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02MAI2024
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Mit Maiglöckchen läutet das junge Jahr seinen Duft / Der Flieder erwacht aus Liebe zur Sonne / Bäume erfinden wieder ihr Laub und führen Gespräche / Wolken umarmen die Erde mit silbernem Wasser / (…) /

Der Wonnemonat Mai ist in vielen Gedichten und Liedern besungen worden. So wie von Rose Ausländer, die ich gerade zitiert habe. Der Mai gilt als der Frühlingsmonat. Die Vögel zwitschern, die Tage sind heller, die Natur ist erwacht und zeigt sich nach der Blütezeit in frischem Grün an Büschen und Bäumen. Die Maiglöckchen grüßen von den Wiesen und die Sonnenstrahlen werden stärker und vertreiben endgültig die Macht des Winters.
Auch wenn warme Tage aufgrund des Klimawandels immer früher im Jahr kommen, bleibt der Monat Mai doch derjenige, der sprichwörtlich für Frühlingsenergie und Zuversicht steht. Der Monat Mai ist damit auch der beste Zeuge von Gottes guter Schöpfung, die im Psalm 104 besungen wird. Da heißt es:

16 Die Bäume Gottes stehen voll Saft, die Zedern des Libanon, die Gott gepflanzt hat. 17 Dort nisten die Vögel, und die Störche wohnen in den Wipfeln. 

Aber nicht nur die Natur genießt das Licht und die Frühlingsenergie, auch die Menschen tun das. Diese Energie macht es für viele einfacher, wieder Kontakt mit anderen aufzunehmen.  Wer sich im Winter eingeigelt hat, bekommt nun doch langsam wieder Lust die Nase ins Freie zu stecken, andere Menschen zu treffen und wieder aktiv am Leben teilzunehmen. So sagt es auch Rose Ausländer in ihrem Gedicht über den Mai. Sie schreibt weiter:

„Es ist Zeit sich zu freuen an atmenden Farben / zu trauen dem blühenden Wunder / Ja es ist Zeit sich zu öffnen / allen ein Freund zu sein und das Leben zu rühmen.“  (Mai II)

Für viele Menschen kommt im Mai die Hoffnung und Zuversicht zurück. Und die Natur bleibt trotz aller Krisen diejenige, die uns das Überleben vormacht. Das Leben geht weiter. Das versprechen auch die biblischen Worte von Gottes Schöpfung, wenn trotz aller Konflikte und Katastrophen immer wieder Neues entsteht und Neuanfänge gelingen können.

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„Gleicher Lohn für alle!“ Diese Forderung wird in Deutschland schon seit Jahrzehnten erhoben. Auch heute, am traditionellen Tag der Arbeit, könnte sie wieder laut werden. Noch immer verdienen Frauen in vielen Bereichen für dieselbe Arbeit deutlich weniger als Männer. Wer sich über dieses geschlechtsspezifische Lohngefälle aufregt, hat noch nicht gehört, was für eine Aufregung das durchgezogene Prinzip „Gleicher Lohn für alle“ in einer biblischen Geschichte aus dem Neuen Testament verursacht.

Da erzählt Jesus einmal von einem Weinbergbesitzer, der in der Erntezeit Saisonarbeiter anheuert. Früh am Morgen nimmt er etliche unter Vertrag und sichert ihnen, sagen wir den derzeit gültigen Mindestlohn von 12,41 € in der Stunde zu. Im Tagesverlauf nimmt er noch mehrmals weitere Zeitarbeiter unter Vertrag, allerdings ohne mit ihnen eine Bezahlung zu vereinbaren. Sie sind wohl froh, dass sie überhaupt Aussicht auf ein paar Groschen haben. Am Abend zahlt der Weinbergbesitzer den Tageslohn bar aus. Jeder Arbeiter bekommt, und zwar unabhängig von der Zahl der Stunden, die er gearbeitet hat, exakt 124,10 €. Da kommt es zu lautstarken Protesten unter denen, die von morgens bis abends geschuftet haben. Sie fühlen sich betrogen, ungerecht behandelt. Der Arbeitgeber lässt sich aber nicht beirren und sagt ganz ruhig: Ihr habt bekommen, was vereinbart war. Warum seid ihr jetzt also unzufrieden?  Weil ich so gütig bin?

Bist du unzufrieden, wenn es gütig statt gerecht zugeht? Diese wunderbar entlarvende Frage aus dem Gleichnis möchte ich gerne mitnehmen in diesen neuen Monat und sie mir immer dann stellen, wenn der Neid an mir nagt, wenn mein Gerechtigkeitsempfinden verletzt wird, wenn ich bemerke, dass der Blick, mit dem ich am Morgen in die Welt blicke, scheel wird, missgünstig, empört. Ich nehme mir vor, den Silbergroschen, den ich in der Tasche habe, zu spüren wie einen Schatz, und mich nicht zu ärgern an den prall gefüllten Taschen der anderen.

In Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ wünscht sich der Held, als er einen Wunsch frei hat, immer so viel Geld in der Tasche zu haben wie einer, den er schon immer um seinen Reichtum beneidet hat. Das geht auch eine ganze Zeit lang gut. Bis der Bewunderte schließlich beim Kartenspiel alles auf eine Karte setzt, verliert und den Helden mit seinem unbedachten Wunsch ins Elend reißt. Hätte er mal nicht so missgünstig dreingeschaut, nicht geschielt auf das vermeintliche Glück der anderen, sondern wäre er bei sich geblieben.

Bist du unzufrieden, wenn es gütig statt gerecht zugeht? Ich spinne die Frage weiter: Wie wäre es wohl, wenn keiner sich mehr aufregen würde, zu kurz gekommen zu sein. Wenn alle einfach zufrieden wären mit dem, was sie haben. Wenn Gnade vor Recht erginge und gar niemand was dran auszusetzen hätte. Wenn Neid und Missgunst kein Thema wären, weil die einen den andern das ihre von Herzen gönnen. Wenn die Letzten die Ersten wären. Wenn Hierarchien keine Rolle mehr spielten, weil alle im Kreis um einen großen Tisch sitzen und nicht mehr in einer langen Warteschlange vor dem Jobcenter anstehen? Wenn alle genug zum Leben hätten unabhängig davon, ob sie es verdient haben oder nicht. Wenn alle mitgenommen würden und keiner mehr auf der Strecke bliebe. Wenn alle beschäftigt wären. Wenn Gerechtigkeit und Güte keine Gegensätze mehr wären. Wenn niemand mehr auf Barmherzigkeit angewiesen wäre, weil sowieso alle auf Barmherzigkeit angewiesen sind und von derselben Güte desselben Gottes leben.

Dann, so erzählt es Jesus in diesem Gleichnis vom ungerechten, aber gütigen Weinbergbesitzer, dann wäre wohl das Himmelreich auf Erden angebrochen. So weit sind wir noch nicht an diesem 1. Mai 2024. Aber wir könnten ja mal anfangen. Vielleicht mit gleichem Lohn für Männer und für Frauen!

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30APR2024
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Auf dem Foto, das im April zum besten Pressefoto des Jahres gekürt worden ist, sind eine Frau und ein Mädchen zu sehen. Ihre Gesichter sind nicht zu erkennen. Denn die Frau hält den Kopf gesenkt, so dass man nur ihr sandfarbenes Kopftuch erkennen kann. Das Kind ist von Kopf bis Fuß in ein weißes Leinentuch gewickelt. Es ist tot. Umgekommen bei einem militärischen Angriff auf den Gaza-Streifen; eine israelische Rakete hat das Haus ihrer Familie getroffen. Die Identität der beiden ist bekannt: Es ist die Palästinenserin Ina Abu Mamaar, die ihre fünfjährige Nichte Saly im Arm hält. Durch die Namen ist das Bild einer konkreten Kriegssituation zugeordnet und zeigt exemplarisch das Leid der palästinensischen Bevölkerung. Zugleich weist es aber weit über alle geographischen und nationalen Konflikte hinaus. 

Denn die Haltung von Frau und Kind auf diesem Bild erinnert mich an eine Pietà. An die bildliche Darstellung von Maria als Schmerzensmutter mit dem Leichnam ihres toten, gerade vom Kreuz abgenommenen Kindes Jesus auf dem Schoß. Selbst die leuchtende Farbe von Inas Jeanskleid erinnert an den himmelblauen Mantel der Madonna. Andere Menschen fehlen im Bild, obwohl es in beiden Fällen viel mehr gewesen sein müssen, die um den toten Jesus, um die tote Saly geweint haben. Aber der Fotograf Mohammed Salem hat einen ganz intimen Moment eingefangen. Und gibt mit seinem Foto einen ergreifenden Einblick in unermessliches Leid. Es zeigt einen Schmerz. Den tiefen Schmerz aller Mütter, deren Kinder vor der Zeit gestorben sind. Denen auf gewaltsame, unmenschliche Art und Weise die Zukunft genommen wurde. Mit ihren verhüllten Gesichtern und ihre ausdrucksstarke Körperhaltung werden die Frau und das Mädchen für mich zur Ikone: Da könnte auch eine jüdische Mutter sitzen. Maria mit Jesus. Oder eine ihrer Nachfahrinnen. Eine jemenitische, eine sudanesische Frau.

Pietà heißt Mitleid. Und Mitleid kann der erste Schritt sein, um Leid erträglicher zu machen.  Überall dort, wo wir uns an die Seite derjenigen stellen, die Leid zu tragen haben, geschieht so ein Anfang.  

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29APR2024
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Berlin im Jahr 2049. In dieser gar nicht mehr so fernen Zukunft spielt die neue Staffel der Fernsehserie rund um das renommierte Krankenhaus der Berliner Charité. Das Leben in der Bundeshauptstadt hat sich verändert. Eine unbarmherzige Sonne knallt tagsüber vom Himmel. Temperaturen um die vierzig Grad. Die Folgen des Klimawandels sind drastisch. Und ein großes Problem.

Es ist aber nicht alles nur schlechter geworden in dieser nahen Zukunft: So hat zum Beispiel eine umfassende Reform endlich für Gerechtigkeit im Gesundheitswesen gesorgt: Wer Vorsorge ernst nimmt und regelmäßig entsprechende Untersuchungen absolviert, hat Anspruch auf medizinische High-Tech-Versorgung. Unglaublich, wozu solche operierenden Roboterarme alles in der Lage sind! Science fiction, die vielleicht bald schon Realität sein könnte. Aber die lichte maschinenglänzende Welt hat auch ihre Schattenseiten: In einem still gelegten Trakt des Krankenhauses werden heimlich Menschen operiert, für die Gerechtigkeit allein nicht ausreicht, um zu überleben. Der Mann mit der vom Alkohol zerfressenen Leber. Die unbekümmerte junge Frau, die nie Schmerzen, aber plötzlich Krebs im Endstadium hat. Der Motorradfahrer, den seine überhöhte Geschwindigkeit aus der Kurve geschleudert hat und der nun mit komplizierten Knochenbrüchen daliegt. Gerecht ist das nicht, dass Menschen, die sich nicht um eine gesunde Lebensweise bemüht und freiwillig erhöhten Risiken ausgesetzt haben, die Solidarität all der Vorsichtigen und Vorsorgenden in Anspruch nehmen. Aber es ist menschlich.

Der barmherzige Samariter, der in Jesu Gleichnis der erste und einzige ist, der einem Überfallenen Erste Hilfe leistet, fragt nicht nach dessen Krankenversicherung. Er füllt auch nicht erst einen Fragebogen zu den Umständen des Überfalls aus, um sicherzustellen, dass der am Boden Liegende für seinen Weg auch ausreichende Sicherheitsvorkehrungen getroffen hat. Er hilft, ohne zu fragen. Weil da ein Mensch in Not geraten ist und weil ihn das anrührt. Gerechtigkeit allein ist nicht genug. Sie braucht ihre große Schwester an der Seite, die Barmherzigkeit. Charité heißt Barmherzigkeit. Mit diesem Satz endet dann auch die vierte Staffel der Krankenhausserie. Und erinnert uns daran, was uns zu Menschen macht: Eigenverantwortlichkeit und Solidarität. Der Einsatz für gerechte Verhältnisse. Und allen voran die Fähigkeit, sich von der Not anderer bewegen zu lassen.

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27APR2024
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„Ob Sonnenschein, ob Sterngefunkel, im Tunnel ist es immer Dunkel“. Das ist eines der großartigen Epigramme von Erich Kästner, der ja die Gabe hatte, komplexe Dinge in einen kurzen, pointierten Satz zu packen. Das Gedicht hier heißt: Die Grenzen der Aufklärung.

Für mich drückt dieser kleine Text wunderschön aus, dass es immer wichtig ist den Kopf zu heben, sich selber zu prüfen und sich umzuschauen. Eben den Tunnelblick aufzugeben. Ich versuche das immer wieder. Denn ich ertappe mich oft dabei, dass ich mich in einem Tunnel befinde. Das kann eine berufliche Aufgabe sein, die mich alles um mich herum vergessen lässt. Oder es kann ein Gefühl sein, wenn ich beispielsweise sauer oder gar wütend auf jemanden bin. Oder wenn ich verliebt bin, oder aber auch, wenn ich Angst habe. Ich bin auch in Glaubensfragen schon in einem Tunnel gelandet und habe mich in rigorosen Meinungen verbissen.

Oft werde ich meinen eigenen Vorstellungen von mir selbst und meinem eigenen Anspruch nicht gerecht. Auch da rutsche ich leicht in einen Tunnel, der meinen Blick verengt und alles um mich herum dunkel oder besser gesagt unsichtbar werden lässt. Da hilft mir all meine schöne akademische Bildung nicht, wenn ich mich in einem Tunnel verrenne, bin ich wie in einem Rausch, der mich ganz und gar vereinnahmt.

Weil ich mich mittlerweile kenne, habe ich mir angewöhnt immer wieder innezuhalten und mich selber zu beobachten. In gewisser Weise mache ich einfach eine Pause. Egal, wie groß der Termindruck ist, egal, wie stark das Gefühl, egal, wie groß die Erwartungen. Ich mache mir bewusst, dass mein Leben nicht nur aus dieser einen Sache besteht. Dass es vielfältiger ist. Wenn mir etwas nicht gelingt, schaue ich auf andere Dinge, die mir gelingen. Wenn ich mit jemandem ein Problem habe, denke ich an andere Situationen mit der gleichen Person, in der es anders war. Das hilft mir gut, mich selbst, meinen eigenen Zustand und meine Stimmungen einzuordnen und zu sortieren. Ich meine, es holt mich aus dem Tunnel raus. Und irgendwo da draußen, um mit Kästner zu sprechen, funkelt es oder scheint die Sonne.

Als ich das einmal einem Freund erzählt habe, meinte er, ich würde mir damit mein Leben schönreden. Und das wäre auch so etwas wie ein Tunnel. Nur in eine andere Richtung. Den Vorwurf kann ich nicht ganz ausräumen, vielleicht ist da manchmal was dran. Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass es nicht so leicht ist aus dem Tunnel zu kommen, wie ich es behauptet habe. Aber dass es wichtig ist, zumindest das Licht anzuschalten, um zu erkennen, dass ich mich in einem Tunnel befinde.

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26APR2024
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Da ist ein reicher Mann, fromm. Erhält sich an alle Gesetzte und fragt sich dennoch: Reicht das. Reicht das, was ich tue, ist es richtig, wie ich lebe. Trotz seines tiefen Glaubens und all seiner Bemühungen ist er sich nicht sicher das ewige Leben zu erreichen. Also fragt er Jesus, was er noch tun kann. Diese Geschichte aus dem Markusevangelium gehört zu meinen liebsten. Jesus antwortet ihm, dass er seinen ganzen Reichtum verkaufen, den Erlös den Armen schenken und fortan selber arm sein soll. Im Anschluss sagt Jesus diesen Satz: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ Den Satz finde ich wundervoll. Allerdings nicht unbedingt wegen seines Inhalts. Der ist natürlich wichtig und ein Kernpunkt des Christlichen Glaubens, aber es geht mir jetzt nicht darum. Mich interessiert mehr die Art und Weise, in der Jesus da spricht.

Als ich, da war ich noch klein, die Stelle zum ersten Mal gehört habe, musste ich lachen. Denn ich habe das witzig gefunden. Weil ich mir vorgestellt habe, wie ein Kamel versucht sich durch ein Nadelöhr zu zwängen. Und ich kann mir gut denken, dass in diesem Moment einige der Hörer Jesu auch schmunzeln mussten. Vielleicht hat er selbst auch ein bisschen gelacht. Ganz egal wie ernst das Thema eigentlich gewesen ist, da war auch ein bisschen Humor mit dabei. So stelle ich es mir zumindest vor. Und das macht mir diese Geschichte und die Person Jesus allgemein noch sympathischer. Es geht um die Grundstrukturen unseres Daseins. Um die existenziellsten Fragen, ja, man kann sagen: Eigentlich geht es bei Jesus die ganze Zeit ans Eingemachte. Aber trotzdem gibt es bei all der Tiefe und Ernsthaftigkeit auch noch Platz für ein Schmunzeln. Das finde ich ungeheuer wichtig. Denn es zeigt mir: Jesus war zwar ein hochmoralischer Mensch, aber er war kein Moralist. Er war nicht verbissen oder verbohrt, seine Botschaft war nicht bitter, sondern lebensbejahend. Der reiche Mann, dem aufgetragen wurde seinen Besitz zu verkaufen, fand das wahrscheinlich nicht so witzig. Aber ihm wurde der Auftrag nicht mit erhobenem Zeigefinger erteilt, sondern – so deute ich es - mit einem Lächeln. Und das macht viel aus. Wie schwer die Aufgabe, vor der ich stehe auch sein mag, sie wird noch schwerer, wenn dabei nicht einmal mehr Raum für ein Lächeln oder Schmunzeln ist.

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25APR2024
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Immer wieder drängt sich im Leben die Frage auf, was denn das alles soll. Gerade wenn es wie derzeit so viel Leid und Elend in der Welt gibt. Wenn jeden Tag von der Eskalation eines bestehenden oder dem Ausbruch eines neuen Konfliktes die Rede ist. Klimakrise, Krieg in Gaza, Krieg in der Ukraine. Und das sind nur die größten Geschehnisse, von denen wir täglich hören. Es gibt noch so vieles mehr, wo die Welt nicht so genau hinschaut. Da frage zumindest ich mich oft, warum das alles sein muss. Was das alles für einen Sinn haben soll.

Aber der Blick in die große Politik ist nicht einmal nötig, auch in meinem kleinen Alltag kommt sie immer wieder hoch: Die Frage nach dem Sinn. Ich habe beispielsweise ein Buch geschrieben, aber niemand interessiert sich dafür. Oder wenn ich mich verliebt habe, aber vom anderen kommt nichts zurück. Das sind so Situationen, in denen das Leben nicht das hält, was es verspricht oder ich mir von ihm erhofft habe. Die mich zweifeln lassen am Sinn und Zweck des Ganzen. Wozu soll ich mich noch abmühen, wenn sowieso nichts dabei rauskommt. Es gibt solche Momente. Ich denke, jeder kennt das. Der Sinn des Lebens ist eine der großen Menschheitsfragen, die philosophische Literatur ist voll davon. Auch das Christentum sichert mir den Sinn des Lebens zu. Zumindest verstehe ich das „Fürchte Dich nicht“ so, von dem in der Bibel immer wieder die Rede ist, das Gott seinen Geschöpfen quasi immer wieder zuruft. Aber manchmal reichen alle Lehren, aller Glaube und alles Vertrauen eben nicht aus. Da brauche ich mehr.

Mir hilft es da, mich an den sinnvollsten Moment meines Lebens zu erinnern: Eine gute Freundin von mir ist schwanger gewesen. Der Vater des Kindes hatte sich aus dem Staub gemacht, sie war gerade in eine neue Stadt gezogen, aber wegen Corona gab es kaum Möglichkeiten jemanden kennenzulernen. Sie wollte unbedingt eine Hausgeburt, die Hebamme hat dem aber nur zugestimmt, wenn sie während und nach der Geburt nicht alleine ist. Schließlich hat sie mich gefragt, ob ich da sein könnte. Und so bin ich Zeuge dieser Geburt geworden. Ein bisschen konnte ich auch helfen. Und ich habe dieses kleine Wesen auf die Welt kommen sehen, habe seinen ersten Schrei gehört. Als einer der ersten Menschen hab ich den Kleinen berührt und in den Arm genommen. Das war das bewegendste, das ich je erlebt habe. In diesem Moment war alles sinnvoll. Es war alles richtig. Es war richtig, dass dieses Kind auf die Welt kommt und es war richtig, dass es Leben gibt, dass es Menschen gibt. Seither denke ich, dass der Sinn des Lebens das Leben selbst sein könnte. Dass mit jedem neuen Leben auch sein Sinn geboren wird.

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24APR2024
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94 – was für ein stolzes Alter. Mein Vater hat es heute erreicht - und die ganze Familie freut sich mit ihm: Kinder, Enkel und inzwischen sogar schon Urenkel.

Meinen Vater bringt so schnell nichts aus der Ruhe und gleichzeitig strahlt er eine tiefe Lebensfreude aus. Manchmal frage ich mich: Woher kommt das? Was hat er Gutes erlebt und was war schwierig für ihn? Er erzählt gerne von seinen Jugenderlebnissen, von Radtouren mit Freunden und von seiner kirchlichen Jugendgruppe. Auch von den Menschen, die ihn geprägt haben – etwa sein Großvater. Die Generation meines Vaters musste aber auch den Nationalsozialismus und den 2.Weltkrieg erleben. Er hatte das Glück, nicht mehr eingezogen zu werden, weil er zu jung war. Das Geburtsjahr kann zum Schicksal werden.

Danach ging es in vielfacher Hinsicht wieder bergauf. Es herrschte Frieden und man konnte etwas aufbauen. In dieser Zeit hat mein Vater eine Familie gegründet und das Geld verdient. Für uns Kinder war vor allem meine Mutter zuständig. Dabei hat mein Vater ein Händchen für Kinder. Vieles davon hat er erst später als Großvater mit seinen Enkeln ausleben können.

In welche Zeit und in welche Umstände wir hinein geboren werden, prägt unser Leben. Es ist uns gegeben – und aufgegeben, ob es helle oder dunkle Tage sind. Wir bekommen Chancen und stehen vor Herausforderungen und so weben wir unseren Lebensfaden ins Ganze des Lebens.

In den mittleren Lebensjahren geht es dabei vor allem um das, was wir tun und leisten. Und manchmal sind es gerade die Herausforderungen, an denen wir wachsen und auf die wir zu Recht

stolz sind.

Wenn dann die Kräfte und Fähigkeiten mit zunehmendem Alter nachlassen, ist das nicht einfach zu akzeptieren. Mein Vater sagt manchmal mit Bedauern: „Ich kann ja nicht mehr viel machen“. Das stimmt. Aber mit 94 muss man keine Bäume mehr pflanzen. Und trotzdem gibt er uns ganz viel. Einfach dadurch, wie er ist. Im hohen Alter zählt die innere Haltung. Wie ein Mensch geworden ist. Welche Werte ihm wichtig waren und aus welchem Geist er gelebt hat.

Auch das hinterlässt Spuren im Gewebe des Lebens. Es sind weniger die vordergründigen Farben und Muster – eher die Kettfäden, die alles zusammenhalten. Bei meinem Vater ist ein solcher Faden sein Gottvertrauen. Das macht ihn zuversichtlich, auch wenn er nicht weiterweiß und spürt, dass sein Leben zerbrechlich wird.

Lieber Papa, Gottes Segen zu deinem 94. Geburtstag!

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23APR2024
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Wilden Tieren in freier Wildbahn begegnen – das habe ich bei einer Safari erlebt. Da sind mir die massigen Körper der Elefanten und Nashörner sehr nahegekommen. Beeindruckend! Und als eine friedlich grasende Herde von Zebras blitzschnell davongerannt ist, weil ein Löwe aufgetaucht ist, hat mir das schon eine Gänsehaut gemacht.

Die ungezähmte Lebenskraft von wilden Tieren fasziniert mich, aber sie macht mir auch Angst. Sie ist mir fremd. In der zivilisierten Welt, in der ich lebe, muss ich nicht befürchten, von einem Tier angegriffen zu werden. Mein Leben ist sicher und bequem, und das weiß ich auch zu schätzen. Aber es ist auch etwas verloren gegangen, nämlich dass ich Leben und Lebendigkeit so ganz direkt und kraftvoll erfahren kann.

Das gilt auch für meinen Glauben. Für mich ist Gott „zivilisiert“.

Wenn ich allerdings in der Bibel lese, finde ich einen Gott, von dem so eine unmittelbare und ganz starke, fast schon wilde Kraft ausgeht. Wenn er etwa dem Mose im brennenden Dornbusch erscheint und ihm den Auftrag erteilt, sein Volk zu befreien. Das ist kein gezähmter Gott. Auch Jesus muss Gott so erfahren haben. Nach seiner Taufe geht er in die Wüste. Er setzt sich 40 Tage lang dem Hunger und dem Durst aus, der Einsamkeit, den wilden Tieren. Und am Ende dienten ihm die Engel. Jesus kommt also wohl in einen tiefen Kontakt zum Göttlichen, weil er sich auf diese fremde, wilde Welt eingelassen hat. Er wird Gott seinen Vater nennen – und zugleich wird ihn dieser Gott herausfordern bis zum Letzten.

Ich gebe zu: mir wird bei diesen Gedanken durchaus ungemütlich. Ich habe mich mit meinem zivilisierten Leben und meinem zivilisierten Gott ganz gut eingerichtet. Da gibt es keine unzumutbaren Herausforderungen.  Aber da ist auch nur wenig, was mich unmittelbar packt und fasziniert.

Ich beginne zu ahnen, dass Gott nicht nur ein transzendentes, geistiges Wesen ist, sondern dass auch die ungebändigte Kraft zu ihm gehört. Wie sonst kann ich mir vorstellen, dass alles vom Einzeller bis zum Elefanten, Giraffen, Zebras, Krokodile und Flusspferde, dass sie alle aus seiner göttlichen Kreativität kommen?

Jetzt bin ich nicht mehr auf Safari. Aber ich ziehe meine Schuhe aus und spüre die Erde unter meinen nackten Füssen und ich schaue nach oben, in den weiten Himmel. Er ist voll von den unfassbaren Energien von Sonne und Wind. Es ist und bleibt wohl ein Geheimnis: wie ungezähmt und wild mein Gott sein kann! 

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22APR2024
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Wo habe ich es nur hingelegt – das Handykabel?  Solange die Batterie genug Energie hat, ist das noch kein Problem. Aber spätestens, wenn sie leer ist, fange ich fieberhaft zu suchen an. Denn ohne Verbindung zur digitalen Außenwelt bin ich von Vielem abgeschnitten, was für mich zum Leben dazugehört.

Manchmal geht es mir mit meiner Lebensenergie so ähnlich. Wenn ich nicht rechtzeitig auflade, leert sich mein innerer Akku, manchmal ohne, dass ich es merke - und auf einmal fühle ich mich ausgelaugt. Wie abgeschnitten vom Leben. Es ist nicht so sehr eine körperliche Erschöpfung, sondern eher eine seelische. Ich bin antriebslos, und alles wird mir egal.

Dann hilft mir oft, wenn ich rausgehe und laufe oder etwas Praktisches tue wie Gartenarbeit oder Kochen. Aber das reicht nicht immer. Ich bleibe leer und mir fehlt – bildlich gesprochen – ein Aufladekabel, mit dem ich mich an eine größere Energiequelle anschließen kann. Denn aus mir selber kann ich mich nicht aufladen.

Für mich ist Gott eine solche Energiequelle. Er ist Ursprung und Schöpfer des Lebens, die Urkraft, aus der alles kommt. Ich möchte mit dieser Energie, mit dem göttlichen Spirit, der alles Leben durchströmt, in Verbindung kommen. Natürlich kenne ich die klassischen Wege – Gebet und Gottesdienst…  aber nicht immer finde ich dadurch einen Zugang. Ich bleibe irgendwie außen vor, wie abgeschnitten.

Dann muss ich mich eben - wie bei meinem Handykabel – auf die Suche machen. Wo soll ich anfangen? Bei anderen religiösen Traditionen oder mit fremden Ritualen? Mir hilft es, wenn ich erst mal bei mir selber bleibe und mit meinem Innern Kontakt aufnehme. Wonach sehne ich mich eigentlich? Was fehlt mir? Die Suche führt mich zu meiner Seele, zu diesem inneren Raum, in dem ich zu Hause bin. Aber wenn ich nur um mich selber kreise und in mir gefangen bleibe, dann leidet meine Seele. Sie möchte sich mitteilen und angesprochen sein. Sie sehnt sich nach einem Gegenüber, nach einem Du. Sie sehnt sich danach, verbunden zu sein.

So wird gerade die schmerzliche Leere zur Kontaktstelle zu Gott.

Wenn ich mir diese Sehnsucht eingestehe, dann werde ich durchlässiger. Meine Seele öffnet sich für Gott. Oft ereignet sich das in der Stille. Auf einmal ändert sich mein Lebensgefühl. Ich fühle mich verbunden mit mir selbst, mit dem Leben und mit Gott. Und die Lebensenergie beginnt wieder zu fließen.

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