend, er hat mich im letzten Jahr auch in einem Zeitungsinterview ziemlich beeindruckt. Da ging es um Respekt. Um gesehen, wahrgenommen werden. Und darum, akzeptiert zu werden. Howard Carpendale hat in diesem Interview gesagt, dass er Respekt möchte.

Hintergrund der Geschichte war ein vorangegangenes Gespräch mit einem Journalisten, der eher erstaunt auf ein neueres Lied von Howard Carpendale reagiert hatte. Er war überrascht, weil das Lied ja politisch sei.

Carpendale zählte ihm darauf andere Lieder auf, die aus seiner Sicht politisch sind und die er schon früher veröffentlicht hat.  Und er hat nun im Interview erklärt, was ihn an dieser Situation geärgert hat: Der Interviewer hatte offensichtlich schlecht recherchiert.

Er hatte ein Bild von Howard Carpendale als Wohlfühl-Schlagersänger und zu diesem Bild passen keine politischen Aussagen oder gar komplexere Textzeilen. Das hat Howard Carpendale als respektlos empfunden. Und das kann ich gut verstehen.

Auch ich will gesehen, wahrgenommen werden von meinem Gegenüber und nicht nur als Klebefläche für das Abziehbild, dass der Mensch von mir hat, dienen. Das bedeutet Respekt haben vor anderen Menschen.

Sie wirklich ansehen in all ihrer Komplexität und auch Uneinheitlichkeit. Und dann eben nachfragen, wenn mich etwas irritiert, wenn mich eine Frage umtreibt. Ich kann nachfragen, wenn mich eine Aussage, ein Verhalten oder wie in diesem Fall ein Lied überrascht, bevor ich ein Urteil fälle. Der Journalist hätte fragen können: „Wie haben Sie das gemeint?“ Oder: „Wie kam es zu diesem Song?“ Damit hätte er Interesse gezeigt. Und Respekt.

Gesehen und wahrgenommen werden, ist ein Grundbedürfnis. In der Bibel heißt es dazu: „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Oder anders: „Du bist ein Gott, der mich respektiert“. Eine bessere Beschreibung Gottes kann es gar nicht geben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

16FEB2024
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Wissen Sie, manchmal wäre ich gerne frommer als ich es bin. Also fromm im Sinne von getragen sein von Ritualen und Spiritualität, eingebettet in die gefühlte Anwesenheit Gottes.

Leider ist es aber nicht immer so, oder sagen wir mal: eher selten. Vielleicht sind deshalb diese Momente auch so besonders. Etwas, was ich zum Beispiel immer wieder tue, ist die sogenannte Tageslosung lesen – ein zufällig von der Herrenhuter Brüdergemeine ausgewählter Bibelvers.

Für heute ist es ein Satz aus Psalm 90: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“. Dieser Vers rührt mich immer ganz besonders tief an. „Auf dass wir klug werden…“ Nicht: auf, dass wir klein, demütig oder ängstlich werden. Nein: Auf, dass wir klug werden.  Das Wissen um die Endlichkeit, um das Ende des Lebens, des eigenen und das der anderen, soll uns klug machen.

In mir lösen die Worte zunächst immer ein Gefühl von Trauer aus. Aber diese Traurigkeit regt mich auch zum Denken, zum Suchen an. Ich frage mich, was mir wichtig ist, womit ich meine begrenzte Zeit verbringen will, wen ich um mich haben möchte und mit wem ich diese uns und mir geschenkte Zeit verbringen möchte. Während die Gedanken kreisen, bewege ich mich dann zwischen Melancholie und Euphorie. Melancholie, weil da eben der Gedanke an mögliche Abschiede ist, aber auch Euphorie, weil ich sehe, was mir geschenkt ist, wofür ich dankbar sein kann.

Ich finde das Ergebnis dieser Überlegungen und Gedanken immer bemerkenswert – dieses Bedenken, dass man sterben muss, ist wie ein Kompass. – Es richtet mich für eine Weile in meinem Leben wieder neu aus. Ich achte mehr auf die Mitmenschen und die Zeit, gestalte Beziehungen bewusster und mache auch so manche Dummheit nicht.

Dann fühle ich mich auch Gott näher und in seine Anwesenheit eingebettet. Ja, wahrscheinlich ist es das, was mit klug gemeint ist. Sich der Endlichkeit bewusst, dem Leben und den Menschen zuzuwenden, getragen von Gott. Das ist klug.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

15FEB2024
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Immer wieder begegnen mir Worte, die mir durch Mark und Bein gehen, weil sie soviel an Erfahrung, Wunsch und Wirklichkeit transportieren. Lebenssatt ist so ein Wort. Lebenssatt. Vor kurzem gesagt von einem prominenten Menschen – anlässlich seines achtzigsten Geburtstags.

Lebenssatt als ein Zustand der Zufriedenheit mit sich, der Welt und dem Leben. Gesättigt, wohlgenährt und zufrieden schwingt da für mich mit. Wenn man so auf das Leben blicken kann, ist das ein Geschenk und alles weitere Bonus oder eine Extrarunde.

Das Wort ist deshalb so schön, weil es nicht bedeutet, dass man das Leben satthat, sondern das Gegenteil ist der Fall: Das Leben hat einen gesättigt. Der Appetit ist gestillt. Wenn es ums Essen geht, heißt das, der Bauch ist gut gefüllt, man fühlt sich vielleicht warm, wohlig und auf jeden Fall satt. Das bedeutet nicht, dass man nie wieder etwas essen möchte – aber gerade ist es einfach gut so, wie es ist.

Ich frage mich, ob man diesen Zustand auch erreichen kann, wenn man noch keine achtzig Jahre alt ist. Wenn man vielleicht eigentlich mitten im Leben steht, dieses Leben aber nicht so verläuft, wie man sich das erhofft hat. Z.B. weil man schwer krank ist.  Kann man dann – in diesem Sinne – sagen, dass man lebenssatt ist? 

Bei Anke habe ich das erlebt. Früh hat sie in ihrem Leben die erste Krebsdiagnose bekommen. Und mit Anfang vierzig gab es dann keine Hoffnung mehr.  Wir haben viel zusammen geweint, geklagt und mit Gott gehadert.

Bei einem unserem letzten Treffen war sie ganz aufgeräumt. Sie war bereit zu gehen, auch wenn sie nicht wusste, warum es so sein sollte. Dennoch hat sie zu mir gesagt: „Ich habe in den letzten Wochen nochmal an alles gedacht, was mir lieb und wichtig war in meinem Leben – ich konnte sehen, wie reich mein Leben war, auch in der Kürze. Ich bin lebenssatt. Ich habe das Leben nicht satt – das sicher nicht – aber ich hatte bis hierher ein reiches, sättigendes Leben. Wenn ich nun gehen soll, dann finde ich das richtig doof, aber ich hoffe mal auf eine Fortsetzung. Dann sehen wir uns wieder. Bei Gott.“

Ich bin in Tränen ausgebrochen – und ich hoffe, dass es so sein wird, dass wir uns wiedersehen werden, nachdem auch ich – lebenssatt in Ankes Sinne, zu Gott gegangen bin.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

14FEB2024
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Die größten Schätze findet man nicht – man bekommt sie geschenkt. Wie wahr dieser Satz ist, den man vielleicht von Kalenderblättern kennt, habe ich selbst erlebt. Und zwar mit Engeln.

Meine Großmutter war eine toughe Frau aus Ostpreußen. Auf der Flucht nach dem 2. Weltkrieg hat es sie in die Pfalz verschlagen.

Sie ist überzeugt gewesen, dass ein Engel sie in Ihrem Leben begleitet und geschützt hat. Wenn es besonders schwierig gewesen war oder wenn das Schicksal unbarmherzig zugeschlagen hat, dann war sie sich sicher, dass der Engel auf ihrer Schulter ihr geholfen hat. Es war ihr im Rückblick immer sehr wichtig, dass der Engel den Unterschied gemacht hat – nicht der Zufall oder einfach Glück.

Mich hat das schon als Kind immer etwas irritiert. Ich hatte es nicht so mit Engeln. Aber meine Oma war für mich eine Autorität und wenn sie sagte, dass ihr da ihr Engel geholfen hat, dann habe ich das nicht in Frage gestellt.

Im Laufe der Jahre hat sie als Engel-Fan immer Engel geschenkt bekommen. Figuren, Bilder, usw. Für mich passte das nie so richtig zu ihr. Aber ihr waren diese Engel wertvoll und wichtig. Noch wichtiger aber waren ihr die Geschichten, die sie mit „ihrem“ Engel verbunden hat.

Gegen Ende ihres Lebens hatte sie dann viele der Engelgeschichten vergessen. Ihr verschmitztes und dennoch so überzeugtes „da hat mir mein Engel geholfen“ wurde seltener. Dafür war das Gefühl, ja die Gewissheit getragen und begleitet zu sein, stärker spürbar.

Als meine Oma gestorben ist, war ich mir – trotz meiner Engel-Skepsis - sicher, dass ihr Engel sie mitgenommen hat. Diese Vorstellung war tröstlich für mich – denn ich hatte doch irgendwie das Gefühl, dass mit ihr auch mein Engel mich verlassen hat. Mir ist bewusst geworden, dass sie für mich eine Art Engel gewesen ist, der mich über all die Jahrzehnte, durch all die Widerfahrnisse meines Lebens, begleitet hat.

Meine Oma ist nun schon einige Zeit lang bei Gott, aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass ihr Engel jetzt auch nach mir schaut.

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