Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5667 »
Eigentlich haben wir den Vater mit zwei Kindern auf unserer Radtour nach dem rechten Weg fragen wollen, aber er kannte sich in der Gegend auch nicht besser aus als wir. Als wir gerade weiterfahren wollten, sagte er zu seinen beiden Kindern: „Schaut mal, die haben noch richtige Fahrräder wie früher. Ohne Elektromotor!“ Da hab‘ ich mich gefühlt, als wäre ich gerade auf dem Weg, ausgestopft ins Museum befördert zu werden. Ertappt als Fortbewegungs-Dinosaurier! Lebendiger Nachkomme des Freiherrn von Drais und seinem Laufrad.
Die Erfahrung, womöglich bald ins Museum abgeschoben zu werden, beschleicht mich manchmal auch auf einem ganz anderen Feld: Dem meines Gottesglaubens. Zwar habe ich noch keinen Vater getroffen, der zu seinen Kindern sagt: „Schaut mal, der glaubt noch an Gott, wie meine Oma früher!“ Aber in einer plural gewordenen Welt fahren die Menschen auf ganz verschiedenen Fahrrädern durch die Gegend. Das „Gottesfahrrad“ ist dabei nur eines von vielen.
In seinem Buch „Gott fährt Fahrrad“ bringt der niederländische Schriftsteller Maarten´t Hart Gottes Anwesenheit in der Welt mit dem Bild des Fahrradfahrens in Verbindung. * In seinem kindlichen Gemüt deutet er die leichte Unbeschwertheit, mit der ihm ein Radfahrer entgegenkommt, als Bild für Gott. Als Kind weigert er sich, sich von einem Fremden auf dem Lenker des Fahrrades mitnehmen zu lassen. Später deutet er das als Entscheidung gegen Gott.
Wahr daran ist für mich: Auch mein Glaube an Gott ist keine Erfindung der Moderne. Nicht abhängig von High Tec und Hochgeschwindigkeit. Wie das schlichte Rad, das Maarten `t Hart mit Gott in Verbindung bringt. Mein Glaube ist etwas, das aus alten Zeiten an mich gekommen ist. Durch meine Eltern. Durch andere Menschen, die mich geprägt haben. Durch eine Kirche, in der jeder und jede auf den Schultern von denen steht, die vorher gelebt und geglaubt haben. In der Bibel wird von einer „Wolke der Zeuginnen und Zeugen“ gesprochen. „Sie haben schon früher empfangen, womit wir uns heute in der Welt zurechtfinden können.“ Ob das auf Dauer mit einfachen alten Fahrrädern geht, oder ob wir andere Hilfsmittel des Glaubens brauchen, wird jede Generation, jeder glaubende Mensch für sich selbst entscheiden müssen. Das Museum, in dem Glaubende vor sich hin verstauben, kann derweil aber ruhig erst einmal geschlossen bleiben.
* Maarten ´t Hart, Gott fährt Fahrrad, Piper München 2008
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41984„Wenn ich ganz ehrlich bin: Die Kirche vermisse ich nicht!“ Im ersten Moment hat mir dieser Satz meiner Physiotherapeutin fast die Schuhe ausgezogen. Dabei hätte mich so eine Bemerkung eigentlich nicht überraschen dürfen. Untersuchungen zur Kirche gibt es schließlich zuhauf. Sie kommen alle zu ähnlichen Ergebnissen. Aber dieses Mal war es eben ein Originalton. Von einer sympathischen Frau, mit der ich schon mehrmals über meinen Beruf gesprochen hatte. Und natürlich auch über die Kirche. Dieses Mal hatte sie mich gefragt, wo es in ihrem Wohngebiet eigentlich eine Kirche gibt. Ich konnte ihr gleich mehrere nennen. Aber die sind ihr bisher noch gar nicht aufgefallen. Sie sagt: „Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in einer Kirche gewesen bin!“ Und dann, quasi als Krönung: „Wenn ich ehrlich bin: Ich vermisse sie auch nicht!“
Nach meinem ersten Schock hat uns ihre ehrliche Bemerkung ein offenes Gespräch beschert. Ich habe verstanden: Es haben sich bei ihr in den letzten Jahren einfach keine Berührungspunkte zur Kirche mehr ergeben. Keine Beerdigung. Keine kirchliche Trauung im Freundeskreis. Ein Trauritual aber schon. Das habe ihr gefallen. „Warum?“, frage ich? „Ja, das ist doch ein großer Schritt!“, sagt sie. „Mehr als nur zusammenzuziehen. Da muss doch ein Segen her!“ Jetzt waren wir aber mittendrin. Sie vermisst nichts. Aber es muss doch ein Segen her! Jetzt stand ich wieder mit beiden Füßen fest in meinen Schuhen drin.
Wie kritisch oder distanziert Menschen auch zu Kirche und Religion stehen: Beim Thema Segen gibt’s meistens uneingeschränkte Zustimmung und große Neugier. Segen braucht der Mensch! Sonst würde er wohl doch etwas vermissen. Kirche nein. Oder nicht unbedingt. Aber Segen ja! Dieser Satz stimmt mich zuversichtlich. Denn ich drehe ihn am liebsten um. Wo’s um Segen geht – wo Segen nachgefragt wird, da ist für mich Gott im Spiel. Da ist für mich Kirche. Verborgen vielleicht. Etwas windschief womöglich. Manchmal eher als Ruine. Aber im Grundriss immer noch erkennbar. Denn der Segen ist für mich das Grundgerüst der Kirche. Ob in der vertrauten geprägten Form wie in fast jedem Gottesdienst. Oder ganz frei und auf eine konkrete Situation hin formuliert. Also nicht: „Kirche nein. Segen ja!“ Sondern „Segen ja! – und du bist mittendrin. Mitten in der Kirche und mitten in der Welt!“ Einen gesegneten Tag wünsche ich Ihnen heute!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41983Die Nacht, die in den Tag mündet. Die gehört für mich unbedingt zu Ostern. Und dieser Übergang vom Dunkel ins Licht ist auch eine Woche danach sehr präsent. Weil er mir für mein ganzes Leben eine Perspektive gibt und deshalb heilig ist. Die Nacht und alles, was zu ihr gehört, verwandelt sich, wenn der neue Tag anbricht. Für mich gibt es kein stärkeres Zeichen für Ostern.
Ich feiere die Nacht auf Ostern so gut wie immer in einem Gottesdienst. Aber das bräuchte es gar nicht unbedingt. Als während Corona keine Gottesdienste an Ostern erlaubt waren, habe ich mich mit Freunden und Nachbarn in meinem Garten versammelt. Auch am späten Abend und mit Kerzen, um der Nacht etwas entgegenzusetzen. Und eben nicht allein, sondern mit anderen: die Nacht teilen, den Übergang gemeinsam erwarten. Wir haben ein Feuer angezündet und dort miteinander ausgeharrt, wo es dunkel und kalt war. Ich habe eine Bibelstelle gelesen und wir haben uns dazu ausgetauscht. Und am Ende, bevor es etwas Brot und Tee gab, haben wir ein altes Osterlied gesungen. Ein Lied von der Nacht, die vorüber ist und vom Licht, mit dem Gott unsere Welt hell macht. Ein Lied vom Licht, das sogar die größte Dunkelheit nicht aufhalten kann.
Dieses Lied ist für mich aber nicht nur Musik. Es ist in mir da, auch wenn ich gar nicht wirklich singe. Im übertragenen Sinn, als Bild drückt es meine Sehnsucht aus, dass alles gut werden kann. Es ist so etwas wie eine „Lebensmelodie“, die in mir singt und klingt. Auf einen genauen Text und die Noten kommt es also gar nicht mehr an. Wichtig ist mir nur, dass dieses Lied nicht verstummt. Ich habe es auch jetzt an Ostern gesungen. Mit meinen Worten, die jedes Jahr anders sind, weil die Welt nicht stehen bleibt und die Dunkelheiten sich verändern. Mal sind es weniger, mal sind es mehr wie im Augenblick. Umso wichtiger ist es, dieses „Lied“ zu singen.
Es handelt davon, dass die Wahrheit immer ans Licht kommt und die Lügen entlarvt werden. Es erzählt, wie wichtig es ist, frei zu sein, sagen zu dürfen, was man denkt, der sein zu dürfen, der man eben ist. Mein Osterlied singt in diesem Jahr von der Sehnsucht, dass die Kriege ein Ende haben, kein Kind mehr misshandelt wird. Dass wir den Wert jedes einzelnen Lebens für unendlich wertvoll halten. Und in der letzten Strophe steht meine größte Hoffnung: dass ich die Menschen, die ich geliebt habe und liebe, einmal wiedersehe nach meinem Tod. Und dass es dort keine Nacht mehr geben wird. Nur Licht, immerwährende Klarheit.
1 Genesis 1,27
Ich war enttäuscht. Kein einziges Mädchen hatte sich bei mir gemeldet, um den Beruf des Pfarrers kennenzulernen. Am Girl’s Day Anfang des Monats. Der ist unter anderem dazu da, dass Mädchen in einen Beruf hinein schnuppern, der nicht zum Standardrepertoire des eigenen Geschlechts gehört. Also Fliesenlegerin, Schornsteinfegerin, Metzgerin oder eben auch Pfarrerin. Nun gibt’s da allerdings in der Katholischen Kirche ein Problem. Die meisten Verantwortlichen wollen gar nicht, dass sich Girls für diesen Beruf interessieren. Von Rom aus ist das Amt des Priesters für Männer reserviert. Und ich werde daran nichts ändern, auch wenn ich persönlich anderer Meinung bin. Ich glaube, dass Frauen dazu genau so berufen sind wie Männer. Weil für die Frage, wer Jesus nachfolgen kann, das Geschlecht keine Rolle spielt. Und ich meine: Auch Jesus hätte es so gesehen, wenn damals diese Frage eine Rolle gespielt hätte. Frauen haben selbstverständlich zum Kreis derer gehört, die mit ihm in Galiläa auf Wanderschaft waren. Aber das nützt ja nichts. Auch wenn inzwischen sogar einzelne Bischöfe sich für diesen Gedanken öffnen, es sogar öffentlich sagen. Im Moment sieht es nicht danach aus, als würde sich daran etwas ändern.
Trotzdem war ich enttäuscht. Sogar ein bisschen niedergeschlagen, wenn ich mir vorstelle, wie das in ein paar Jahren sein wird, wenn ich mal in Pension gehe und kaum jemand nachkommt. Jungs ja auch so gut wie nicht. Und gleichzeitig ist mir klar, dass ich das niemand zum Vorwurf machen kann. Schon gar nicht einer 16-Jährigen, die natürlich klug genug ist zu wissen: „Das wird nichts, wenn ich darauf meine Zukunft aufbaue. Die wollen mich ja gar nicht.“
In meinem Kopf prallen da zwei Welten aufeinander. Und das tut weh! Ich wünsche mir, dass sich mehr für diesen Beruf interessieren. Auch junge Frauen. Weil es ein wunderbarer Beruf ist. Gerne würde ich meiner Schülerin Miriam erzählen, wie ergreifend es ist, ein altes Ehepaar zu besuchen. Sie haben Goldene Hochzeit, wollen ihr Eheversprechen von einst nochmals erneuern nach so vielen Jahren, und ich darf ihnen zusprechen, dass Gott weiterhin mit ihnen auf dem Weg bleibt. Ich würde darüber sprechen, wie tief es mich bewegt, am Bett einer kranken Frau zu sitzen, deren Kräfte zunehmend schwinden. Ich halte manchmal ihre Hand, wir lächeln und sprechen wenig. Und ich würde wohl ein wenig davon schwärmen, wie faszinierend es auch nach dreißig Jahren noch ist, die vielen verschiedenen Hände der Menschen zu sehen, auf die ich die Heilige Kommunion lege.
Ich weiß nicht, ob ich Miriam noch als katholische Priesterin erlebe. Girl’s Days wird es auch in Zukunft geben. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Jungs haben es schwer. Zumindest, wenn sie noch mitten in der Pubertät stecken, und nicht wissen, was sie wollen und wer sie eigentlich sind. Weniger jedenfalls als die gleichaltrigen Mädchen. Ich sehe das an meinen Schülern in der 9. und 10. Klasse. Früher war ziemlich klar definiert, was von ihnen erwartet wird. Jungs sollten wissen, was sie wollen, stark sein, beschützen können. Ein kräftiger Händedruck war gut. Männlich eben. Wie es sich im Laufe der Jahrhunderte eingespielt hatte, um erfolgreich zu sein.
Inzwischen ist das anders. Und dass es so ist, finde ich richtig und gut. Aber es macht es für die Jungs eben schwieriger. Oft sind die Mädchen in der Schule erfolgreicher. Sie können sich besser im Unterricht konzentrieren und erfüllen mehr, was ihre Eltern erwarten. Auch wenn’s um die Liebe geht, ist beileibe nicht mehr so klar, was von einem Jungen erwartet wird: cool sein oder zärtlich oder durchtrainiert. Einer, der die Führung übernimmt oder lieber in der zweiten Reihe unterstützt. Oder am besten alles zusammen?
Ich widme diese Sendung einem fast Fünfzehnjährigen, mit dem ich hin und wieder zu tun habe. Er kämpft sich durch die Pubertät und erlebt sein Leben auch als einen Kampf. Mit den Eltern und Lehrern, mit seinen jüngeren Geschwistern, mit den Gleichaltrigen in der Schule. Ich spüre, dass es unübersehbar vor allem auch ein Kampf mit sich selbst ist. Die Fragen, die dabei auftauchen, stehen ihm ins Gesicht geschrieben: „Was wollen die nur alle von mir? Bin ich ok, wie ich bin? Wie komme ich einigermaßen durch die Schule und finde einen Beruf, der zu mir passt?“ Meistens will er am liebsten nur seine Ruhe haben.
Wenn ich mit ihm zu tun habe, höre ich oft nur zu, was er erzählt. Was gar nicht viel ist. Nur kleine Schlaglichter aufs Familienleben, die Schule, und was er sonst so tut. Ich gebe kaum Ratschläge. Mir ist im Grunde nur eines wichtig: Er soll spüren, dass er in Ordnung ist. Als Junge, als Fünfzehnjähriger, mit seinen Ecken und Kanten, auch wenn er übers Ziel hinausschießt und frech und faul ist. Mal männlich, mal weniger männlich, mal eher weiblich. Wie es seit kurzem in der katholischen Einheitsübersetzung der Bibel auch heißt: Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie1. Beides gehört zu jedem von uns, und es braucht Zeit, um es zu verstehen, richtig damit zu leben. Vieles weiß der fünfzehnjährige Junge noch nicht. Muss er auch nicht. Aber ihn und seine Altersgenossen zu unterstützen, ihnen Mut zu machen, das liegt mir am Herzen.
Jesus aus Nazaret war ein Mensch mit Gefühlen. Ganz klar. Jesus weint, als er die Nachricht vom Tod eines guten Freundes bekommt. Jesus ist traurig und wütend, weil Gegner ihn daran hindern wollen, eine Kranke zu heilen - nur weil Shabbat ist, Arbeitsverbot also.
Aber seltsam: nirgends ist auch nur ein Wort darüber zu finden, wie Jesus gelacht oder gescherzt hat, dass er Witze macht oder sonst einmal fröhlich gewesen wäre...
Na gut - als Gast bei einem Hochzeitsfest sorgt er mal dafür, dass genug Wein da ist. Und gelegentlich fordert Jesus seine Leute ausdrücklich auf, jetzt aber mal keine Trauer zu schieben, solange sie ihn noch bei sich haben. Das sind doch indirekte Hinweise darauf, dass der Mann kein Trauerkloß gewesen sein dürfte. Man hat ihn sogar als Fresser und Weinsäufer kritisiert; der hat doch sicher wenigstens gelegentlich auch mal gefeiert und gelacht.
Allerdings: Lachen ist in der Bibel sowieso ein eher seltenes und irgendwie auch seltsam negatives Wort. Lachen und Gelächter haben immer einen schlechten Unterton. Böse Menschen, Feinde, Unterdrücker: die lachen brutal und sarkastisch. Gelächter richtet sich anscheinend immer gegen andere – und das ist ja nun wirklich sehr hässlich...
Vielleicht lassen die JesusGeschichten der Bibel auch deswegen aus, dass und wie Jesus gelacht hat? Er war aber jedenfalls so menschlich und so nah bei den Menschen und geradezu vernarrt und verliebt in sie, dass er sicher auch mit den Fröhlichen gelacht hat. Schade, dass die Evangelisten das vergessen haben. So können und dürfen wir es nur stark und fröhlich vermuten.
In manchen Kirchen gehört ein fröhliches Gelächter als fester Brauch zum Oster-Gottesdienst. Hat sogar einen lateinisch-theologischen Namen: risus paschalis – österliches Gelächter heißt es. Die Leute im frühen Mittelalter hatten ja wenig zu lachen und so ein Ostergottesdienst konnte schon lange dauern; und damit die Christenleute ausgerechnet am Osterfest ein bisschen fröhlich in die Welt gucken sollten: Erzählte der Pfarrer am Ende einen guten Witz – den OsterWitz eben. War gelegentlich sehr derb oder direkt. Aber das lässt sich ja leicht vermeiden.
Das Ostergelächter, das ich mal selbst erlebt habe, war allerdings unfreiwillig und eher einem Versprecher geschuldet – zudem in der Fastenzeit drei Wochen vor Ostern. „Gib deinem Volk einen hochherzigen Glauben“, betete da ein alter Pfarrer, „damit es mit froher Hingabe dem Oktoberfest entgegeneilt.“
Ist noch ein bisschen bis dahin – aber „Frohe Ostern“ jetzt und weiterhin wünsche ich!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42012Papst Franziskus ist gestorben. Von einem Menschen, der es keiner Seite recht machen kann, sagen manche ja, dass so ein Mensch vieles richtig macht. Für mich war Franziskus so ein Mensch. Vielen in Deutschland etwa, die sich eine weltoffenere, modernere Kirche wünschten, war er zu zögerlich. So hielt er daran fest, dass die Priesterweihe nur Männern vorbehalten sei. Zugleich setzte er Frauen in hohe Leitungsämter der Kirche ein. Homosexualität bezeichnete er als Sünde, begegnete queeren Menschen aber dennoch mit großer Wertschätzung. Erzkonservativen Hardlinern, die jede Modernisierung ablehnen, galt er deshalb als Verräter an der reinen Lehre. Ja, einige dieser sogenannten Würdenträger haben sogar versucht, ihn zu stürzen.
Ich habe Papst Franziskus um seine Aufgabe nie beneidet. Eine weltumspannende Kirche zusammenzuhalten in einer Welt, die so widersprüchlich und vielfältig ist, wie sie es wohl nie zuvor war. Ein fast schon übermenschlicher Anspruch. Und so sind es vor allem zwei Aspekte, die mir persönlich von seinem Pontifikat besonders in Erinnerung bleiben:
Da war sein weites Herz für die Armen, die Schwächsten, die an den Rand Gedrängten. Franziskus war einer, der Menschen gemocht hat. Ein Menschenfischer im Geiste Jesu. Einer, der Demut und Bescheidenheit nicht nur gepredigt, sondern auch vorgelebt hat. Der davon sprach, ihm sei „eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die wegen ihrer Verschlossenheit krank ist“.
Und dann ist da seine Enzyklika „Laudato si“. Sie war ihm ein Herzensanliegen und bleibt sein Vermächtnis. Die rücksichtslose Zerstörung unserer Lebensgrundlagen und den Klimawandel als vielleicht größte Bedrohung der Menschheit hat kein Papst vor ihm so klar benannt. „Alles ist mit allem verbunden“, schreibt Franziskus darin. Ein Satz, an den man als Christ derzeit nicht oft genug erinnern kann, angesichts egoistischer Alleingänge überall auf der Welt.
Wer auch immer Papst Franziskus nun nachfolgt. Ich bin sicher: Seine Stimme wird fehlen. In der Kirche und in der Welt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42029Die Kirche ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Bachs H-Moll-Messe steht auf dem Programm. Im Credo, dem Glaubensbekenntnis, herrscht auf einmal völlige Stille. Kein Orchester. Kein Chor. Generalpause! Der Chor hat sein „sepultus est“ gesungen. Auf Deutsch: “Er ist begraben worden!“ Eine ungeheure Spannung liegt in der Luft. Bis es weitergeht mit dem triumphierenden „Et ressurexit!“ „Er ist auferstanden!“
Der heutige Karsamstag hat für mich etwas von einer solchen Generalpause, dieser eine Tag zwischen Karfreitag und Ostern. In den Kirchen stehen da meist keine Blumen auf dem Altar. Es gibt auch kein Glockengeläut. In manchen Gegenden Süddeutschlands oder Österreichs sind Rätschen zu hören, hölzerne Geräte, die knarrende Laute von sich geben. Manche Altarflügel mit ihren bunten Bildern sind verhüllt. Die normalen Abläufe – sie sind unterbrochen. Zumindest im Kirchenjahr. Bevor dann in der Osternacht lautstark der Osterjubel einsetzt.
Für mich ist diese Generalpause mehr als ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten. Für mich ist sie ein Bild dessen, was mein Leben oft ausmacht. Eine Unterbrechung reiht sich an die andere. Meist tun mir Unterbrechungen von vertrauten Abläufen erst einmal gut, wie der Verzicht auf Süßes oder auf Alkohol in der Passionszeit. Ein kleines Fastenzeichen, mit dem ich übe, was das heißt, sich im Gewohnten zu unterbrechen. Unterbrechungen können mich aber auch völlig unerwartet und schrecklich treffen. Dann steht von einem Moment auf den anderen die Welt still. Generalpause – ohne Vorwarnung. Dann ist es wichtig, dass ich mir diese Unterbrechung zugestehe. Dass ich die Stille der Pause aushalte. Dass ich – in aller Wut oder in allem Widerstand – damit rechne, dass das Leben irgendwann wieder in Bewegung kommt. Dass ein neuer Einstieg ins Leben möglich wird.
In der Musik gibt es solche Generalpausen immer genau dann, wenn ein grundsätzlicher Umschwung angedeutet wird. Wie eben im Credo nach dem Bericht über Jesu Tod – ehe die Auferstehung besungen wird. Aus der Stille erwächst der Neuanfang, wie dem Karfreitag der Ostermorgen folgt. In der Feier der Osternacht kann ich das erleben. Die Generalpause des Karsamstags ist vorüber. Da wünsche ich mir, dass sich Vergleichbares in meinem Leben doch auch ereignet. Ein kleines Osterfest, mitten im bedrängenden Alltag. Immer wieder.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41982Ganz ehrlich, zuerst habe ich meinen Augen nicht getraut. Da kommen zwei Männer zu meiner Abendandacht in die Kapelle. Der eine mit einem Glas Wein in der Hand, der andere mit einem Glas Bier. Sie haben sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, aber waren ganz mit dabei. Immer wieder musste ich zu ihnen hinschauen. Nach der Andacht bin ich auf die beiden zugegangen. „Ich war schon überrascht!“, habe ich zu ihnen gesagt. Darauf der eine der beiden: „Aber bei euch gibt’s doch auch Wein in der Kirche, wenn ihr Gottesdienst feiert!“ „Ja natürlich, das stimmt!“, habe ich geantwortet. Und ich habe versucht, den beiden den Unterschied zu erklären. Aber richtig zufrieden war ich mit meiner Antwort nicht.
Ist der Unterschied wirklich so groß zwischen einem Abendmahl in der Kirche, mit Brot und Wein oder Saft, und einem ganz normalen Essen und Getränk – wie bei den beiden, die einfach aus ihrem normalen Glas trinken.
Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem in den Kirchen die Erinnerung an die letzte Mahlzeit von Jesus und seinen Freunden im Mittelpunkt steht. Genau darauf hat der Mann ja angespielt, als er davon sprach, in der Kirche würde doch auch Wein getrunken. Schon erstaunlich, dass sich Menschen nach zweitausend Jahren an dieses besondere Essen von Jesus mit seinen Freunden immer noch erinnern. Und im Gottesdienst ganz selbstverständlich wiederholen, was damals doch etwas Besonderes war. Aus allen Speisen und Getränken, die auf dem Tisch standen, hat Jesus die beiden herausgegriffen, die bis heute bei kaum einem Festessen fehlen: Brot – ein elementares Grundnahrungsmittel. Und Wein, schon damals ein festliches Getränk der Lebensfreude! Es wurde gefeiert! Vor allem die Erinnerung an die Befreiung der Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten. Gefeiert haben die Freunde von Jesus aber auch, dass bei diesem Essen im Angesicht des Todes Jesu Gott in ihrer Mitte war. Aus der Erinnerung ist Kraft und Lebensenergie erwachsen. Das ist bis heute so geblieben
Daran erinnere ich mich, wenn ich heute oder in den nächsten Tagen in der Kirche zu Brot und Wein oder Traubensaft eingeladen werde. Ich entdecke und feiere die Gegenwart Gottes in dem, was er hat wachsen lassen: Getreidekörner und Trauben. Zutaten aus der Natur. Eigentlich ein Wunder. Vielleicht, so denke ich, haben die beiden Männer nur ihren eigenen Zugang zu diesem Wunder gesucht. Und hoffentlich dann auch etwas davon gespürt.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41981Manchmal muss man das Leben einfach feiern. Jesus hat das zwei Tage vor seinem Tod erlebt. Er ist bei einem wohlhabenden Freund eingeladen, als überraschend eine Frau den Raum betritt. Sie gießt Jesus wertvollstes Öl über den Kopf, eine Kostbarkeit. So teuer, dass ein Tagelöhner dafür ein ganzes Jahr lang hätte arbeiten müssen. Der Raum dürfte mit dem Duft des Öls geflutet worden sein.
Und: Die Frau schenkt Jesus noch mehr als kostbares Öl. Seine Botschaft ist bei ihr angekommen. Sie handelt, als ob sie jetzt schon Teil der kommenden Welt Gottes ist, von der Jesus mit aller Kraft erzählt hat auf der wilden Reise seines Lebens. Sie feiert das Leben!
Sofort flammt Empörung auf. Wenn man das Öl verkauft hätte, statt es so zu verschwenden, dann hätte man das Geld den Armen geben können.
Jesus stellt sich schützend vor die Frau. Er lässt zu, dass sie überschwänglich ist, voller Hingabe. Verschwenderisch, überfließend wie die Liebe Gottes, von der er so oft gepredigt hat. Mit dem Duft der Salbe entfaltet sich eine Ahnung im Raum: So könnte es sein, wenn die Welt für Augenblicke so ist, wie Gott sie einmal gewollt und geschaffen hat: Wohltuend, voller Liebe und Hingabe. Ohne Krieg und Schmerz. Eine Welt in Frieden. Duftend. Und Gott sah, dass es gut war.
Diese Begegnung der Frau mit Jesus beim Festmahl gibt mir zu denken: Vergiss über dem Einsatz für die Gerechtigkeit das Leben nicht. Oder um es mit den Worten des Liederdichters Wolf Biermann zu sagen: Du, lass dich nicht verbittern in dieser bittern Zeit.
Der Einsatz für eine bessere Welt kann nämlich auf Dauer auch ermüden. Wenn alles Engagement fruchtlos erscheint, wenn immer wieder die triumphieren, die sich selbst an die erste Stelle setzen. Wenn die Kriegstreiber und Diktatoren unbeirrt töten und siegen. Dann kann das hart machen, humorlos und traurig.
Mir scheint: Für alle, die es ernst nehmen mit der Botschaft Jesu, die sich nicht abfinden wollen mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt und zugleich darüber müde geworden sind, für sie ist diese Geschichte der Frau mit dem Salböl bewahrt worden.
Du, lass dich nicht verbittern! Lebe! Liebe!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41964Zeige Beiträge 1 bis 10 von 5667 »