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SWR Kultur Lied zum Sonntag
„Gott! Höre mein Gebet! Entzieh dich meinem Flehen nicht! Angstvoll schlägt das Herz in mir!“
Worte aus einem uralten Gebet. Als 55. Psalm steht es in der Bibel, hier übersetzt vom großen jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn. Bei seinem Enkel, dem Komponisten Felix Mendelssohn, klang das vor 180 Jahren so:
Musik:
Ich irre ohne Pfad in dunkler Nacht!
Hör mein Bitten, Herr, neige dich zu mir,
auf deines Kindes Stimme habe Acht!
Als Felix Mendelssohn sieben Jahre alt war, wurde er evangelisch getauft. Er wurde ein überzeugter Christ. Aber das schützte ihn zeitlebens nicht vor Antisemitismus. Vor dem Zehnjährigen spuckte ein Mitglied der königlichen Familie auf der Straße aus und beleidigte ihn antisemitisch. Richard Wagner, der von Mendelssohn gefördert worden war, fiel ihm in den Rücken mit einer anonymen Hetzschrift über das „Judentum in der Musik“. Wagners abfällige Urteile über Mendelssohns Musik wirkten lange nach, auch noch lange nach dem Dritten Reich.
Musik:
Die Feinde, sie droh'n, sie stellen uns nach
und halten die Frommen in Knechtschaft und Schmach.
Sie stellen uns nach: Das hat Felix Mendelssohn am eigenen Leib erfahren. Und nach ihm Millionen jüdische Menschen, die vertrieben und ermordet wurden. Bis heute ist dieser Hass eine reale Bedrohung. Wie sehr, das wurde vor einem Jahr bei dem Pogrom der Hamas deutlich. Es ist beschämend und furchtbar, dass Juden und Jüdinnen auch in Deutschland wieder in Angst leben. Dem Land von Felix und Moses Mendelssohn.
So spotten die Verfolger: Wo ist jetzt euer Gott?
Und die Verfolgten schreien zum Himmel: Gott, hör unser Flehn! Kämpfe für uns!
Musik:
Mich fasst des Todes Furcht bei ihrem Dräu'n!
Sie sind unzählige, ich bin allein.
Mit meiner Kraft kann ich nicht widerstehn.
Herr, kämpfe du für mich, Gott, hör mein Flehn!
Das Gebet des Bedrängten geht in einen sehnsüchtigen Wunsch über: Hätte ich doch Flügel und könnte fliehen! Fände Ruhe an einem schattigen Ort! Ein sicherer Ort. Wo ich auf Gottes Nähe vertrauen kann. Möge das Wirklichkeit werden! Für alle, die jetzt wieder ausgegrenzt werden. Für die Menschen, die seit einem Jahr in Tunneln oder anderswo gefangen gehalten werden. Bring them home!
Ich denke jetzt an den Juden Jesus, der ebenso verzweifelt zu Gott gebetet hat. Auch er wurde verhöhnt: Wo ist jetzt dein Gott? Jesus wusste wie der Psalmbeter: Gott ist da. Ich bete und finde Ruhe in Gottes Nähe. Auch wenn ich nicht fliehen kann. Ich bin bei Gott geborgen.
Musik:
… fände Ruhe am schattigen Ort.
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Musik:
"Hör mein Bitten“ (Felix Mendelssohn)
Komponist
M: Mendelssohn Bartholdy, Felix
T: Bartholomew, William (nach Ps 55,2-8)
Musik: M0013465(AMS); Hör mein Bitten Hymnus für Sopran, gemischten Chor und Orgel; Chormusik; 01-007; Bojack-Weber, Regina; Collegium Iuvenum Stuttgart; Keck, Friedemann
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Wissen Sie eigentlich, welch Geistes Kind Sie sind? Die Jünger Jesu haben das nämlich einmal nicht gewusst. Sie waren mit Jesus unterwegs. Doch in einem Dorf, da wollten die Leute nichts mit ihnen zu tun haben. Die Jünger waren sauer. Gott sollte diese Leute bestrafen! Er sollte Feuer vom Himmel regnen lassen!
Jesus hat seine Jünger scharf zurechtgewiesen: „Wisst ihr denn nicht, welch Geistes Kinder ihr seid!?“ Die Jünger haben sich geschämt. Klar, sie wussten: Wir sind Kinder vom Geist Gottes. Wir sind Gottes Kinder. So hat der Apostel Paulus das einmal ganz direkt geschrieben: Die sich vom Geist Gottes leiten lassen, die sind Kinder Gottes.
Darüber muss ich jetzt nachdenken. Ich bin ein Kind Gottes. Und für ein Kind Gottes gehören sich bestimmte Dinge nicht. Die tut man dann einfach nicht.
Also, dass Feuer vom Himmel fällt – das habe ich noch nie jemandem gewünscht! Tod und Vernichtung – soweit bin ich noch nie gegangen. Aber wie oft habe ich schon hinterm Steuer gesessen und geschrien: Du blöder … Na ja, und so weiter. Was man eben so am Steuer schreit. Wenn da einer so dicht auffährt, ständig mit der Lichthupe!
Doch die Raser und Drängler, die waren nicht das Problem von den Jüngern. Sondern Leute, die etwas anderes dachten und glaubten. Und die deswegen nichts mit ihnen zu tun haben wollten. Auf aggressives Drängeln mit Schimpfen zu reagieren, ist das eine. Aber Menschen, die anders denken, Tod und Vernichtung zu wünschen – das ist schon eine andere Nummer. Wobei ich die Jünger auch verstehen kann: Diese anderen, die wollten einfach nichts mit ihnen zu tun haben! Denen war nicht einmal die Gastfreundschaft heilig.
Was mache ich mit Menschen, die mich komplett ablehnen? Denen nichts mehr heilig ist? Was Jesus und Paulus dazu sagen, das macht mich ehrlich gesagt etwas ratlos. Weißt du nicht, welch Geistes Kind du bist? Du bist ein Kind Gottes.
Das klingt so schön. Aber das hat eben Folgen, ganz konkret, in meinem Alltag. Schaffe ich das? Kann ich das: wie ein Kind Gottes leben? Wie ein Kind Gottes mit anderen umgehen, denen das völlig egal ist? Und wenn ich das nicht so richtig kann: Wie kann ich es üben?
Was habe ich als Kind geübt, bis ich Fahrrad fahren konnte! Und dann noch freihändig – das war dann schon sehr für Fortgeschrittene! Und die Vokabeln, die ich in der Schule pauken musste. Etwas üben, bis man es kann. Und wenn ich etwas nicht kann, dann bewundere ich, wenn andere das können. Und freue mich, wenn mir jemand zeigt, wie es geht. Dann kann ich es lernen.
Als Kind Gottes durch die Welt gehen: Das ist schon anspruchsvoll. So wie eine längere Strecke freihändig Fahrrad zu fahren. Aber ich will es üben.
Woran erkennt man ein Kind Gottes? Ich glaube, die beiden wichtigsten Merkmale sind Vertrauen und Hingabe. Grundvertrauen ins Leben haben. Voller Hingabe nach Gott suchen – gerade bei den anderen Menschen. Das klingt so leicht, so kinderleicht. Doch es muss geübt werden.
Vielleicht ist das so ein bisschen wie beim Seiltanz. Das war etwas, was ich als Kind besonders bewundert habe! Meine Lieblingsnummer, wenn ich den Zirkus besucht habe.
So eine Seiltänzerin – die hat hart geübt. Geübt, damit es ganz leicht aussieht. Vertrauen: darin steckt das Wort trauen. Wer vertraut, der traut sich etwas. Wie eine Seiltänzerin: Sie hat lange daran gearbeitet. Sie weiß, dass sie es kann. Aber ohne das entscheidende Stück Vertrauen würde sie nicht losgehen. Und da kommt die Hingabe ins Spiel. Ich habe getan, was ich konnte. Ich kann etwas. Ich habe es tausendmal geübt. Und jetzt gehe ich los. Auf dem schmalen Seil über dem Abgrund. Ich gebe mich völlig hin. Denn sonst könnte ich gar nicht losgehen.
So macht ein Kind Gottes das im Leben, in der Welt. Alles spricht gegen Vertrauen. Vertrauensselig – das ist fast ein Schimpfwort! Über jemanden, der so ist, schütteln alle den Kopf. Der ist doch zu gut für diese Welt!
Wer ein Kind Gottes ist, der muss das abkönnen. Der ist nicht immun gegen die Kritik anderer. Aber er ist schon einen Schritt weiter. Er ist schon auf dem Seil. Konzentriert balanciert er durch die Welt, die für ihn Spott, Geringschätzung, Verachtung und Gleichgültigkeit übrig hat.
„Ihr Christen glaubt ja noch an Märchen!“, heißt es da etwa. Na ja. Die so reden, die glauben meistens jeden Unsinn, der irgendwo im Internet steht. Aber ich wünsche ihnen nicht, dass ein Feuer vom Himmel sie verbrennt. Ich will ihnen als Kind Gottes begegnen. Nicht vertrauensselig – aber voller Vertrauen auf Gott, der Lust daran hat, dass wir leben. Wir alle.
Das ist schon mal wie ein Balanceakt auf dem Hochseil. Ich kann das auch noch nicht so gut, wie ich gerne möchte. Aber ich übe. Voller Vertrauen und Hingabe.
Man soll ruhig merken, welch Geistes Kind ich bin! Manchmal schäme ich mich, weil es wieder nicht geklappt hat. Aber nicht lange. Ich übe weiter. Ich will ein guter Seiltänzer im Glauben werden! Und zum Glück kenne ich Menschen, die mir beim Lernen und Üben helfen. Die wünsche ich Ihnen auch! Und einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40580SWR Kultur Lied zum Sonntag
Du hast mir das Herze genommen, meine Schwester, liebe Braut!
Von wem ist hier die Rede? Dieses uralte Liebeslied steht in der Bibel – in einer ganzen Sammlung solcher Lieder, dem Hohelied. Zwei junge Menschen singen über ihre Liebe.
Aber warum steht das in der Bibel?
Nun: Gott ist Liebe. Was, wenn nicht Liebeslieder, sollte dort stehen! Und dann hat man die Liebe hier als Gleichnis verstanden – für die Liebe zwischen Gott und Israel, oder zwischen Christus und der Kirche. Von wem ist hier also die Rede? Wenn Sie wollen: Von Ihnen!
Achtstimmig ist dieser festlich-schöne Gesang. Der junge Johann Crüger hat ihn im Jahr 1620 in Berlin für eine Hochzeit geschrieben. Wir kennen Crüger vor allem für seine Melodien auf Texte von Paul Gerhardt, die meisten davon regelrechte Kirchen-Schlager. Und nun dieses biblische Liebeslied! Ein wunderbares Menü tischen uns der alte Orient und das barocke Berlin gemeinsam auf – ein köstliches Hochzeitsmahl: „Deine Lippen sind wie ein triefend Honigseim. Honig und Milch ist unter deiner Zungen, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanon.“
„Liebe Braut: Wie schön und lieblich bist du!”
Die Idee, dass Gott in seine Menschen verliebt ist wie ein Bräutigam in seine Braut, die gefällt mir! Wie aufregend und bunt wird mein Leben, wie glühen meine Wangen, wie leuchten meine Augen! In welch leuchtenden Farben liegt der Weg meines Lebens vor mir!
Wenn Glaube so fröhlich und bunt sein kann, so heiter und so zärtlich – dann wird er ganz sicher Berge versetzen!
Die Liebe zwischen zwei Menschen als Gleichnis für die Liebe zwischen Gott und Mensch – das ist ein so genialer Gedanke, dass man sofort auf ihn kommen müsste, wenn er es nicht schon in die Bibel geschafft hätte. Gott hat sich in uns verliebt. Wie sollten wir nicht Tag und Nacht daran denken, wie wir diese Welt in den Lustgarten verwandeln können, als den Gott sie gemeint hat! Wir werden geliebt. Was sollte uns aufhalten?
Text: Hoheslied 4,9-11
Melodie: Johann Crüger
Du hast mir das Herze genommen
(für 8-stimmigen gemischten Chor und Basso continuo)
Wie mit vollen Chören (MarienVokalconsort, MarienEnsemble, Dir.: Marie-Louise Schneider)
Rondeau LC 06690 / 07 / [WDR] 6187956107.001.001
SWR4 Feiertagsgedanken
Heute liegen Blumenbilder auf den Straßen. Fahnen wehen. Die Menschen sind festlich gekleidet. Musikvereine und Blaskapellen spielen. Es ist Fronleichnam: ein großes Fest der katholischen Kirche. Das wird aber nicht in der Kirche, sondern auf der Straße gefeiert.
Ich bin evangelisch. Dieses Fest ist mir eher fremd, darum will ich gar nicht herumreden. Aber mit allen, die heute feiern, die sich heute freuen – mit denen freue ich mich gerne mit! Und wenn die Musik spielt, wenn ich die schönen Bilder aus den vielen Blumen sehe – dann habe ich auch etwas von ihrer Freude!
Ich lebe auf dem Hunsrück. Hier gibt es immer noch ganz katholische und ganz evangelische Dörfer. Die kleinen Städte dagegen, die sind seit Jahrhunderten gemischt. Aber zum Glück sind die Zeiten vorbei, in denen die Evangelischen an Fronleichnam den Mist gefahren haben. Und dafür die Katholiken an Karfreitag die Fenster geputzt haben. Stattdessen höre ich heute den Satz: „Wir haben doch alle einen Herrgott!“ Ja, da ist etwas dran. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen Evangelisch und Katholisch noch da. Und die möchte ich nicht kleinreden. Jahrhundertelang wurde heftig darüber gestritten, wer jetzt richtig glaubt und wer auf dem Holzweg ist. Ganze Kriege wurden darüber geführt. Da empfehle ich etwas anderes: Schauen Sie doch einfach mal, was bei den anderen schön ist! Und schauen Sie dann bei sich selbst: Was ist in Ihrer eigenen Art zu glauben schön?
Das finde ich als Protestant bei den Katholiken schön: Wie hier das, was normalerweise in der Kirche passiert, auf die Straße getragen wird. Mit Blumen, Musik und feinen Kleidern. Wie das in der Gemeinschaft vorbereitet und gefeiert wird. Wie Menschen zeigen, was sie glauben, wie sie den Glauben schön herausputzen und herzeigen. Ein Glaube, den man sehen, hören, fühlen und schmecken kann. Ein Glaube für alle Sinne. Ein schöner Glaube. Ohne das würde auch mir etwas fehlen!
Es gibt Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen. Manches bleibt mir bei meinem Gegenüber fremd. Anderes bewundere ich. Meinem katholischen Gegenüber wird es mit mir genauso gehen. Und dann stimmt der Satz, den mir besonders ältere Menschen sagen: „Wir haben doch alle nur einen Herrgott!“ Ja, Gott ist einer. Aber wir Menschen, wir sind verschieden. Wie die verschiedenen Blumen, aus denen heute ein schönes Bild gelegt wird!
Zu einem schönen Glauben passen keine Missgunst, keine Gehässigkeit, kein Neid. Auch keine Angst und Bitterkeit, kein falscher Stolz, kein Triumph auf Kosten anderer. Ein schöner Glaube feiert und lernt. Er ist glücklich und teilt das gerne mit den anderen. So ist heute auch ein Fest für mich!
Und im Mittelpunkt dieses Festes steht Jesus. Wir alle gehören zu ihm. Auch wenn wir uns untereinander nicht immer verstehen. Auch wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, auch wenn wir uns streiten. Die ersten Jünger haben das auch getan.
Aber Jesus hat mit ihnen allen gefeiert. Er hat mit ihnen allen das Brot gebrochen. Und das ganze schöne Fest heute dreht sich um ein kleines rundes Stück Brot: die Hostie. In einem kostbaren Gefäß wird sie durch die Straßen getragen: Schaut her! Unser Geheimnis des Glaubens! Das ist wirklich ein Geheimnis, das ist wirklich kaum zu glauben: dass diese Hostie nicht einfach nur ein Stück Brot ist, sondern der Leib von Jesus Christus. So glauben es katholische Christen. Sie feiern, dass Jesus seinen Leib für uns Menschen gibt. Wir Evangelischen betonen eher etwas anderes: dass wir als Abendmahlsgemeinschaft selbst der Leib Christi sind. Alle zusammen und verbunden durch Brot und Wein. In unserer Kirche stehen wir beim Abendmahl im Kreis und fassen uns hinterher an den Händen. So kann man das sehen, was wir glauben. Wir feiern das sicher anders als unsere katholischen Geschwister. Aber dass es etwas zum Feiern ist, dass Christus uns verbindet, dass es schön sein und sich gut anfühlen soll – das haben wir uns dann vielleicht doch von ihnen abgeguckt! Denn früher war das Abendmahl bei uns Evangelischen oft eine todernste Angelegenheit.
Und diese Gemeinschaft als Leib Christi – die sollen wir auf die Straße tragen. Jesus Christus hat keine anderen Hände als unsere Hände. So heißt es in einem alten Gebet. Christus hat keine Füße, nur unsere Füße, er hat nur unsere Lippen. So sind wir wirklich der Leib Christi. Alle zusammen sind wir die Hände und Füße Christi, sind wir Jesu Mund und Jesu Ohren. Mit dem, was wir heute tun. Mit den Händen, die wir reichen und auflegen. Mit den Wegen, die wir zu anderen gehen. Draußen, auf den Straßen. Wo es regnen und stürmen kann, wo es auch übel und gefährlich werden kann. Caritas – Nächstenliebe – heißt das bei den Katholiken. Diakonie – Dienst – nennen wir Evangelischen es.
Wir sind der Leib Christi. Füreinander und für die Welt. So wünsche ich uns ein gesegnetes Fronleichnamsfest!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40005SWR Kultur Lied zum Sonntag
Vielleicht besuchen Sie heute einen Gottesdienst. Oder vielleicht gehen Sie stattdessen lieber in der Natur spazieren. Vielleicht machen Sie aber auch beides. Ich hätte da ein hübsches Lied, das auf jeden Fall für beide Gelegenheiten passt:
Musik 1: Strophe 1
„Himmel, Erde, Luft und Meer
zeugen von des Schöpfers Ehr.“
Das kann ich jetzt im Frühling gut nachvollziehen! Ich gehe an gelben Rapsfeldern entlang und weiter in grüne Wälder. Am Himmel wechseln Wolken und Sonne, in der Luft liegen verschiedene Düfte.
Wenn Himmel und Erde davon zeugen, wie wunderbar Gott alles gemacht hat, dann kann auch ich nicht schweigen:
„Meine Seele, singe du,
bring auch jetzt dein Lob herzu.“
Musik 1: Strophe 2
Diesen Lobgesang hat Joachim Neander geschrieben. Er lebte von 1650 bis 1680, davon entscheidende fünf Jahre als Prediger in Düsseldorf. Dort schrieb er viele Lieder, unter anderem dieses.
In der Nähe von Düsseldorf ist ein Tal nach ihm benannt: das Neandertal. Er besuchte es, so oft er konnte. Alte Bilder zeigen eine Schlucht, hohe Felsen umrahmen einen Bach. Wunderschön muss es dort gewesen sein. Heute sieht es dort ganz anders aus: Die Felsen wurden abgetragen und als Baumaterial verwendet. Wir Menschen machen uns alles zu Diensten und zu Nutzen. Haben wir noch Platz für das Lob des Schöpfers?
Musik 1: Strophe 3
Das alte Loblied öffnet mir eine neue Sicht: Etwas, das ich so besinge, das versuche ich auch zu schützen. Ich sehe, wie in der Schöpfung eins ins andere greift und alles seinen Platz hat. So suche auch ich meinen Platz darin. Die Welt ist Gottes Schmuckstück. Und Gott lässt nicht nach, immer wieder Neues zu schaffen. Als die Industrie das von ihr zerstörte Neandertal wieder sich selbst überließ, entstanden dort neue Schönheiten. Gottes Finger zeigen mir neue Wege.
Musik 1: Strophe 4
So, wie Neander die Vögel beschreibt, denke ich dabei auch an uns Menschen: Sie sind nicht allein, sie brauchen einander. So wie wir.
Donner, Hagel und Wind, die Naturkräfte, denen wir oft hilflos ausgeliefert sind: Neander nennt sie Gottes Diener. Ein steiler Gedanke! Doch: Wenn selbst der Sturm Gott dienen soll, dann ich erst recht.
„Ach mein Gott, wie wunderbar
nimmt dich meine Seele wahr!
Drücke stets in meinen Sinn,
was du bist und was ich bin.“
Was ich bin: nicht der, der das alles gemacht hat. Ich bin selbst ein Teil der Schöpfung.
Neanders Lied kam mit einer anderen Melodie ins Evangelische Gesangbuch. So singen wir – und singen zusammen als Gemeinde:
Musik 2: Strophen 5+6
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Lied: Himmel, Erde, Luft und Meer (EG 504)
Komponist
Text: Joachim Neander 1680
Musik 1: Lobwasser Psalm 136 / Lobet den Herren inniglich
Musik 2: Georg Christoph Strattner 1691
Musikquellen
Musik 1: Himmel, Erde, Luft und Meer / Fortune’s Musicke / Psalter und Harffe wach't auff (Aus dem Liederbuch des Joachim Neander) / Cantate LC: 00147, C58056 / 01
Musik 2: Himmel, Erde, Luft und Meer / Jugendkantorei Sennestadt / WDR-Kompilation / 6051582106. 001.001(DAAS)
SWR2 Lied zum Sonntag
Musik
„Ho un non so che nel cor, che invece di dolor, gioia mi chiede.“
„Ich habe was im Herzen, das anstelle von Schmerzen Freude von mir fordert.”
Das singt Maria Magdalena auf dem Weg zum Grab Jesu. Eine Arie aus dem Oratorium La Resurrezione – Die Auferstehung – von Georg Friedrich Händel. Als ganz junger Komponist hat er es in Italien geschrieben. Die junge italienische Sängerin Margherita Durastanti hat diese Arie gesungen. Der Papst war wütend über eine Frau im Oratorium – und Händel wohl ein bisschen verliebt.
Die Freude setzt sich noch nicht richtig durch. Zu viel ist im Weg. Und doch bange Erwartung, leise Hoffnung: Maria „spürt schon etwas im Herzen”.
Musik
Die Musik weiß tatsächlich schon mehr als Maria Magdalena. Das kleine Orchester hüpft und tanzt bereits. Marias Gesang klingt darüber wie der einer einzelnen Lerche über einem Frühlingsfeld. Doch die Osterfreude entwickelt sich erst. Maria ist bereit, vor Freude zu springen. Aber darf sie das? Ist es wirklich wahr, was man ihr sagt? Jesus ist auferstanden?
Eine Osterstimmung, die ihrer Fröhlichkeit selbst noch nicht ganz traut. Ja, das kenne ich. Der Schock und Schmerz über den Tod eines Menschen ist noch frisch. Und da soll plötzlich Ostern werden!
In der Arie heißt es: „Das Herz, an Angst gewöhnt, kann die Stimmen der Freude noch nicht vernehmen, oder vielleicht hält es sie für Hirngespinste.“
Musik
Ma il core, uso a temer, le voci del piacer o non intende ancor, o inganno del pensier forse le crede.
Der Lerchengesang ist etwas tiefer und ernster geworden. Die Freude hat das Herz zwar erreicht. Doch sie kommt noch nicht hinein. Das Herz ist zu sehr an Angst gewöhnt.
Das Markusevangelium erzählt das eindrücklich: Maria und die anderen Frauen fliehen vom Grab. Sie erzählen niemandem etwas, denn sie fürchten sich. Und im Johannesevangelium weint Maria so verzweifelt, dass sie Jesus zuerst gar nicht erkennt.
Ja, sind das Hirngespinste? Oder darf Maria sich jetzt wirklich freuen? Auch das Evangelium weiß schon mehr als Maria in diesem Moment.
Musik
Die Freude ist angekommen.
Die Sängerin flicht in ihren Lerchengesang jubelnde Triller und Verzierungen ein. Und als sie schweigt, ist das kleine Orchester mit einem Mal ein bisschen größer geworden: Plötzlich stimmen Oboen mit ein. Maria hat es schließlich doch weitererzählt, trotz aller Angst und Trauer: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! Und seitdem geht die Botschaft um die Welt. Jetzt ist Ostern, Gott sei Dank!
Musik
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Lied:
Ho un non so che nel cor. Arie der Maddalena (G.F. Händel, La Resurrezione)
Komponist:
M: Georg Friedrich Händel'
T: Carlo Sigismondo Capece
Musikquelle:
Ho un non so che nel cor. Aria (Maddalena) aus: La Resurrezione Oratorium in 2 Teilen, HWV 47
Händel, Georg Friedrich; Capece, Carlo Sigismondo
Argenta, Nancy; Amsterdam Baroque Orchestra; Koopman, Ton
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Guten Morgen!
„Das ist ungerecht!“, ruft der kleine Junge empört. „Die kriegt viel mehr als ich!“ „Die“ – das ist die jüngere Schwester des kleinen Jungen. Der Vater seufzt, holt ein Lineal und misst die beiden Kuchenstücke genau aus. Tatsächlich könnte es sein, dass das Kuchenstück des Mädchens einen knappen Millimeter breiter ist, bei gleicher Höhe. Der Vater holt ein feines Messer und schneidet eine hauchdünne Scheibe vom Kuchen des Mädchens ab. Die legt er auf den Teller des Jungen. Der ist zufrieden, hatte er doch recht: Seine Schwester hatte viel mehr zugeteilt bekommen als er! Dafür fängt die Kleine nun an zu weinen und will ihren Kuchen gar nicht mehr haben. Papa ist so ungerecht!
Während der Junge zufrieden seinen Kuchen isst, wiegt der Vater seine weinende Tochter. Bis die so weit ist, dass sie doch ein Stück von ihrem Kuchen isst.
So oder so ähnlich haben wir das wohl alle als Kinder erlebt – und dann wieder als Eltern oder Großeltern, oder bei den Nichten und Neffen. Und schmunzeln jetzt als Erwachsene: Ja, so sind Kinder eben.
Nein. So sind Menschen. Die Großen nicht anders als die Kleinen. Unsere Nachrichten sind voll von Konflikten. Menschen streiten sich wegen gefühlten oder tatsächlichen Ungerechtigkeiten. Weil das Erwachsene sind, wird das vielleicht ernster genommen als bei Kindern. Aber das Gefühl dahinter ist doch ähnlich: Ich bin zu kurz gekommen! Mir wird was weggenommen! Keiner hört mir zu! Wenn ich nicht laut werde, beachtet mich keiner!
Und noch etwas ist ähnlich. Wie nannte der Kleine seine Schwester: „die“. Ich muss schon sagen, das Wort höre ich oft von Erwachsenen. Die machen doch eh, was sie wollen! Die stopfen sich die Taschen voll, und wir müssen’s bezahlen! Aber man darf ja gar nichts mehr sagen, dafür sorgen die schon!
Für „die“ kann man einsetzen: die Regierung, die Politiker, „die da oben“; oder: die Flüchtlinge, die Bauern – irgendwas davon stimmt immer.
Sind wir also nicht weiter als kleine Kinder? Nun, in einer Hinsicht sind Kinder vielleicht sogar weiter. Sie wissen nämlich: Wir gehören zusammen. Wir sind eine Familie. Und es wird auch wieder gut.
Davon erzählt die Bibel schon am Anfang: Alle Menschen sind eine große Familie. Und sie setzt noch eins drauf: In der Bibel steht nämlich, wie Gott aussieht. Gott können wir zwar nicht sehen. Aber wenn ich wissen will, wie Gott aussieht, dann muss ich mich eigentlich nur umschauen. So wie die Menschen um mich herum, so wie Sie oder ich: So sieht Gott aus. Denn wir sind alle Gottes Bild. So steht es in der Bibel. Auch ganz am Anfang.
Nicht die also. Wir! Du und ich.
Meine Güte, denke ich – so viele Gottesbilder! Männer und Frauen: davon spricht schon die Bibel. Das ist die einzige Unterscheidung, die sie macht. Eine Unterscheidung, aber kein Wertunterschied. Es sind wirklich alle gleich viel wert! Jung und Alt, dick und dünn, schwarz und weiß, gesund und krank, reich und arm, hässlich und schön, klug und weniger klug. Erst alle zusammen würden ein Bild von Gott ergeben. Aber alle zusammen ergeben dieses Bild tatsächlich. Freilich gehören dazu auch alle, die einmal gelebt haben. Und alle, die einmal leben werden. Wir können es also einfach nicht fassen!
So viele verschiedene Menschen. Da gibt es natürlich auch unzählige verschiedene Meinungen. Verschiedene Interessen, verschiedene Erfahrungen. Und natürlich gibt es dann Streit. Aber wie bei den kleinen Kindern in meinem Beispiel bleibt dieser Streit in der Familie. Die ganze Menschheit ist eine riesengroße Familie, sagt die Bibel. Alle sind miteinander verwandt. Alle gehören zusammen. Wie unterschiedlich wir auch sind, wir gehören alle zusammen! Unsere Unterschiede sind kein Grund, deshalb Krieg anzufangen. Sie sind kein Grund für Rassismus.
Die jüdische Holocaust-Überlebende Margot Friedländer hat gesagt: „Wir sind alle gleich – es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Ihr habt alle dasselbe. Wir kommen alle auf diese Art und Weise auf diese Welt. Wir sind Menschen, nichts anderes. Seid doch Menschen!“
Ja, Streiten ist menschlich. Aber Streit will gelernt sein! In der jüdischen Tradition ist Streit ganz wichtig. Die Rabbinen, die großen Gelehrten, die waren überzeugt: Erst der Streit hilft uns, die Wahrheit zu erkennen. Nach und nach erkennen wir dann, worum es geht. Aber damit sind wir nie fertig.
Darum gibt es in der Bibel verschiedene Geschichten darüber, wie die Welt und die Menschen entstanden sind. Darum gibt es vier verschiedene Evangelien.
Es gibt nicht die eine Wahrheit. Darum gibt es auch keine vollkommene Gerechtigkeit. Wenn wir versuchen, einem gerecht zu werden, gibt es oft neue Ungerechtigkeit. Neues Leid.
Aber wir sind alle Gottes Bild. Wir haben alle unseren kleinen Anteil an der Wahrheit. Tragen wir das zusammen!
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=39530SWR2 Lied zum Sonntag
Musik 1
So könnte es klingen, wenn der Himmel die Erde besucht. Stimmen wie von weit her, aus der Höhe – und doch rasch geerdet.
“O nata lux de lumine, Jesu redemptor saeculi.” – “O Licht, aus dem Licht geboren, Jesus, Erlöser der Welt.” Ein alter lateinischer Hymnus. Die Musik ist von Thomas Tallis, einem englischen Komponisten des 16. Jahrhunderts.
“Licht, aus dem Licht geboren”: Der Himmel sendet sein Licht auf die dunkle Erde, und die Erde wird hell, noch im letzten Winkel.
Musik 2
„Jesus, nimm barmherzig Lobpreis und Gebete der Bittenden an.“
Wenn Menschen von der Erde zum Himmel schauen, dann mischen sich Anbetung und Klage. Es ist so dunkel auf der Erde. Leid und Gewalt, Angst und Zerstörung, Not und Bitterkeit. Kalt und einsam ist es, in der Welt und in den Herzen. Die Stimmen gehen nach oben. Und ein Instrument mischt sich ein, das eigentlich gar nicht in Tallis‘ Komposition gehört: ein Saxofon, hier als Stimme der Hoffnung.
Musik 2
Der Himmel besucht die Erde … und die Erde streckt sich nach dem Himmel aus, greift zu, hält fest, will die neue Hoffnung nicht mehr loslassen. Es kann doch noch gut werden. Kann es nicht doch noch gut werden? Was bleibt am Ende von Weihnachten, was bleibt von der Hoffnung auf das neue Jahr?
Jesus ist vom Himmel auf die Erde gekommen. Wir werden die Glieder seines Leibes.
Musik 2
Wir gehören zum Leib Christi, das bleibt von Weihnachten. Wir sind Jesu Arme, Beine, Augen und Mund. Wir sind Teil von Gottes Hoffnung für die Welt. Diese Hoffnung tragen wir ins neue Jahr. Schmerzen und Wunden – die gehören dazu. Ebenso wie Anmut und Schönheit. Schwäche ebenso wie Stärke.
“O nata lux de lumine – O Licht, aus dem Licht geboren, Jesus, Erlöser der Welt.”
Das Licht ist zur Welt gekommen, der Himmel hat die Erde besucht, um zu bleiben. Und das Licht wird stärker. Überall, wo ein Mensch hofft.
Musik 1
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O nata lux (Thomas Tallis)
Komponist
M: Thomas Tallis
T: Unbekannt; im Manuskript benutzte deutsche Übersetzung: René Strasser
(http://www.hymnarium.de/hymni-ex-thesauro/hymnen/326-o-nata-lux)
Musikquellen
Musik 1:
O nata lux de lumine. Hymnus zu 5 Stimmen (Vokalensemble a cappella); Tallis, Thomas; Unbekannt; Stimme pur: The Tallis Scholars. English Choral Masterpieces – Reflecting Byrd; The Tallis Scholars; Phillips, Peter
Musik 2:
O nata lux de lumine. Hymnus zu 5 Stimmen. Bearbeitet für Vokalensemble und Saxophon; Tallis, Thomas; Unbekannt; ...; When Sleep Comes; Forshaw, Christian; Tenebrae; Short, Nigel
SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Und: alles fertig für Heiligabend? Steht Ihr Baum schon? Vielleicht schon länger? Nadelt er sogar schon? Haben Sie alle Geschenke? Auch schon alles eingepackt? Das Abendessen vorbereitet?
Ich nerve Sie mit meinen Fragen? Entschuldigen Sie bitte! Ich will Ihnen wirklich keinen Stress machen. Ganz im Gegenteil!
Bevor Sie anfangen zu kochen und was Sie sonst für heute Abend noch vorbereiten müssen – bevor es also doch stressig wird: Da lade ich Sie heute Morgen ein, einen Moment innezuhalten. Und falls Sie heute keinen besonderen Stress haben, weil doch niemand kommt: Dann lade ich Sie gerade ein, auf diesen Moment zu achten. Und wenn da ein Gefühl von Einsamkeit nagt: das einfach mal eine Weile beiseitezuschieben. An diesem Heiligmorgen. So nenne ich diesen Morgen einfach mal.
Einen Heiligmorgen gibt’s nicht jedes Jahr. Das ist schon was Besonderes, wenn Heiligabend auf einen Sonntag fällt. Wenn man nicht noch auf den letzten Drücker durch die Geschäfte hetzt. Sondern wenn eigentlich schon der Morgen was abkriegt vom Heiligen Abend. Eine Schippe Sternenglanz. Was auch immer Sie also heute beschäftigen mag – achten Sie auf diesen warmen Glanz, der heute Morgen schon durchschimmert. Von den Sternen, die erst später leuchten werden.
Noch ist es nicht ganz so weit. Wir warten noch. Das passt aber zu diesem Tag. Denn eigentlich ist ja heute der vierte Advent. Und Advent – das heißt Ankunft. Christus kommt. Aber noch ist er unterwegs. Wir warten.
Warten, das ist ja eher unbeliebt. Man denkt an Schlangestehen, volles Wartezimmer. Man ärgert sich über die verlorene Zeit und ist in Gedanken schon ganz woanders. Aber Warten am Heiligmorgen, Warten auf den Sternenglanz, der kommen wird und von dem ich jetzt schon ein bisschen erhasche: Das könnte ein gutes Warten sein. Ein Warten, das seinen eigenen Sinn hat. Warten darauf, dass es gut wird. Dass alles heil wird.
Ob sich das Warten lohnt? Vielleicht. Hoffentlich! Der Advent ist keine Zeitverschwendung, sondern Zeit für Hoffnung. Jetzt ist der Morgen, jetzt ist der neue Tag. Jetzt liegt etwas vor uns.
Diesem Glanz spüre ich an diesem Heiligmorgen nach. Ich merke, dass noch etwas vor mir liegt. Obwohl ich auch spüre, dass ich älter geworden bin und mehr Zeit hinter mir liegt als vor mir. Aber was weiß ich schon, was noch kommt! Und wenn ich keine besonderen Erwartungen mehr habe – was weiß ich, ob ich mich da nicht tüchtig irre! Ich ziehe mir eine warme Decke über die Schultern und will mit offenen Augen und Ohren warten. Mit wachen Sinnen für meine Umgebung. Den Sternenglanz suchen, der sich da versteckt. Jetzt, am Heiligmorgen. Einen Moment nur sehen, hören, spüren.
Vergangene Advents- und Weihnachtstage ziehen vorbei. Jeder lässt etwas Besonderes zurück. Und ich merke, es ist nicht einfach vergangen. Jetzt ist es ja da: lebendige Erinnerung! Stimmen, Bilder, und: ja, Sternenglanz. Auf den Gesichtern. In Stuben, die es so nicht mehr gibt. Sternenglanz in meinem Herzen. Auf meinem Mund, in meinen Augen.
Der Heiligmorgen ist ein Moment voller Geschenke. Manche sehe ich nur, wenn ich nach innen schaue. Vielleicht bin ich aber auch von ihnen umgeben: von Momenten, in denen ich zufrieden bin, wo jemand ein gutes Wort für mich hat oder eine liebevolle Geste. Sie mögen eher klein wirken, diese Geschenke. Vielleicht sogar armselig. Jedenfalls nicht ausreichend, um alles gut zu machen. Aber das macht nichts. Ihren Glanz und Schimmer haben sie doch.
Und sie haben eine wichtige Botschaft, diese Geschenke am Heiligmorgen: Gib die Hoffnung nicht auf! Lass dich nicht unterkriegen! Vergiss über dem Schweren oder sogar Schrecklichen im Leben nicht das Schöne. Vergiss es vor allem dann nicht, wenn das Schreckliche überhandnehmen will. Halte dich fest an dem Schönen. Lass dich davon stark machen!
Und hör‘ nicht auf, nach vorne zu schauen. Heute ist ja auch der vierte Advent. Da heißt es, hoffnungsvoll zu warten auf das, was noch kommt. Und es gibt schon Zeichen, dass da noch was kommt. Die fallen oft nicht direkt ins Auge. Aber sie sind da. Glücksmomente, hier einer und dort einer, zwischendurch, versteckt – doch wenn ich auf ihren Glanz achte, dann finde ich sie.
Und deshalb habe ich Sie eingeladen, heute Morgen einen Moment innezuhalten. Weil dieser Morgen schon etwas abkriegt vom Glanz von Heiligabend: eine Schippe Sternenglanz, von den Sternen, die heute Abend leuchten werden.
In der Bibel beschreibt der Apostel Paulus den Glanz von Heiligabend so: „Als die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, in der Welt erschienen ist, machte er uns selig.“
Freundlichkeit. Menschenliebe. Seligkeit. Das sind Stichworte für den Heiligmorgen. Darauf dürfen wir warten, voller Hoffnung. Und nach vorne schauen! Denn das ist es, was kommt.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Heiligmorgen! Und heute Abend einen gesegneten Heiligabend!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38949SWR2 Lied zum Sonntag
Musik
„Lacrimosa dies illa“ – ein Tag voller Tränen. Wenn Tränen alles sind, was noch geht. Kennen Sie solche Tage?
„Lacrimosa dies illa“ – wörtlich heißt das: „Tränenreich ist jener Tag“. Gemeint ist der Tag des Jüngsten Gerichts. Das ist vielleicht noch lange hin. Oder es ist jetzt. Trauer hat kein Zeitgefühl. Für sie ist jetzt der Tag der Tränen. Der Tag, an dem sich alles auflöst, was einen Sinn hat.
Musik
„Lacrimosa dies illa“. Ein Stück aus dem Requiem von Guiseppe Verdi. Der Totenmesse des großen Opernkomponisten. Als junger Mann hatte Verdi Frau und Kinder verloren. Und für den christlichen Glauben nicht viel übrig. Aber sehr viel für die Liebe. Gerade für die Liebe, die Tränen weint, die unter Tränen singt. Für die tiefe, unstillbare Sehnsucht nach Trost.
Der weiche, sanfte Gesang der Liebe kann Wunden schließen. Er findet Wege zu einem erstarrten Herzen, er baut Brücken über Brüche und Risse. Auswege, wo eigentlich nichts mehr zu sehen ist. Stimme, wo keine Worte mehr hinreichen. Vielleicht lösen die Tränen, was nicht erlöst werden kann. Ist Gottes Platz dann nicht zwischen all den Tränen?
Musik
Diese Aufnahme gibt ein Konzert aus Stuttgart unter Leitung von Hellmuth Rilling wieder. Zwei Tage später hat er die Aufführung in Berlin wiederholt – es war der 11. September 2001. In die Vorbereitung des Konzerts platzten die Nachrichten vom Terroranschlag auf das World Trade Center in New York. Die Verantwortlichen haben sich damals entschieden, die Musik trotzdem aufzuführen. Als Musik gegen das Entsetzen. Als Gesang, wo die Worte fehlten oder fehl am Platz waren. Tränen aber nicht.
Wie nahe uns das alles in diesem Jahr wieder ist! Und wie tröstlich zu hören: Gott verstummt nicht, wo wir vor Schreck erstarren. Wo uns nichts bleibt als Tränen. Und wo die Worte nicht reichen, da wird Gott vielleicht singen.
Musik
Verdis Musik ist voller Liebe. Darin ist Raum für Gott. Nicht für den strafenden, aber für den liebenden. Den Gott des Trostes. Der eines Tages alle Tränen abwischen wird. Dann wird nur noch Platz für Freudentränen sein.
Musik
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Lacrimosa dies illa aus der Messa da Requiem von Guiseppe Verdi
Komponist
T: trad. Sequenz Dies irae aus der Totenmesse
Dies irae: aus: Messa da Requiem für 4 Soli, Chor und Orchester; Verdi, Guiseppe; Brüggergosman, Measha; Remmert, Birgit; O'Mara, Stephen; Schelomianski, Michail;Festival Chor und Festival Orchester des Europäischen Musikfestes; Rilling, Helmuth; Live-Aufnahme 09.09.2001 Stuttgart, Liederhalle, Beethovensaal
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